Science Fiction im Oktober 2023

Morning sky, train window

Auch auf­grund einer gan­zen Rei­he von Bahn­fahr­ten bin ich im Okto­ber gut zum Lesen gekom­men, genau­er gesagt, habe ich einen Near-Future-Thril­ler und vier Bücher aus drei Space-Ope­ra-Seri­en gelesen. 

Der Thril­ler heißt Pro­phet, wur­de von Sin Blach und Helen Mac­Do­nald geschrie­ben und ist im August 2023 erschie­nen. Und viel­leicht ist es auch gar kein Thril­ler, son­dern eher eine Art moder­nes Mär­chen. Die Prot­ago­nis­ten – Adam Ruben­stein, ein erst ein­mal sehr hart wir­ken­der ame­ri­ka­ni­scher Geheim­dienst­ler, und Sunil Rao, exzen­tri­sches Wun­der­kind, das jede Lüge sofort erkennt und in Dro­gen Zuflucht sucht – ste­cken in einer Hass-Lie­bes-Bezie­hung; nach und nach wer­den deren Hin­ter­grün­de und die jewei­li­gen Per­sön­lich­kei­ten und deren Geschich­te schär­fer kon­tu­riert. Drit­ter Prot­ago­nist des Buchs ist die titel­ge­ben­de Sub­stanz „Pro­phet“, die – wie das funk­tio­nie­ren soll, ist für die Geschich­te nicht wich­tig – in der Lage ist, mit Nost­al­gie besetz­te Gegen­stän­de, vom Ted­dy­bä­ren bis zum voll­stän­di­gen Diner, aus der Bio­gra­fie ihrer Nutzer*innen zu mate­ria­li­sie­ren. Nach­teil: die sind danach nicht mehr von die­sen Gegen­stän­den zu tren­nen, wenn es doch ver­sucht wird, kommt es zu Koma und Todes­fäl­len. Natür­lich hat auch das Mili­tär Inter­es­se an „Pro­phet“, und irgend­wel­che durch­ge­knall­ten Tech-Inves­to­ren erst recht. Wie gesagt: einer­seits ein Thril­ler mit allen, was dazu gehört – ande­rer­seits, vor allem gegen Ende, dann mehr und mehr ein moder­nes Mär­chen. Inter­es­sant auf jeden Fall.

Mar­ta Rand­alls Jour­ney ist 2018 im Selbst­ver­lag erschie­nen, stammt ursprüng­lich aber aus dem Jahr 1978; das dama­li­ge Taschen­buch ist längst ver­grif­fen. Ich bin jeden­falls froh, dass die­se Space Ope­ra damit wie­der erhält­lich ist. Zusam­men mit der Fort­set­zung, die ich noch nicht gele­sen habe, läuft das gan­ze auch unter dem Seri­en­ti­tel „Ken­ne­rin Saga“. Das Sze­na­rio ist aus heu­ti­ger Sicht ganz typisch – eine wüs­te Erde, ein fie­ses bis teil­nahms­lo­ses inter­stel­la­res Impe­ri­um, ver­bun­den durch Raum­schif­fe, die in einer ande­ren Dimen­si­on ein­tau­chen und „drif­ten“, und Pla­ne­ten am Ran­de der Gren­ze, die kolo­ni­siert wer­den. Es gibt ein qua­si-feu­da­les Sys­tem – und eine die­ser Adels­fa­mi­li­en, die Ken­ne­rins, stel­len den Fokus des Romans dar. Sie besie­deln den Pla­ne­ten Aerie, und haben, anders als ande­re, Empa­thie für die dort leben­den Ali­ens und für Flüch­ten­de von ande­ren Pla­ne­ten. In Quer­schnit­ten durch eini­ge Jahr­zehn­te sehen wir, wie auf die­sem Pla­ne­ten eine neue Gesell­schaft ent­steht – immer ver­wo­ben mit den Dyna­mi­ken inner­halb der Fami­lie, also auch Soap im ganz klas­si­schen Sin­ne. Wäre durch­aus auch verfilmbar.

Ganz neu dage­gen The Bligh­ted Stars (2023) und The Frac­tu­red Dark (2023), die ers­ten bei­den Bän­de von Megan E. O’Kee­fes „The Devou­red Worlds“-Serie. Auch hier das bekann­te Space-Ope­ra-Sze­na­rio, in die­sem Fall herrscht ein Quin­tett von Wirt­schafts­mäch­ten – unter dem Kür­zel MERIT bekannt. Ers­ter unter Glei­chen ist die Fami­lie Mer­ca­tor (das M in MERIT), die ein Mine­ral abbaut, das not­wen­dig ist, um Raum­schif­fe und Raum­sta­tio­nen zu betrei­ben, und zugleich in Form von sub­der­ma­len Schalt­krei­sen Men­schen zu ganz neu­en Eigen­schaf­ten ver­hilft. Tar­quin Mer­ca­tor ist das schwar­ze Schaf die­ser Fami­lie – ihn inter­es­sie­ren nicht Macht­spie­le, son­dern Geo­lo­gie. Der Abbau des Mine­rals erfolgt mit Hil­fe eines ange­pass­ten Orga­nis­mus – und zieht die Zer­stö­rung gan­zer Pla­ne­ten durch eine töd­li­che Flech­te nach sich. Mer­ca­tor behaup­tet, Abbau des Rel­ka­ti­te und Flech­ten­be­fall haben nichts mit­ein­an­der zu tun. Eine Bewe­gung samt ter­ro­ris­ti­schem Arm ver­mu­tet ganz ande­res – deren Agen­tin Nai­ra Sharp ver­sucht, sich in eine Mer­ca­tor-Expe­di­ti­on auf einen bis­her noch nicht aus­ge­beu­te­ten Pla­ne­ten ein­zu­schmug­geln (um Men­schen über inter­stel­la­re Distan­zen zu trans­por­tie­ren, wird hier eine Art Klo­nen plus Gehirn-Down­load ver­wen­det, was zu ganz eige­nen Pro­ble­men und Mög­lich­kei­ten führt). Das Schiff stürzt ab, und der Pla­net ent­puppt sich als lebens­feind­lich. Tar­quin und Sharp müs­sen zusam­men­ar­bei­ten. – Soweit mal die Vor­aus­set­zun­gen, aus denen sich eine sehr les­ba­re Geschich­te ent­wi­ckelt. O’Kee­fe ver­bin­det drei Hand­lungs­ebe­nen: die per­sön­li­che Geschich­te von Tar­quin Mer­ca­tor und Nai­ra Sharp, in meh­re­ren Varia­tio­nen; die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen und inner­halb der Wirt­schafts­kon­glo­me­ra­te; und, ohne hier zu viel zu ver­ra­ten, eine neue Inter­pre­ta­ti­on der Body-Snat­cher-Vari­an­te von Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen und Ali­ens. Ich bin jeden­falls auf den drit­ten Band gespannt.

Eben­falls sehr gut gefal­len hat mir das gera­de erschie­ne­ne A Fire Born of Exi­le (2023), laut Anga­be der Autorin Ali­et­te De Bodard eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des Gra­fen von Mon­te Chris­to in ihrem sino-viet­na­me­sisch grun­dier­ten Xuya Uni­ver­se. Es geht um Gerech­tig­keit vs. Rache, um Fami­li­en­dy­nas­tien und „mind ships“, um die Nach­we­hen einer geschei­ter­ten Revo­lu­ti­on – und nicht zuletzt um eine Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Hoa, die Din­ge repa­riert, und der Rebel­lin Quynh. Sehr gut geschrie­ben, auch irgend­wie Space Ope­ra, aber – wie die ande­ren Xuya-Uni­ver­se-Geschich­ten sehr weit weg von „fron­tier“ und „Wild West im Welt­raum“. Wenn ich eines der im Okto­ber gele­se­nen Bücher emp­feh­len möch­te, dann dieses.

Und sonst? Zum Anschau­en von Seri­en bin ich weni­ger gekom­men – ein kur­zer Blick auf die zwei­te Staf­fel von Loki (hat was, ins­be­son­de­re nach wie vor die Mid­cen­tu­ry-Optik der Zeit­rei­se­zen­tra­le) und natür­lich Star Trek: Lower Decks (mit einem noch nicht ganz auf­ge­lös­ten, aber sich andeu­ten­den inter­es­san­ten Ende für den Haupt­geg­ner die­ser Staffel).

Science Fiction und Fantasy im August und September 2023

Book The tough guide to FantasylandDen August habe ich weit­ge­hend damit zuge­bracht, die Temer­ai­re-Serie von Nao­mi Novik wei­ter­zu­le­sen – Band neun bil­det dann auch einen guten Schluss­punkt, bis dahin war’s manch­mal etwas zäh. Trotz­dem: sehr intel­li­gen­te Fan­ta­sy! Wie im Juli mit Blick auf die ers­ten vier Bän­de bereits beschrie­ben, geht es hier um eine im Duk­tus und Set­ting zeit­ge­nös­si­schen Tex­ten nach­emp­fun­de­ne Alter­na­tiv­ge­schich­te der ers­ten Hälf­te des 19. Jahrhunderts. 

Prä­mis­se in Noviks Temer­ai­re ist die Exis­tenz von Dra­chen – abge­se­hen davon ist vie­les erst ein­mal ähn­lich. Napo­le­on erobert nach und nach den Kon­ti­nent, Groß­bri­tan­ni­en ist auf sei­ne Navy und sei­ne Kolo­nien stolz, Chi­na und Japan sind weit­ge­hend abge­schot­tet usw. Im Lauf des Erzäh­lung tau­chen dann aber auch mehr und mehr Unter­schie­de auf. Zuerst nur sol­che, die sich „mili­tär­tech­nisch“ durch Dra­chen als eine Art Pro­to-Luft­waf­fe erklä­ren las­sen – spä­ter zeigt sich nach und nach immer deut­li­cher, dass Dra­chen intel­li­gen­te Lebe­we­sen sind, die kei­nes­wegs nur als Reit­tie­re behan­delt wer­den wol­len. In Chi­na erschei­nen sie als eben­bür­ti­ge Mitbürger*innen, und in Afri­ka und Süd­ame­ri­ka – auch dahin ver­schlägt es unse­re Held*innen – sind es eher die Dra­chen, die sich Men­schen hal­ten und eifer­süch­tig bewa­chen. Ent­spre­chend weicht der Erzähl­ver­lauf mehr und mehr von unse­rer rea­len Geschich­te ab. Am Schluss geht es um die Fra­ge, wer die Dra­chen aller Län­der auf sei­ne Sei­te zie­hen kann – und wie ernst gemeint die Ver­spre­chen von Bür­ger­rech­ten und Frei­heit sind. Defi­ni­tiv ein inter­es­san­tes Gedankenspiel.

Nor­ma­ler­wei­se schrei­be ich eher nichts zu Kurz­ge­schich­ten, wie sie inzwi­schen oft kos­ten­frei im Netz ver­öf­fent­licht wer­den, aber „Bet­ter Living Through Algo­rith­ms“ (Nao­mi Krit­zer, Clar­kes­world 200, May 2023) muss ich dann doch emp­feh­len. Viel ver­ra­ten kann ich aber trotz­dem nicht dazu – es geht um eine App mit Lebens­hil­fe­tipps, die Men­schen glück­lich macht – bis zu einer tat­säch­lich über­ra­schen­den Wendung. 

The Tough Gui­de to Fan­tasy­land von Dia­na Wyn­ne Jones ist alles ande­re als neu, die Aus­ga­be, die ich nach einem Hin­weis im Netz kur­zer­hand anti­qua­risch gekauft habe, ist von 2006, das Buch gab es aber auch zehn Jah­re davor schon. Bei die­sem „Tough Gui­de“ han­delt es sich um ein ziem­lich lus­ti­ges Aus­ein­an­der­neh­men all der Kli­schees und Tro­pes, die in Fan­ta­sy-Roma­nen immer und immer wie­der ver­wen­det wer­den, hier in Form eines alpha­be­tisch sor­tier­ten Rei­se­füh­rers. Neben­wir­kung dürf­te sein, dass einem danach ein Groß­teil der Sword-and-irgend­was-Fan­ta­sy belang­los und for­mel­haft vor­kom­men dürf­te. Hel­den­rei­se, auf­ein­an­der auf­bau­en­de und immer schlim­mer wer­den­de Vor­fäl­le, die bunt­ge­scheck­te Trup­pe rund um die Haupt­per­son, der Boss­kampf am Ende des Buchs, und in Band zwei die Wie­der­ho­lung, bei der es dann dar­um geht, den dunk­len Fürs­ten oder die dunk­le Fürs­tin zu besie­gen – das fin­det sich tat­säch­lich immer noch sehr oft. Inso­fern: mit Vor­sicht zu genießen ;)

Dann habe ich noch drei kürz­lich erschie­ne­ne Bücher gele­sen. Star­ter Vil­lain von John Scal­zi (2023) ist schnell run­ter­ge­le­sen, humor­voll und ok, aber nichts beson­de­res. Leit­mo­tiv ist der fern­seh­be­kann­te Bond-Böse­wicht mit Kat­ze auf dem Arm. Die Haupt­per­son sieht sich nach dem Tod eines ent­frem­de­ten Onkels mir­nichts dir­nichts in die­se Rol­le rein­ver­setzt. Ein Glück, dass unser Held vor­her mal Wirt­schafts­re­por­ter war und Scams erken­nen kann. Intel­li­gen­te Kat­zen und flu­chen­de Del­fi­ne kom­men neben all den Böse­wich­tern auch vor.

Mit Span­nung erwar­tet habe ich Ann Leckies Trans­la­ti­on Sta­te (2023) – und das Buch ent­täuscht nicht. Es ist im sel­ben Uni­ver­sum wie ihre Ancil­la­ry-Jus­ti­ce-Rei­he ange­sie­delt, aber kei­ne direk­te Fort­set­zung. Auch hier gerät die Haupt­per­son unge­wollt und von heu­te auf mor­gen in eine neue Rol­le und wird von der Pfle­ge­rin ihres Haus-Ober­haupts zu einer Detek­tiv im Dienst des diplo­ma­ti­schen Ser­vices. In die­ser Funk­ti­on soll sie den Fall eines vor vie­len Jahr­zehn­ten ver­schwun­de­nen Pres­ger Trans­la­tors – einer spe­zi­ell zur Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Men­schen geschaf­fe­nen Unter­art der sagen­um­wo­be­nen kan­ni­ba­li­schen Pres­ger – fin­den, und stürzt mit­ten hin­ein in Bür­ger­krie­ge und deren Fol­gen, die lang­rei­chen­den poli­ti­schen Über­le­gun­gen der Rad­ch und die gro­ße Fra­ge, was Mensch­sein aus­macht. Gut gemacht und mit Ali­ens (und AIs), die defi­ni­tiv kei­ne Men­schen mit Latex-Mas­ken sind.

Schließ­lich Exa­de­lic von Jon Evans (2023). Mir war da ein biss­chen zu viel rein­ge­stopft – Zeit­rei­sen, Eso­te­rik, Start-ups und welt­be­herr­schen­de Tech-Kon­zer­ne, noch mehr Zeit­rei­sen, sich aus Tech-Kon­zer­nen her­aus ent­wi­ckeln­de Super­in­tel­li­gen­zen, und der gro­ße Fil­ter, der genau das ver­hin­dern möch­te. Block­chains tau­chen auch irgend­wo auf. Und eine ratio­na­lis­ti­sche Erklä­rung für Magie. Es pas­siert viel, das gan­ze Buch ist rasant und span­nend, und die etwas nai­ve Haupt­per­son Adri­an Ross kommt bei allen Zeit­sprün­gen sym­pa­thisch rüber. Dass am Schluss dann aber eine ganz klas­si­sche Lie­bes­ge­schich­te steht, bei aller Beschwö­rung des­sen, dass wir doch so viel wei­ter sind, was Bezie­hun­gen und Sexua­li­tät angeht, passt dann nur so halb dazu. Und über­haupt: die semi­trans­hu­ma­nis­ti­sche Auf­lö­sung im letz­ten Vier­tel des Buchs war auch nicht meins. Inso­fern: nur so eine hal­be Emp­feh­lung, mag ande­ren damit anders ergehen.

Und sonst? Ich habe (in Unkennt­nis des Com­pu­ter­spiels) die ers­te Staf­fel der Halo-Ver­fil­mung (2022) ange­schaut und fand das etwas gewalttätig/blutrünstig, aber ganz gut gemacht. Wenn ich Micro­soft wäre, hät­te ich mei­ne „KI“ aller­dings nicht nach Cort­a­na benannt. 

Die letz­ten Fol­gen der aktu­el­len Staf­fel von Star Trek: Stran­ge New Worlds waren teil­wei­se eben­falls hart, aber gut gemacht. Und Star Trek: Lower Decks ent­deckt die Ernst­haf­tig­keit – was der Serie gut tut.

Mit der zwei­ten Staf­fel von Good Omens konn­te ich mich nach und nach anfreun­den; die ers­ten bei­den Epi­so­den fand ich eher schwie­rig, und an die ers­te Staf­fel kommt die zwei­te nicht heran. 

Nicht anfreun­den konn­te ich mich dage­gen mit Mul­ligan, zu viel Kla­mauk macht das eigent­lich inter­es­san­te Set­ting kaputt. Sehr viel bes­ser gefal­len hat mir die letz­te Staf­fel Disen­chant­ment – mit einem rüh­ren­den und befrie­di­gen­den Schluss, der alle losen Fäden zusammenknotet.

Und auch wenn’s eher 1950er-Jah­re-Kam­mer­schau­spiel als Sci­ence Fic­tion ist – Aste­ro­id City von Wes Ander­son, ange­schaut im Frei­bur­ger Som­mer­nachts­ki­no, blieb zwar rät­sel­haft, hat­te aber doch sei­nen ganz eige­nen Reiz. 

Augmented Reality, jetzt aber wirklich?

Wer die­ses Blog schon län­ger liest, weiß, dass ich bei Vir­tu­al-Rea­li­ty-Visio­nen eher skep­tisch bis sehr skep­tisch bin. Ein biss­chen anders sieht es mit „Aug­men­ted Rea­li­ty“ (AR) aus, also dem Ein­blen­den digi­ta­ler Ele­men­te in den rea­len Raum. Dazu hat Apple ges­tern Abend den Pro­to­typ einer Aug­men­ted-Rea­li­ty-Bril­le vor­ge­stellt. Sieht eher aus wie eine Ski­bril­le (oder eine Tau­cher­bril­le), ist wohl nicht ganz leicht, und ein Kabel zum Bat­te­rie­pack oder zur Steck­do­se hängt auch dran. In den USA soll es die­ses Ding – „Visi­on Pro“, wie es beein­dru­ckend visi­ons­los heißt – ab nächs­tem Jahr geben, für 3500 Dol­lar als Start­preis. Sieht also erst­mal nach einer teu­ren Spie­le­rei aus.

Trotz­dem: das, was da an Anwen­dun­gen vor­ge­stellt wur­de, klingt für mich durch­aus inter­es­sant. Ein kom­plet­ter Com­pu­ter mit belie­big gro­ßem Bild­schirm zum Mit­neh­men? Ein 3D-Kino, das ech­te Immersi­on erlaubt? Das Ein­blen­den von Apps in den rea­len Raum? Und das nicht wie bei Goog­le Glass in Mini­auf­lö­sung, son­dern mit 4K oder mehr? Und ziem­lich viel Tech­nik, um rea­len und digi­ta­len Raum rei­bungs­los inein­an­der über­ge­hen zu lassen?

Das hat schon etwas und klingt ziem­lich viel­ver­spre­chend. Vor allem auch des­halb, weil Apple das bei den neue­ren iPho­ne- und iPad-Gene­ra­tio­nen im Ansatz schon macht. Da ist dann ein Lidar ein­ge­baut, und so Din­ge wie Ent­fer­nungs­mes­sung oder das Ein­blen­den von 3D-Objek­ten in kor­rek­ter Ori­en­tie­rung in Foto­auf­nah­men gelingt problemlos.

Wenn die Ski­bril­le noch leich­ter und ele­gan­ter wird, und statt 4000 Euro (oder was auch immer der genann­te Preis am Ende bedeu­tet) deut­lich güns­ti­ger wird, kann ich mir schon vor­stel­len, dass eine AR-Bril­le zu einem Teil unse­res All­tags wird; zumin­dest in pro­fes­sio­nel­len Kon­tex­ten, und als Ding für Men­schen, die ger­ne Spie­le oder Fil­me auf einem größt­mög­li­chen Bild­schirm sehen wol­len – hier 180° oder mehr umfassend.

Ob das ein iPho­ne-Moment wird, also sowas wie 2007, als das knopf­lo­se Smart­phone mit Ganz­flä­chen­touch­screen sich in die Welt begab? Kei­ne Ahnung. Ein SF-Moment ist es jedenfalls.

„Siehs­te jetzt, wie das geht?“ Er klapp­te sie auf, einen Bügel in jeder Hand. „Links ist aus, rechts ein. Du brauchst sie nur ein biß­chen zu bewe­gen.“ […] „Hier. Pro­bier mal.“ Er setz­te sie ihr auf.
Sie stand mit dem Gesicht zur Stadt, als er das tat. Der Finanz­di­strikt, die Pyra­mi­de mit den Stüt­zen vom Litt­le Gran­de, die Hügel dahin­ter. „Du mei­ne Güte!“ sag­te sie, als sie die Tür­me sah, die dort erblüh­ten, Gebäu­de, die grö­ßer waren als alles ande­re, ein voll­kom­men regel­mä­ßi­ges Netz, das sich von den Hügeln her­ein­wälz­te. […] Dann füll­te sich der Him­mel mit chi­ne­si­schen Schriftzeichen.
„Sam­my …“
Sie merk­te, wie er sie pack­te, als sie das Gleich­ge­wicht verlor.
Die chi­ne­si­schen Schriftt­zei­chen ver­wan­del­ten sich in englische.
S U N F L O W E R   C O R P O R A T I O N
„Sam­my …“
„Hm?“
„Was, zum Teu­fel ist das?“ Wor­auf sie auch den Blick rich­te­te, immer erhell­te ein ande­res Eti­kett den Him­mel, dich­te Zusam­men­bal­lun­gen tech­ni­scher Wor­te, die sie nicht verstand.

So Che­vet­te in Wil­liam Gib­sons Roman Vir­tu­al Light (dt. Vir­tu­el­les Licht), 1993. Die AR-Bril­le, die hier beschrie­ben wird, die Che­vet­te eher zufäl­lig geklaut hat und dann aus­pro­biert, ist im Buch ein Pro­to­typ. Irr­sin­nig teu­er (wie ein japa­ni­scher Klein­wa­gen). und der Schlüs­sel zu Gib­sons Roman. Drei­ßig Jah­re spä­ter viel­leicht Wirklichkeit. 

Lesetagebuch Science Fiction und Fantasy – Mai 2023

Clouds, Freiburg-Rieselfeld

Ein schnel­ler Rück­blick auf mei­ne Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Lek­tü­re bzw. mei­nen dies­be­züg­li­chen Medi­en­kon­sum im Mai 2023. 

Auf dem Bild­schirm habe ich ein paar Seri­en ange­schaut – die drit­te Staf­fel von Picard (Prime) hat mir weit­ge­hend gut gefal­len, auch die Tat­sa­che, dass es einen umfas­sen­den Hand­lungs­bo­gen und trotz­dem in sich abge­schlos­se­ne Epi­so­den gab. Das eine oder ande­re war aller­dings ein biss­chen viel Fan­ser­vice. Mal schau­en, wie das am Schluss ange­teaser­te Spin-off des Spin-offs rund um Cap­tain Seven of Nine wer­den wird …

Die zwei­te Staf­fel von Car­ni­val Row (Prime) – die Serie spielt in einer zu Beginn der Indus­tria­li­sie­rung ste­hen­den Gesell­schaft, in der Men­schen und Fey zusam­men­le­ben – war bild­ge­wal­tig, mit der einer guten Mischung aus per­sön­li­chen Ent­wick­lungs­ge­schich­ten, poli­ti­schen Intri­gen und den gro­ßen The­men. Aller­dings war sie für mei­nen Geschmack etwas zu blu­tig und zu voll ent­täusch­ter Hoff­nun­gen; aber wie schon in der ers­ten Staf­fel: dafür mit einem durch­aus über­zeu­gen­den Ende. Eine Fort­set­zung soll es lei­der nicht geben, obwohl der Schluss dazu eigent­lich einlädt.

Unter­halt­sam, für eine mit Gothik und Außen­sei­ter­tum spie­len­de Serie teil­wei­se ein biss­chen zu über­zu­ckert emp­fand ich die Seri­en­ver­fil­mung Wed­nes­day (Net­flix), die ich mir jetzt auch mal ange­schaut habe. Und die durch­aus anschau­bar ist.

Nicht auf dem Bild­schirm, son­dern im Kino ange­guckt haben wir Guar­di­ans of the Gala­xy Vol. 3. Hübsch anzu­se­hen, mit einer ziem­lich herz­zer­rei­ßen­den Back­story für den Wasch­bä­ren Rocket, aber in der Sum­me nicht so ganz logisch. Naja, also: Unterhaltungskino.

Zu den Büchern: Ziem­lich viel Zeit ver­bracht habe ich mit At the Feet of the Sun (2022), dem zwei­ten Teil der Serie rund um Clio­pher Mdang und den Kai­ser­hof der Autorin Vic­to­ria God­dard (zum ers­ten Teil hat­te ich hier etwas geschrie­ben). Auch At the Feet of the Sun ist lang­sam erzählt und braucht sei­ne Zeit. Wäh­rend der ers­te Teil der Auf­stieg Clipher Mdangs am kai­ser­li­chen Hof als roten Faden hat­te, geht es hier um die – hm – platonische/asexuelle Lie­bes­be­zie­hung zwi­schen Mdang und dem Kai­ser, und um deren gemein­sa­me Rei­sen durch mehr oder weni­ger mythi­sche Wel­ten. Gleich­zei­tig erfah­ren wir eini­ges dar­über, wer der im ers­ten Band schein­bar unnah­ba­re Kai­ser tat­säch­lich ist, und wie Mdangs Kar­rie­re auch hät­te ver­lau­fen kön­nen. Ein gro­ßes Buch, um sich dar­in zu ver­lie­ren – geer­det durch all­täg­li­che Details und Ange­wohn­hei­ten, die zei­gen, dass auch die Held*innen gro­ßer Sagen letzt­lich nur Men­schen sind. 

Nicht zu Ende gele­sen habe ich dage­gen A Woman of the Sword (2023) von Anna Smith Spark. Nicht unbe­dingt, weil es ein schlech­tes Buch ist – die Prä­mis­se ist, dass hier epi­sche Fan­ta­sy durch die Augen ganz nor­ma­ler Men­schen dar­ge­stellt wird. Die Haupt­per­son war Sol­da­tin einer Armee, die im Auf­trag eines Herr­schers Län­der befreit und das Impe­ri­um wie­der her­ge­stellt hat. Danach hat sie sich auf einer Farm nie­der­ge­las­sen; die Bezie­hung zu ihren bei­den Kin­dern ist schwie­rig, sie fühlt sich über­for­dert von allem. Und dann kommt der Krieg zurück, mit Dra­chen und Magie. Brand­schat­zung und Flucht wer­den recht rea­lis­tisch geschil­dert – und das war dann der Punkt, wo ich das Buch zur Sei­te gelegt habe. Mir war es für die­se Zei­ten – ver­bun­den mit dem sehr nahen Blick auf den All­tag mit klei­nen Kin­dern – schlicht zu düster.

Meru (2023) von S.B. Divya spielt in einer Zukunft, in der im offe­nen Welt­all leben­de Cyborg-Kon­struk­te (Alloys) die Macht über­nom­men haben. Die Erde ist eine Art Reser­vat für nicht modi­fi­zier­te Men­schen. Ambi­tio­nen sind eine Krank­heit, die heil­bar ist. Die jun­ge Haupt­fi­gur will trotz­dem mit eini­gen Freund*innen Gro­ßes errei­chen. Die Chan­ce, das umzu­set­zen, ergibt sich, als der Pla­net Meru ent­deckt wird und sich her­aus­stellt, dass ihre Sichel­zel­len­an­ämie hier von Vor­teil sein könn­te. Zusam­men mit einer Kon­strukt-Raum­schiff-Per­son soll sie zei­gen, dass Men­schen auf einem Pla­ne­ten jen­seits der Erde über­le­ben kön­nen – ohne Ter­ra­forming, und ohne Ein­grif­fe in die Umwelt. Erst nach und nach stellt sich her­aus, dass sie nur als Spiel­ball in poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Cyborg-Kon­struk­te gese­hen wird. Aus die­sem Set­ting ent­wi­ckelt Divya eine span­nend zu lesen­de Geschich­te, die sich auch gro­ßen Fra­gen stellt. 

Blei­ben wir bei Kon­struk­ten: Mar­tha Wells Mur­der­bot Dia­ries (2017–2021) ist aus der Per­spek­ti­ve eines Kon­strukts erzählt. Ein als Waffe/Sicherheitssystem ein­ge­setz­ter Cyborg („SecU­nit“) hat das Kon­troll­mo­dul über­lis­tet und agiert jetzt frei, muss dies aller­dings geheim­hal­ten. Der „Mur­der­bot“ – so die Eigen­be­zeich­nung – ist men­schen­scheu, redet nicht ger­ne über Gefüh­le, will nicht berührt wer­den und schaut am liebs­ten, auch zur inne­ren Beru­hi­gung, his­to­ri­sche und SF-End­los­se­ri­en. Gleich­zei­tig nimmt die­se SecU­nit ihre Auf­ga­be ernst: ihre Klient*innen zu beschüt­zen. Das kann dann auch mal blu­tig wer­den. Die Klient*innen sind zu Beginn der Serie Wissenschaftler*innen, die einen Pla­ne­ten erkun­den; spä­ter wer­den sie Freund*innen des Cyborg. Die Serie beginnt im Cor­po­ra­te Rim – neo­li­be­ra­le, nur auf Pro­fit aus­ge­rich­te­te Pla­ne­ten und Raum­sta­tio­nen, die von unter­schied­li­chen Kon­zer­nen beherrscht wer­den. Men­schen und Bots sind hier Leib­ei­ge­ne. Nach und nach ler­nen wir, dass es außer­halb des Cor­po­ra­te Rim ande­re Gesell­schaf­ten gibt, die eben­falls detail­liert beschrie­ben wer­den – etwa die eher an Solar­punk erin­nern­de, uto­pisch dar­ge­stell­te Pre­ser­va­ti­on. Der sar­kas­ti­sche Ton­fall der erzäh­len­den SecU­nit (samt Neben­be­mer­kun­gen) trägt eben­so wie der schnel­le Plot dazu bei, dass es sich dann doch emp­fiehlt, gleich die gan­ze Serie zu kau­fen; lei­der ein recht teu­res Ver­gnü­gen. Ein wei­te­rer Band ist für Ende des Jah­res angekündigt.

Noch­mal Space Ope­ra, dies­mal als, hm, Komö­die: John Scal­zis The Android’s Dream (2006) hat wenig mit Phil­ip K. Dick zu tun, son­dern han­delt v.a. von unfä­hi­gen Diplomat*innen, den Com­pu­tern der Wet­ter­be­ob­ach­tung, Ali­ens, die unbe­dingt ein tief­blau­es Schaf haben wol­len, einer am unte­ren Ende der galak­ti­schen Hack­ord­nung ste­hen­den Erde und den Veteran*innen eines unnö­ti­gen Krie­ges. Schnell und teil­wei­se sehr lus­tig, teil­wei­se auch bit­ter, weil es da und dort eben nicht nur Slap­stick, son­dern gute Sati­re ist. Eher Red­shirts als Old Mans‘ War, und irgend­wie typisch Scalzi.

Charles Stross Sea­sons of Skulls (2023) ist typisch Laundry/New Manage­ment, lässt sich eben­so schlecht beschrei­ben und war mir ein biss­chen zu viel more of the same. Wer die Mischung aus Hor­ror, Pas­ti­ches zu Klas­si­kern der Welt­li­te­ra­tur (hier: Rich­tung Jane Aus­ten, wür­de ich sagen), genau­er Beob­ach­tung von Büro­kra­tie und Manage­ment und Groß­bri­tan­ni­en mag, wird hier fündig. 

Schließ­lich habe ich noch Cory Doc­to­rows Red Team Blues (2023) gele­sen, das eher ein Thriller/Krimi als Sci­ence Fic­tion ist, schnell und aktio­nen­reich, mit schar­fem Blick auf die IT-Kul­tur der ame­ri­ka­ni­schen West­küs­te, halb-lega­le Cryp­to-Geschäf­te und ähn­li­ches mehr, ver­bun­den mit einer durch­aus sym­pa­thi­schen Hauptperson.

Science Fiction und Fantasy im Vorfrühling 2023 (Teil II)

Glitchy easter decoration

Irgend­wie kam Ostern dazwi­schen (s.o.) – jeden­falls folgt hier nun Teil II zu mei­ner Vor­früh­lings­le­se­lis­te. Teil I mit den Fan­ta­sy-Roma­nen, die ich gele­sen habe, ist am 6. April erschienen.

In medi­as res: Rich­tig gut gefal­len hat mir Ken MacLeods Bey­ond the Reach of Earth (2023), der zwei­te Teil sei­ner Lightspeed-Tri­lo­gie. Kurz zum Hin­ter­grund: die bei­den gro­ßen Blö­cke, die kapi­ta­lis­ti­sche Alli­ance rund um die USA und die Coor­di­na­ted Sta­tes (Russ­land, Chi­na) haben schon vor eini­gen Jahr­zehn­ten eine Metho­de ent­deckt, um U‑Boote in der Raum­zeit zu bewe­gen und damit fer­ne Ster­ne zu erkun­den. Auf dem erd­ähn­li­chen Stern Apis gibt es gehei­me Basen bei­der Blö­cke. Im ers­ten Teil geht es vor allem dar­um, dass nun auch Wissenschaftler*innen der mehr oder weni­ger kom­mu­nis­ti­schen euro­päi­schen Uni­on (inkl. Schott­land) – MacLeod macht aus sei­nen poli­ti­schen Sym­pa­thien kein Geheim­nis – die­se Tech­no­lo­gie ent­de­cken. Am Schluss stürzt die euro­päi­sche Venus-Kolo­nie ab – und v.a. wer­den intel­li­gen­te Außer­ir­di­sche ent­deckt. Was es mit die­sen auf sich hat, war­um das mit der über­licht­schnel­len Raum­fahrt nicht ganz so ein­fach ist, wie es am Anfang aus­sah, und was euro­päi­sche Siedler*innen so auf Apis erle­ben, davon han­delt Teil II. Beson­ders aktu­ell die Rol­le ver­schie­de­ner Robo­ter und all­ge­gen­wär­ti­ger AI-Sys­tem-Assis­ten­zen. Erfri­schend anders als der Space-Ope­ra-Main­stream, sehr plau­si­bel beschrie­ben und trotz­dem kom­plett abge­dreht – und gera­de des­we­gen lesenswert.

Zum Teil tref­fen die­se Beschrei­bun­gen auch auf Anna­lee Newitz lang erwar­te­tes Buch The Ter­ra­for­mers (2023) zu. In meh­re­ren Zeit­ebe­nen (10.000 Jah­re und ähn­lich gro­ße Zeit­span­nen vom heu­te ent­fernt) erle­ben wir die Besied­lung eines im Auf­trag eines gro­ßen, gala­xien­weit agie­ren­den Kon­zerns ter­ra­form­ten Pla­ne­ten, Wirt­schafts­spio­na­ge, Intri­gen, Auf­stän­de der mehr oder weni­ger Skla­ven-Klo­ne, sehr viel Gen- und Bio­tech­nik und irgend­wie auch eine Uto­pie des ver­netz­ten Zusam­men­le­bens ganz unter­schied­li­cher Lebens­for­men. Das ist alles wun­der­bar aus­ge­dacht – trotz­dem hat mich eini­ges immer wie­der aus dem Lese­fluss gewor­fen; etwa die schon ange­spro­che­nen rie­si­gen Zeit­räu­me, qua­si-unsterb­li­che Per­so­nen, aber auch das das Buch durch­zie­hen­de tie­fen­öko­lo­gi­sche Kon­zept, das alle Lebe­we­sen am gro­ßen Gan­zen teil­ha­ben (und durch eine Art Uplif­ting Intel­li­genz bekom­men). Bei Kühen ist das noch irgend­wie glaub­wür­dig, bei Insek­ten­ko­lo­nien … nicht so? Auf jeden Fall inter­es­sant und beein­dru­ckend, aber kein Buch zum Verlieben. 

Mal­ka Olders The Mimi­cking of Known Suc­ces­ses (2023) hat eben­falls ein inter­es­san­tes Set­ting, kommt aber nicht an ihre Info­mo­cra­cy-Rei­he her­an. Die Erde ist ver­wüs­tet, die Über­le­ben­den haben rund um Jupi­ter ein Eisen­bahn- und Platt­form-Ring­sys­tem auf­ge­baut, auf dem die­ses Buch – zunächst ein Kri­mi­nal­ro­man – spielt. Die Haupt­fi­gu­ren waren mal zusam­men, es gibt poli­ti­sche Bewe­gun­gen, die sich zwi­schen nost­al­gi­scher Bewah­rung der ver­lo­re­nen Erde und Blick nach vor­ne bewe­gen, und ins­ge­samt mag „cozy“ durch­aus eine zutref­fen­de Beschrei­bung sein. Ein recht kur­zes, freund­li­ches Buch (trotz meh­re­rer Todes­fäl­le), eine inno­va­ti­ve Sze­na­rie, aber irgend­wie fehl­te mir etwas.

Anders­her­um ging’s mir mit Greg Egans Sca­le (2022). Hier war ich zwar auf das Set­ting neu­gie­rig – neben­ein­an­der her leben­de und z.T. mit­ein­an­der inter­agie­ren­de Gesell­schaf­ten von Men­schen ganz unter­schied­li­cher Grö­ße, unter The Sci­ence of Sca­le gibt es auf Egans Web­site auch eine Her­lei­tung davon, wie das wis­sen­schaft­lich plau­si­bel gemacht wird; letzt­lich geht es um unter­schied­li­che inner-ato­ma­re Zusam­men­set­zung – neben Elek­tro­nen und Muo­nen gibt es hier gleich acht unter­schied­li­che Lep­to­nen, die jeweils bestimm­te Eigen­schaf­ten haben und v.a. Maßen, die von 1 bis 128 rei­chen. Die Men­schen unter­schied­li­cher Grö­ße bestehen jeweils aus Ato­men, die eine Art von Lep­to­nen bevor­zu­gen, und kom­men ent­spre­chend z.B. auch nur mit Was­ser oder Nah­rungs­mit­teln aus die­ser Zusam­men­set­zung klar. Ent­spre­chend ver­hal­ten sich die Grö­ßen (mir ist nicht ganz klar­ge­wor­den, ob die Kleins­ten zu den Größ­ten hier 1:8, 1:64 oder 1:128 aus­ma­chen, es sind aber beacht­li­che Unter­schie­de). Zugleich ist die Dich­te sehr unter­schied­lich – kleins­te und größ­te Men­schen bestehen aus der glei­chen Zahl von Ato­men, wie­gen also auch „das sel­be“. Zeit läuft für klei­ne­re Men­schen viel schnel­ler ab als für grö­ße­re Men­schen usw. Jeden­falls: das klingt alles erst ein­mal furcht­bar kom­pli­ziert und her­bei­ge­dacht, aber Egan gelingt es, vor die­sem Hin­ter­grund nicht nur einen Kri­mi, son­dern letzt­lich einen Thril­ler und einen Revo­lu­ti­ons­ro­man zu schrei­ben. Das hat mich sehr posi­tiv über­rascht. Wer selbst rein­le­sen möch­te, fin­det den – harm­lo­sen – Anfang auf der oben ver­link­ten Website.

Weni­ger über­zeugt haben mich zwei „klas­si­sche“ SF-Roma­ne. Arkas’d World von James L. Cam­bi­as (2019) spielt auf einem Pla­ne­ten, der ein Geheim­nis birgt, auf dem Wesen aus sehr unter­schied­li­chen – aber doch irgend­wie ste­reo­ty­pen – Ali­en-Kul­tu­ren zusam­men­le­ben; die Mensch­heit ist von einer die­ser Kul­tu­ren unter­wor­fen wor­den, der titel­ge­ben­de Arkad als auf dem Pla­ne­ten gebo­re­ner Mensch auf der Flucht auf die­sem Pla­ne­ten hat etwas von toll­pat­schi­gem Aus­er­wähl­ten. Bis er stirbt und das Gan­ze einen meta­phy­si­schen Drall bekommt. 

Und auch Count to a Tril­li­on von John C. Wright (2011) war dann nicht so ganz meins. Ich glau­be, ich habe irgend­wo Wal­ter Jon Wil­liams und John C. Wright zusam­men­ge­wor­fen und zu einer Per­son gemacht – der­je­ni­ge mit den wirk­lich schlimm reak­tio­nä­ren Ideen ist John C. Wright (sor­ry, W.J. Wil­liams!). Jeden­falls gelingt es ihm, eine weit in der Zukunft lie­gen­de Erde vor­zu­stel­len, in der fast nur Män­ner wich­ti­ge Rol­len spie­len, in der kul­tu­rel­le und eth­ni­sche Unter­schei­dun­gen hoch­ge­hal­ten wer­den, und in der his­to­ri­sche Moden von der Anti­ke über die Kreuz­fah­rer bis zum Cow­boy-Wes­tern wie­der­auf­le­ben, wäh­rend gleich­zei­tig hoch­in­tel­li­gen­te Com­pu­ter­sys­te­me, inter­stel­la­re Raum­schif­fe und die Ver­ar­bei­tung von Anti­ma­te­rie (sowie extrem über­le­ge­ne Außer­ir­di­sche) vor­kom­men. Das mag mal amü­sant sein, aber warm gewor­den bin ich damit nicht, und die Agen­da dahin­ter, ein Zurück zur guten alten Zeit, als Män­ner noch Män­ner und Unter­ta­nen noch Unter­ta­nen waren, gefällt mir über­haupt nicht.