Mal was anderes als immer nur Pressemitteilungsfloskeln (Update 3: Dialog)

SPD-Gene­ral­se­kre­tär Huber­tus Heil (35) nutzt Twit­ter, um sei­ne Ein­drü­cke von der Oba­ma-Nomi­nie­rung los­zu­wer­den. Das macht er seit ein paar Tagen. Ich habe ein paar Mal rein­ge­schaut (zum „fol­lo­wen“ konn­te ich mich aller­dings nicht durch­rin­gen) und mich drü­ber gefreut, dass das sehr unver­krampft pas­siert. In der deut­schen Poli­tik eine Seltenheit. 

Spie­gel Online (Cars­ten Vol­kery) ver­wech­selt den Twit­ter-Feed dage­gen mit einer Pres­se­mit­tei­lung oder einem Inter­view und mokiert sich über Locker­hei­ten. Der Arti­kel besteht selbst aller­dings zu unge­fähr 60 % aus Zita­ten aus dem Twit­ter-Feed. Im Teaser zum Arti­kel heißt es „Man­che rei­fe­re Genos­sen sind pein­lich berührt.“ – ich sehe die pein­li­che Berührt­heit eigent­lich eher bei man­chen Jour­na­lis­ten. Und schlie­ße mich Wolf­gang Lünen­bür­ger an, der das gan­ze als posi­ti­ven Schritt in Rich­tung „PR 2.0« bewertet. 

So kann Poli­tik im Netz auch aus­se­hen – wich­tig ist es dann aller­dings, die­se Ansprü­che auch über den Tag hin­aus auf­recht zu erhal­ten. Bleibt also die Fra­ge, was mit dem Twit­ter-Account hubertus_heil pas­siert, wenn der Par­tei­tag der US-Demo­kra­ten vor­bei ist – und ob der locke­re, inter­ak­ti­ve Stil auch bei­be­hal­ten wird, wenn es ans Ein­ge­mach­te geht (also z.B. beim Twit­tern von einem SPD-Par­tei­tag nach einer ver­lo­re­nen Land­tags­wahl). Ich bin gespannt.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es inter­es­sant fin­de, wie ande­re Par­tei­en mit der netz­ba­sier­ten Direkt­kom­mu­ni­ka­ti­on umge­hen. Dani­el Mou­rat­i­dis (Lan­des­vor­sit­zen­der der baden-würt­tem­ber­gi­schen) Grü­nen twit­tert z.B. neu­er­dings auch, eben­so die Par­tei selbst. Und weil ich den­ke, dass die­se ers­ten Ver­su­che mit dazu bei­tra­gen, den „Stil“ poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on im Web 2.0 zu defi­nie­ren und des­we­gen umso wich­ti­ger sind.

Update: Das The­ma scheint die Blog-Welt in Auf­ruhr zu ver­set­zen. Zurecht ver­mut­lich. Eine sehr knap­pe Zusam­men­fas­sung von allem, was dazu gesagt wer­den muss, fin­det sich bei Hen­ning (unge­fähr fünf kur­ze Sät­ze), eini­ge sehr hilf­rei­che Über­le­gun­gen bei Chris­toph Bie­ber, dem poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Inter­net-und-Poli­tik-Exper­ten: „Ja, lie­be Jour­na­lis­ten, was denn nun? Seri­ös, infor­ma­tiv und lang­wei­lig oder schnell, unfer­tig und experimentell?“

Update 2: Kur­zer Hin­weis auf die Bericht­erstat­tung in der taz, deut­lich netz­af­fi­ner und aus­ge­wo­ge­ner als SpOn.

Update 3: (29.8.2008) Heu­te mor­gen dann rich­tig über­rascht: Huber­tus Heil (SPD) und Rein­hard Büti­ko­fer (Grü­ne) twit­tern nicht nur par­al­lel aus Den­ver, son­dern reagie­ren auf­ein­an­der – Ad-Hoc-Ele­fan­ten­run­de oder so (von unten her zu lesen)…

Huber­tus Heil: @Die_Gruenen .… Es lohnt sich auch fuer uns in deutsch­land dafuer zu kaemp­fen. unge­fähr 4 Stun­den ago from Twit­ter­Ber­ry in rep­ly to Die_Gruenen 

Huber­tus Heil: @Die_Gruenen Rich­tig! in zehn jah­ren unab­haen­gi­ger (!) vom oel zu wer­den ist ein man-to-the-moon-pro­jekt.… unge­fähr 4 Stun­den ago from Twit­ter­Ber­ry in rep­ly to Die_Gruenen 

Bündnis90/Die Grü­nen: @hubertus_heil Wer das Ziel anzwei­felt, wird sich wun­dern! Das wird wie bei Ken­ne­dy und dem Flug zum Mond # Büti­ko­fer unge­fähr 4 Stun­den ago from web in rep­ly to hubertus_heil 

Huber­tus Heil: Er will die usa wirk­lich inner­halb von 10 jah­ren unab­hae­nig vom oel aus dem mitt­le­ren osten machen. Good. And good luck. Ist das moeg­lich? unge­fähr 5 Stun­den ago from TwitterBerry 

Windkraft und tote Fledermäuse (Update: BZ)

Baden-Würt­tem­berg ist in Bezug auf Wind­ener­gie sehr weit hin­ten­dran. So wur­den rund um Frei­burg gera­de ein­mal zwei Stand­or­te für Wind­kraft­an­la­gen geneh­migt – drei Räder am Schau­ins­land und vier auf dem Roß­kopf. Letz­te­re gerie­ten vor eini­gen Jah­ren hef­tig in die Debat­te, weil dort rela­tiv vie­le tote Fle­der­mäu­se gefun­den wur­den – die dann von Wind­kraft­geg­ne­rIn­nen schnell als Motiv für einen Gene­ral­ver­dacht ver­wen­det wur­den (wei­te­re: „Lärm“, „Land­schafts­ver­schan­de­lung“ und „Vogel­tod“). Ent­spre­chend genervt klingt die dama­li­ge Pres­se­mit­tei­lung des BUND; in der Pres­se ging es bis hin zum Ver­dacht, dass da jemand absicht­lich tote Fle­der­mäu­se unter die Roß­kopf-Roto­ren legt, um der Wind­kraft zu schaden. 

Wind power
Die vier Wind­rä­der auf dem Roßkopf

Jetzt gibt es eine Stu­die in einem bio­lo­gi­schen Fach­ma­ga­zin (SpOn berich­tet), der zufol­ge es weni­ger Zusam­men­stö­ße zwi­schen Rotor und Fle­der­maus sind, die die­se umbrin­gen, son­dern viel­mehr inne­re Ver­let­zun­gen auf­grund des sich am dre­hen­den Wind­rad schnell ver­än­dern­den Luft­drucks. Das klingt ziem­lich plau­si­bel – und ist inso­fern auch eine gute Nach­richt für Freun­de rege­ne­ra­ti­ver Ener­gien, als damit eine Ursa­chen­be­kämp­fung mög­lich ist. 

Statt also Wind­rä­der pau­schal zu ver­ur­tei­len, las­sen sich mit Unter­su­chun­gen wie die­ser sach­ge­rech­te Kri­te­ri­en für Stand­or­te und Ein­satz­fak­to­ren ent­wi­ckeln. Dazu muss dann aller­dings auch die – in Baden-Würt­tem­berg lei­der bis­her nicht gege­be­ne – prin­zi­pi­el­le Bereit­schaft da sein, Wind­ener­gie auch tat­säch­lich ein­zu­set­zen und zu fördern. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich es scha­de fin­de, dass ratio­na­le Argu­men­te schnell miss­braucht wer­den. Der oben ver­link­te Spie­gel-Arti­kel, in dem aus der Ursa­chen­er­klä­rung, war­um Wind­kraft­an­la­gen für Fle­der­mäu­se gefähr­lich sein kön­nen, gleich glo­ba­le Öko­sys­tem-Bedro­hun­gen her­bei­zi­tiert wer­den, ist dafür eben­so ein Bei­spiel wie das Auf­tre­ten man­cher Lob­by­is­tIn­nen für erneu­er­ba­re Ener­gien, die hin­ter jedem Gegen­ar­gu­ment gleich eine Indus­trie­ver­schwö­rung sehen. Nach­hal­tig und kon­struk­tiv ist bei­des nicht.

Update: (27.8.2008) Der Voll­stän­dig­keit hier noch der Link auf den gest­ri­gen BZ-Arti­kel, net­ter­wei­se im Voll­text auch für Nicht-Abon­nen­tIn­nen abrufbar.

Von Luxusgrün zu Notwendigkeitsgrün?

Die taz berich­tet heu­te über den schrump­fen­den Umsatz der Bio­lä­den; dabei geht es vor allem um die schon etwas älte­re Kon­ven­tio­na­li­sie­rungs­de­bat­te, also Bio­pro­duk­te im Super­markt. Inter­es­san­ter fin­de ich einen zwei­ten Aspek­ten: näm­lich den Zusam­men­hang der letz­ten „Öko-Wel­len“ mit dem wirt­schaft­li­chen Auf­schwung. Ich habe das ja die letz­ten Jah­re etwas genau­er ver­folgt, und „cool green“ eben­so wie Din­ge wie das plötz­li­che Inter­es­se Pro­mi­nen­ter für den „Life­style of Health and Sus­taina­bi­li­ty“ (LOHAS) koin­zi­die­ren durch­aus mit „kei­ne ande­re Sor­gen“. Umge­kehrt wur­de das Umwelt­the­ma Anfang der 1990er Jah­re von Platz 1 der bun­des­deut­schen Sor­gen­hit­lis­te ver­drängt. Plötz­lich ging es um sozia­le Sicher­heit, Arbeits­lo­sig­keit und der­glei­chen mehr.

Visiting "Demeterhof Hiss" – XIX
Hof­la­den – Luxusgrün?

Mit dem von eini­gen jetzt wahr­ge­nom­me­nen Rüber­schwap­pen der Rezes­si­on von den USA hier­her scheint es eine ähn­li­che Ent­wick­lung zu geben. Jeden­falls kom­men­tiert die Times „Sud­den­ly being green is not cool any­mo­re“. Kurz gesagt: das nöti­ge Geld, um sich einen grü­nen Lebens­stil leis­ten zu kön­nen und die­sen als hip zu pro­pa­gie­ren, ist (in Groß­bri­tan­ni­en) nicht mehr da, die Hype­wel­le um Luxus­grün scheint sich dem Ende zuzu­nei­gen. Die Times-Kom­men­ta­to­rin Ali­ce Thom­son sieht dar­in aber auch etwas gutes:

But para­do­xi­cal­ly, just as Bri­tain is tur­ning its back on the envi­ron­ment, the coun­try is final­ly beco­ming gree­ner. Fewer peo­p­le are moving house so they are buy­ing fewer new white goods such as washing machi­nes and fri­d­ges. They may not be queu­e­ing up for £9 orga­nic Poilâ­ne bread, but for the first time in a deca­de they are dis­car­ding less food. They buy less impul­si­ve­ly and think more careful­ly befo­re their weekly shop. Child­ren are wea­ring hand-me-down uni­forms rather than new ones made in sweatshops. 

Mich erin­nert das an die Beob­ach­tung u.a. von Sil­ke Klein­hü­ckel­kot­ten (wenn ich mich jetzt an den rich­ti­gen Text erin­ne­re), dass die in der tat­säch­li­chen Wir­kung „grüns­ten“ Milieus nicht die Post­ma­te­ria­lis­ten sind, son­dern eher rela­tiv arme, mit Spar­sam­keits­wer­ten auf­ge­wach­se­ne tra­di­tio­nel­le Milieus. Das könn­te als Gegen­pol zum Luxus­grün auch als „Not­wen­dig­keits­grün“ bezeich­net wer­den (oder auch als „unfrei­wil­li­ge Umweltschützer“).

Aller­dings hat Armut (über deren Uner­wünscht­heit geht es hier gar nicht) nicht nur öko­lo­gisch posi­ti­ve Effek­te. Neben den von Thom­son beschrie­be­nen ste­hen die feh­len­den Mög­lich­kei­ten, mit­tel­fris­tig in öko-spar­sa­me Pro­duk­te zu inves­tie­ren. Thom­son spricht von wei­ter­ge­nutz­ten Wasch­ma­schi­nen und Kühl­schrän­ken – genau die sind aber eben­so wie schlecht­ge­dämm­te Woh­nun­gen mög­li­cher­wei­se ein gro­ßes öko­lo­gi­sches Pro­blem. Und wer gezwun­gen ist, die bil­ligs­ten Nah­rungs­mit­tel zu wäh­len, schmeißt die­se zwar viel­leicht nicht weg, trägt aber trotz­dem unge­wollt zur Ver­stär­kung indus­tri­el­ler Agrar­wirt­schaf­ten und zu lan­gen Trans­port­kreis­läu­fen bei. Not­wen­dig­keits­grün muss also nicht unbe­dingt funk­tio­nie­ren. Das kann an feh­len­den idel­len Wer­ten lie­gen (Spar­sam­keit und auch das von Thom­son eben­falls ange­führ­te Bei­spiel, selbst Gemü­se anzu­bau­en, funk­tio­nie­ren nur mit ent­spre­chen­dem Wis­sen), die feh­len­den mate­ri­el­len Wer­te kön­nen zu öko­lo­gi­schen Fehl­al­lo­ka­tio­nen füh­ren, und feh­len­de Rah­men­be­din­gun­gen (Dis­coun­ter nimmt Bio wie­der aus dem Ange­bot, um nur ein Bei­spiel zu wäh­len) zei­gen die Abhän­gig­keits­struk­tu­ren deut­lich auf, unter denen Not­wen­dig­keits­grün steht. 

Damit wird auch poli­ti­scher Hand­lungs­be­darf in allen drei Berei­chen sicht­bar: in der Popu­la­ri­sie­rung der Wis­sens- und Wert­grund­la­gen eines trag­fä­hi­gen „Suf­fi­zi­enz­le­bens­stil“ (der ja – eben­so wie Sub­sis­tenz – durch­aus mit Spar­sam­keit und nicht Aske­se ver­markt­bar ist), in der Unter­stüt­zung öko­lo­gi­scher Inves­ti­to­nen bei feh­len­den Ein­kom­men (der Öko-Bonus geht in die­se Rich­tung, aber auch mobi­le Ener­gie­spar-Bera­tun­gen sozia­ler Ein­rich­tun­gen, die es neu­er­dings gibt), aber auch in der ord­nungs­po­li­ti­schen Steue­rung der Rah­men­be­din­gun­gen (d.h. letzt­lich auch: Inter­na­li­sie­rung exter­ner Kon­se­quen­zen in Preis­struk­tu­ren, auch wenn das erst mal unso­zi­al aussieht).

Soweit ein paar ers­te rohe Über­le­gun­gen zur Fra­ge, ob das Ende der LOHAS-Wel­le erreicht ist, und was danach kom­men könnte.

War­um blog­ge ich das? Mich inter­es­siert der schein­bar kon­junk­tur­ab­hän­gi­ge Zusam­men­hang von Umwelt und Milieu, aber auch die poli­ti­sche Fra­ge, wie unter wirt­schaft­lich schwie­ri­ger wer­den­den Bedin­gun­gen Nach­hal­tig­keit gestal­tet wer­den kann.

Kurz: Darf die „GALFR“ grün sein?

Moni­ka Stein und Coin­neach McCa­be agie­ren – nach­dem sie inzwi­schen aus Par­tei und Frak­ti­on aus­ge­tre­ten sind (auch die taz berich­tet zwi­schen­zeit­lich aus der angeb­li­chen „grü­nen Idyl­le“ Frei­burg) – im Gemein­de­rat als Grü­ne Alter­na­ti­ve Frei­burg. In einem Blog­ein­trag erläu­tern sie, was grün für sie heißt:

„Wir ver­ste­hen unter grü­ner Poli­tik die Ver­bin­dung von Öko­lo­gie, Selbst­be­stim­mung, leben­di­ger Demo­kra­tie und Gerech­tig­keit. Wir wol­len unse­re Mit­bür­ge­rIn­nen zu Mit­be­stim­mung und einem kri­ti­schen Bewusst­sein auf­ru­fen, Bür­ger­rech­te durch­set­zen und ein kon­struk­ti­ves demo­kra­ti­sches Mit­ein­an­der ermöglichen.“ 

Die­se Erläu­te­rung ist not­wen­dig gewor­den, weil der Kreis­vor­stand von Bünd­nis 90/Die Grü­nen des KV Frei­burg inzwi­schen öffent­lich (in der Badi­schen Zei­tung und im Grü­nen Tele­gramm) ange­kün­digt hat, über recht­li­che Schrit­te bezüg­lich der Ver­wen­dung des Labels „grün“ nachzudenken. 

Ich weiss noch nicht so genau, was ich von die­ser neus­ten Ent­wick­lung hal­te, mei­ne aber schon, dass das so ein biß­chen nach Nach­tre­ten sei­tens der Par­tei klingt. Viel­leicht wäre „grün-alter­na­tiv“ (also mit Bin­de­strich statt falsch geschrie­ben getrennt) ein Begriff, der deut­li­cher macht, dass Moni­ka und Coin­neach nicht für „bünd­nis-grün“ ste­hen, sich aber doch in die­ser poli­ti­schen Denk­tra­di­ti­on sehen.

Ideen gesucht: Infostand 2.0 (Update 5)

In den letz­ten Jahr­zehn­ten gab es für Wahl­kämp­fe zwei Haupt­spiel­fel­der: die Are­na der bun­des­wei­ten Mas­sen­me­di­en – vom Talk­show­auf­tritt bis zum Bericht über den Par­tei­tag – auf der einen Sei­te, und die Stra­ße mit Pla­ka­ten, Info­stän­den, dem Ver­tei­len von Fly­ern und Haus­be­su­chen auf der ande­ren Sei­te. Irgend­wo dazwi­schen dann noch „Hin­ter­zim­mer­ver­an­stal­tun­gen“ (also die übli­chen Podi­ums­dis­kus­sio­nen und Refe­ra­te) und neue Akti­vi­täts­for­men wie Vorwahlpartys. 

All­mäh­lich ent­de­cken die Par­tei­en (nicht zuletzt ange­sichts der Kam­pa­gnen von Howard Dean 2004 und Barack Oba­ma 2008), dass mit dem Web 2.0 die Mög­lich­keit eröff­net wur­de, einen neu­en Raum für Inter­ak­tio­nen zwi­schen Par­tei­en und Öffent­lich­keit zu nut­zen. Im Sinn von „Visi­ten­kar­ten“ oder „Schau­fens­tern“, ja selbst von „vir­tu­el­len Par­tei­zen­tra­len“ (C. Bie­ber) ist die­se Ent­de­ckung schon ein paar Jah­re alt und inzwi­schen recht gut eta­bliert (R. Kuh­len spricht von der jetzt auch schon zehn Jah­re zurück­lie­gen­den Bun­des­tags­wahl 1998 als „Mond­lan­dung des Inter­net“). Neu ist die Ent­de­ckung, dass das Inter­net eben nicht nur die Mög­lich­keit bie­tet, Infor­ma­tio­nen zu sen­den, Pro­gram­me und Kan­di­da­tIn­nen zu prä­sen­tie­ren, und auch über das Eröff­nen von Foren hin­aus­geht, son­dern tat­säch­lich einen vir­tu­el­len Raum dar­stellt, in dem Men­schen sich sowohl auf­hal­ten als auch aktiv sind. 

Blogging
Live-Blog­ging bei der baden-würt­tem­ber­gi­schen Regio­nal­kon­fe­renz um Grundeinkommen/Grundsicherung

Soweit die Vor­be­mer­kung. Was bedeu­tet es nun, das „Web 2.0“ für Wahl­kämp­fe und Par­tei­kom­mu­ni­ka­ti­on zu nut­zen? Nahe­lie­gend sind dabei zwei Din­ge: zum einen der „user gene­ra­ted con­tent“, also die akti­ve Betei­li­gung von Men­schen, und zum ande­ren die sozia­le Ver­net­zung über das Inter­net. Dabei ent­ste­hen dann Din­ge wie meinespd.net oder my.fdp als gro­ße par­tei­po­li­ti­sche Web 2.0‑Plattformen bzw. Com­mu­ni­ties, und auf einem klei­ne­ren Level par­tei­po­li­ti­sche Blogs, Pod­casts (a la Mer­kel …) und Wiki-Expe­ri­men­te (pdf).

In die­sem Rah­men bewe­gen sich auch Über­le­gun­gen, wie Bünd­nis 90/Die Grü­nen, lan­ge Zeit netz­po­li­ti­sche Vor­rei­ter und wei­ter­hin eine Par­tei mit einer sehr netz­af­fi­nen Wäh­ler­schaft, bes­ser mit dem Web 2.0 klar­kom­men kön­nen. Es gibt vie­le Blogs ein­zel­ner Leu­te und Kam­pa­gnen­blogs zu Kli­ma oder Über­wa­chung, mehr oder weni­ger alle Abge­ord­ne­ten haben ihre Web­sites, auf den Bun­des- und Lan­des­ver­bands­sei­ten sind häu­fi­ger mal Pod­casts und inter­ak­ti­ve Schnipp­sel (wie der „Grün-o-mat“) zu fin­den usw. Ab und zu wird mit die­sen oder jenen Ele­men­ten des Web‑2.0‑Portfolio expe­ri­men­tiert – die­se Expe­ri­men­te (etwa BDK inter­ak­tiv oder Wikis für Pro­gramm­bau­stei­ne) ver­schwin­den aber genau so schnell wie­der, wie sie gekom­men sind. Ein ein­heit­li­ches Kon­zept fehlt weit­ge­hend, ist in der sehr auf Auto­no­mie bedach­ten Struk­tur der Par­tei wohl auch schlecht durch­setz­bar. Eben­so gibt es bis­her nichts in Rich­tung „mein grün“ für Mit­glie­der und erst recht nicht für WählerInnen. 

2009 ste­hen nun Europa‑, BaWü-Kom­mu­nal- und Bun­des­tags­wahl an. Umso drän­gen­der wird die Fra­ge, in wel­che Rich­tung sich der „green space“ ent­wi­ckeln soll. Dabei geht es um ver­schie­de­ne Ziel­grup­pen für die Web‑2.0‑Nutzung der Par­tei; mir fal­len min­des­tens vier ein: 

  1. Grü­ne Funk­tio­nä­rIn­nen bzw. grü­ne Glie­de­run­gen, die ein­fach und schnell ins Netz wol­len (z.B. mit Word­Press). Bezo­gen auf den Kom­mu­nal­wahl­kampf heißt das bei­spiels­wei­se auch: unge­fähr 500 grü­ne und grün-nahe Lis­ten und etwa zehn­mal so vie­le Kan­di­da­tIn­nen könn­ten im Netz auf­tau­chen. Aber auch außer­halb des Wahl­kampfs soll­te der vir­tu­el­le Info­stand nicht ein­ge­klappt werden.
  2. Grü­ne Mit­glie­der und Akti­ve, die sich mit Gleich­ge­sinn­ten aus­tau­schen und kurz­schlie­ßen wol­len – neben Blogs fin­det da viel heu­te in Mai­ling­lis­ten statt, so ist’s jeden­falls im lin­ken Flügel.
  3. (Poten­zi­el­le) Wäh­le­rIn­nen, die mehr wol­len, als nur eine Hoch­glanz­web­site in die Hand gedrückt zu bekom­men, wobei das „mehr“ sowohl in Rich­tung Unter­hal­tung als auch in Rich­tung tie­fer­ge­hen­de Information/Interaktion gehen kann.
  4. Bis­her poli­tisch schlecht erreich­te „Neti­zens“, die, so die Ver­mu­tung eini­ger, eigent­lich viel mit Grün anfan­gen kön­nen müss­ten, wenn sie doch bloss mal her­schau­en würden.

Mei­ne Fra­ge an alle ist jetzt schlicht: wel­che (ziel­grup­pen­spe­zi­fi­schen) Bau­stei­ne sind not­wen­dig, um – mög­lichst jen­seits der gro­ßen Lösung – wir­kungs­voll den Info­stand 2.0 und mehr im vir­tu­el­len „green space“ auf­zu­stel­len? Oder anders gesagt: wel­che Ele­men­te wer­den (von wem) sehn­lichst herbeigewünscht?

War­um blog­ge ich das? Aus prin­zi­pi­el­lem Inter­es­se, aber auch, weil ver­schie­de­ne par­tei­in­ter­ne Ver­net­zun­gen zu die­sem The­ma exis­tie­ren, und ich mit man­chen dort vor­ge­schla­ge­nen „Hype“ und/oder Mar­ke­ting-Lösun­gen nicht so viel anfan­gen kann.

Update: Weil’s so schön passt, hier noch ein Hin­weis auf die gera­de erschie­nen Kurz­stu­die zu Poli­tik im Web 2.0 von new­thin­king (dabei geht es um die Nut­zung der exis­tie­ren­den Web 2.0‑Infrastrukturen durch Par­tei­en und PolitikerInnen).

Update 2: Spree­blick geht eben­falls auf die new­thin­king-Stu­die ein und fragt sich, wer die Web 2.0‑Lücke „schlie­ßen wird. Denn im Grun­de stellt die Abwe­sen­heit pro­fes­sio­nel­ler Poli­tik­kom­mu­ni­ka­ti­on eine Chan­ce dar. Denn wenn sich Men­schen ver­net­zen, ent­ste­hen Macht und Ein­fluss. Auch in Deutschland.“

Update 3: (4.7.2008) Viel­leicht noch eine ergän­zen­de Über­le­gung: mög­li­cher­wei­se sind klei­ne­re, spe­zia­li­sier­te­re Web 2.0‑Netzwerke für die Kom­mu­ni­ka­ti­on und Dis­kus­si­on poli­ti­sche Bot­schaf­ten inter­es­san­ter (oder zumin­dest eben­so inter­es­sant) wie die gro­ßen vier oder fünf (Face­book, Stu­diVZ, XING, …). Mir fal­len dabei einer­seits the­ma­tisch ori­en­tier­te Platt­for­men ein, also z.B. utopia.de (sie­he auch hier) mit The­men­schwer­punkt „nach­hal­tig leben“ (zu dem The­ma gibt’s natür­lich auch dut­zen­de klei­ne­re Blogs und Pro­jek­te), oder kaioo als „sozia­les“ social net­work (mehr bei Hen­ning), aber auch z.B. loka­li­sier­te Com­mu­ni­ties wie z.B. das BZ-nahe fud­der für Frei­burg (Stich­wor­te dazu hier) oder stuttgart-blog.net als Ver­net­zung der loka­len Blog-Sze­ne in Stutt­gart. Zu den Akti­vi­tä­ten loka­ler Zei­tun­gen im Netz steht pas­send heu­te was bei Spie­gel Online. Es gibt sicher noch eine gan­ze Rei­he mehr an loka­len Com­mu­ni­ties, selbst in Baden-Würt­tem­berg. Bis­her weni­ger erfolg­reich schei­nen mir dage­gen Sachen wie meinestadt.de (nur als Bei­spiel für die Klas­se von Platt­for­men genannt) zu sein, die ver­su­chen, ein glo­ba­les Sys­tem für loka­le Ange­bo­te auf­zu­bau­en. Das wächst von unten her IMHO besser.

Update 4: (6.7.2008) In der eng­lisch­spra­chi­gen Wiki­pe­dia gibt es eine lan­ge Lis­te von „social net­wor­king web­sites“. Scheint mir ganz hilfreich.

Update 5: (7.7.2008) Auch Hen­ning fragt in sei­nem Blog jetzt: „Was erwar­tet ihr von der Poli­tik im Web 2.0?“