Opa Linus und der Atommüll

Swiss nuclear idyll

Der BUND Regio­nal­ver­band Süd­li­cher Ober­rhein und die Schwei­zer Initia­ti­ve Nie Wie­der Atom­kraft­wer­ke haben heu­te gemein­sam einen offe­nen Brief an die baden-würt­tem­ber­gi­sche Umwelt­mi­nis­te­rin Tan­ja Gön­ner (CDU) geschrie­ben. Oder anders gesagt: sie zum Atom­müll-Müh­le­spiel auf­ge­for­dert und schon mal eine schö­ne Zwick­müh­le vorbereitet.

Im Mit­tel­punkt steht dabei der Opa­li­nus­ton. Das ist wohl eine ton­hal­ti­ge Gesteins­for­ma­ti­on, die in Süd­deutsch­land und in der Schweiz vor­kommt, dort jeweils eine Mäch­tig­keit von etwa 100m hat und sich über­haupt nicht bzw. beson­ders gut für die End­la­ge­rung von Atom­müll eignet. 

In der Schweiz geht es dabei um den mög­li­chen End­la­ger­stand­ort Ben­ken, gegen den es auch aus dem grenz­na­hen deut­schen Bereich hef­ti­ge Pro­tes­te gibt, in Deutsch­land natür­lich um die Fra­ge, ob – wenn die schon lan­ge dis­ku­tier­te Untaug­lich­keit des Salz­stocks in Gor­le­ben sich auch CDU-Poli­ti­ke­rIn­nen offen­ba­ren soll­te – wo und wie ein neu­er End­la­ger­stand­ort gesucht wer­den könn­te. Da war ja kürz­lich auch mal wie­der Baden-Würt­tem­berg im Gespräch.

Im offe­nen Brief von BUND und NWA wird Tan­ja Gön­ner wie folgt zitiert:

„Nach einer Bewer­tung des Lan­des­am­tes für Geo­lo­gie sei­en jedoch die Bedin­gun­gen in Baden-Würt­tem­berg gegen­über ande­ren Ton­vor­kom­men ungüns­tig. So wer­de von den Exper­ten des Lan­des­am­tes die gerin­ge Mächtigkeit/Dicke des Gesteins sowie die die Ton­schich­ten umge­ben­den Grund­was­ser­lei­ter als Hin­der­nis ange­se­hen. ‚Soll­te sich Gor­le­ben im wei­te­ren Erkun­dungs­ver­fah­ren als nicht geeig­net her­aus­stel­len, ist ein neu­er Such­lauf not­wen­dig. Dann könn­ten neben ande­ren Stand­or­ten im Salz auch sol­che im Ton­ge­stein in Betracht kom­men. Baden-Würt­tem­berg käme dabei wegen der bereits bekann­ten kri­ti­schen Vor­aus­set­zun­gen nicht ernst­haft in Betracht‘, stellt Gön­ner klar.“ 

In der Schweiz gilt die sel­be Gesteins­for­ma­ti­on dage­gen als gut geeig­net. Axel May­er vom BUND und sein schwei­zer Kol­le­ge Beat Jans sind nun logi­scher­wei­se ver­wirrt, was gilt, und fra­gen daher bei der Minis­te­rin nach,

  • Wenn Tone mit einer gerin­gen Mäch­tig­keit geeig­net sind, Atom­müll zu lagern, dann müss­ten doch auch die Tone in Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg für ein End­la­ger in Fra­ge kommen?
  • Wenn dün­ne Ton­schich­ten tat­säch­lich abso­lut unge­eig­net sind, dann müss­ten Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg doch mit Vehe­menz gegen die Atom­müll­plä­ne der Schweiz vorgehen?
  • Gibt es einen geo­lo­gi­schen oder einen poli­ti­schen Unter­schied zwi­schen dem Opa­li­nus­ton in der Schweiz und dem Opa­li­nus­ton in Süddeutschland?

Ich fin­de, dass das sehr gute Fra­gen sind – weil sie an einem ganz kon­kre­ten Bei­spiel deut­lich machen, wie poli­tisch die natur­wis­sen­schaft­li­che (Nicht-)Eignung von bestimm­ten End­la­ger­stand­or­ten tat­säch­lich ist. Es geht in der Tat nicht nur um geo­lo­gisch-natur­wis­sen­schaft­li­che Para­me­ter; ein­mal ganz unab­hän­gig von der Fra­ge, ob es aus sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher Sicht über­haupt so etwas wie einen geeig­ne­ten End­la­ger­stand­ort geben könn­te – und was zu tun ist, wenn das nicht der Fall ist.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es schön fin­de, wie hier über Ban­de mit Gesteins­for­ma­tio­nen gespielt wird.

Hinweis auf politische Ehrlichkeit

Rede Winfried Kretschmann IIIWeil’s mir wich­tig ist, kurz der Hin­weis, dass ich mich im heu­ti­gen Grün­zeug am Mitt­woch mit der Fra­ge poli­ti­scher Ehr­lich­keit aus­ein­an­der­set­ze – am Bei­spiel der bei eini­gen ganz empört auf­ge­nom­me­nen Aus­sa­ge von Win­fried Kret­sch­mann, dass Stutt­gart 21 jetzt noch zu stop­pen ist, dass aber nicht klar ist, ob das in eini­gen Mona­ten auch noch so sein wird.

Sie­he auch: Sie­ben Fra­gen zu Stutt­gart 21

Wovon PolitikerInnen träumen

In der Süd­deut­schen Zei­tung wer­den jun­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te nach ihren Erfah­run­gen ein Jahr nach der Bun­des­tags­wahl befragt. Ist ganz inter­es­sant – vor allem im Ver­gleich der Ant­wor­ten. Die auf die letz­te Fra­ge – „Wovon träu­men Sie?“ – habe ich hier mal zusam­men­ge­stellt (alles Zita­te aus den SZ-Interviews).

  • Ver­rat ich nicht. (CDU, w) 
  • Von einem lan­gen Urlaub. (CSU, m) 
  • Ich träu­me nur nachts und dann meis­tens sehr gut. (CSU, m) 
  • Ich träu­me von einer Welt ohne Hun­ger und ohne Krieg. (GRÜNE, m) 
  • Irgend­wann will ich noch mal in New York leben. Und mal zusam­men mit Meh­met Scholl Plat­ten auf­le­gen. (SPD, m) 
  • Dass die Welt sozia­ler, gerech­ter und fried­li­cher wird und ich viel­leicht einen klei­nen Bei­trag dazu leis­ten kann. (LINKE, m) 
  • Dass sich mehr Men­schen poli­tisch ein­brin­gen und zwar nicht nur, um ihre per­sön­li­chen Inter­es­sen zu ver­tre­ten, son­dern um die Gesell­schaft als Gan­zes posi­tiv zu ver­än­dern und gerech­ter zu machen. (SPD, w) 
  • Tugen­den wie Offen­heit, Tole­ranz, Ver­läss­lich­keit, Respekt und Ver­ant­wor­tung soll­ten unse­re Gesell­schaft stär­ker prä­gen. Der Sinn für die All­ge­mein­heit muss wie­der an die Stel­le von Ego­is­mus und Anspruchs­den­ken gesetzt wer­den, die Poli­tik­ver­dros­sen­heit in akti­ve Teil­nah­me ver­wan­delt wer­den. (CDU, m) 
  • Ich kämp­fe nicht poli­tisch für Bür­ger­rech­te und Pri­vat­sphä­re, um dann öffent­lich dar­über zu plau­dern, wovon ich nachts träu­me. Im über­tra­gen­den poli­ti­schen Sin­ne „träu­me“ ich von einer Gesell­schaft, die sich traut, dem Ein­zel­nen wie­der mehr Frei­heit und Eigen­ver­ant­wor­tung zu über­tra­gen und in der sich die­ses Mehr an Eigen­ver­ant­wor­tung und ein Mehr an Soli­da­ri­tät nicht aus­schlie­ßen. (FDP, m) 
  • Von einem abbe­zahl­ten, denk­mal­ge­schütz­ten Häus­chen mit einer schö­nen Aus­sicht, einem klei­nen Grill­fest im gro­ßem Gar­ten mit Eltern und Freun­den und Blick auf den Fern­se­her mit der Tages­schau: Ohne Kata­stro­phen, Krie­ge, Atten­ta­te, einem posi­ti­ven Wet­ter­be­richt für die dar­auf fol­gen­de Urlaubs­wo­che und dann Sport­nach­rich­ten mit dem Satz „unser Club ist jetzt auch Sie­ger in der Cham­pi­ons League – Fran­ken fei­ert immer noch!“. (FDP, m) 
  • Auch wenn das in den Augen eini­ger Pes­si­mis­ten und Zyni­ker naiv klingt: Von einer fried­li­chen, soli­da­ri­schen und gerech­ten Welt. Aus die­ser Visi­on, mag sie noch so weit von der Wirk­lich­keit ent­fernt sein, hat sich schon immer mein lei­den­schaft­li­ches Enga­ge­ment in der Poli­tik gespeist. Und wenn der Weg dahin lang ist, gilt es nicht zu ver­zwei­feln, son­dern gera­de des­halb heu­te mit viel­leicht müh­sa­men und klei­nen, aber doch wich­ti­gen Schrit­ten zu begin­nen. (GRÜNE, w) 
  • Schon sehr früh, als ich in der Kom­mu­nal­po­li­tik Mit­ver­ant­wor­tung tra­gen durf­te, bin ich von der Rea­li­tät über­holt wor­den. Vol­ker Kau­der sagt: „Poli­tik beginnt mit dem Betrach­ten der Wirk­lich­kei­ten.“ Er hat recht! Es geht heu­te dar­um, für gute Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen zu sor­gen, aber nicht auf Kos­ten kom­men­der Gene­ra­tio­nen. Das ist die gro­ße Her­aus­for­de­rung unse­rer Zeit, der wir uns bereits stel­len. Wich­tig scheint mir dabei, die Rück­be­sin­nung auf ein gemein­sa­mes Fun­da­ment, dass unse­re Gesell­schaft trägt! (CSU, m) 

Kurz: Diäten nach Tarif

Dessert forkAlle paar Mona­te erhöht das eine oder ande­re Par­la­ment die Diä­ten für die Abge­ord­ne­ten (oder ver­zich­tet, wie gera­de das Kabi­nett, weit­ge­hend auf eine Erhö­hung der Bezü­ge der Bun­des­mi­nis­te­rIn­nen). Gera­de im Kon­text des Spar­pa­kets liegt es natür­lich jetzt nahe, sich die Fra­ge zu stel­len, wie hoch den eigent­lich die Bezü­ge für Abge­ord­ne­te und Minis­te­rIn­nen sein dür­fen, ohne unge­recht zu wer­den. Dar­auf will ich jetzt aber gar nicht ein­ge­hen, son­dern schlicht die Fra­ge stel­len, war­um Par­la­men­te eigent­lich selbst über die Diä­ten der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen ent­schei­den. Einer­seits klingt das erst­mal sinn­voll – Haus­halts­ho­heit des Par­la­ments usw. Ande­rer­seits liegt da aber die Asso­zia­ti­on Selbst­be­die­nungs­la­den nahe. 

Kei­ne Ahnung, ob so etwas poli­tisch durch­setz­bar ist: aber wenn wir Abge­ord­ne­te als „Die­ne­rIn­nen“ des Vol­kes betrach­ten, dann sind sie eigent­lich sowas wie Ange­stell­te der öffent­li­chen Hand oder Beam­tIn­nen auf Zeit. Was spricht dage­gen, das dann auch hin­sicht­lich der Diä­ten umzu­set­zen – und fest­zu­le­gen, dass die Abge­ord­ne­ten (fak­tisch ja eher Selbst­stän­di­ge …) und die Minis­te­rIn­nen in Anleh­nung an BAT bzw. heu­te TV‑L/TVöD etc. bezahlt wer­den? Und zwar dyna­mi­siert – also gebun­den an die Ergeb­nis­se der jewei­li­gen Tarif­ver­hand­lun­gen zwi­schen öffent­li­chen Arbeit­ge­bern und den Gewerkschaften?

Damit wür­de die Not­wen­dig­keit ent­fal­len, dass Par­la­men­te fort­lau­fend neu über die Diä­ten ent­schei­den. Gleich­zei­tig wäre ein gro­ßer Anreiz dar, die öffent­li­chen Tarif­ver­hand­lun­gen mit sinn­vol­len Ergeb­nis­sen zu führen. 

P.S.: Ja, ich weiss, dass Abge­ord­ne­te nicht „Dienst nach Vor­schrift“ machen, eher 50–60 Stun­den pro Woche arbei­ten, und erheb­li­che Auf­wen­dun­gen für ihre Büros haben. Des­we­gen steht da oben auch nicht „nach TVöD“, son­dern „in Anleh­nung an ..:“.

P.P.S.: Anja Schillhan­eck hat für Ber­lin und Andrea Lind­l­ohr hat für Baden-Würt­tem­berg dar­auf hin­ge­wie­sen, dass dort die Diä­ten jeweils an die Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Löh­ne und Gehäl­ter gekop­pelt sind. In BaWü scheint dafür der Zeit­raum ein Jahr zuvor her­an­ge­zo­gen zu wer­den – was dazu führt, dass die baden-würt­tem­ber­gi­schen Diä­ten „zum 1. Juli 2010 von der­zeit 5.125 Euro um 1,53 Pro­zent auf 5.047 Euro pro Monat gekürzt wer­den“. Klingt nach einem sinn­vol­len Sys­tem – trotz­dem blei­be ich dabei, dass eine Kopp­lung an die öffent­li­chen Tarif­ver­trä­ge auch eine inter­es­san­te Anreiz­wir­kung hätte.

Nicht ganz so kleiner Nachtrag zum Facebook-Text

Convention foyer

Zu mei­nem Face­book-Text ist mir gera­de noch ein Nach­trag ein­ge­fal­len. Es gäbe auch netz­po­li­tisch noch eini­ges dazu zu sagen, dass aber ein ande­res Mal. 

Eine The­se dort war ja, dass „social net­works“ letzt­lich aus ich über­lap­pen­den Tei­löf­fent­lich­kei­ten bestehen. Anders gesagt: jede/r hat dort sei­ne oder ihre „pri­va­te Öffent­lich­keit“. Das lässt sich aber auch anders­her­um betrach­ten. Hilf­reich ist dazu Goff­manns Bild von der Vor­der- und der Hin­ter­büh­ne. Goff­man beschreibt, dass es je nach Rah­mung der sozia­len Inter­ak­ti­on unter­schied­li­che Inter­ak­ti­ons­re­geln gibt. Typi­sches Bei­spiel: im Par­la­ment (Vor­der­büh­ne) hau­en die Poli­ti­ke­rIn­nen ver­bal auf­ein­an­der ein, beim Par­la­ments­abend (Hin­ter­büh­ne) trin­ken sie dann trotz­dem gemein­sam ein Bier. Etwas moder­ner aus­ge­drückt: die kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­le­van­ten sozia­len Prak­ti­ken sind situa­tiv ein­ge­bet­tet, und es lässt sich recht klar zwi­schen Pra­xis­bün­deln für „öffent­li­che“ und für „pri­va­te“ Sphä­ren unterscheiden.

Ich habe mich jetzt gefragt, was Face­book eigent­lich für eine Büh­ne ist. Die Ant­wort ist ein kla­res „kommt drauf an“. Face­book kann sowohl Vor­der- wie auch Hin­ter­büh­ne sein, und ist manch­mal für ein und diessel­be Per­son bei­des. Es koexis­tie­ren also ver­schie­de­ne kom­mu­ni­ka­ti­ve Prak­ti­ken. Bei­spiel (um bei der Poli­tik zu blei­ben): eine Poli­ti­ke­rin insze­niert sich hier als the­ma­ti­sche Exper­tin (Vor­der­büh­ne) für ihre gro­ße „pri­va­te Öffent­lich­keit“ – ein ande­rer Poli­ti­ker nutzt Face­book als Forum „öffent­li­cher Pri­vat­heit“ (Hin­ter­büh­ne) und kom­mu­ni­ziert dort über Bahn­ver­spä­tun­gen, sei­ne Erkäl­tung oder den Ärger über unauf­schieb­ba­re Ter­mi­ne. Bei­de Sta­tus­mel­dun­gen kön­nen kurz hin­ter­ein­an­der von einem Nut­zer oder einer Nut­ze­rin gele­sen werden.

Anders gesagt: Face­book ver­wirrt die Unter­schei­dung zwi­schen Vor­der- und Hin­ter­büh­ne. Damit ist Face­book nicht allei­ne (hier kommt mir sowohl Sen­nett in den Sinn, der über soviel Inti­mi­täts­ver­lust ver­mut­lich die Hän­de über den Kopf zusam­men­schla­gen wür­de, als auch ande­re Bei­spie­le, an denen die kla­re situa­ti­ve Rah­mung ver­sagt: das reicht von „Big Brot­her“ und „geskrip­te­ten Doku­men­tar­fil­men“ als Bei­spie­len für klar insze­nier­te öffent­li­che Pri­vat­heit bis hin zu der Fra­ge, ob eigent­lich Arbeits­plät­ze Vor­der- oder Hin­ter­büh­nen sind – aus dem Büro, das gera­de noch Hin­ter­büh­ne war, wird beim Ein­tre­ten der Kun­din plötz­lich eine kom­plett ande­re Situa­ti­on. Auch hier als Koexis­tenz unter­schied­li­cher Bün­del kom­mu­ni­ka­ti­ver Prak­ti­ken und Erwartungen).

Etwas wei­ter gedacht: Face­book ver­wirrt nicht nur die Unter­schei­dung zwi­schen „pri­vat“ und „öffent­lich“, son­dern kann sogar dazu genutzt wer­den, durch die tei­löf­fent­li­che Insze­nie­rung von Pri­vat­heit den Anschein von Authen­ti­zi­tät zu erwe­cken. Der Poli­ti­ker, der dort über Zug­ver­spä­tun­gen redet, macht dies viel­leicht, um sei­nem Ärger dar­über, schon wie­der war­ten zu müs­sen, Luft zu machen. Viel­leicht macht er es aber auch, um ganz ande­re Din­ge zu kom­mu­ni­zie­ren (oder bewirkt dies zumin­dest zugleich) : „ich fah­re auch nur mit dem Zug“, „ich bin öko­lo­gisch“, „wir sind uns da ganz ähn­lich“, „ihr könnt an dem teil­ha­ben, was mich bewegt“. Es über­schnei­den sich bei Face­book etc. also nicht nur Nut­zungs­prak­ti­ken, die der Unter­schei­dung privat/öffentlich unter­lie­gen, son­dern auch Nut­zungs­prak­ti­ken, die der Unter­schei­dung authentisch/künstlich unterliegen. 

Wie gesagt: das ist nicht unbe­dingt etwas, was nur Face­book und ande­re sozia­le Netz­wer­ke betrifft. Auch ande­re halb-öffent­li­che Orte sind ähn­li­chen Über­schnei­dun­gen hete­ro­ge­ner Pra­xis­bün­del aus­ge­setzt. Es hilft viel­leicht, Face­book etc. dabei weni­ger als einen Ort zu betrach­ten, son­dern eher als Infra­struk­tur bzw. als Medi­um. Auch im Medi­um „E‑Mail“ oder „Brief“ kön­nen sowohl pri­va­te wie auch öffent­li­che Kom­mu­ni­ka­tio­nen statt­fin­den. Mög­li­cher­wei­se sogar in direk­te zeit­li­cher Abfol­ge zwi­schen iden­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­teil­neh­me­rIn­nen. Anders als bei die­sen Medi­en ist aber bei social net­works die fak­ti­sche und öffent­lich sicht­ba­re Inter­pe­ne­tra­ti­on unter­schied­li­cher Sti­le und Prak­ti­ken. Auch in mei­ner Mail­box mischen sich pri­va­te und öffent­li­che, authen­ti­sche und künst­lich insze­nier­te Mails. In den über­lap­pen­den Tei­löf­fent­lich­kei­ten sozia­ler Netz­wer­ke ste­hen die­se aber doch stär­ker mit­ein­an­der ver­wo­ben dar. Zum sozia­len Netz­werk kommt das Netz der Bezü­ge und Kom­men­tie­run­gen, das Quer­ver­bin­dun­gen zwi­schen unter­schied­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­prak­ti­ken herstellt.

Ver­wirr­rend wird es daher dann, wenn – und da schei­nen mir die meta­kom­mu­ni­ka­ti­ven Prak­ti­ken in social net­works noch nicht ganz aus­ge­reift – Nut­ze­rIn­nen nicht wis­sen, womit sie es zu tun haben. Wenn also die beob­ach­te­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­prak­ti­ken und die dar­an gerich­te­ten Erwar­tun­gen nicht über­ein­stim­men. Wenn die pro­fes­sio­nell-öffent­li­che Poli­ti­ke­rin­nen-Kom­mu­ni­ka­ti­on mit authen­tisch-pri­va­ten Kom­men­ta­ren ver­se­hen wird, die die Insze­nie­rung stö­ren. Oder wenn Poli­ti­ke­rIn­nen, die Face­book als tei­löf­fent­li­ches Medi­um betrach­ten, das bei­spiels­wei­se für einen Wahl­kampf genutzt wer­den kann, nach der Wahl auf­hö­ren, zu twit­tern und Face­book zu nut­zen, und die vor­her der authen­ti­schen Per­son zuge­schrie­be­ne Auf­recht­erhal­tung der Kom­mu­ni­ka­ti­on nun plötz­lich umkippt und ent­spre­chen­de Erwar­tun­gen ent­täuscht werden.

(Glei­ches gilt natür­lich eben­so, wenn nicht Poli­ti­ke­rIn­nen und der Wahl­kampf betrach­tet wer­den, son­dern bei­spiels­wei­se eben­so für Stars und für Unter­neh­men oder ande­re Orga­ni­sa­tio­nen, deren Ange­hö­ri­ge sich als pri­vat und authen­tisch insze­nie­ren – und dann eine gro­ße Erwar­tungs­ent­täu­schung pro­du­zie­ren, wenn die­se Insze­nie­rung nicht auf­recht erhal­ten wer­den kann.)

Lite­ra­tur
Goff­man, Erving (1971): Ver­hal­ten in sozia­len Situa­tio­nen. Struk­tu­ren und Regeln der Inter­ak­ti­on im öffent­li­chen Raum. Güters­loh: Bertelsmann. 

Goff­man, Erving (1998 [1969]): Wir alle spie­len Thea­ter. Die Selbst­dar­stel­lung im All­tag. Mün­chen / Zürich: Pieper. 

Schatz­ki, Theo­do­re R. (1996): Social Prac­ti­ces. A Witt­gen­stei­ni­an Approach to Human Acti­vi­ty and the Social. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press. 

Sen­nett, Richard (1996): Ver­fall und Ende des öffent­li­chen Lebens. Die Tyran­nei der Inti­mi­tät. Frank­furt am Main: Fischer.

War­um blog­ge ich das? Weil mir das heu­te mor­gen – unter der Dusche – so ein­fiel und mir dann kei­ne Ruhe gelas­sen hat.