Zwei sehr unterschiedliche Bücher haben mich in diesem Januar sehr beeindruckt. Das ist zum einen The Saint of Bright Doors von Vajra Chandrasekera (2023). Fetter ist der Sohn eines Propheten wird von seiner Mutter mit dem Ziel erzogen, diesen Propheten umzubringen. Er hat keinen Schatten, kann Geister sehen und hat auch sonst die eine oder andere magische Fähigkeit. In der von Chandrasekera imaginierten Welt mit vager süd-asiatischer Anmutung ist das keine Ungewöhnlichkeit. Gleichzeitig gibt es hier Mobiltelefone und Reality TV, im Streit miteinander liegende Parteien, und, wie sich nach und nach herausstellt, ein protofaschistisches Regime, das Menschen ohne Anklage wegsperrt. Vor diesem Hintergrund emanzipiert sich Fetter in der großen Stadt von seiner Kindheit, scheint ein Leben jenseits des Übersinnlichen zu finden, um am Ende doch vor der Frage zu stehen, wie er sich seinem Vater gegenüber verhalten soll. Die titelgebenden verwunschenen Türen sind – zur Warnung – knallbunt angestrichen, und ein bisschen ist das ein Detail, das für das Buch steht: turbulent, magisch, und doch glaubwürdig – und mit großen Fragen, die sich dahinter verstecken.
In gewisser Weise ebenfalls ein Buch über Faschismus (und eine andere Herangehensweise an typische SF-Motive) in einem Science-Fiction-Setting ist zum anderen Some Desperate Glory von Emily Tesh (2023). Die Hauptperson, Valkyr, ist Teil einer militaristischen Widerstandsbewegung Gaea, in der sich die letzten Überlebenden der Erde nach deren Zerstörung zusammengefunden haben, um gegen das feindliche, aus vielen unterschiedlichen Spezies bestehende Alien-Reich zu kämpfen, die eine Wunderwaffe besitzen. Valkyr ist wie ihre Altersgenoss*innen Teil eines brutalen Trainingsregimes mit dem Ziel, sie zu einer Elitekämpferin zu machen. Privatsphäre gibt es nicht, und der einzige Lebenszweck ist es, Rache an den Aliens zu nehmen. Valkyr fallen Ungereimtheiten auf. Nach und nach kommen ihr Zweifel, die in einer Flucht aus Gaea münden. Das umfasst ungefähr das erste Drittel des Buchs, und mehr will ich hier nicht verraten, nur: es gibt mehrere Kipppunkte, an denen Tesh die ganze Geschichte auf den Kopf stellt. Insgesamt ist das ein hervorragend geschriebenes Buch, das nach und nach die ganzen Annahmen der typischen militaristischen Space Opera auseinandernimmt, über Traumata und Probleme spricht, für die es keine einfache Lösung gibt. Ich finde den Vergleich mit Le Guin durchaus gerechtfertigt.
Was habe ich noch gelesen: Transreal Cyberpunk (2016) ist ein Buch, in dem gemeinsam von Rudy Rucker und Bruce Sterling geschriebene Kurzgeschichten – von den 1980er Jahren bis heute – gesammelt sind, jeweils mit einem Kommentar der beiden Autoren versehen, der ebenfalls interessant ist. Allen Kurzgeschichten – die überdreht mit Motiven des Cyberpunk und der Tech-Bubble spielen – ist gemeinsam, das es jeweils ein mehr oder weniger konfliktär zueinander stehendes Paar an Hauptpersonen gibt, von denen eine das Alter Ego Ruckers, die andere das Alter Ego Sterlings ist. Das Ergebnis ist mindestens amüsant.
Mit Everywhere (2019) von Ian MacLeod habe ich noch einen zweiten Kurzgeschichtenband gelesen (Ian MacLeod bitte weder mit Ian McDonald noch mit Ken MacLeod verwechseln!) – diese Kurzgeschichten sind sehr naturalistisch geschrieben, sind teilweise sehr düster, ohne dass das auf den ersten Blick zu sehen ist, und haben alle einen SF/Fantasy-Dreh.
Gelesen habe ich dann noch Seth Dickinsons Exordia (2024), das gerade erschienen ist. Gar nicht so einfach zu sagen, was ich davon halten soll – einerseits ist das ein extrem packendes Buch, schließlich steht schon wieder das Schicksal der Menschheit auf der Kippe, und nebenbei wird es in diesem SF-Thriller sehr nerdig, wenn es etwa um Primzahltheorien, reine Mathematik oder Fraktale geht (oder auch um die Geschichte Kurdistans). Andererseits funktioniert das Buch nur, weil Seelen, eine Schöpfungsgottheit und das absolut Böse als real angenommen und dargestellt werden – und zum Gegenstand von außerirdischen ingenieurtechnischen Meisterleistungen werden. Auch wenn das im Augenblick des Lesens passt, bleibt ein seltsamer Nachgeschmack.
Ebenfalls düster, ebenfalls mit einer Erde, die vor ihrer Vernichtung steht: Simon Stålenhags Bildband The Labyrinth (2021). Der war mir zu düster, vielleicht weil die unbeschwert-nostalgischen Zwischentöne aus Tales from the Loop hier fehlten.
Und jenseits von SF & Fantasy habe ich noch Die Erfindung des Lächelns von Tom Hillenbrand (2023) gelesen – aus dem tatsächlich geschehenen Raub der Mona Lisa 1911 zaubert Hillenbrand hier ein – wie heißt das so schön – Sittengemälde der Zeit vor den beiden Weltkriegen, ein Paris, in dem technische, politische und künstlerische Revolutionen aufeinander stoßen, und in dem es plausibel erscheint, dass Picasso gemeinsam mit Apollinaire hinter dem Diebstahl der Mona Lisa steckt.
Auf dem Bildschirm habe ich mir die Folgen 3 und 4 des Doctor Who Christmas Specials angeschaut, die ich deutlich überzeugender fand als 1 und 2, und außerdem Zack Snyders Rebell Moon – bildgewaltig, aber ansonsten eher Patchwork aus schon oft gesehenen Stücken.