Kurz: Twitterende, Teil 3 von x

Das ehe­ma­li­ge Twit­ter („Ex-Twit­ter“, oder kurz „X“) macht wei­ter Sor­gen. Der­zeit kur­siert die Ankün­di­gung Musks, die Block-Funk­ti­on abzu­schaf­fen. Bis­her ist es für jeden Account mög­lich, ande­re Accounts zu blo­ckie­ren – d.h., die­se kön­nen, zumin­dest, solan­ge sie ein­ge­loggt sind, die eige­nen Inhal­te nicht sehen, und, wich­ti­ger noch, die­se nicht kom­men­tie­ren. Das mag umständ­lich klin­gen, ist in der Pra­xis aber wich­tig, weil es furcht­bar anstren­gend und unpro­duk­tiv ist, von jedem und jeder zur Kom­mu­ni­ka­ti­on qua­si gezwun­gen wer­den zu kön­nen. Um die eige­ne Time­line zu „kura­tie­ren“, oder, schö­ner gesagt: für ein ange­neh­mes Dis­kus­si­ons­kli­ma zu sor­gen, ist es nicht nur wich­tig, wel­chen ande­ren Accounts und Per­so­nen man folgt, son­dern eben auch, wen man rauswirft. 

Genau die­ses „Blo­cken“ soll es, wenn Musk umsetzt, was er ankün­digt, in Zukunft nicht mehr geben. Ein wei­te­rer Grund, sich von Twit­ter zu ver­ab­schie­den. Zumin­dest alles per­sön­li­che­re läuft bei mir eh längst auf Mast­o­don – das Ex-Twit­ter nutz­te ich noch für poli­ti­sche Debat­ten, weil die lei­der wei­ter eher dort stattfinden.

In dem Zusam­men­hang noch ein Wort zur Ver­wun­de­rung über den Drang, zu „Blues­ky“ zu wech­seln. Ich kann das einer­seits „kul­tu­rell“ ver­ste­hen – alles wie Twit­ter 2018, nicht so unan­ge­nehm tech­nisch wie Mast­o­don, die Hür­den sind klei­ner, und die Invi­te-Only-Poli­tik sorgt dafür, dass inter­es­san­te Men­schen dort­hin wol­len. Ande­rer­seits ist der Blues­ky-Grün­der jetzt nicht unbe­dingt ein Garant für freund­li­ches Zusam­men­sein, trotz angeb­lich dezen­tra­li­sier­ba­rer Archi­tek­tur bleibt das Pro­blem, dass die Platt­form in einer Hand bleibt und jeder­zeit enden oder sich ver­än­dern kann – und letzt­lich will irgend­wer mit Blues­ky Geld ver­die­nen. Da will ich nicht hin. Und wenn ich auf die letz­ten Jah­re zurück­bli­cke, in denen ich ohne Insta­gram-Account aus­ge­kom­men bin – auch das wird sich nicht ändern – und nie bei „Club­house“ war, sehe ich auch kei­ne Not­wen­dig­keit, mich um einen Blues­ky-Account zu küm­mern. Das glei­che gilt noch viel mehr für Post und wie die ande­ren Twit­ter-Klo­ne alle hei­ßen. The­re is no need to be hip.

Mög­li­cher­wei­se endet die Zeit unitä­rer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men. Muss auch nicht unbe­dingt etwas schlech­tes sein. Wie über­haupt, glau­be ich, eine Inter­net-Ära gera­de zu Ende geht, weil die Trans­ak­ti­ons­kos­ten, um Web­sites und Platt­for­men „kom­mer­zi­ell“ mit Inhal­ten zu fül­len, gera­de ins Nega­ti­ve sin­ken, ChatGPT etc. sei Dank. Soll hei­ßen: das Netz wird zuneh­mend zu einer Müll­hal­de aus maschi­nell pro­du­zier­ten und ger­ne inhalt­lich fal­schen Tex­ten, die eigent­li­chen Infor­ma­tio­nen ver­ber­gen sich gut und Such­ma­schi­nen ver­lie­ren mas­siv an Nutz­wert. Das ist anders als 2020. 

Kurz: Twitterende, Teil 2 von x

Twit­ter wird mehr und mehr zu einem unge­müt­li­chen Ort. Mit der Aus­wahl der chro­no­lo­gi­schen Time­line, einem losen Block­fin­ger und etwas Gelas­sen­heit ist Twit­ter noch halb­wegs nutz­bar. Ja, ich bin da immer noch – ich ver­su­che, auf Mast­o­don akti­ver zu sein und „net­te“ Din­ge wie z.B. Blu­men­fo­tos eher dort zu pos­ten, aber schnel­le, poli­ti­sche, jour­na­lis­ti­sche Debat­ten fin­den nach wie vor auf Twit­ter statt. Lei­der. Die Zahl „blau­be­hak­ter“ Idiot*innen ist aller­dings groß, und alles, was in Rich­tung Emp­feh­lun­gen geht, soll­te tun­lichst gemie­den wer­den. Da ist dann schon sehr stark spür­bar, dass „free speech“ für Musk vor allem freie Bahn für Nazis bedeutet.

Heu­te dann ein paar Ankün­di­gun­gen, die sehr nach end­gül­ti­gem Ende von Twit­ter klin­gen. Zum einen las­sen sich ver­link­te Tweets ohne Account nicht mehr lesen. Damit ist Twit­ter kein öffent­li­cher Ort mehr. Und zum ande­ren wur­de heu­te ein „Time­line limit“ angekündigt.

Musk schrieb: „To address extre­me levels of data scra­ping & sys­tem mani­pu­la­ti­on, we’­ve appli­ed the fol­lo­wing tem­po­ra­ry limits:

- Veri­fied accounts are limi­t­ed to rea­ding 6000 posts/day
– Unve­ri­fied accounts to 600 posts/day
– New unve­ri­fied accounts to 300/day“

Da steht, genau gele­sen, dass die­se Beschrän­kun­gen tem­po­rär sind. Ob das stimmt, sei dahin­ge­stellt. Viel­leicht soll es wirk­lich das Scra­ping von Twit­ter (und das Ein­füt­tern in AIs) unter­bin­den. Oder es geht dar­um, Leu­ten den Bezahl­ac­count schmack­haft zu machen (never!). Aber dann wäre es unlo­gisch, auch da eine Gren­ze einzuziehen.

Pi mal Dau­men mal durch­ge­rech­net: ich fol­ge 2000 Leu­ten, selbst wenn im Schnitt nur ein bis zwei Pro­zent davon je Stun­de einen Tweet schrei­ben, wür­de ich die 600 Tweets (pro Tag) im Time­line­scrol­len schnell errei­chen. Und wenn ein paar Power­user dabei sind, die z.B. einen län­ge­ren Tweet ret­wee­ten, geht’s noch schnel­ler. Inso­fern ist eine Begren­zung auf das Lesen von 600 Posts ein ech­tes Pro­blem. Oder, anders gesagt: Twit­ter tut gera­de sehr viel, um Mast­o­don etc. attrak­ti­ver zu machen. Dann halt so. 

Meine generelle Unzufriedenheit mit dem Jahr 2022

Orange gray, Gundelfingen - V

Das Jahr 2022 lässt mich unzu­frie­den zurück. Nicht so sehr auf das Pri­vat­le­ben bezo­gen – Kin­der und Kat­zen gedei­hen, im Gar­ten wuchs es im Som­mer, ich habe wei­ter­hin eine span­nen­de Arbeit in der grü­nen Land­tags­frak­ti­on – son­dern im Gro­ßen und Gan­zen. Und die­ses Gefühl der Unzu­frie­den­heit zieht sich auch durch mein Blog. 

Natür­lich gibt es offen­sicht­li­che Grün­de dafür. Der 24. Febru­ar mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne ist der sicht­bars­te die­ser Grün­de. Wir erle­ben Welt­ge­schich­te, die Zei­ten­wen­de ist immer prä­sent. Die­ser Krieg führt zu viel­fach mul­ti­pli­zier­tem Leid in der Ukrai­ne. Dane­ben wirkt ver­nach­läs­sig­bar, dass er auch bedeu­tet, dass lan­ge geheg­te Über­zeu­gun­gen über den Hau­fen gewor­fen wer­den müs­sen. Und ja: das müs­sen sie. Schön ist das trotz­dem nicht.

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Work in progress: Computergestützte Kommunikation gestern und heute

In einem Anflug von Irri­ta­ti­on dar­über, wie vie­le Men­schen sich, wenn sie sich auf­grund der Twit­ter­däm­me­rung nach ande­ren Orten im Netz umschau­en, ohne mit den Wim­pern zu zucken, wie­der in die sel­ben Abhän­gig­kei­ten bege­ben, ohne offe­ne Schnitt­stel­len, ohne Open-Source-Code, ohne Inter­ope­ra­bi­li­tät – ja, ich spre­che hier von post.news und Hive und der­glei­chen mehr -, habe ich ges­tern Abend mal nach einer Zeit­li­nie der unter­schied­li­chen Platt­for­men und Sys­te­me gesucht. Und weil ich bis auf die­se schö­ne Gra­fik erst ein­mal nichts gefun­den habe, habe ich dann „schnell mal eben“ selbst eine Zeit­li­nie zusam­men­ge­bas­telt. Das gab rege Reak­tio­nen (Debat­te auf Mast­o­don hier und auf Twit­ter hier), und mir sind dabei drei Din­ge klar geworden:

1. Sozia­le Netz­wer­ke im wei­te­ren Sin­ne sind kei­ne ganz neue Erfin­dung, son­dern beglei­ten als Mai­ling­lis­ten, BBS-Sys­te­me, als Use­net oder als Chat-Platt­form wie IRC unse­re ver­netz­te Com­pu­ter­nut­zung schon ziem­lich lange.

2. Wenn ich mich näher damit befas­sen wol­len wür­de, wäre es gut, für Ord­nung zu sor­gen und zu über­le­gen, was ich eigent­lich mei­ne, wenn ich von sozia­len Netz­wer­ken spre­che. Was unter­schei­det Twit­ter von Face­book, was Face­book von ICQ, und was ICQ von Goog­le Groups? Und wie weit soll das eigent­lich gefasst wer­den – sind You­tube, Tin­der, Wer­kennt­wen, Stay­Fri­ends und Lamb­da­MOO auch sozia­le Netzwerke?

3. Für die meis­ten sozia­len Netz­wer­ke (was auch immer dar­un­ter zu ver­ste­hen ist), sind die Anfangs­da­ten (ers­te Nut­zung, wann wur­de die Fir­ma gegrün­det, wann kam das Pro­dukt auf den Markt, …) gut doku­men­tiert, auch die Wiki­pe­dia ist hier sehr hilf­reich. Viel weni­ger klar ist das Ende sozia­ler Netz­wer­ke. Eini­ge Diens­te wur­den ein­ge­stellt (Orkut zum Bei­spiel, oben grau dar­ge­stellt), ande­re schei­nen auch heu­te noch zu exis­tie­ren, sind aber aus der öffent­li­chen Wahr­neh­mung kom­plett ver­schwun­den (FIDO­Net beispielsweise). 

Was ich jetzt wei­ter mit die­sem Impuls, zurück zu gucken, anfan­ge, ist mir noch nicht ganz klar. Jeden­falls: es gab ein Leben vor Twit­ter, und es wird ein Leben nach Twit­ter geben. Bis dahin sam­me­le ich mal wei­ter – etwas über­sicht­li­cher als die Gra­fik oben hier bei Datawrap­per. Tipps und Hin­wei­se ger­ne in den Kommentaren. 

Early days of a better nation

Viel­leicht zuviel Pathos, aber ein klei­nes biss­chen fühlt Mast­o­don sich so an. Den unter @_tillwe_ ange­leg­ten Account nut­ze ich inzwi­schen rege, etwa ein Vier­tel der Men­schen, denen ich auf Twit­ter fol­ge, habe ich im Fedi­ver­se auch schon gefun­den. Und neben mastodon.social habe ich auf freiburg.social (unter till­we) eben­falls einen Account ange­legt, der aber bis­her noch brach­liegt. Viel­leicht zie­he ich noch von da nach dort um – eine loka­le Instanz passt eigent­lich bes­ser zum Kon­zept hin­ter Mast­o­don als ein gro­ßer Ser­ver. Oder ich nut­ze das als Zweit­ac­count. Twit­ter jeden­falls brennt.

Ers­te Ein­drü­cke von Mast­o­don: nach den ers­ten Tagen, in denen mei­ne Time­line von Twit­ter-nach-Mast­o­don-Umzug­de­bat­ten etc. domi­niert war, wird es nach und nach inter­es­san­ter. Weni­ger inter­na­tio­nal, weni­ger Poli­tik (bei­des: bis­her noch, ändert sich), ein biss­chen mehr Nerd­zeug, ein biss­chen mehr lin­ke Sze­ne. Unter­schie­de in der dis­kur­si­ven Pra­xis: die Leu­te ver­su­chen, freund­li­cher zu sein; es gibt mehr Zei­chen pro Nach­richt; Cont­ent­war­nun­gen wer­den rela­tiv inten­siv genutzt, Quo­te-Tweets von eini­gen ver­misst. Span­nen­de Debat­ten dar­über, wie weit die Mast­o­don-Dis­kus­si­ons­kul­tur kon­tra­pro­duk­tiv ist: füh­ren Cont­ent­war­nun­gen zu The­men wie Ras­sis­mus dazu, das die­ser unsicht­bar gemacht wird? Und was ist mit die­sen omi­nö­sen Instan­zen-Blocks – eini­ge Instan­zen schei­nen alles zu blo­cken, was zu groß ist, wo der/die Admin nicht die exakt rich­ti­ge Ein­stel­lung hat, wo das fal­sche gesagt wird. Gefühlt: hier ruckelt sich gera­de noch eini­ges zu recht. 

Uto­pi­scher Dri­ve beim Blick auf das Poten­zi­al eines föde­rier­ten sozia­len Netz­werks. Das gemein­sa­me Pro­to­koll Acti­vi­ty­Pub heißt, dass Mast­o­don-Instan­zen mit allen ande­ren die­sem Pro­to­koll fol­gen­den Ser­vern kom­mu­ni­zie­ren kön­nen. Neben den ger­ne hoch­ge­hal­te­nen Fedi­ver­se-Bei­spie­len, die Insta­gram (Pixel­fed) und You­tube (Peer­tu­be) nach­bau­en sol­len, ist das bei­spiels­wei­se auch die­ses Blog hier, das unter @till­we alle Bei­trä­ge auch im Fedi­ver­se ver­füg­bar hält. RSS, nur uni­ver­sa­ler und inter­ak­ti­ver. Oder Ple­ro­ma (ein ande­re Soft­ware für „Twitter“-artige Instan­zen). Und weil alle auf das glei­che Pro­to­koll zurück­grei­fen, ist es mög­lich, über unter­schied­li­che „Platt­for­men“ hin­weg Men­schen und Din­gen zu fol­gen. Zudem bedeu­tet die­ser Auf­bau, das ganz unter­schied­li­che Apps genutzt wer­den können.

Span­nend wird es, wenn „kom­mer­zi­el­le“ Instan­zen dazu­kom­men – dann dürf­te es ziem­lich hef­ti­ge Kul­tur­krie­ge dazu geben, ob die­se ein­ge­bun­den („föde­riert“) oder geblockt wer­den. Im Zwei­fel gibt es die Mög­lich­keit, das sozia­le Netz­werk (aller­dings nicht den alten Con­tent) halb­au­to­ma­tisch umzu­zie­hen oder eben Accounts auf meh­re­ren Instan­zen anzulegen.

Fühlt sich alles ein biss­chen wie die frü­hen 2000er Jah­re an, als das auf einem gemein­sa­men offe­nen Pro­to­koll auf­bau­en­de World Wide Web mit ganz unter­schied­li­chen Ser­vern und Brow­sern anfing, für brei­te­re Mas­sen inter­es­sant zu wer­den. Ich bin gespannt, was hier noch pas­siert – tech­nisch wie kulturell.

Und: die letz­ten Jah­ren waren von einem Hype um Web 3.0 und Block­chains dis­kur­siv über­la­gert. Das, was die Web‑3.0‑Jünger*innen ver­spre­chen, wird zu einem Teil von dem jetzt Sicht­bar­keit bekom­men­den Fedi­ver­se längst gelie­fert – mit instan­zen­be­zo­ge­ner Authen­ti­fi­zie­rung und ganz ohne Block­chain. Und an Nach­rich­ten­aus­tausch statt an finan­zi­el­len Mikro­trans­ak­tio­nen als Modell orientiert. 

Also: extrem viel Poten­zi­al, und ich bin sehr gespannt, was dar­aus noch wird. Der Kauf und die Brand­schat­zung von Twit­ter durch Elon Musk als Kata­ly­sa­tor für ein offe­nes, nicht kom­mer­zi­el­les sozia­les Netz­werk, das noch ein biss­chen mehr kann, als nur glo­ba­le Chats zu ermög­li­chen – wer hät­te das gedacht?