Science Fiction und Fantasy im Oktober 2024

Hochburg ruins XVIII

Einer der weni­gen Pod­casts, die ich regel­mä­ßig höre (und bei dem ich jetzt bei den Fol­gen aus dem Jahr 2011 ange­kom­men bin) ist „The Histo­ry of Rome“. Das ist tat­säch­lich genau das, was drauf­steht: von der Grün­dung bis zum Ende wird das römi­sche Reich vor allem anhand sei­ner Impe­ra­to­ren und Cäsa­ren bespro­chen, streng chro­no­lo­gisch geord­net. Und neben­bei geht’s auch um All­tags­kul­tur, Schlach­ten (deren Details ich dann sofort wie­der ver­ges­se) und geo­gra­fi­sche Beson­der­hei­ten, vor allem aber um Intri­gen und stän­di­ge Macht­wech­sel. Span­nend fin­de ich, dass eini­ges dann gar nicht so anders ist als heu­te; wahr­schein­lich lie­ße sich mit etwas Abstand – sagen wir, in 10.000 Jah­ren – sogar argu­men­tie­ren, dass auch in den heu­ti­gen Groß­mäch­ten noch viel Rom steckt, und z.B. die heu­ti­ge USA (oder das heu­ti­ge Russ­land?) gar nicht so viel ande­res als eine Fort­set­zung des Römi­schen Reichs mit ande­ren Mit­teln ist. Jeden­falls, war­um ich das hier erwäh­ne: in einer der letz­ten Fol­gen ging es um Kai­ser Juli­an, der von 361 bis 363 herrsch­te (und eher zufäl­lig an die Macht gekom­men war). 

Im Spe­cu­la­ti­ve-Fic­tion-Kon­text inter­es­sant ist nun, dass Juli­an einen Plan hat­te: er woll­te die von sei­nen Vor­gän­gern zuguns­ten des Chris­ten­tums erlas­se­nen Ver­bo­te der heid­ni­schen Reli­gio­nen rück­gän­gig machen und wohl eine ein­heit­li­che pla­to­nisch-neo­heid­ni­sche Staats­re­li­gi­on nach christ­li­chem Orga­ni­sa­ti­ons­vor­bild ein­füh­ren. Das gelang ihm aller­dings auf­grund sei­ner kur­zen Regie­rungs­zeit nicht – und genau das ist natür­lich ein her­vor­ra­gen­der Aus­gangs­punkt für Alternativgeschichten.

Im Wiki­pe­dia-Arti­kel habe ich dazu John M. Fords Roman The Dra­gon Wai­ting (1983, neu auf­ge­legt 2020) gefun­den und gele­sen. Die­ser Roman spielt im Über­gang vom Spät­mit­tel­al­ter zur frü­hen Neu­zeit in einer euro­päi­schen Welt, in der das Chris­ten­tum eine rand­stän­di­ge Reli­gi­on ist, Byzanz die gro­ße Metro­po­le und das byzan­ti­ni­sche Reich die beherr­schen­de Welt­macht ist, und in der nicht nur diver­se Kul­te und Reli­gio­nen, son­dern auch Magie und Vam­pi­ris­mus vor­kom­men. Aller­dings: dafür, dass die Geschich­te hier einen ganz ande­ren Ver­lauf genom­men hat, ist dann doch eini­ges sehr ähn­lich – die Medi­ci in Flo­renz tau­chen eben­so auf die die diver­sen fran­zö­si­schen und bri­ti­schen König*innen die­ser Zeit. Der titel­ge­ben­de Dra­che bezieht sich auf ein Medail­lon, das einen roten und einen wei­ßen Dra­chen im Kampf mit­ein­an­der zeigt, und das Wales – mit Hen­ry Tudor – Kampf gegen Eng­land – mit Richard III. – meint. Trotz­dem: ein inter­es­san­tes Buch. Dafür sor­gen ins­be­son­de­re die Bio­gra­fien und Bezie­hun­gen in der für den Quest zusam­men­ge­wür­fel­ten Trup­pe aus dem Zau­be­rer Hywel, der flo­ren­ti­ni­schen Ärz­tin Cyn­thia, dem exi­lier­ter byzan­ti­ni­scher Thron­wär­ter Dimi und dem bay­ri­schen Vam­pir und Fach­rit­ter-Inge­nieur Gre­gor, die ver­mut­lich für Men­schen mit tie­fe­rer Kennt­nis der bri­ti­schen Geschich­te noch span­nen­de­ren Abwei­chun­gen dazu – und Fords groß­ar­ti­ge und dich­te Erzähl­kunst. Ich habe eine Rezen­si­on von Jo Walt­on gefun­den, die dem Buch deut­lich bes­ser gerecht wird als mei­ne Kurz­zu­sam­men­fas­sung. (Schö­ne Beschrei­bung dar­aus: die ers­ten drei Kapi­tel lesen sich wie drei ganz unter­schied­li­che Roman­an­fän­ge – genau so ging’s mir beim Lesen). 

Das Buch hat mich dann dazu gebracht, ein­mal zu schau­en, was Ford sonst so geschrie­ben hat. Dadurch bin ich auf Aspects (2022) gesto­ßen. Und auf die Tat­sa­che, dass John. M. Ford tra­gi­scher­wei­se 2006 gestor­ben ist, mit nur 49 Jah­ren. Aspects ist unvoll­endet, und hin­ter­lässt das melan­cho­lisch-nost­al­gi­sche Gefühl, dass die Welt hier etwas ver­passt hat, was sie unter ande­ren Umstän­den hät­te haben kön­nen. Denn eigent­lich ist Aspects – bzw. die ers­ten knapp 500 Sei­ten eines grö­ße­ren Romans, dem der Schluss fehlt – nur der ers­te Roman einer grö­ßer ange­leg­ten Serie in einer her­vor­ra­gend gebau­ten Par­al­lel­welt, die in etwa dem spä­ten 18. oder 19. Jahr­hun­dert unse­rer Welt ähnelt. Auch die­ses Buch ist her­vor­ra­gend geschrie­ben, und Ford schafft es, die­se sekun­dä­re Welt leben­dig wer­den zu las­sen. Nicht, indem er Din­ge erklärt, son­dern weil immer wie­der wie selbst­ver­ständ­lich Bezü­ge zu his­to­ri­schen Ereig­nis­sen die­ser Welt ein­ge­streut sind, loka­le Dia­lek­te und Sozio­lek­te eine Rol­le spie­len oder Begriffs­schöp­fun­gen auf­tau­chen, die erschließ­bar sind, aber auf sub­ti­le Unter­schie­de hin­deu­ten (und nie auf­ge­setzt wir­ken, son­dern Teil die­ser Welt sind). Das Buch ist groß­ar­tig und dicht geschrie­ben, der Autor guckt genau hin. 

Aspects spielt in Lys­tou­rel, der flo­rie­ren­den Haupt­stadt der Repu­blik Les­co­ray – die ein biss­chen an Lon­don erin­nert – und beginnt im Monat der Schaf­hir­ten, kurz vor der Herbste­quinoxe. Die Repu­blik erstreckt sich von kar­gen Ber­gen im Nor­den bis hin zu son­ni­gen Gefil­den im Süden. Und es ist eine Repu­blik – mit einem zwei­ge­teil­ten Par­la­ment, einer Kam­mer aus Lords (und Ladys) und einer Kam­mer aus „com­mon­ers“. Neben den ver­erb­ten Sit­zen der Coro­na­ge (was ich frei als „Kron­le­hen“ über­set­zen wür­de, auch wenn der König schon lan­ge abge­schafft ist), den Corons, sit­zen reli­giö­se und magi­sche Lords und Ladys im Ober­haus. Die Reli­gi­on Les­co­rays ver­ehrt die Göt­tin in ihren ver­schie­de­nen Aspek­ten (daher der Titel des Buchs), und ja: auch hier gibt es Magie, mit einem inter­es­san­ten Sys­tem, das sicher­stellt, das eini­ges dann doch bes­ser dem Inge­nieur­we­sen über­las­sen wird. Haupt­per­so­nen des Buchs sind zwei Corons, Lord Varic (der lie­ber in der Stadt Lys­tou­rel lebt als in sei­nem Kron­le­hen im wüs­ten Nor­den), und Lady Longlight aus einem pro­vin­zi­el­len Lehen ganz am Rand des Reichs. Ent­spre­chend geht es viel um Poli­tik und poli­ti­sche Intri­gen. Das Buch beginnt mit einem Duel und endet – abrupt abbre­chend – mit einem Kapi­tel, in dem Varic dar­über sin­niert, ob es hilft, das Duel­lie­ren per Gesetz zu ver­bie­ten, und war­um das nicht so ist. Dazwi­schen fin­den wir par­la­men­ta­ri­sche Vor­gän­ge, reich beschrie­be­ne Spei­sen und Klei­dungs­sti­le, eine ganz genau hin­schau­en­de Beob­ach­tungs­ga­be, die auch auf kleins­te Ges­ten ach­tet, das Haus Stran­ge, das aus der mon­dä­nen All­tags­welt gefal­len zu sein scheint, immer wie­der die Eisen­bahn und ande­re moder­ne Errun­gen­schaf­ten, kom­pli­zier­te Lie­bes­ge­schich­ten, Exkur­se in die Geschich­te und Mythen­welt Les­co­rays, hin­ge­bungs­voll beschrie­be­ne Gesell­schafts­spie­le und einen Ban­di­ten­über­fall. Und das alles in einer Welt, die ein biss­chen wie unser 18. oder 19. Jahr­hun­dert ist, in der es aber nor­mal zu sein scheint, wenn ein Kind zwei Müt­ter hat, Men­schen stumm sind oder im Roll­stuhl sit­zen, und in der etwa der Gre­at Cap­tain der Poli­zei selbst­ver­ständ­lich eine Frau ist. Und das alles, ohne ana­chro­nis­tisch zu wir­ken – in Lys­tou­rel ist es halt ein­fach so. Genau­so, wie es dort Stra­ßen­kin­der, Klein­kri­mi­nel­le und Spio­na­ge gibt und eben über­haupt nicht alles gut ist. Ford macht hier einen Kos­mos auf, in dem ich ger­ne län­ger ver­weilt wäre. 

Im direk­ten Ver­gleich der bei­den Bücher wür­de ich sagen, dass ihm hier gelingt, was er in The Dra­gon Wai­ting ver­sucht hat – eine alter­na­ti­ve Geschich­te zu schrei­ben, in einer Welt, die in vie­len Punk­ten unse­rer ähnelt, in ande­ren aber gra­vie­rend davon abweicht – und damit eine Folie zu schaf­fen, vor der die genaue Beob­ach­tung mensch­li­cher und poli­ti­scher Bezie­hun­gen mög­lich ist. 

Eben­falls her­vor­ra­gend fand ich Sourdough (2017) von Robin Slo­an (zu des­sen ande­ren Büchern ich im Sep­tem­ber etwas geschrie­ben hat­te). Die Pro­gram­mie­re­rin Lois lebt in San Fran­cis­co und arbei­tet für ein auf­stre­ben­des und hip­pes Robo­tik-Unter­neh­men. Aus einer Lau­ne her­aus lässt sie sich dar­auf ein, bei einem Lie­fer­ser­vice, der mit hand­ge­schrie­be­nen Zet­teln für sei­ne Spe­zia­li­tä­ten wirbt, schar­fe Sup­pe und Sau­er­teig­brot zu bestel­len. Sie freun­det sich mit den Inha­bern die­ses Lie­fer­ser­vice an, und bekommt zum Abschied den namens­ge­ben­den Sau­er­teig geschenkt. Der ist ein biss­chen beson­ders und ver­bin­det San Fran­cis­co mit der ima­gi­nä­ren Kul­tur der immer auf Wan­der­schaft befind­li­chen Mazg. Lois lernt not­ge­drun­gen Backen – und gerät in eine unwahr­schein­li­che, aber char­mant erzähl­te Para­bel über Start-ups, Hybris und die Welt der Hefen und Bak­te­ri­en. Schnell gele­sen, und genau das rich­ti­ge für fins­te­re Zeiten.

In gewis­ser Wei­se eben­falls um Hefen und Bak­te­ri­en geht es in Ali­en Clay (2024) von Adri­an Tchai­kovs­ky. Und auch an Greg Egans Mor­pho­tro­phic fühlt ich mich erin­nert, weil bei­de eine ähn­li­che Prä­mis­se tei­len: eine frem­de Welt, in der die Gren­zen zwi­schen Orga­nis­men flie­ßend sind. Bei Egan sind es Zell­ko­lo­nien, die zwi­schen Orga­nis­men wech­seln, bei Tchai­kovs­ky eher grö­ße­re, sym­bio­ti­sche Ein­hei­ten. Er ent­wirft eine Bio­lo­gie, in der alles mit allem ver­netzt ist, und in der Spe­zi­al­funk­tio­nen (wie z.B. Sehen oder Ver­dau­en) von dar­auf spe­zia­li­sier­ten Lebewesen/Organellen durch­ge­führt wer­den, die mun­ter zwi­schen Orga­nis­men wech­seln. Und natür­lich gibt es hier auch kei­ne Gren­ze zwi­schen Tie­ren und Pflan­zen. Die Welt, die so funk­tio­niert, heißt Kiln und umkreist einen Stern, der nur weni­ge Licht­jah­re von der Erde ent­fernt ist. Es gibt hier eine Straf­ko­lo­nie – wie das mit einem Ver­satz über Licht­jah­re hin­weg funk­tio­nie­ren soll, wird sogar halb­wegs plau­si­bel gemacht. Ziel: Suche nach der unter­ge­gan­ge­nen Zivi­li­sa­ti­on, von der nur noch Rui­nen zu fin­den sind. Die Ideo­lo­gie des irdi­schen Regimes setzt auf wis­sen­schaft­li­che Ortho­do­xie – der Mensch ist die Kro­ne der Schöp­fung im Uni­ver­sum, das End­ziel der Evo­lu­ti­on. Die Straf­ko­lo­nie kennt zwei Klas­sen – den Kom­man­dan­ten und die Wissenschaftler*innen, und die in bil­ligst gedruck­ten Raum­schif­fen her­ge­flo­ge­ne Unter­klas­se aus Arbeiter*innen und in Ungna­de gefal­le­nen Wissenschaftler*innen, die es auf der Erde gewagt haben, gegen das Regime auf­zu­be­geh­ren. Einer davon ist der Erzäh­ler des Buchs. Tchai­kovs­ky bringt bei­des sehr packend zusam­men: das gna­den­lo­se Regime und die Rebel­li­on dage­gen, und die Suche nach einer bio­lo­gi­schen Wahr­heit, die es nicht geben darf. 

Soweit die Bücher. Ange­guckt habe ich Der Jun­ge und der Rei­her (Net­flix, 2023) von Hayao Miya­za­ki, bin damit aber nicht so rich­tig warm gewor­den. Zei­chen­stil und Quer­ver­wei­se sind her­vor­ra­gend, aber die (wohl teil­wei­se auto­bio­gra­fi­sche, magisch-rea­lis­tisch gespie­gel­te, teil­wei­se auf „How Do You Live“ anspie­len­de) Geschich­te war für mich nicht gut nach­voll­zieh­bar, das Han­deln der Protagonist:innen wenig plausibel. 

Dann habe ich Mars Express ange­schaut, einen fran­zö­si­schen SF-Noir-Ani­ma­ti­ons­film (2023). Ein Ver­bre­chen soll auf­ge­klärt wer­den, die Poli­zis­tin, die ermit­telt, ist dem Alko­hol ver­fal­len, es gibt Robo­ter und böse Groß­kon­zer­ne. Also alles sehr cyber­punk-typisch, das Ende phi­lo­so­phi­scher als zunächst ver­mu­tet. Der Zei­chen­stil erin­ner­te mich an Moe­bi­us‘ kla­re Lini­en. Bis­her habe ich den Film nur als Kauf­an­ge­bot gesehen. 

Gese­hen habe ich zudem eini­ge Fol­gen der bei Apple-TV lau­fen­den Serie Stran­ge Pla­net. Das sind war­me, humor­vol­le Zei­chen­trick-Epi­so­den über mensch­li­che Pro­ble­me in einem Set­ting, in dem alles ein biss­chen anders ist, weil das gan­ze eben auf einem selt­sa­men Pla­ne­ten spielt, auf dem blau­häu­ti­ge Wesen Strümp­fe tra­gen, Tau­ben drei Augen haben und Begrif­fe so hei­ßen, wie sie auch hei­ßen könn­ten. Oder, wie es die Wiki­pe­dia beschreibt: „It fol­lows a pla­net of blue beings wit­hout gen­der or race who have human tra­di­ti­ons and beha­vi­ors but dis­cuss them in high­ly tech­ni­cal terminology.“

Science Fiction und Fantasy im September 2024

Schloss Zeil, Leutkirch

Aus Grün­den gibt es gar nicht so viel zu berich­ten über den Sep­tem­ber. Ich habe (allei­ne, weil der Rest der Fami­lie das Gen­re und über­haupt …) nicht mag, Rings of Power, Sea­son 2 (Ama­zon Prime) wei­ter­ge­schaut und mich über die Ambi­va­len­zen gefreut, die ich so bei Tol­ki­en nicht in Erin­ne­rung hat­te – wobei ich zuge­ge­be­ner­ma­ßen das Sil­ma­ril­li­on zwar (in der deut­schen Über­set­zung) besit­ze, aber nie wirk­lich mit Freu­de gele­sen habe. Außer­dem habe ich (mit den Teen­agern) die Orpheus-und-Eury­di­ke-Adop­ti­on KAOS (Jeff Gold­blum, Net­flix) ange­guckt, die letz­te Fol­ge fehlt uns noch, trotz­dem lässt sich jetzt schon sagen: sehr ideen­rei­cher, gut umge­setz­ter Trash. Die grie­chi­schen Gött*innen, wie sie ver­mut­lich noch nie dar­ge­stellt wur­den. Zeus als durch­ge­knall­ter Neu­rei­cher, Posei­don auf sei­ner Jacht, Hera, die die Fäden im Hin­ter­grund zieht, der büro­kra­ti­sche Hades (in schwarz-weiß) … und Kre­ta als Dik­ta­tur, die die olym­pi­schen Ritua­le halt so durch­zieht. Es macht durch­aus Spaß, da zuzu­gu­cken. Jetzt hof­fe ich nur, dass die letz­te Fol­ge nicht enttäuscht. 

Gele­sen habe ich zum einen das gera­de neu im Sep­tem­ber 2024 erschie­ne­ne Space Oddi­ty von Catheryn­ne Valen­te. Das ist die Fort­set­zung von Space Ope­ra. Da ging es, kurz zusam­men­ge­fasst, dar­um, dass die Mensch­heit nur dann Mit­glied der galak­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on wer­den kann – und ansons­ten ihrer Anni­hi­la­ti­on ent­ge­gen­sieht – wenn sie beim Galac­tic Song Con­test nicht auf dem letz­ten Platz lan­det. Deci­bel Jones und sei­ne Band haben die unver­hoff­te Ehre, hier auf­tre­ten zu dür­fenmüs­sen. Die­ser ers­te Band war ein sehr gelun­ge­ner Mix aus einem Humor im Stil von Dou­glas Adams, der wohl­wol­len­den Aus­ein­an­der­set­zung mit der Tra­di­ti­on des ESC und jedem SF-Space-Ope­ra-Motiv, das nicht schnell genug um die Ecke ver­schwin­den konn­te. Space Oddi­ty setzt das jetzt fort. Nach dem Song Con­test ist vor der inter­ga­lak­ti­schen Pro­mo­ti­on-Tour, und das Welt­all ist voll mit Wun­dern, die uns noch vor dem Früh­stück begeg­nen. Zu die­sen Wun­dern gehört dann unver­hofft eine bis­her unent­deck­te Spe­zi­es. Ein Song Con­test muss her, um zu bewei­sen, dass es sich hier um intel­li­gen­tes Leben han­delt. Nur: die­se Spe­zi­es hat ihre Gefüh­le exter­na­li­siert. Das hört sich ziem­lich depres­siv an – jeden­falls nicht nach Musik. Und das all­mäch­ti­ge Board des Song Con­test ist alles ande­re als amü­siert. Soweit mal, sonst wird zu viel ver­ra­ten. — Wie auch der ers­te Band ist Space Oddi­ty flott geschrie­ben und steckt voll mit Anspie­lun­gen. Valen­te ist da tat­säch­lich eine wür­di­ge Nach­fol­ge­rin der ganz spe­zi­el­len Dou­glas-Adams-Schrei­be. Gleich­zei­tig lei­det der Roman selbst ein klei­nes biss­chen am „Schwieriges-zweites-Album“-Syndrom (nicht umsonst heißt das Kes­het-Zeit­pa­ra­dox-Schiff, in dem Deci­bel Jones unter­wegs ist, Dif­fi­cult Second Star­ship). Die Neu­heit eines ESC-Space-Ope­ra-Mixes ist ver­flo­gen, die wil­den Zeit­rei­sen der Kes­het, die das Buch durch­zie­hen, machen es teil­wei­se schwie­rig, nach­zu­voll­zie­hen, was hier gera­de pas­siert, und es gibt Sät­ze, die Anspie­lung auf Anspie­lung anpa­cken und humor­voll bear­bei­ten, ohne jedoch am Schluss irgend­wie dazu bei­getra­gen zu haben, den Fort­gang der Geschich­te zu beschleu­ni­gen. Kurz: Space Oddi­ty reicht nicht ganz an Space Ope­ra her­an. Trotz­dem eine Lese­emp­feh­lung – ins­be­son­de­re für alle, die zwi­schen Nerd- und Pop­kul­tur sitzen.

Pao­lo Baci­g­alu­pi war mir bis­her vor allem als Autor von Near-Future-SF auf­ge­fal­len, die im glo­ba­len Süden spielt. Jetzt hat er mit Navo­la (2024) einen Roman geschrie­ben, der sich als Fan­ta­sy klas­si­fi­zie­ren lässt, obwohl ein gro­ßer Teil der Hand­lung ohne Magie etc. aus­kommt. Navo­la ist eine Han­dels­re­pu­blik, die an Flo­renz oder Vene­dig erin­nert; das Buch spielt in einer Welt, die unse­rer Renais­sance ähnelt, auch wenn die beschrie­be­nen Orte und Län­der ande­re Namen tra­gen, und sich eine ande­re Reli­gi­on als domi­nant durch­ge­setzt hat. Die alten Göt­tern sind her­ab­ge­setzt, aber nicht ganz ver­schwun­den. Was mir gut gefällt: wie Baci­g­alu­pi (pseudo-)lateinische/italienische Begrif­fe (er)findet und in die Spra­che sei­ner Erzäh­lung ein­flie­ßen lässt. Auch das trägt dazu bei, in den All­tag einer der mäch­tigs­ten Ban­kiers­fa­mi­li­en Navo­las ein­zu­tau­chen und ihn ganz und gar für wahr zu neh­men. Navo­la erzählt die Lebens­ge­schich­te Davicos di Regu­lai, der der Spröss­ling die­ses Han­dels­hau­ses ist und bald des­sen Lei­tung über­neh­men soll. Die Regu­lai haben sich durch geschick­te Poli­tik ein die gan­ze dama­li­ge Welt umspan­nen­des Netz an Filia­len auf­ge­baut. Und wo Poli­tik nicht aus­reicht, gibt es noch Schat­ten­män­ner, Atten­tä­ter und zur Not auch ange­heu­er­te Armeen. Davico hat aller­dings kein Talent für Intri­gen. Wenn ihn etwas inter­es­siert, dann ist das die Welt der Natur, das Netz des mit­ein­an­der ver­bun­de­nen Lebens. Statt der Aus­bil­dung zum Han­dels­mann wür­de er lie­ber Natur­ge­lehr­ter wer­den – aber die­ser Weg ist ihm ver­schlos­sen. Und dann gibt es noch sei­ne „Schwes­ter“, Celia – die als Faust­pfand aus einer Feh­de Teil der Fami­lie gewor­den ist. Ach ja, und das Auge eines Jahr­tau­sen­de alten Dra­chens wird eben­falls eine Rol­le spie­len. — In mei­nem Urteil über Navo­la bin ich zwie­ge­spal­ten. Die Welt, die Baci­g­alu­pi meis­ter­haft auf­baut, ist inter­es­sant genug, um dar­in zu ver­sin­ken. Ich wür­de ger­ne mehr dar­über lesen und habe das Buch auch des­we­gen ver­schlun­gen. Das Buch hat aller­dings einen Kipp­punkt, ab dem der blu­ti­ge und bru­ta­le Unter­gang der Fami­lie di Regu­lai beschrie­ben wird. Ich ver­ste­he, war­um Baci­g­alu­pi die­sen Weg ein­schlägt, und auch die Aus­sa­ge, die er damit über die ger­ne ver­steck­ten Schat­ten­sei­ten einer erfolg­rei­chen und intri­gan­ten Han­dels­fa­mi­lie trifft – trotz­dem dach­te ich da: muss das sein? Wäre ein ande­rer Aus­gang der Geschich­te für Davico (und Celia) mög­lich gewe­sen? Oder ist genau die­ser bru­ta­le zwei­te Teil schon in den ers­ten Sei­ten und ers­ten Ent­schei­dun­gen angelegt?

Robin Slo­an war mir – ich gebe es ungern zu – bis­her kein Begriff. Über die World­con und das The­ma Solar­punk bin ich auf sei­nen Roman Moon­bound (2024) gesto­ßen. Eine viel bes­se­re Rezen­si­on, als ich sie je schrei­ben könn­te, fin­det sich dazu bei Cory Doc­to­row. Kurz gesagt: die Aben­teu­er des Jun­gen Ari­els wer­den aus der Per­spek­ti­ve einer 1000 Jah­re alten KI (ein „Chro­nic­ler“) beschrie­ben, die nach einem lan­gen Sleep-Mode-Zustand wie­der zum Leben (?) erweckt wird – und Ari­el selbst lebt in einer Welt, die 11.000 Jah­re nach unse­rer exis­tiert, eine Welt, die den Nie­der­gang unse­rer Zivi­li­sa­ti­on, den Auf­stieg der post­apo­ka­lyp­ti­schen Mensch­heit und deren Nie­der­gang erlebt hat, und in der es jetzt – (wir befin­den uns wei­ter­hin im Feld der Sci­ence Fic­tion) – spre­chen­de Tie­re gibt, Zau­be­rer, ver­teil­te Robo­ter, KIs, Gen­tech­no­lo­gie – und ein Solar­punk-Set­ting, in dem sowohl das maxi­ma­le Recy­cling wie auch ein groß­flä­chi­ges Car­bon Manage­ment (hier: durch spre­chen­de Bie­ber) eben­so einen Platz fin­den wie die Spät­fol­gen von LLMs. Sag­te ich schon, dass neben­bei auch Pop­kul­tur und Memes als Wun­der­waf­fe auf­tau­chen? Und die Arthur-Legen­de? Das klingt jetzt viel­leicht chao­tisch, aber das ist eine sehr schö­ne und sehr schön geschrie­be­ne Mischung. Alles ist genau­so, wie es scheint, egal wie uner­klär­lich es erst ein­mal wirkt. 

Moon­bound war dann der Aus­lö­ser für mich, auch nach den frü­he­ren Wer­ken von Slo­an zu gucken. Sourdough habe ich noch vor mir, gele­sen habe ich aber jetzt immer­hin mal Mr. Penumbra’s 24-Hour Book­s­to­re (2012) samt der Pre­quel-Kurz­ge­schich­te Ajax Pen­um­bra 1969. Und was soll ich sagen: ich bin begeis­tert. Zum einen, weil Pen­um­bra eine sehr gut erzähl­te Geschich­te über eine Quest ist, mit (magi­schen?) Arte­fak­ten, einem Geheim­bund, alten Büchern und einer meta­tex­tu­ell immer wie­der refe­ren­zier­ten Fan­ta­sy-Geschich­te, also einem Buch im Buch – und zum ande­ren, weil es eine sehr gut gelun­ge­ne Moment­auf­nah­me der 2010er Jah­re ist, also Goog­le noch ein weit­ge­hend bene­vo­len­ter Kon­zern war, Nerds noch Nerds sein konn­ten und die poli­ti­sche Düs­ter­nis der kom­men­den Jah­re sich noch nicht über die­se kali­for­ni­sche Sze­ne gelegt hat­te (auch wenn die eine oder ande­re weir­de Idee hier bereits ihren Auf­tritt hat). Ach ja: und Typo­gra­fie spielt eine tra­gen­de Rol­le. Großartig!

Science Fiction und Fantasy im August 2024

The Barbican, London - XX

Ich fan­ge mal, weil es ein­fa­cher ist, mit den bei­de Seri­en an, die ich im August ange­guckt habe: Wit­cher Blood Ori­gin (2022, Net­flix) – eine soli­de gemach­te Mini­se­rie als Pre­quel zum Wit­cher, die viel Hin­ter­grund ein­führt und erklärt. 

Und die vier­te und letz­te Staf­fel der Umbrel­la Aca­de­my (2024, Net­flix). Hier sind die Superheld:innen erst ein­mal ganz nor­ma­le Men­schen mit einem ganz nor­ma­len Leben, und erst nach und nach taucht „Mari­gold“ als Stoff, der ihnen spe­zi­el­le Fähig­kei­ten ver­leiht, wie­der auf. Die­se schlie­ßen­de Staf­fel erklärt eini­ges, und endet dann (ohne jetzt zu viel zu ver­ra­ten) außer­ge­wöhn­lich und anders, als das bei Super­hel­den­co­mic­ver­fil­mun­gen sonst der Fall ist. Wie schon in den Staf­fel davor: gut umge­setzt, lei­der teil­wei­se ziem­lich blut­rüns­tig, groß­ar­ti­ger Sound­track und Sze­nen und Bil­der, die in Erin­ne­rung blei­ben – etwa das U‑Bahn-Netz und auch das dor­ti­ge Bis­tro, in dem Fünf Fünf und Fünf trifft. Die Teen­ager waren mit dem Ende unzu­frie­den – das sei auch noch dazu gesagt.

Dann zu den sie­ben Büchern, die ich im August gele­sen habe. „Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy im August 2024“ weiterlesen

Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

„Hoff­nung am Ende der Welt“ weiterlesen

The good kind of weird – Teil II

Offi­zi­ell soll­te die Bekannt­ga­be der Hugo-Awards – Herz der World­con – um 20 Uhr star­ten. Schon vor 19 Uhr bil­de­te sich eine beträcht­li­che Schlan­ge vor dem Ein­gang des „Arma­dil­lo“, wie über­haupt das Anste­hen in Schlan­gen einen erheb­li­chen Teil der World­con-Expe­ri­ence aus­mach­te. Jeden­falls dau­er­te es dann bis 20.30 Uhr, bis das Cly­de-Audi­torum dann tat­säch­lich gefüllt war: im vor­de­ren Drit­tel die Nomi­nier­ten und Gäs­te, hin­ten wir „ein­fa­che“ Fans, die aber immer­hin auch die­je­ni­gen sind, die über die Ver­ga­be der Hugos bestim­men. Dazu gleich mehr. 

Eine gedul­di­ge war­ten­de bun­te Men­ge, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be, teil­wei­se in Ver­klei­dung, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be ver­klei­det. Rund um mich her­um min­des­ten vier oder fünf Spra­chen, nicht nur das all­ge­gen­wär­ti­ge Eng­lisch – mit oder ohne schot­ti­scher Ein­fär­bung – son­dern auch Schweit­zer­deutsch, Fin­nisch und Chi­ne­sisch. Blau-lila Farb­spie­le an den Wän­den; vio­lett ist die Signa­tur­far­be die­ser Glasgow-Worldcon. 

Es wer­den letz­te Sel­fies gemacht. Im vor­de­ren Bereich neh­men Grup­pen aus Chi­na teil, die wohl extra für die­se Preis­ver­lei­hung ange­reist sind; unter den Nomi­nier­ten sind auch chi­ne­si­sche Publi­ka­tio­nen. Auch das hat etwas mit dem Ver­fah­ren zu tun, wie die Hugos ver­ge­ben wer­den. Spoi­ler: Prei­se gab es keine. 

Dass die Hugos, die es seit den 1950ern gibt, immer noch vor allem ein Fan-Award sind, zeigt sich nicht nur im Ver­ga­be­ver­fah­ren, son­dern auch an der Viel­zahl von Kate­go­rien, in denen Prei­se ver­ge­ben wer­den. Dazu gehö­ren Fan Art und Fan­zines, Pod­casts und „best rela­ted work“ – aber auch die gro­ßen, renom­mier­ten Prei­se, die ganz am Ende der Zere­mo­nie ver­ge­ben wer­den, für die bes­te Kurz­ge­schich­te, die bes­te Novel­le und den bes­ten Roman aus dem ver­gan­ge­nen Jahr. 

Vor­schlä­ge für all die­se Kate­go­rien kön­nen von den Mit­glie­dern der WSFA ein­ge­reicht wer­den – das sind alle Teil­neh­men­den der ver­gan­ge­nen und aktu­el­len World­con. Die World­con 2023 fand zum ers­ten Mal – durch­aus kon­tro­vers bewer­tet – in Chi­na statt. Inso­fern nicht ver­wun­der­lich, dass in vie­len Kate­go­rien auch chi­ne­si­sche Wer­ke nomi­niert wur­den, die mir – und ver­mut­lich vie­len ande­ren – aller­dings wenig sagten.

„I‘m a Hugo voter“ – die eigent­li­che Wahl unter den fünf oder sechs Nomi­nier­ten fin­det vor der World­con statt, die digi­ta­len Wahl­ur­nen schlie­ßen eini­ge Tage vor Beginn. Aus­ge­zählt wird nach einem – wir sind unter Nerds – Prä­fe­renz­wahl­ver­fah­ren. Als Wähler*in gebe ich eine Rei­hung je Kate­go­rie, aus denen dann in einem mehr­stu­fi­gen Ver­fah­ren mit Über­tra­gung der übri­gen Stim­men der aus­schei­den­den Nomi­nie­run­gen auf die übri­gen Plät­ze ermit­telt wird, wer die Hugo-Awards erhält.

Mehr dazu (und zu allen Ergeb­nis­sen in allen Kate­go­rien) ist auf der Web­site theHugoAwards.org zu fin­den. Im Saal wur­de eine stark gekürz­te Geschich­te der Awards und des Ver­fah­rens prä­sen­tiert, dann begann – mit eini­gen Hol­pern und tech­ni­schen Pro­ble­men, wir sind, wie gesagt, wei­ter im Bereich der Fan-Orga­ni­sa­ti­on – die eigent­li­che Nen­nung der Gewinner*innen, und so sie anwe­send waren, deren mehr oder weni­ger trä­nen­rei­che und vor­be­rei­te­te („I just wro­te this on my pho­ne …“) Accep­tance-Spee­ches, mal zur Sache, und ab und an zur Welt­po­li­tik. Nicht ganz Oskar-Niveau, aber doch sehr spannungsreich. 

Ich will jetzt nicht auf alle 18 oder so Prei­se ein­ge­hen, son­dern nur sechs hervorheben:

Der Hugo für das bes­te „rela­ted work“ ging – zu deren Erstau­nen (aber völ­lig zu Recht) – an Zach und Kel­ly Wei­ners­mith für A City on Mars, deren lus­tig geschrie­be­ne, sehr ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Unmög­lich­keit, Mond und Mars zu besie­deln. Uner­war­tet, weil das völ­lig an der Final-Fron­tier-Tra­di­ti­ons­li­nie vor­bei­geht, die die Sci­ence Fic­tion lan­ge Zeit geprägt hat. Wenn ich mir anschaue, wie vie­le Panels auf der World­con sich mit Solar­punk und der erneu­ten Hin­wen­dung zu unse­rem Hei­mat­pla­net befass­ten, war die­ser Erfolg viel­leicht gar nicht so uner­war­tet – und passt in gewis­ser Wei­se zu den wei­te­ren Preisträgerinnen.

Der Hugo für die bes­te Serie ging an Ann Leckie für deren Impe­ri­al Rad­ch-Serie. Die ist jetzt einer­seits doch tra­di­tio­nel­le Sci­ence Fiction/Space Ope­ra, inso­fern sie in irgend­wel­chen fer­nen Wel­ten spielt. Ande­rer­seits ist Leckies Serie eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit künst­li­chen Intel­li­gen­zen (in ver­teil­ten Kör­pern), spielt mit einer Kul­tur, die kon­se­quent nur ein Geschlechts­pro­no­men ver­wen­det („she“) und hat viel mit Fremd- und Anders­ar­tig­keit zu tun. Moti­ve, die sich alle­samt in vie­len erfolg­rei­chen Wer­ken der letz­ten Jah­re finden.

Nao­mi Krit­zer hat (eben­falls sehr ver­dient) gleich zwei Hugos gewon­nen, und zwar für die bei­den Geschich­ten „Bet­ter living through algo­rith­ms“ (Best short sto­ry) und „The year wit­hout suns­hi­ne“ (Best novel­let­te). Bei­de sind m.W.n. online zu fin­den, und lesens­wert. Ich wür­de bei­de irgend­wo in dem Feld aus Cozy SF – Hope­punk – Solar­punk ein­sor­tie­ren. „Bet­ter living …“ setzt sich damit aus­ein­an­der, was pas­siert, wenn Men­schen die „Erlaub­nis“ bekom­men – hier durch den titel­ge­ben­den Algo­rith­mus – sich Zeit für die Din­ge zu neh­men, die ihnen wich­tig sind. „The year wit­hout suns­hi­ne“ han­delt von ganz nor­ma­len Men­schen in einer Nach­bar­schaft, mit und ohne Behin­de­run­gen, die in einer Kri­se auf sich selbst gestellt sind. Statt zum Krieg aller gegen alle kommt es zu gegen­sei­ti­ger Unter­stüt­zung, eine Gemein­schaft bil­det sich. Bei­des defi­ni­tiv emp­feh­lens­wer­te Geschich­ten, die auch mei­ne Stim­men bekom­men haben, und die sich auch als Hand­lungs­an­lei­tung eig­nen. Und die mit der Hin­wen­dung zu unse­rer Rea­li­tät, zu nahen Kri­sen und weg von tech­ni­schen Lösun­gen für einen Trend der gegen­wär­ti­gen SF stehen.

Über T. King­fi­shers Hugo für die Novel­le Thorn­hedg kann ich dage­gen wenig sagen. Ich habe die­se Novel­le, eine his­to­risch akku­ra­te Neu­er­zäh­lung von Dorn­rös­chen mit Fokus auf die schein­bar so unwich­ti­gen Details, bis­her nicht gele­sen, fand die Kate­go­rie auch ins­ge­samt eher schwie­rig in der Bewer­tung (ein­zig Mal­ka Olders „Mimi­cking of Known Suc­ces­ses“ sag­te mir etwas). In ihrer sehr ein­präg­sa­men Rede sprach King­fi­sher jeden­falls über die diver­sen mee­res­öko­lo­gi­schen und evo­lu­tio­nä­ren Beson­der­hei­ten der Seegurke.

Bleibt noch die Köni­gin­nen­ka­te­go­rie der Hugos, bes­ter Roman. Hier waren alle nomi­nier­ten Wer­ke her­aus­ra­gend; ich habe mich auch bei mei­ner Abstim­mung schwer getan, was ich nach vor­ne set­ze. Gewet­tet hät­te ich, dass mei­ne Nr. 2, The Saint of Bright Doors von Vajra Chandra­se­kera die Abstim­mung gewinnt. Tat­säch­lich gewor­den ist es dann – auf mei­nem Stimm­zet­tel eben­so wie im Gesamt­vo­ting – jedoch Emi­ly Tesh‘ Roman Some Despe­ra­te Glo­ry. Auf den ers­ten Blick wider­spricht die­ses Buch mei­ner Aus­sa­ge, dass der Trend der Stun­de Hope­punk und die Rück­be­sin­nung auf den Hei­mat­pla­ne­ten ist. Hier geht es um inter­stel­la­re Krie­ge und die letz­ten Res­te der Mensch­heit, die sich irgend­wo ver­schanzt haben. Das sieht erst­mal wie MilSF aus, ist ziem­lich düs­ter – und ent­puppt sich dann nach meh­re­ren Per­spek­tiv­wech­seln als etwas ganz ande­res. In ihrer beein­dru­cken­den Rede beton­te Tesh, dass es ihr in ihrem Roman dar­um gegan­gen sei, das schlech­tes­te, was die Mensch­heit aus­macht, in kon­zen­trier­ter Form dar­zu­stel­len: ein faschis­ti­sches Regime, das auf Mili­ta­ri­sie­rung, Pro­pa­gan­da und Indok­tri­na­ti­on setzt – und zu zei­gen, wie schwer – und trotz­dem mög­lich – es ist, sich dar­aus zu befrei­en. Ein klei­ner Fun­ke Hoff­nung in der Dunkelheit!

Ich habe für „mei­ne“ Favorit*innen mit­ge­fie­bert, als die Prei­se bekannt­ge­ge­ben wur­den, und bin ins­ge­samt (mal von Rand­ka­te­go­rien wie der bes­ten Bewegt­bild­se­ri­en­epi­so­de abge­se­hen) sehr zufrie­den mit den Ergeb­nis­sen. Herz­li­chen Glück­wunsch allen Nomi­nier­ten und Preisträger*innen – und wer nach lesens­wer­ter Lek­tü­re sucht, ist mit dem die­ses Jahr prä­sen­tier­ten Spek­trum sehr gut bedient.