Kurz: „Halbzeitbilanz“

Die SPD pla­ka­tiert in Frei­burg (und wohl auch andern­orts) der­zeit für Ver­an­stal­tun­gen zur grün-schwar­zen Halb­zeit­bi­lanz; vor­ges­tern gab’s auch eine Pres­se­kon­fe­renz dazu.

Mal abge­se­hen davon, dass ich unse­re Regie­rungs­bi­lanz gar nicht so schlecht fin­de, und dass mir nicht klar ist, wie die SPD aus ihrem 12%-Tal her­aus­kom­men will, wenn sie wei­ter vor allem auf nega­ti­ve cam­paig­ning setzt, fra­ge ich mich: Ist nicht allein schon die Über­nah­me des Begriffs „Halb­zeit­bi­lanz“ eher dumm? Denn wenn das jetzt die Bilanz der ers­ten Hälf­te Grün-Schwarz ist, dann muss es auch eine zwei­te Halb­zeit geben. Allein die­se Begriffs­wahl legt also schon mal fest, dass die grün-schwar­ze Lan­des­re­gie­rung bis 2021 sta­bil regie­ren wird. Wenn die SPD das so sieht – mir soll es recht sein!

(Und übli­cher­wei­se bilan­ziert die Eigen­tü­me­rin – auch das ist hier etwas schräg. Aber das nur nebenbei.)

Historische Tage? Doch nur groß inszeniertes bayerisches Singspiel

Vor ein paar Tagen blogg­te ich kurz etwas, dass das der­zeit viel­leicht his­to­ri­sche Tage sein könn­ten. Heu­te kommt der Schwank dann zu sei­ner vor­läu­fi­gen Auf­lö­sung: nach Ulti­ma­ten, Dro­hun­gen, Ver­hand­lun­gen, Erpres­sun­gen, Fin­ten, einem ange­droh­ten Rück­tritt, Güte­ge­sprä­chen, dem Rück­tritt vom Rück­tritt und einem gehei­men Mas­ter­plan, der zugleich von der CSU und von Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um stammt – also nach all den Ele­men­ten, die eher auf eine Büh­ne als in die Poli­tik pas­sen soll­ten – bleibt alles beim alten. Jeden­falls dann, wenn die SPD mit­macht. Gegen­stim­men dazu habe ich noch kei­ne gehört.

Im End­ef­fekt, mate­ri­ell, geht es in dem jetzt vor­lie­gen­den „Kom­pro­miss“ – über den zwei der drei Regie­rungs­par­tei­en ver­han­delt haben – dar­um, dass See­ho­fer an der Gren­ze zwi­schen Bay­ern und Öster­reich, Asylbewerber*innen zurück­wei­sen kann, die aus Dritt­staa­ten wie Öster­reich ein­rei­sen. Dazu sol­len „Tran­sit­zen­tren“ an der öster­rei­chi­schen Gren­ze errich­tet wer­den, das ist etwa das, was die USA an der Gren­ze zu Mexi­ko hat. Die SPD lehn­te das bis­her ab. Das gan­ze soll auf der Grund­la­ge von Abkom­men mit den Erst­ein­rei­se­län­dern der Asyl­su­chen­den gesche­hen, wenn die­se Abkom­men – das wäre Mer­kels euro­päi­sche Kom­po­nen­te – nicht zustan­de kom­men, wer­den die Asylbewerber*innen eben nach Öster­reich geschickt, auf der Grund­la­ge einer noch zu ver­han­deln­den Ver­ein­ba­rung mit der schwarz-blau­en Regie­rung dort. (Anders gesagt: See­ho­fer geht und ging es wohl immer dar­um, in Bay­ern den star­ken Mann mar­kie­ren zu können.)

Damit ist es der Uni­on gelun­gen, die thea­tra­li­sche Spal­tung zu ver­hin­dern und die hei­ße Kar­tof­fel bei der SPD abzu­la­den. Ent­we­der ver­wei­gert sie sich mit Ver­weis auf den Koali­ti­ons­ver­trag dem „Kom­pro­miss“ – dann ist es nicht mehr die CSU, son­dern plötz­lich die SPD, die schuld dar­an ist, wenn die Regie­rung Mer­kel schei­tert, oder wenn es wochen­lan­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt. Oder sie stimmt zu, dann rutscht das Glaub­wür­dig­keits­kon­to der SPD wei­ter ins Nega­ti­ve. Bei­des eher unschön, und auch ins­ge­samt macht das gan­ze Hin und Her eher wütend. Mit einer huma­nen Flücht­lings­po­li­tik hat es jeden­falls nichts mehr zu tun.

Für die Zukunft der gro­ßen Koali­ti­on stimmt mich das auch nicht gera­de posi­tiv. Ver­kürzt gesagt, hat See­ho­fer sich gera­de damit durch­ge­setzt, „irgend­was für Bay­ern“ zu for­dern, ohne Rück­sicht auf den Koali­ti­ons­ver­trag und die Koali­ti­ons­part­ner. Das wirk­te lan­ge so, als wür­de es mit ihm heim­ge­hen – im End­ef­fekt hat er sich aber hin­sicht­lich sei­nes Kern­an­lie­gens durch­ge­setzt. Und das zählt am Schluss. Neben­bei ist er damit durch­ge­kom­men, Mer­kel bloß zu stel­len (mit die­ser Frau kön­ne er nicht zusam­men­ar­bei­ten) und ihre Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz in Fra­ge zu stel­len („Ich las­se mich nicht von einer Kanz­le­rin ent­las­sen, die nur wegen mir Kanz­le­rin ist.“). Mer­kel wie­der­um bleibt Kanz­le­rin. Soll­te das gan­ze ein ver­such­ter Putsch gewe­sen sein, ist die­ser gescheitert.

Aller­dings ist jetzt auch klar: wer Maxi­mal­kra­wall macht, thea­tra­lisch damit droht, zu gehen, ja, wirk­lich, zu gehen, bitt­schön!, der kann in die­ser Regie­rung im End­ef­fekt durch­set­zen, was er will. Jeden­falls, wenn er zugleich Minis­ter und Par­tei­chef einer der Koali­ti­ons­par­tei­en ist. Die SPD wird ver­su­chen, das auch hin­zu­krie­gen, und damit auf die Nase fal­len. Die CSU, und ins­be­son­de­re See­ho­fer, wird nach­le­gen – anschei­nend hat er auch als Gesund­heits­mi­nis­ter in der Regie­rung Kohl schon ähn­lich „ver­han­delt“.

Ich hat­te ja von Anfang an den Ver­dacht, dass es hier eigent­lich um die baye­ri­schen Land­tag­wah­len im Okto­ber ging. Ob sich das Sing­spiel da aus­zahlt, bleibt abzu­war­ten. Bis­her sind die Wer­te für die CSU hin­un­ter gegan­gen. Aber der baye­ri­sche Wäh­ler und die baye­ri­sche Wäh­le­rin gou­tiert viel­leicht kei­nen Streit; wenn sich einer, mit wel­chen bau­ern­schlau­en Tricks und Dick­köp­fig­kei­ten auch immer, durch­setzt, dann sieht’s („A Hund!) schon wie­der anders aus.

Ein an der Sache ori­en­tier­ter, ratio­na­ler Poli­tik­stil sieht anders aus. Und die­ses Thea­ter trägt defi­ni­tiv nicht dazu bei, dass das Ver­trau­en in die Poli­tik steigt. 

Kurz: Historische Tage

Weil die­ses Blog ja auch ein biss­chen sowas wie ein öffent­li­ches Tage­buch ist, und viel­leicht irgend­wann ein Rück­blick span­nend sein könn­te: heu­te liegt die Gro­ße Koali­ti­on in den Umfra­gen unter 50 Pro­zent. SPD, AfD und Grü­ne rücken nahe anein­an­der. Aber auch die CDU hat nach den Kin­der­gar­ten­ak­tio­nen von Horst See­ho­fer (CSU) und einem ins­ge­samt eher schwie­ri­gen Bild Umfra­ge­ein­brü­che zu vermelden. 

Kann sein, dass das in zwei Mona­ten schon wie­der ganz anders aus­sieht. Kann sein, dass über­mor­gen die Gro­ße Koali­ti­on platzt. Kann sein, dass es der CSU eigent­lich nur um die Bay­ern­wahl geht und als Neben­ef­fekt davon das poli­ti­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik sei­nen letz­ten Rest an Sta­bi­li­tät ver­liert. Blei­ben Sie dran. Und falls es in der Rück­schau his­to­ri­sche Tage sind: auch hier wur­de es notiert.

Schulz’ Geschichte

Die Schulz-Sto­ry von Mar­kus Fel­den­kir­chen – ich habe den Feh­ler gemacht, sie als Hör­buch zu kau­fen und gemerkt, dass das ein­fach nicht mein prä­fe­rier­ter Wahr­neh­mungs­ka­nal ist, aber das ist eine ande­re Geschich­te – also: die Schulz-Sto­ry ist ein beein­dru­cken­des Stück Jour­na­lis­mus, bis hin zu den wie neben­bei in den Text ein­ge­streu­ten Erläu­te­run­gen zu Fach­be­grif­fen und poli­ti­schen Situa­tio­nen. Sie lässt sich auf drei Ebe­nen lesen: als Text über die Per­son Mar­tin Schulz, als Text über den Zustand der SPD, und als Text über eini­ge Dys­funk­tio­na­li­tä­ten unse­res poli­ti­schen Systems. 

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Kurz: Phantomregierung

Vor­ne­weg: Ich habe mir den Koali­ti­ons­ver­trag der mög­li­chen IV. Regie­rung Mer­kel noch nicht ange­schaut, und es mag auch die eine oder ande­re posi­ti­ve Bot­schaft auf den 170 Sei­ten ent­hal­ten sein. Trotz­dem war es heu­te nicht zu igno­rie­ren, dass die Ver­hand­lungs­grup­pen aus CDU, CSU und SPD zu einem Ergeb­nis gekom­men sind. Jetzt steht noch die Hür­de SPD-Mit­glie­der­ab­stim­mung im Raum, aber bis Mit­te März soll­te die auch durch sein – ich tip­pe auf 55 bis 60 Pro­zent Zustim­mung. Und dann ist, rund ein hal­bes Jahr nach der Bun­des­tags­wahl, eine neue Bun­des­re­gie­rung im Amt, der dann noch gut drei Jah­re blei­ben, um zu regie­ren. Bis dahin regie­ren Phantome.

Was mich etwas gewun­dert hat, ist das Durch­si­ckern von Infor­ma­tio­nen. Eine ers­te Roh­fas­sung des Ver­trags mit letz­ten kri­ti­schen Stel­len kur­sier­te schon ges­tern, heu­te dann der fina­le Ver­trags­ent­wurf samt Lis­te der Res­sorts und ihrer Zuschnit­te. Und nach und nach fie­len neben ein­zel­nen Pro­jek­ten und Text­aus­schnit­ten dann auch Namen. Wel­che Minister*innen gehen, wel­che blei­ben, wer ver­mut­lich was wird. Aber irgend­wie passt das zu der Lust­lo­sig­keit, die die­ses gan­ze Unter­neh­men aus­strahlt. Die mög­li­cher­wei­se letz­te gro­ße Koali­ti­on ist kei­ne Wunschkoalition.

Mer­kel bleibt Kanz­le­rin. See­ho­fer wird Innen‑, Hei­mat- und Bau­mi­nis­ter, wobei „Hei­mat“ zwar für den meis­ten Tru­bel sorg­te, ein CSU-Hard­li­ner für „Innen“ mir aber die grö­ße­ren Bauch­schmer­zen berei­tet. Die SPD wech­selt mal wie­der ihren Par­tei­vor­sitz aus – Nah­les scheint mir da gut für geeig­net zu sein, und Schulz als Außen­mi­nis­ter – naja. Im Bil­dungs­be­reich ver­dich­ten sich die Zei­chen, dass Grö­he, bis­her Gesund­heit, jetzt für Bil­dung, Wis­sen­schaft und For­schung zustän­dig sein wird. Ob das ohne Fach­kom­pe­tenz in die­sem doch etwas kom­pli­zier­ten Feld, mit diver­gie­ren­den Län­der­in­ter­es­sen und star­ken insti­tu­tio­nel­len Play­ern mit jeweils noch­mals eige­nen Eigen­hei­ten gut gehen wird, wer­den wir sehen. Nahe­lie­gend ist die­se Lösung nicht. Klöck­ner macht jetzt in Land­wirt­schaft, Wein­bau und Wolfs­jagd. Bär wird nicht Digi­tal­mi­nis­te­rin, nein, Digi­ta­les bleibt ver­streut und Annex von Ver­kehr (also: Geld für Breit­band und Stra­ßen vor­ran­gig nach Bay­ern?), son­dern viel­leicht für Ent­wick­lungs­hil­fe zustän­dig. Auch das pas­sen Per­son und Port­fo­lio nicht so wirk­lich zusam­men. Auf SPD-Sei­te wenig über­ra­schen­des; ein Wech­sel von Scholz hat­te sich ange­deu­tet, und dass er Finan­zen über­neh­men könn­te, hat eine gewis­se Logik. Ins­ge­samt: wenig Cha­ris­ma, kein Inno­va­ti­ons­geist, oder, etwas böser: auch hier eher eine Regie­rung von Geis­tern aus der Ver­gan­gen­heit. So rich­tig wich­tig erscheint das alles nicht. Phan­tom­re­gie­rung, auch hier.