Das große G ist erneut in den Schlagzeilen: Chris Stöcker sieht im Spiegel Online schon den Griff von Google nach der Weltherrschaft (Gideon Böss in der WELT sieht das anders). Warum? Weil Google seine Suche inzwischen in Echtzeit und personalisiert anbietet, Produkte per Handy-Scan identifizieren können will, einen eigenen öffentlichen DNS-Server (siehe auch fefe) betreibt und überhaupt einen Haufen mehr anbietet (und natürlich Chrome, auch als Stand-alone-Betriebssystem, und Android, und Cloud Computing Applications, und und und.
Das kann jetzt als Griff zur persistenten Weltherrschaft verstanden werden. Kristian Köhntopp dagegen geht – schon vor einigen Wochen – von einem Missverständnis aus: es ist falsch, Google als Suchmaschine zu interpretieren. Für Köhntopp ist das, was Google macht, vielmehr folgendes:
Alles in allem wirkt der Ansatz von Google auf mich wie eine Firma von Physikern oder anderen Experimental-Forschern mit akademischem Background, die beschlossen haben, einmal ’so richtig‘ in die Wirtschaft zu gehen und ihre Methoden dort hin zu portieren. Man baut Modelle, identifiziert Abhängigkeiten und eliminiert sie konsequent und man hat keine Angst, dabei auch richtig groß zu denken und Neuland zu betreten.
Oder anders gesagt: eine Firma, die Abhängigkeiten auf der Input-Seite maximal reduziert (eigenes Netz, eigene Server-Farmen, eigener DNS-Server, …), die so entstandene Infrastruktur halböffentlich zugänglich macht (Open-Source-Varianten wichtiger Technologien, werbefinanzierte Zurverfügungstellung) und so – ob willentlich und strategisch oder nolens volens – immense soziotechnische Abhängigkeiten produziert. Google will nicht die Weltherrschaft, sondern will – so meine Synthese aus Stöcker und Köhntopp – die technisch beste Lösung zur Datenverarbeitung im Netz anbieten. Und erzeugt nebenbei ein bißchen Weltherrschaft (oder zumindest eine immense, personalisierte Datenhalde und Tools, um diese zu durchsuchen und möglicherweise auch profitabel zu machen).
Weltherrschaft als Koppelprodukt funktioniert auch deshalb, weil die Google-Lösung (Suchmaschine, GMail, …) meistens besser funktioniert als die Versuche anderer Anbieter oder gar staatlicher Innovationsprogramme (hallo, IT-Gipfel mit deinen Leuchtturmprojekten). Es gibt aber auch Ausnahmen – wave beispielsweise kommt gar nicht so toll an, und chrome ist bisher als Browser wie als Betriebssystem ein absolutes Nischenprodukt. Besser heißt hier vor allem: Google-Produkte und Dienstleistungen funktionieren, sind relativ fehlertolerant/wartungsarm, sind zumeist sehr einfach bedienbar – und sie sind schnell. Das hängt dann (siehe Köhntopp) wieder mit den eigenen Servern und Leitungen zusammen, und so schließt sich der Kreis zwischen technisch guten Angeboten und der Infrastruktur für die Weltherrschaft.
Bleibt die Frage nach den politischen Konsequenzen des techno-ökonomischen Interesses von Google. Verstaatlichen? Regulieren? Laufen lassen? Datenschutz neu denken? Google gar als Bündnispartner gegen Angriffe auf Netzneutralität und ähnliches einspannen? Die UNO an Google verkaufen?
Mein vorläufiger Eindruck ist der, dass das Netz hier eine Firma möglich gemacht hat, die bisher so nicht vorgesehen war (um mit Castells zu sprechen: die tatsächlich informationalen und netzwerkförmigen Kapitalismus auf globaler Ebene betreibt, und dabei Wissen auf Wissen anwendet). Was fehlt, ist eine ähnliche konzeptoffene und innovative globale Politikagentur. Dieser politische global player fehlt uns heute noch.
Warum blogge ich das? Weil ich die Debatten um Google spannend finde. Vielleicht auch deswegen, weil hier (in Variation der Köhntoppschen Argumentation) eine nerdige/technische Kultur zwar erfolgreich in Richtung Profit evolviert ist, trotz aller social responsibility (google.org usw.) dabei aber auch der für derartige nerd/technische Kulturen typische Autismus gegenüber der sozialen Einbettung und den sozialen und politischen Konsequenzen technischer Lösungen hochskaliert wurde.