Notizen zu Gemeinsam Handeln, Tag 2

Mannheim / Tagung "gemeinsam handeln"

Der zwei­te Tag der Tagung „Gemein­sam Han­deln“ des baden-würt­tem­ber­gi­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums war wohl­ge­packt. Und obwohl eini­ge hoch­ka­rä­ti­ge Referent*innen krank­heits­be­dingt abge­sagt hat­ten, blieb doch eini­ges an bemer­kens­wer­ten Vor­trä­gen und Redner*innen – inso­fern bin ich auf das ange­kün­dig­te Buch zur Tagung gespannt. Noch mehr dar­auf, wie die dis­ku­tier­ten Pro­blem­stel­lun­gen ihren Weg in das Regie­rungs­han­deln finden.

Ging es am ers­ten Tag um über­grei­fen­de The­men, um Bür­ger­be­tei­li­gung und um die Wirt­schaft, so stand am zwei­ten Tag v.a. der Kli­ma­wan­del im Mittelpunkt. 

Zuvor bau­te Prof. Jan-Wer­ner Mül­ler aus Prince­ton (Mot­to „kon­ser­va­ti­ve Denk­fi­gu­ren für eine pro­gres­si­ve Poli­tik frucht­bar machen“) aber noch den gan­zen gro­ßen poli­tisch-phi­lo­so­phi­schen Rah­men auf, indem er den Zusam­men­hang von Frei­heit und Zusam­men­halt aus­leuch­te­te. Im Kern ging es hier um das Pro­blem des „Ver­lie­rers“ in der Demo­kra­tie – wie muss ein demo­kra­ti­scher Pro­zess in einer frei­heit­li­chen und plu­ra­len Gesell­schaft aus­se­hen, um am Schluss nicht eine Spal­tung in Mehr­heit und Min­der­heit her­vor­zu­ru­fen, son­dern ein Ergeb­nis, das auch von denen mit­ge­tra­gen wird, die in der Sach­fra­ge ver­lo­ren haben. Als Vor­aus­set­zun­gen für einen zusam­men­halts­för­dern­den Umgang mit Kon­flik­ten nann­te Mül­ler drei Punk­te: (1) ande­re nicht kate­go­ri­al aus­schlie­ßen, den poli­ti­schen Geg­ner nicht zum Feind erklä­ren; (2) zwi­schen einer gemein­sa­men Fak­ten­grund­la­ge und ger­ne strit­ti­gen Mei­nun­gen zu gemein­sam geteil­ten Fak­ten unter­schei­den; (3) nicht auf tech­no­kra­ti­sches Recht­ha­ben vertrauen. 

D.h. auch: wer ver­liert, muss immer eine Chan­ce haben, sei­ne oder ihre Posi­ti­on in der nächs­ten Run­de durch­set­zen zu kön­nen. Mül­ler ging dann wei­ter auf die spe­zi­fi­sche Rol­le von Par­tei­en und Gerich­ten ein und stell­te dar, dass Bür­ger­rä­te ein Instru­ment der zusam­men­halts­för­dern­den Kon­flikt­lö­sung sein kön­nen, wenn sie als Ergän­zung, nicht als Ersatz einer reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie kon­zi­piert sind. Dis­ku­tiert wur­de auf dem anschlie­ßen­dem Podi­um ins­be­son­de­re die Fra­ge, was die­se Aus­sa­gen mit Bezug auf AfD und Rechts­extre­mis­mus bedeu­ten – vor der Folie der Transformation(en). Mit­ge­nom­men habe ich das Wort davon, dass der „Kul­tur­kampf die Ein­stiegs­dro­ge in den Popu­lis­mus für bür­ger­li­che Krei­se ist“ – und die Auf­for­de­rung, mit Populist*innen zu reden, aber nicht wie diese.

Das zwei­te Podi­um zur „Geschwin­dig­keit der Demo­kra­tie“ wur­de krank­heits­be­dingt zu einem mode­rier­ten Zwie­ge­spräch zwi­schen Pau­li­ne Brün­ger (Fri­days for Future) und dem grü­nen Alt-Vor­den­ker Ralf Fücks. Da ging es rela­tiv hef­tig zur Sache, die jeweils unter­schied­li­chen Bewe­gungs­er­fah­run­gen wur­den sich sich vor­ge­hal­ten, das Ver­hält­nis zwi­schen Par­tei und Bewe­gung aus­ge­lo­tet zwi­schen Ver­ständ­nis für real­po­li­ti­sche Zwän­ge und Wunsch beschleu­nig­ten Han­delns ange­sichts phy­si­ka­li­scher Her­aus­for­de­run­gen. Fücks lan­de­te letzt­lich beim grü­nen Wachs­tum, bei intel­li­gen­ten Märk­ten und der öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung im Bünd­nis mit der Mehr­heit, was zu erwar­ten war. Statt poli­tisch beschleu­nigt zu regu­lie­ren, soll­te lie­ber in die Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit der Märk­te ver­traut wer­den, sobald die Prei­se die rich­ti­gen Anrei­ze set­zen. Alles nichts neu­es. Inter­es­san­ter die Hal­tung von Brün­ger, die sehr reflek­tiert die Stra­te­gie der Fri­days erläu­ter­te, und immer wie­der beton­te, dass Kli­ma­pro­test aus Sicht von FFF eben auch sozia­le Akzep­tanz und Lebens­wirk­lich­keit mit­denkt. Dabei gab es eine deut­li­che Abgren­zung zu Stra­ßen­blo­cka­den um der Blo­cka­de wil­len, bes­ser: sich Kämp­fe aus­su­chen, die für die trans­for­ma­ti­ons­wil­li­ge Mehr­heit der Bevöl­ke­rung anschluss­fä­hig sind. Zur Reflek­ti­on gehör­te auch die Fest­stel­lung, dass die Kli­ma­be­we­gung von der Debat­te um das Hei­zungs­ge­setz kalt erwischt wur­de – Brün­ger sprach hier von einem Rea­li­täts­check für zukünf­ti­ge Kämpfe. 

Noch ein Stück wei­ter in Rich­tung Kli­ma­schutz und Sozi­al­po­li­tik zusam­men­den­ken ging dann Prof. Ani­ta Engels, die für eine akti­ve Trä­ger­schaft der Trans­for­ma­ti­on durch wei­te Bevöl­ke­rungs­krei­se plä­dier­te. Sie mach­te die sozio­de­mo­gra­fisch sehr unter­schied­li­che Mit­wir­kung am Kli­ma­wan­del deut­lich und nahm hier ins­be­son­de­re die Pri­vat­jets der Super­rei­chen in den Blick. Hier lie­gen – bei zah­len­mä­ßig weni­gen Per­so­nen, aber extrem hohem Pro-Kopf-CO2-Aus­stoss – auch ganz kon­kre­te Hand­lungs­mög­lich­kei­ten. Dem stell­te sie am ande­ren sozio­de­mo­gra­fi­schen Ende „Kli­ma­schutz aus Man­gel“ gegen­über. Kli­ma­schutz sozi­al gerecht zu gestal­ten, ist aus Engels Sicht nicht nur die Her­stel­lung von Sozi­al­ver­träg­lich­keit (etwa durch ein Kli­ma­geld oder Aus­gleichs­zah­lun­gen), son­dern der Blick auf sozia­le Gerech­tig­keit (also eine fai­re Ver­tei­lung von Kos­ten und Ver­ant­wor­tung). Noch einen Schritt wei­ter gedacht kommt die ange­spro­che­ne akti­ve Trä­ger­schaft ins Spiel. Das könn­te z.B. hei­ßen, klei­ne Gewer­be­trei­ben­de mit ins Boot zu holen – oder ganz schlicht im Bereich der sozia­len Arbeit in den Leis­tungs­ver­ein­ba­run­gen Kli­ma mit zum The­ma (und damit zum Gegen­stand) zu machen. 

Im Block „Wie reden wir über Kli­ma­schutz“ mach­te die Neu­ro­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Maren Urner Wer­bung für ihr Kon­zept des „kon­struk­ti­ven Jour­na­lis­mus“ – da schweb­te, neben berech­tig­ter und zuge­spitz­ter Erläu­te­rung neu­ro­wis­sen­schaft­li­cher Grund­la­gen dafür, dass wir die Kli­ma­kri­se ver­drän­gen, auch viel Wer­bung für die eige­ne Per­son mit. 

High­light zum Schluss der Tagung dann Bun­des­trans­for­ma­ti­ons­mi­nis­ter Robert Habeck, der die Auf­ga­be hat­te, zum The­ma „Aus Zuver­sicht Wirk­lich­keit machen“ zu spre­chen. Das tat er mit einem gro­ßen Bogen von den zeit­ge­nös­si­schen Pro­tes­ten gegen das in Mann­heim erfun­de­ne Lauf­rad bis zur heu­ti­gen Lage. Statt an unbe­grün­de­te Hoff­nung zu glau­ben, plä­dier­te er für die begrün­de­te Zuver­sicht – zu der wir mit Are­ndt ver­dammt sind. Es geht nicht um Zweck­op­ti­mis­mus, son­dern um das in einer gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on mach­ba­re, nicht um die immer bes­se­re – apo­ka­lyp­ti­sche – Pro­blem­be­schrei­bung, son­dern um die Wer­bung und letzt­lich Mehr­heits­be­schaf­fung für Lösun­gen. Inter­es­sant für mich, weil das ein sich durch­zie­hen­des The­ma der Tagung war, der Schwenk hin zu Infra­struk­tur – auch im Sin­ne des Erhalts und der Schaf­fung öffent­li­cher Räu­me, an denen unter­schied­li­che Men­schen zusam­men­kom­men. Das dür­fe – Sei­ten­hieb in Rich­tung des Kabi­netts­kol­le­gen – auch nicht an knap­pen Kas­sen schei­tern. In der öffent­li­chen Begeg­nung ent­steht Neu­es, aber auch Rea­li­täts­sinn, und Zuver­sicht – und damit Fort­schrit­te – baut genau auf die­sem Blick auf die Rea­li­tä­ten auf. Und ganz en vogue: der Blick auf Trig­ger­punk­te (Mau), die zu drü­cken ver­mie­den wer­den soll. Statt des­sen warb Habeck für inte­gra­le Lösun­gen – und die Wie­der­ent­de­ckung repu­bli­ka­ni­scher Tugen­den von Tole­ranz bis Neugierde.

Im Schluss­fa­zit des Minis­ter­prä­si­den­ten Kret­sch­mann habe ich ins­be­son­de­re noch ein­mal ein Plä­doy­er für star­ke Insti­tu­tio­nen gehört – auch für die Insti­tu­ti­on Demo­kra­tie selbst als „Infra­struk­tur der Frei­heit“ -; kei­ne Kul­tur­kämp­fe, aber auch ein genau­es Hin­schau­en, wo es um ganz nor­ma­le demo­kra­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen geht, um den zivi­li­sier­ten Streit auf Fak­ten­ba­sis – und, im Sin­ne ein­fa­cher, erhel­len­der Bot­schaf­ten: für eine rea­lis­ti­sche und in den Tat­sa­chen ver­an­ker­te Zuversicht. 

Hier mei­ne Noti­zen zu Tag 1 der Tagung

Notizen zu Gemeinsam Handeln, Tag 1

Das baden-würt­tem­ber­gi­sche Staats­mi­nis­te­ri­um kann auch „Tagung“. Ges­tern und heu­te fin­det in Mann­heim die Kon­fe­renz „Gemein­sam Han­deln – die Gesell­schaft in der Trans­for­ma­ti­on zusam­men­hal­ten“ statt. Gut besucht, neben den übli­chen Ver­däch­ti­gen auch vie­le Men­schen, die nach Stu­die­ren­den aussehen.

Tag 1 bestand – neben einem Emp­fang in der Alten Feu­er­wa­che mit (sozi­al- und geis­tes­wis­sen­schaft­li­chem, des­we­gen mög­li­cher­wei­se weni­ger zün­den­dem) Sci­ence Slam – aus drei Key­notes und zwei Podi­en. Podi­um 1 zu Bür­ger­be­tei­li­gung fand ich inter­es­sant und lehr­reich, das Spek­trum reich­te hier von den eige­nen Erfah­run­gen als Zufalls­bür­ger bis hin zu polit-phi­lo­so­phi­schen Spe­ku­la­tio­nen über Demo­kra­tie, die ein Nicht-Teil­neh­men ganz grund­sätz­lich ableh­nen muss. Das zwei­te Podi­um zu Wirt­schaft war hoch­ka­rä­tig besetzt, krank­te aber m.E. dar­an, dass nicht so ganz klar war, was eigent­lich mit „Trans­for­ma­ti­on“ im Wirt­schafts­kon­text gemeint ist – Kli­ma­neu­tra­li­tät? Wis­sens­ar­beit (Wolf Lot­ter sehr in den 1990ern)? Digitalisierung? 

Ent­täu­schend die Kir­chen­tags­key­note von Alt­bun­des­prä­si­dent Gauck – viel ange­le­se­nes, Wer­bung für das eige­ne Buch, Opa-Anke­do­ten, Bun­des­land-Schmei­che­lei, die Rede­zeit mas­siv über­zo­gen. Schön, dass auch der Alt­bun­des­prä­si­dent die Rele­vanz des Kli­mathe­ma sieht. Als Fazit kam dann aber doch nur ein Lob der Mit­te und der Kom­pro­miss­fä­hig­keit. EU-Kom­mis­si­ons­vor­sit­zen­de Ursu­la von der Ley­en war per Video­bot­schaft aus Washing­ton zuge­schal­tet und wirk­te sci­ence-fic­tion-artig, genau­er gesagt: wie die Prä­si­den­tin eines gro­ßen Blocks aus einem SF-Film. Inhalt­lich sind bei mir die Clean-Tech- und Green-Deal-Initia­ti­ven der EU hän­gen geblie­ben, und die Ankün­di­gung einer Infra­struk­tur­part­ner­schaft mit Indi­en. Alles sehr groß und sehr clean bis steril.

High­light war dage­gen die Eröff­nungs­re­de von Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann. Aus­gangs­punkt war für ihn der Wider­spruch zwi­schen der phy­si­ka­lisch begrün­de­ten Hand­lungs­not­wen­dig­keit des Kli­ma­wan­dels – jetzt sofort schnell han­deln! – und der poli­ti­schen Wirk­lich­keit mit Pola­ri­sie­rungs­ri­si­ken, Spal­tungs­ten­den­zen und der Fra­ge, wie viel Ver­än­de­rung Men­schen zuge­mu­tet wer­den kann, bevor sie sich dage­gen wen­den. Zur Auf­lö­sung die­ses Wider­spruchs stell­te er fünf – eigent­lich sechs – The­sen in den Raum:

1. Schlüs­sel für alles wei­te­re ist es, Sicher­heit im Wan­del zu vermitteln
2. Gute öffent­li­che Insti­tu­tio­nen von der Kita bis zur Stra­ßen­bahn sichern das Ver­trau­en in den Staat (inkl. Auf­trag zum Bürokratieabbau)
3. Sach­fra­gen müs­sen als Sach­fra­gen behan­delt wer­den, nicht als – mora­lisch auf­ge­la­de­ner – Kulturkampf
4. Damit Demo­kra­tie funk­tio­niert, müs­sen die Bürger*innen gehört wer­den, auch die Stil­len (und die wich­ti­gen enga­gier­ten Ehren­amt­li­chen natür­lich ebenfalls)
4.a Res­sour­cen aller Art sind knapp (Geld, Per­so­nal, men­ta­le Resi­li­enz) – es geht also dar­um die rich­ti­gen Prio­ri­tä­ten zu set­zen, sich auf wich­ti­ge Pro­ble­me zu kon­zen­trie­ren und klug zu entscheiden
5. Es gibt begrün­de­te Quel­len der Zuver­sicht – die­se lei­te­te Kret­sch­mann zum einen anthro­po­lo­gisch her: Fähig­keit der Men­schen zu unend­li­cher Krea­ti­vi­tät, Koor­di­na­ti­ons­leis­tun­gen – zum ande­ren ver­wies er auf die Son­nen­en­er­gie, die pro Tag sowohl Ener­gie auf die Erde ein­strahlt, wie wir in einem Jahr verbrauchen 

Dar­aus lie­ße sich ein poli­ti­sches Hand­lungs­pro­gramm bas­teln. Zum Teil arbei­tet Baden-Würt­tem­berg heu­te schon ent­lang die­ser The­sen – aber gera­de bei den gut funk­tio­nie­ren­den Insti­tu­tio­nen sehe ich noch Luft nach oben. 

Photo of the week: Wuppertal

Wuppertal

 
Ich stel­le ja ungern zwei Fotos der Woche direkt hin­ter­ein­an­der ins Blog, die­se Woche bin ich aber schlicht nicht dazu gekom­men, noch ande­res zu blog­gen (obwohl ich sowohl zur Fra­ge der Ver­än­de­rung von Mobi­li­tät als auch zum Klas­sen­sys­tem in der Deut­schen Bahn Ideen hät­te …). Ein Grund dafür ist oben zu sehen – die grü­ne BAG Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik tag­te die­ses Wochen­en­de in Wup­per­tal, was gewis­ser Vor­be­rei­tun­gen bedurf­te. Die beein­dru­ckend drei­di­men­sio­na­le Stadt Wup­per­tal hat­ten wir uns als Sitz des Wup­per­tal-Insti­tuts und als Anschau­ungs­bei­spiel für trans­for­ma­ti­ve Wis­sen­schaft her­aus­ge­sucht; ein The­ma, über das wir leb­haft mit Prof. Dr. Uwe Schnei­de­wind dis­ku­tier­ten. Inhalt­lich dazu ein ande­res Mal.