Spiegel Online berichtet über eine aus meiner Sicht ziemlich spannende Studie: was machen Menschen, die BerufspolitikerInnen geworden sind – z.B. als Abgeordnete im Bundestag – wenn sie aus diesem Mandat ausscheiden? Der Weg zurück ins „normale Leben“ scheint in vielen Fällen eher holprig zu sein.
Götz Werner in der taz
Die taz von heute hat eine Doppelseite Interview mit Götz Werner – bei aller berechigten Kritik an dessen Populismus finde ich einige der grundsätzlichen Aussagen im Interview richtig gut.
> „Hartz IV löst nur Leid aus“ (Interview)
> Randspalte „Befürworter Grundeinkommen“
> Randspalte „Skeptiker Grundeinkommen“
Bürgerentscheid Wohnungsverkauf
Hier in Freiburg beginnt jetzt ja allmählich die heiße Phase des Wahlkampfs um den Bürgerentscheid zum geplanten Verkauf der Stadtbau. Plakate gesehen habe ich bisher von der Linken Liste (für ein Verbot des Wohnungsverkaufs) und in einer zum Teil abgestimmten Kampagne (gegen ein Verbot des Wohnungsverkaufs) vom Jungen Freiburg (klein und seltsam) sowie von CDU und Grünen. Grafisch überzeugen mich dabei die schwarz-weiß-rot gehaltenen Plakate der Linken Liste am meisten – reduzierte Typographie + Schwarz-weiß-Foto von Betroffenen oder so. Ich selbst bin noch hin und hergerissen: prinzipiell finde ich, dass Städte nicht ohne Not auf Gestaltungsspielraum verzichten sollen. Allerdings scheinen mir beide Varianten – Stadtbauverkauf ja oder nein – darauf hinauszulaufen. Im einen Fall fällt ein wichtiges Element städtischer Wohnungspolitik weg. Und dass Private das prinzipiell besser machen, sehe ich nicht.* Die Stadtbau könnte vermutlich anders aufgestellt und besser organisiert werden** – aber ob sie als ein derzeit Gewinn abwerfender Betrieb der Stadt verkauft werden muss? Und im anderen Fall droht das städtische Finanzproblem noch größer zu werden, wenn die Argumente der VerkaufsbefürworterInnen stimmen. Beides finde ich nicht gut. Glücklicherweise sind’s noch ein paar Tage bis zur Abstimmung am 12.11. – vielleicht überzeugt mich die eine oder andere Seite dann noch.
Was ich eigentlich gerne hätte, wäre ein Verkauf nur eines relativ kleinen Teils der Stadtbau (also etwa der Hälfte der Wohnungen), um so ein bißchen Geld reinzuholen, und ansonsten einen Bürgerhaushaltsprozess (z.B. so), bei dem nicht an der Einzelfrage Wohnungsbau, sondern im abgestimmten Gesamtkonzept die BewohnerInnen der Stadt darüber entscheiden, wo gespart werden soll und wo finanzielle Prioritäten gesetzt werden müssen. Ob der Erhalt städtischer Zuschüsse an Vereine da so eine gute Idee sind (die CDU nutzt das als ein Argument auf ihren Plakaten), müsste dann zum Beispiel diskutiert werden. Warum – um bei diesem Einzelbeispiel zu bleiben – nicht hier etwas machen, was im Zusammenhang mit der Studiengebührendebatte immer wieder vorgebracht wird, da aber m.E. nicht so sinnvoll ist (weil öffentliche Bildung etwas anders ist als die Unterstützung von Sportvereinen): städtische Zuschüsse umstellen von einem institutionellen Zuschuss an Vereine auf ein an Personen (möglicherweise nur bestimmte Personengruppen wie Kinder oder Menschen mit geringem Einkommen) gekoppeltes Gutscheinsystem, das bei Vereinen (das Spektrum wäre festzulegen) eingelöst werden kann und dort finanzielle Zuschüsse der Stadt bringt. Damit wäre eine sehr viel genauere und sparsamere Mittelverwendung und ‑steuerung möglich.
* Vergleiche z.B. aktuelle Meldungen im Spiegel
** P.S.: Weiß jemand eine günstige, zwei bis drei Zimmer große Erdgeschoßwohnung für junges Paar mit Kind und Katze?
Seltsamer Politikwissenschafter
Vor einiger Zeit hatte ich hier glaube ich schon mal was darüber geschrieben, dass ein Politikwissenschaftler meint, den verherrenden Einfluss von Benjamin Blümchen auf die Jugend beweisen zu können (vgl. Studie BPB). Insbesondere ging es dabei darum, dass Bürgermeister nicht als Respektspersonen dargestellt würden und NGOs zu positiv weg kämen.
Nun bin ich über eine idw-Pressemitteilung gestolpert, in der über einen Politikwissenschaftler berichtet wird, der die Einführung eines Mehrheitswahlrechts für Deutschland fordert. Das sei nicht nur stabiler, sondern auch gerechter, weil sonst „der Wahlsieger (die Partei mit den meisten Wählerstimmen) häufig nicht die Regierung stellen kann“. Nun kenne ich mich eigentlich mit Politikwissenschaften aus, finde das aber einen überaus dubiosen Gerechtigkeitsbegriff. Auch die Schlussfolgerung, dass ein solches Wahlsystem ja um eine kleine Listenwahl ergänzt werden kann, so dass die kleinen Parteien weiter im Bundestag sitzen, ohne jedoch zur Regierungsbildung gebraucht zu werden, irritiert.
Der Name des Autoren dieser Studie, Gerd Strohmeier – no jokes with names – kam mir bekannt vor, und siehe da: es ist der selbe, der auch den verherrenden Einfluss frühkindlicher Zeichentrickfilme untersuchte. Und was Google noch weiss: Strohmeier ist auch Vertrauensdozent der Ortsgruppe Passau der Hanns-Seidel-Stiftung. Die wiederum steht der CSU nahe. Ob dass etwas mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun hat, weiss ich nicht. Sie passen jedenfalls gut zusammen.
Schließlich spuckt Google auch die persönliche Vita Strohmeiers aus, und die zeigt vor allem eines: eine rasante Karriere. Der Mann ist zwei Monate jünger als ich, hat seine Dissertation („Moderne Wahlkämpfe“) innerhalb von weniger als zwei Jahren geschrieben, seine Habil („Vetospieler“) hat etwas mehr als zwei Jahre gebraucht. Magisterarbeit, Diss und Habil alle am gleichen Institut an der Universität Passau. Nebenbei hat er noch diverse Internetprojekte bei ZEIT und SPIEGEL online betreut. Das ganze wurde durch die Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt. Der neue Stern am Wissenschaftlerhimmel – oder doch eher einer, der weiss, wie mit provokanten Thesen Medienaufmerksamkeit gewonnen werden kann, ganz egal, wie gut oder schlecht diese belegt sind?
Kongresssplitter mit Sahne und Schokostreuseln
Der Zukunftskongress von Bündnis 90/Die Grünen ist vorbei, und was habe ich mitgenommen? Ein paar Impressionen.
Stimmung: der ganze Kongress fand in einer – gerade im Vergleich zu den oft sehr stressvollen Parteitagen – offenen und lockeren Stimmung statt. Das äußerte sich zum Beispiel darin, dass es kaum Sicherheitsvorkehrungen gab (die letzten Parteitagen hatten „dank“ Regierungsbeteiligung und Joschka Einlasskontrollen, Absperrungen vor der Bühne, und auch tiefe mentale Gräben zwischen z.B. den Parteivorsitzenden und den Delegierten). Das war hier ganz anders. Trotzdem wurde ernsthaft, ehrlich und engagiert diskutiert. „Harmoniesülze“ als Gegenextrem gab’s auch nur selten (ein Negativbeispiel war das Panel Bildung, s.u.).
Präsentation der Ergebnisse
auf dem Markt der Möglichkeiten
Ergebnisse: Den Hauptteil des Kongresses machten sechs Themenblöcke mit je acht bis zehn Workshops aus. Zum Abschluss am Sonntagmorgen präsentierte sich jeder dieser Themenblöcke mit einem Marktstand (von nett-bunt-handgestrickt bis last-minute-Professionalität). Da wurde schon deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, die großen Themen Ökologie, Globalisierung, Bildung, Integration, Arbeit & Soziales und Europa jeweils auf einen kleinen Nenner zu bringen. Gemacht wurde es trotzdem; und ganz am Schluss dann richtig zugespitzt: ein Satz für jeweils zweieinhalb Stunden Paralleldiskussion in vielfältigsten Workshops (manche eher mit informativem Charakter, andere richtig kontrovers). Klar, dass um diese Sätze (die taz heute druckt sie alle ab; siehe dazu auch hier) von denjenigen, die in der Nacht noch am Aufarbeiten und Vorbereiten waren intensiv gestritten wurde. Im Themenblock Arbeit & Soziales („Zukunft sozialer Teilhabe und Arbeit“), in dem auch „mein“ Workshop lag, haben wir uns letztlich auf einen Satz geeignet, der sich, wie ich finde, als Leitlinie grüner Politik in diesem Feld durchaus sehen lassen kann, auch wenn er sicher nicht alle Workshops zusammenbringt: „Befähigen statt Bevormunden: Erwerb ist nicht genug“.
Brainstorming dazu, was die
Partei zur Förderung eines
Lebensstilwandels tun kann,
im Workshop der BAG Energie
Streitkultur: War der alte grüne Begriff für die Form intensiver konstruktiver Auseinandersetzung auch mit Leuten, die ganz anders denken. Wurde hier gelebt statt eingefordert, auch wenn der Streit der Runde kritisierender Journalisten noch nicht weit genug ging.
Medienaufmerksamkeit: War da.
Harmoniesülze: Am Beispiel des Panels Bildung. Ein Mensch aus dem finnischen Zentralamt erläutert, dass das finnische Bildungssystem auf der Grundregel aufbaut, Qualität, Effizienz und Gerechtigkeit gleichzeitig optimieren zu wollen, was unter anderem heißt, darauf zu achten, dass es den Kindern auch gut geht („Wohlbefinden“) und dass die finnische Einheitsschule erst mit sieben Jahren anfängt. Ein Mensch aus dem Deutschen Institut für Wirtschaft sagt: die Wissenschaft habe festgestellt, Menschen lernen zwischen vier und fünfzehn Jahren am besten, deswegen müsse der auf Bildungserwerb ausgerichtete Kindergarten zur Pflicht gemacht werden und alle Kinder ab fünf eingeschult werden. Außerdem sei er dafür, mit der Selektion nach Hauptschule/Realschule/Gymnasium erst etwas später zu beginnen. Fazit der Grünen: Wir sind uns ja alle einig. Fand ich nicht, und hier hätte ich mir ein ausdiskutieren von Kontroversen sehr gewünscht.
Lebhafte Debatte in der
Pause im Atrium des Energieforums
Alles wie früher: Ja, insofern es darum geht, sich wieder darauf zu besinnen, dass inhaltliche Radikalität (beharrlich, nicht borniertheit!) auch eine Stärke sein kann. Wenn z.B. Reinhard Loske sich in einen Workshop zu ökologischen Lebensstilen begibt und dort durchaus dafür ist, dass Grüne das wieder zu einem Thema machen müssen. Aber auch das äußere: Ja, insofern der Inszenierungsanteils des Kongresses weniger stark zur Geltung kam als bei Parteitagen (Markt der Möglichkeiten, das durchaus nach „öko“ aussehende Essensareal draußen). ((Oder darauf hin inszeniert war, spontan und uninszeniert auszusehen)). Ja: wir sind bunt und vielfältig. Nein, weil in einem hypermodernen Glasbau getagt wurde. Nein, weil die Welt sich verändert hat, und Grüne das begriffen haben. Und nein, weil der Schatten der Regierungszeit in der einen oder anderen Ecke durchaus zu finden war.
Zukunft der Arbeit: Einer der großen Streitpunkte. Auf dem Panel zur Zukunft der Arbeit überzeugten mich Ska Keller von der FYEG und die Soziologin Jutta Allmendinger mit dem Hinweis auf flexiblere und unsichere Arbeitsverläufe als Regelfall der Arbeit der Zukunft weitaus mehr als der Herr Huber von der IG Metall, der den Kern der Arbeit weiterhin in der Industriearbeit sieht, sich für Normalarbeitsfiktionen verkämpft und auf Nachfrage „Industriearbeit“ so umdefiniert, dass damit die Verwaltungstätigkeiten in Industriebetrieben gemeint seien.
Grundeinkommen: Eng damit verbunden die Debatte ums Grundeinkommen. Was viele glaube ich noch nicht kapiert haben, sind zwei Dinge: Erstens die u.a. von Loske ins Spiel gebrachte Verknüpfung von Grundeinkommen als Existenzsicherung und nachhaltigeren Lebensstilen, die erst in dieser Verbindung für weite Bevölkerungskreise die Möglichkeit bieten, Erfüllung jenseits von Konsum zu finden. Zweitens wurde immer wieder „Ende der Arbeit + Grundeinkommen“ und „Arbeit wie bisher + neue Formen der sozialen Sicherung wie Kombilöhne und progressive Sozialabgaben“ gekoppelt. Was dabei überhaupt nicht deutlich wurde: ein Grundeinkommen muss nicht als Reaktion darauf diskutiert werden, „dass uns die Arbeit ausgeht“. Vielmehr ist es eine Möglichkeit, unterbezahlte oder nicht bezahlte Tätigkeitsfelder in Wert zu setzen (und so Arbeit zu schaffen), und zugleich in flexibleren und heterogenen Lebensläufen Phasen der Nicht-Arbeit zu überbrücken. Als Bildungsgeld, als Erziehungsgeld, oder auch für den – grade in der Zeitung zu lesenden Fall – dass zwischen Abschluss des Referendariats und Einstellung als LehrerIn in BaWü zwei Monate Arbeitslosigkeit liegen, für die Hartz-IV mit seinen komischen Vorstellungen von Förderung und Forderung eben nicht das richtige ist. Kurz gesagt: der Versuch, die Idee Grundeinkommen in alte Formen zu pressen, ist untauglich.
Zweite Runde im Workshop zur
Wissensgesellschaft
Wissensgesellschaft: Der von mir mitorganisierte Workshop zur Wissensgesellschaft war gut besucht, Katja Husen hat das ganze toll moderiert, und gelernt haben wir wohl auch einiges. Was mir letztlich dann weniger gut gefallen hat, als ich mir das gedacht habe, war die „inszenierte Kontroversität“. Der Workshop war zweigeteilt; im ersten Teil ging’s um OpenAccess und Zugang zum Wissen, im zweiten Teil um die Zukunft der Hochschule, insbesondere die Rolle der Lehre, unter dem Blickwinkel der Hochschule als Ort der Wissensproduktion. Eigentlich sollten beide Teile kontrovers angelegt sein, de facto war es – aus Zufällen der Zusagen etc. heraus – nur der erste Teil. Die Diskussion zwischen OpenAccess-Aktivist und Börsenverein war lebhaft, hat Spaß gemacht, hat aber letztlich v.a. bestätigt, was wir eh schon wussten. Der zweite Teil war für mich dafür viel spannender: sowohl Susanne Baer (Vizepräsidentin HU Berlin) als auch Sascha Spoun (Uni Lüneburg) kamen letztlich zu einer Neudefinition der Universität als Ort der Persönlichkeitsentwicklung – insofern Humboldt – aber gerade darin zugeschnitten auf die Anforderungen eines wissensgesellschaftlichen Arbeitsmarktes (insofern eben durchaus an „employability“ orientiert). Auch die beiden waren sich glücklicherweise nicht in allen Punkten einig – aber wie das diskutiert und entwickelt wurde, das fand ich überzeugend.
Sillerismus: Auffällig war die starke Präsenz unseres jüngsten Flügelnetzwerks, das sich um den Grundsatzkommissar Peter Siller scharrt. Die SilleristInnen (Eigenbezeichnung „Realismus & Substanz“) waren nicht nur in den Debatten präsent, sondern verteilten auch massiv die neuste Auflage des türkisgrünen Büchleins. Gelesen habe ich’s noch nicht, aber wahrscheinlich wird es mir damit ähnlich gehen wie mit vielen anderen Äußerungen: inhaltlich durchaus vieles, was ich auch so sehe, einiges, was ich ganz anders sehe, aber durchzogen von einer gewissen Besserwisserei und einem eigentlich nicht begründeten Anspruch auf Definitionsmacht. Im Auge behalten!
Gut: Slogan der Sparkasse, die den Kongress im Rahmen des Sponsorings mit Kaffee, Keksen und Schokolade versorgte.