Könnte auch aus einem Science-Fiction-Film kommen, ist aber nur der Fußgängertunnel am derzeit im Umbau befindlichen Bahnhof Emmendingen.
Kurz gelesen: Pat Murphy, There and Back again
Ich sage es ja ungern, aber manchmal ist Amazon wirklich Gold wert – zum Beispiel dann, wenn es darum geht, obskure englischsprache SF-Taschenbücher günstig zu erwerben. Im Dezember las ich bei BoingBoing in einem Nebensatz, dass die SF-Schriftstellerin Pat Murphy (die mir bisher nichts sagte), den Hobbit ins Weltall verlegt habe. Gesehen, bestellt, und inzwischen angekommen und gelesen.
Und: hat mir gut gefallen. In There and Back again, by Max Merriwell (1999) verschiebt Murphy Tolkiens Hobbit in den Weltraum: Der Norbit Bailey Beldon, im gemütlichen Astroidengürtel zuhause und dort mit einer Teekessel-Rakete unterwegs, eine Nachricht. Die mystische Gitana schaut vorbei, und weniger später dann auch die Klone. Das Abenteuer beginnt. Sehr erkennbar, und doch sehr anders. Jede Station in Tolkiens Hobbit findet ihr Äquivalent in der Bailey Beldons Reise durch Raum und Zeit. Das Buch unterhält auf zwei Ebenen: Da ist der Wiedererkennungseffekt (ach, das ist hier die Seestadt, und das ist Gollum!), der allen Spaß machen könnte, die den Hobbit – also das Buch – kennen. Aber There and Back again ist auch für sich genommen eine gelungene Queste mit eigener Tiefe, die deutlich über eine oberflächliche Parodie hinausweist. Auch ohne Mittelerde-Hintergrund ist Murphys Buch ein spannendes Weltraumabenteuer, das manchmal ins Surreale abdriftet.
Ach ja: Der Grund, warum There and Back again bei BoingBoing erwähnt wurde, ist vielleicht auch noch nennenswert. Das auffällig ungleiche Geschlechterverhältnis im Hobbit verkehrt sich hier ins Gegenteil. Funktioniert auch.
Ein paar Notizen zu David Brin, Existence
Gute Vorsätze, da war doch was. Genau: Ich habe mir vorgenommen, häufiger über das, was ich lese, zu schreiben. Das betrifft vor allem Science Fiction. Nicht mit dem Anspruch einer hochwertigen Kritik von vorne bis hinten, und auch nicht immer, aber dafür öfter. Zu dem, was mir so aufgefallen ist beim Lesen, und was nach dem Lesen hängengeblieben ist.
Ich fange mal mit David Brins 2012 erschienenem Roman Existence an, der mich mehrere Nächte dazu verleitete, viel zu lange wach zu bleiben. Brin ist einer der esoterischeren Hard-SF-Autoren; seine Bücher sind – wie es sich für einen akademisch tätigen Astrophysiker gehört – zunächst wissenschaftsnah und sehr realistisch, fangen aber irgendwann an, extrem spekulativ zu werden (wenn auch nicht in dem Ausmaß wie bei Greg Egan). Trotzdem gefällt mir die erste Hälfte des um die 650 Seiten umfassenden Werkes Existence deutlich besser als die zweite Hälfte. Gleich mehr dazu, warum, aber zunächst ein Blick aus der Vogelperspektive.
Was ich so lese, oder: gesellschaftskritische Science Fiction
Eigentlich wollte ich dazu nichts sagen, aber ich muss jetzt doch mal ein paar Worte über den Text „Magische Klassenkämpfer“ von Florian Schmidt (am 22.8. im Freitag erschienen) loswerden. Schmidt breitet dort die These aus, dass – platt gesagt – früher Science Fiction ein emanzipatorisches Genre war und heute im Dienst der Reaktion steht. Das ist falsch.
Äpfel und Birnen, Bücher und Filme
Das ist zum einen falsch, weil er Äpfel mit Birnen vergleicht. „Früher“ sind für ihn die – in der Tat spannenden, lesenswerten, hochgradig interessanten – Bücher von Ursula K. Le Guin (The Dispossessed), Joanna Russ (z.B. The Female Man) und Marge Piercy (Woman at the edge of time und He, she, and it). Das sind drei liberal-feministische AutorInnen, die sich auf hohem literarischen Niveau in den 1970er und 1980er Jahren mit den Möglichkeiten und Grenzen einer besseren Gesellschaft auseinandergesetzt haben. Ich habe sie sehr gerne gelesen.
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Photo of the week: Sun power
Edward Snowden, der Whistleblower, der Dokumente über „PRISM“ – das groß angelegte Überwachungsprogramm der NSA – veröffentlicht hat, ist jemand, der mutig gehandelt hat, und der sich – den Interviews und Berichten im Guardian zufolge, sehr bewusst und mit klarem Blick auf die persönlichen Konsequenzen für sich und andere dafür entschieden hat, PRISM öffentlich zu machen. Die vermutlich größte Enthüllung der letzten Jahre zeigt zudem mit drastischer Deutlichkeit, wie wenig das Handeln Barack Obamas mit seinen Versprechungen zu tun hat. Ich hoffe, dass Snowdens Mut auch politische Konsequenzen haben wird. Die Netzsoziologin danah boyd hat einige gute Argumente dazu aufgeführt, warum zu erwarten ist, dass die meisten AmerikanerInnen schlicht mit den Schultern zucken werden, nach dem Motto „betrifft mich ja nicht“.
Snowden hätte auch eine Romanfigur sein können – in einem der Nicht-SF-Romane von Iain (M.) Banks, der heute mit 59 Jahren gestorben ist.
Banks war einer der ersten Autoren der neuen schottischen Science-Fiction-Welle, die ich gelesen habe, und der mich zu „ernsthafterer“ Science Fiction (und der Lektüre im englischsprachigen Original) hingeführt hat. Mit den Büchern seiner Culture-Reihe hat er ein Utopia aufgemacht, dass durchaus in der Lage dazu ist, als Ganzes ethisch fragwürdig handelt. Gleichzeitig – das zieht sich, neben dem Spaß an der Konstruktion größerer und größerer Raumschiffe und künstlicher Lebenswelten durch alle seine Bücher – hat er wohl am konsequentesten eine Kultur beschrieben, in der intelligente Drohnen und die „Minds“ der kontinentgroßen Raum„schiffe“ mit den Menschen* der Culture alltäglich integriert interagieren – mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht sogar im Verhältnis der überragenden Maschinenintelligenz zum – des Amüsements wegen – geduldeten Menschen. Nach und nach habe ich dann den Nicht-SF-Banks („Iain Banks“ statt „Iain M. Banks“) entdeckt und schätzen gelernt. The Business (1999) beispielsweise ist eine der lesbarsten literarischen Auseinandersetzungen mit den Organisationsprinzipien des Kapitalismus, die mir bekannt ist. (Und wer in seine – teilweise grausame – Science-Fiction einsteigen will, kann das chronologisch mit Consider Phlebas (1987) tun, oder mit Excession (1996), dem vielleicht zugänglichsten der Culture-Romane).
Banks ist nicht mehr. Und das ist definitiv ein Verlust.
* Menschen: Mir ist bewusst, dass die Menschen der Culture keine Menschen sind …