Eigentlich sind es ungeheuerliche Enthüllungen. Programme – im doppelten Sinne, Software und groß angelegte Überwachungsprojekte – wie Prism, Tempora, XKeyscore tauchen auf. Der Bundesnachrichtendienst kooperiert mit der NSA und übergibt massenweise auf Vorrat gespeicherte Metadaten. Was wirklich passiert, ist hinter dem Nebel von Geheimhaltung und Ablenkung nur zu erahnen. Jedenfalls scheint es plausibel zu sein, davon auszugehen, dass wir alle, die wir das Netz benutzen, in einem weit größeren Maß überwacht werden, als dies bisher vermutet wurde. Grundgesetz hin oder her.
Vertraute Technik und die Verschlüsselung
Ein Strang in der – durch die von Edward Snowden aufgedeckte permanente Überwachung der Netzkommunikation durch die NSA und andere Geheimdienste ausgelösten – Debatte dreht sich darum, warum verfügbare Kryptographie-Tools nicht eingesetzt werden.
map hat dazu einiges erhellendes geschrieben, unter dem Titel „Wir haben versagt“. Kernthese: Kryptotechnologie – also etwa das Verschlüsseln von eMails – wird deswegen nicht eingesetzt, weil es keine einfachen Oberflächen und Tools dafür gibt. Gepaart mit der Arroganz der technologischen Elite. map vergleicht diese – uns? – mit der „Outer Party“ in Orwells 1984:
Wir machen doch immer so gerne Neunzehnvierundachtzigvergleiche: Wir sind die Outer Party. Und die Proles gehen uns am Arsch vorbei. Diese DAUs, die iPhones und Facebook benutzen. Die ihre Daten an US-amerikanische Server schicken. Die Gmail oder GMX benutzen, statt ihre Mail selbst zu hosten. Unseren Ekel verbergen wir hinter zynischen Ratschlägen. Mit TOR zu surfen ist objektiv von eine „funktional kaputten“ Drosselung nicht zu unterscheiden. Wir haben kein Gefühl mehr für Menschen die mit diesen grauen Kisten nur ein bisschen mit ihren Freunden reden und rumsurfen wollen, statt ihre komplette Freizeit darin zu versenken. Nicht mit GNU/Linux handverschlüsselt? Ätschbätschselberschuld.
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Grundgesetz in Afghanistan (Update: Bundespräsident Köhler zurückgetreten!)
Heute ist der Tag des Grundgesetzes. Das Grundgesetz wird 61 Jahre alt – und auch, wenn es eine ganze Reihe von fragwürdigen Operationen gab (ich denke da z.B. an die faktische Abschaffung des Asylrechts), ist es doch insgesamt noch recht rüstig.
Im Grundgesetz geregelt ist auch der Einsatz der „Streitkräfte“ – also der Bundeswehr – im Normalfall und im „Verteidigungsfall“. Der Normalfall ist u.a. in den Artikeln Artikel 24 (2), 80a und 87a geregelt:
Artikel 24 (2)
(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
Artikel 80a
(1) Ist in diesem Grundgesetz oder in einem Bundesgesetz über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung bestimmt, daß Rechtsvorschriften nur nach Maßgabe dieses Artikels angewandt werden dürfen, so ist die Anwendung außer im Verteidigungsfalle nur zulässig, wenn der Bundestag den Eintritt des Spannungsfalles festgestellt oder wenn er der Anwendung besonders zugestimmt hat. Die Feststellung des Spannungsfalles und die besondere Zustimmung in den Fällen des Artikels 12a Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2 bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.
(2) Maßnahmen auf Grund von Rechtsvorschriften nach Absatz 1 sind aufzuheben, wenn der Bundestag es verlangt.
(3) Abweichend von Absatz 1 ist die Anwendung solcher Rechtsvorschriften auch auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird. Maßnahmen nach diesem Absatz sind aufzuheben, wenn der Bundestag es mit der Mehrheit seiner Mitglieder verlangt.
Artikel 87a
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.
(3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen.
(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.
Auch das Amt des Bundespräsidenten als höchstem Repräsentaten ist im Grundgesetz geregelt. Der aktuelle Amtsinhaber, Horst Köhler, hat einen Blitzbesuch in Afghanistan durchgeführt. Dabei sagte er u.a. folgendes:
„Meine Einschätzung ist aber, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren“, sagte er weiter. Als Beispiel für diese Interessen nannte Köhler „freie Handelswege“, weil davon auch Arbeitsplätze und Einkommen abhingen.
Auch andere Medien berichten darüber, beim Deutschlandradio gibt/gab es das Interview im Wortlaut (Link auf fefe.de). Eine Einschätzung dazu findet sich auch bei Jörg Rupp.
Was ist jetzt das Problem, wenn der Bundespräsident am Tag des Grundgesetzes deutlich macht, dass er es für sinnvoll hält, von der bisherigen Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr abzuweichen. Das „Freihalten von Handelswegen“ – also der militärische Schutz wirtschaftlicher Interessen – ist jedenfalls doch etwas deutlich anderes als z.B. die Gewährleistung einer friedlichen Weltordnung im Rahmen eines Sicherheitssystems. Ob das so zusammenpasst?
Beim (laienhaften) Blick in das Grundgesetz wird aber noch etwas anderes deutlich: das rechtliche Konstrukt, das die aktuellen Militäreinsätze erlaubt, ist doch arg wacklig. Denn wenn es sich dabei tatsächlich um den (im Grundgesetz geregelten) Verteidigungsfall handeln würde, dann sind damit – eigentlich – drastische Grundrechtseinschränkungen im Inneren verbunden.
Warum blogge ich das? Weil mich ein Statusupdate von Bernhard Goodwin auf die Idee gebracht hat. Und weil ich mich frage, warum das Deutschlandradio die entsprechende Passage nachträglich aus dem Interview genommen hat.
Update (31.05.2010): Damit hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet – wie die Tagesschau soeben meldet, hat Bundespräsident Köhler seinen Rücktritt erklärt – wegen seiner Äußerung in Afghanistan.
Kurz: Grüne zum NATO-Gipfel
Sowohl zum polizeilichen Vorgehen rund um den NATO-Gipfel in Baden-Baden, Kehl und Straßburg als auch zu den inhaltlichen Ergebnissen gibt’s einiges an grünen Positionierungen. Hier erweist sich z.B. das neue Blog der baden-württembergischen Grünen als interessantes Diskussionsforum. Und gerade, weil ich mir sicher bin, dass es in der „Bewegungsgeschichsschreibung“ zu diesem Gipfel ganz unterschiedliche Wahrheiten (z.B. das brennende Hotel in Straßburg: hat die Feuerwehr aus Angst vor Randalierenden nicht gelöscht – oder wurde sie von der Polizei nicht durchgelassen? Beides wird behauptet!) gibt, finde ich es interessant, die Bewertungen zusammenzutragen.
Eine kleine Übersicht über das grüne Spektrum. Ergänzungen in den Kommentaren sind gerne gesehen.
Inhaltlich
- Kommentierung der Ergebnisse durch die grüne Bundestagsfraktion
- Themenseite „Frieden & Globalisierung“ auf gruene.de (mit diversen Videos etc.)
- Bewertung des Gipfels durch Alex Bonde MdB im Blog der baden-württembergischen Grünen
Zum sicherheitsstaatlichen Drumherum
- Vor dem Gipfel: Positionspapier Deeskalation der baden-württembergischen Grünen
- Vor dem Gipfel: Kommentar zu den Sicherheitsvorkehrungen von Uli Sckerl, MdL (im Blog)
- Vor dem Gipfel: „Gipfel der Zumutungen“ von Alex Bonde, MdB (im Blog)
- Ein kleiner Kommentar von mir (im Blog)
- Nach dem Gipfel: Diverse Eindrücke von grünen Demo-TeilnehmerInnen aus verschiedenen Bundesländern
- Nach dem Gipfel: „Eindrücke vom Ostermarsch“ von Jörg Rupp
- Nach dem Gipfel: Bewertung durch die grüne Landtagsfraktion
Kurz: Baden-Württemberg auf dem Weg in den Überwachungsstaat?
heise news berichtet, dass es bezüglich der Novelle des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg zu einiger Einigung zwischen den beiden Regierungsparteien CDU und FDP gekommen sei. Dieses Polizeigesetz hatten u.a. die baden-württembergischen Grünen heftig kritisiert (u.a. mit der Möglichkeit, Protestemails zu verschicken; interessant auch die Dokumentation der Anhörung der Grünen Landtagsfraktion (pdf, 88 Seiten)).
Laut heise soll die FDP sich insofern durchgesetzt haben, dass es keine Online-Durchsuchungen und kein Abhören von Gesprächsinhalten zu präventiven Zwecken geben wird. Videoüberwachung soll je nach „Gefährdungslage“ möglich sein. Dagegen scheint die Massenerfassung von Autokennzeichen ebenso weiter möglich zu sein wie die enge Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz, zwei weitere grüne Kritikpunkte.
Positiv zu werten ist die hörbare Unzufriedenheit des Landespolizeipräsidenten. Trotzdem kann ich mir angesichts des Zustands der FDP im Land kaum vorstellen, dass sie mehr als die zwei, drei genannten „Zuckerle“ herausholen konnte. Die Linie, der Polizei mehr Überwachungskompetenzen einzuräumen, die die CDU im Land ganz offen vertritt, führt jedenfalls in die falsche Richtung. Nach der Sommerpause kommt der Gesetzentwurf in den Landtag – meine Prognose: aus grüner Sicht wird es weiterhin (und zu Recht) einiges daran zu kritisieren geben (oder die FDP ist ausnahmsweise mal besser als ihr Ruf).