Unsere tägliche Misstrauenskultur gib uns heute

Street pattern

Zwei auf den ers­ten Blick unzu­sam­men­hän­gen­de Beobachtungen:

1. Anfang der Woche hat­ten wir im Land­tag ein Gespräch mit Ver­tre­te­rIn­nen ver­schie­de­ner baden-würt­tem­ber­gi­scher ASten und Ana­log­mo­del­le über die Ein­füh­rung der Ver­fass­ten Stu­die­ren­den­schaft. Inhalt­lich war das durch­aus span­nend, aber dar­um geht es mir jetzt nicht – son­dern dar­um, dass zumin­dest zu Beginn der Ver­an­stal­tung ein sehr star­kes Miss­trau­en der Stu­die­ren­den­ver­tre­te­rIn­nen zu spü­ren war. Betei­li­gung, Teil­ha­be, Mit­wir­kung, eine Ein­la­dung zum Gespräch – schö­ne Wor­te, aber in Wirk­lich­keit inter­es­siert „die“ (also in dem Fall die grü­nen MdLs Salo­mon, Schmidt-Eisen­l­ohr und Lede Abal, pro­ji­ziert: die Regie­rung) doch über­haupt nicht, was wir wol­len. „Die“ machen doch eh, was sie wol­len. Das war so die Grund­stim­mung, die sich im Lauf des Gesprächs glück­li­cher­wei­se etwas ver­än­dert hat. Mal schau­en, wie die wei­te­re Zusam­men­ar­beit läuft.

2. Gera­de eben klin­gel­te es an der Haus­tür. Ein Ver­tre­ter der Tele­kom woll­te von mir (Name jedoch falsch vom Klin­gel­schild abge­le­sen) wis­sen, was für einen Ver­trag ich den habe, wie­viel ich im Monat zah­le. Die klas­si­sche Haus­tür­ge­schäfts­si­tua­ti­on. Ich hat­te kei­ne Lust und kei­ne Zeit, trotz­dem dräng­te der Tele­kom-Mann drauf. Die Lei­tun­gen sei­en hier neu gelegt wor­den, des­we­gen sei es jetzt mög­lich, zum glei­chen Preis (ich habe doch sicher die­sen und jenen Ver­trag) eine viel bes­se­re DSL-Leis­tung zu erhal­ten. Irgend­was mit Glas­fa­sern, neu­er Tech­nik. Er müs­se nur kurz eine Mes­sung vornehmen. 

Ich habe ihn abge­wim­melt – aus einem grund­sätz­li­chen Miss­trau­en her­aus. Da will mir jemand was ver­kau­fen, da muss es doch einen Haken geben. War­um machen „die“ das? Viel­leicht gibt es den Haken nicht, viel­leicht gibt es wirk­lich zum glei­chen Preis einen tech­nisch bes­se­ren Ver­trag – aber war­um muss ich das in ein paar Minu­ten an der Haus­tü­re ent­schei­den? (Call-Cen­ter – so die Ant­wort auf mei­ne Fra­ge, war­um die Tele­kom Haus­be­su­che macht und trotz­dem nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat – wür­den nicht funtionieren).

=> Bei­de Begeg­nun­gen haben eines gemein­sam: Den Ver­dacht, dass „die“ – wer auch immer das ist – eigent­lich nur ihr eige­nes Inter­es­se haben, und es, wenn sie dar­auf behar­ren, im Inter­es­se eines ande­ren zu han­deln, höchs­te Zeit ist, miss­trau­isch zu wer­den. Muss das so sein?

War­um blog­ge ich das? Weil ich das Miss­trau­en der Stu­den­ten­schaft erwar­tet habe (und unser Gespräch von Ange­sicht zu Ange­sicht aus mei­ner Sicht auch eine ver­trau­ens­bil­den­de Maß­nah­me dar­stellt – hof­fe ich jeden­falls), und weil ich mich jetzt gera­de ein biss­chen über mein eige­nes Ver­hal­ten an der Haus­tür geär­gert habe. Dahin­ter steht letzt­lich der u.a. von Luh­mann unter­such­te Pro­zess, wie in der moder­nen Gesell­schaft das auf per­sön­li­che Bekannt­schaft beru­hen­de Sozi­al­ver­trau­en durch Sys­tem­ver­trau­en (Insti­tu­tio­nen, Zer­ti­fi­ka­te, Gut­ach­ten usw.) ersetzt wur­de. Sozia­le Medi­en sind ein Stück weit eine Wie­der­her­stel­lung von Mög­lich­kei­ten, in einer mas­sen­me­dia­li­sier­ten Gesell­schaft, in der sozia­le Nähe nicht mehr mit räum­li­cher Nähe iden­tisch ist, Sozi­al­ver­trau­en her­zu­stel­len. So rich­tig funk­tio­niert das aber auch nicht immer. Miss­trau­en scheint in einer gro­ßen, anony­men, funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft eine Grund­vor­aus­set­zung zu sein – die dann aber Ver­trau­ens­bil­dun­gen immer wie­der zunich­te macht. Wie damit umgehen?

Ergän­zung: Nach einem Anruf bei der Tele­kom deu­tet eini­ges dar­auf hin, dass mein Miss­trau­en an der Haus­tür berech­tigt war – dass Tele­kom-Mit­ar­bei­te­rIn­nen an der Haus­tür nach Ver­trags­da­ten fra­gen, sei eher unüb­lich („wir haben die ja schon“); zudem mache die Tele­kom selbst kei­ne Haus­tür­ge­schäft, son­dern wenn, sei­en die­se freie Unter­neh­me­rIn­nen, die so Pro­vi­sio­nen bei Ver­trags­ver­mitt­lung abkas­sie­ren wol­len. Zudem erscheint mir nach eini­gem Nach­den­ken die Sto­ry des Ver­tre­ters noch unglaub­wür­di­ger als zuvor: Wenn die Tele­kom allen Flat­rate-DSL-Kun­den eine neue tech­ni­sche Mög­lich­keit zum glei­chen Preis ein­räu­men möch­te, kann sie das ein­fach tun – ohne Neu­ver­trä­ge und ohne „Mes­sun­gen“. Soviel also zur sozia­len Funk­ti­on von Miss­trau­en (was aber nicht an der grund­sätz­li­chen Fra­ge ändert, wie Ver­trau­en in einer sozi­al ver­netz­ten, funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft eigent­lich funk­tio­nie­ren kann und soll).

Antworten* auf das Politcamp 2011

Snapshots from #pc11 - IV
Tech­nik der Gegen­wart an his­to­ri­schem Bun­des­fuß­bo­den, Bonn

Was ist das? 200 bis 250 über­wie­gend jün­ge­re, meist männ­li­che Men­schen sit­zen im „Was­ser­werk“, dem alten Ple­nar­saal des alten Bun­des­ta­ges in Bonn, und beu­gen sich über Smart­phones, Pads und Lap­tops, wäh­rend vor­ne auf eine gro­ße Lein­wand Tweets gewor­fen wer­den. Und irgend­wel­che Leu­te lei­se über irgend­wel­che Din­ge reden. LAN-Par­ty? Nein, eher LAN-Partei. 

„Ant­wor­ten* auf das Polit­camp 2011“ weiterlesen

Neun Sätze zu Guttenbergs Rücktritt

Meet the stapler II
Höchst­stap­ler, ange­schla­gen

Karl Theo­dor Maria Niko­laus Johann Jacob Phil­ipp Franz Joseph Syl­ves­ter Frei­herr von und zu Gut­ten­berg ist jetzt end­lich, end­lich als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter* zurück­ge­tre­ten.

Ich hof­fe jetzt ers­tens, dass sei­ne selbst in der Rück­tritts­re­de zu fin­den­den Ver­su­che, das gan­ze als eine Art media­les Mob­bing dar­zu­stel­len, nicht auf frucht­ba­ren Boden fal­len. Gut­ten­berg hat sein Amt nicht des­we­gen ver­lo­ren, weil kon­ser­va­ti­ve und lin­ke Zei­tun­gen und ein paar ver­rück­te Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ihm eine klei­ne stu­den­ti­sche Betrü­ge­rei übel genom­men haben, son­dern weil er sich in Lügen und den immer stär­ker zu Tage tre­ten­den Unauf­rich­tig­kei­ten in sei­nem Lebens­lauf ver­fan­gen hat. 

Und zwei­tens fin­de ich es wich­tig, fest­zu­hal­ten, dass das Netz gro­ßen Anteil an die­sem Rück­tritt hat­te. Dass die Pla­gi­ats­pro­ble­me, die vor eini­gen Wochen von Prof. Fischer-Lesca­no öffent­lich gemacht wur­den, auf die­se Reso­nanz gesto­ßen sind, und sehr schnell deut­lich wur­de, dass es um weit mehr geht als um acht „raub­ko­pier­te“ Text­stel­len ist ein Phä­no­men, dass in die­ser Wei­se nur in einer weit­ge­hend ver­netz­ten Gesell­schaft mög­lich war. Ähn­li­ches gilt für die rasant anwach­sen­de Zahl an Unter­schrif­ten unter dem „Offe­nen Brief“ an Mer­kel (ges­tern waren es schon über 33000). Und nicht zuletzt mei­ne ich, dass Twit­ter und Face­book und ein paar Blogs ein star­kes Gegen­ge­wicht zum Ver­such der BILD dar­ge­stellt haben, Gut­ten­berg zu hal­ten. Ob es auch zu die­sem Rück­tritt gekom­men wäre, wenn FAZ und NZZ nicht sicht­lich ver­är­gert gewe­sen wären, weiss ich nicht. Ohne Inter­net – und ohne eine inzwi­schen sehr poli­ti­sche Netz­sze­ne – wäre Gut­ten­berg aber, da bin ich mir sicher, wei­ter­hin Minister.

* Bzw. genau­er, das war anfangs ein biss­chen unklar: er ist von allen poli­ti­schen Ämtern zurückgetreten.

P.S.: Wer es noch nicht kennt – mein vor zwei Wochen geschrie­be­ner lan­ger Text zur Cau­sa Guttenberg.

Der Fortschritt der SPD. Eine Exegese

Ich gebe zu: einen Moment lang war ich ziem­lich erschro­cken, als ich gele­sen habe, dass die SPD jetzt auch in Fort­schritt machen will. Erschro­cken vor allem des­we­gen, weil ich mir seit gerau­mer Zeit Gedan­ken dar­über mache, dass es doch eigent­lich drin­gend not­wen­dig wäre, mal eine grü­ne Debat­te dar­über zu initi­ie­ren, was denn nun eigent­lich unser Ver­hält­nis zum Fort­schritt sei. „Der Fort­schritt der SPD. Eine Exege­se“ weiterlesen

Jahresendzeitspolitik

New yearGegen Ende des Jah­res drängt sich alles zusam­men. Kein Wun­der also, dass sich auch poli­tisch die Ereig­nis­se in die­ser noch nicht abge­lau­fe­nen Woche vor dem vier­ten Advent zusam­men­ge­drängt haben – wer sei­nen poli­ti­schen Jah­res­rück­blick für 2010 schon geschrie­ben hat, hat jetzt ein Pro­blem. Wiki­leaks-Grün­der Assan­ge kam hin­ter Git­ter, soll­te aus­ge­lie­fert wer­den, dann doch nicht, dann gegen Kau­ti­on wie­der frei. Über­haupt: Wiki­leaks. Mal sehen, was das noch wird.

Und: BaWü-Minis­ter­prä­si­dent hat mal eben für ein paar Mil­li­ar­den und ohne vor­he­ri­ge Ein­be­zie­hung des Par­la­ments den EnBW-Anteil der EDF zurückgekauft. 

Und: Es gab ein Schnee­cha­os (auch wenn in Frei­burg davon, ganz am Rand der roten Zone, kaum etwas zu spü­ren war).

Und: Der Jugend­schutz­me­di­en­staats­ver­trag* JMSTV wur­de in einem höchst unwahr­schein­li­chen Plot in Nord­rhein-West­fa­len doch noch gekippt. Das Mus­ter „Regie­rung dafür, Oppo­si­ti­on manch­mal dage­gen“ wur­de im Land mit der Min­der­heits­re­gie­rung gebro­chen. Rela­tiv durch­sich­ti­ge par­tei­tak­ti­sche Spie­le der CDU und der FDP – bei­de hat­ten, als sie noch in der Lan­des­re­gie­rung waren, den Ver­trag ja mit­aus­ge­han­delt, und Rütt­gers hat­te ihn noch nach der Wahl unter­zeich­net – führ­ten dazu, dass die­se ihre Ableh­nung ver­kün­de­ten. So staats­tra­gend, dann doch – gegen eine Koali­ti­on aus CDU, FDP und LINKE – dem Ver­trag zuzu­stim­men, woll­te die SPD auch nicht sein, und hat, als gespal­te­ne Par­tei, die Kar­ten an die Grü­nen wei­ter­ge­ge­ben. Die sich auch in der Frak­ti­on schließ­lich zur Ableh­nung ent­schie­den haben – und damit die Bahn geöff­net haben für die ein­stim­mi­ge Ableh­nung und eine Neu­ver­hand­lung eines hof­fent­lich sinn­vol­le­ren JMSTV.

Und noch was? Die Grü­nen im Saar­land ver­hin­der­ten heu­te das Inkraft­tre­ten der schwarz-gel­ben Hartz-IV-Refor­men. Gut dar­an, dass jetzt neu ver­han­delt wer­den muss, schlecht, dass die Minier­hö­hung für die Hartz-IV-Haus­hal­te erst­mals aus­bleibt. (Übri­gens: auf mei­ne Infor­ma­ti­ons­frei­heits­mail an das Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­ri­um mit der Bit­te, die Berech­nun­gen her­aus­zu­rü­cken, habe ich bis heu­te kei­ne Ant­wort. Wäre viel­leicht mal was für Leu­te, die für inves­ti­ga­ti­ve Recher­chen bezahlt wer­den, dem hinterherzugehen). 

Und: Bei der Gele­gen­heit war dann auch zu erfah­ren, dass Minis­ter­prä­si­dent Mül­ler aus dem Saar­land im nächs­ten Jahr an das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt wech­seln wird. Noch einer der Mer­kel-Minis­ter­prä­si­den­ten, der geht. Ob das ähn­li­che Fol­gen für die Koali­ti­on haben wird wie in Ham­burg? Wenn, dann wäre es gut, das gleich zu sagen, lie­be Saargrüne.

Und: Gut­ten­berg an der Front. Ach so, die his­to­ri­sche Abschaf­fung der Wehr­pflicht, die gab’s auch noch, in die­sen Tagen. 

Und: die wich­ti­gen Din­ge, die es ange­sichts von Schnee­trei­ben und mehr oder weni­ger gro­ßen Poli­tik­skan­da­len kaum in den Medi­en­fo­kus schaf­fen. Ein Bei­spiel dafür die fast nicht vor­han­de­ne Bericht­erstat­tung zum Cas­tor-Trans­port nach Lub­min ges­tern, der trotz Win­ter­wet­ter in Meck­len­burg-Vor­pom­mern lan­ge, lan­ge auf­ge­hal­ten wur­de. Aus­nah­me: der taz-Ticker und die dar­aus resul­tie­ren­de Bericht­erstat­tung der taz.

* oder doch Jugendmedienschutzstaatsvertrag?

War­um blog­ge ich das? Um das Blog mal wie­der inhalt­lich zu fül­len. Auch wenn’s ein biß­chen eng wird, bei all dem, was da gera­de geschieht. 2010 – das Jahr, in dem Poli­tik für drei Jah­re sich ereignete?