Wieder zurück vom geheimnisvollen Camp Netzbegrünung in Berlin. Mitten in unsere Workshop-Berichte platzte die Nachricht vom SPD-Intrigenstadel. Mein erster Gedanke: da müsste ich was zu bloggen. Blödsinn. Wenn mein Blog ein klassisches Massenmedium wäre, wäre das so. Oder wenn ich Öffentlichkeitsarbeit machen würde. Aber nur, weil ein Thema politisch heiß ist, sich drauf zu stürzen? Es gibt keinen Zwang dazu, auf der vordersten Welle der Aufmerksamkeit zu surfen. Also: nichts zur SPD, zu Müntefering, Beck und Steinmeier, und erst recht keine Spekulationen darüber, ob das jetzt der Linken, der SPD, den Grünen, der FDP oder doch vor allem der Kanzlerin nützt.
Twitter, Grüne und Parteitagsinszenierungen
Bündnis 90/Die Grünen haben ja schon relativ lange einen Twitter-Account, über den bisher vor allem „Organisationsgezwitscher“ lief, was ich auch ganz okay fand. Nachdem Hubertus Heil der SPD einiges an positiver Netz-PR beschert hat, wurde daraus gestern ein Bütikofer-Account, was nicht nur positiv aufgenommen wurde. Letztlich scheint einiges dafür zu sprechen, klar zwischen persönlichen und organisationellen Accounts zu trennen (die taz macht das inzwischen auch: mit einem für Chefredakteur Peter Unfried, einem Account für Schlagzeilen und einem für Smalltalk und Gerüchte aus dem taz-Betrieb. Sinnvolle Ausdifferenzierung, also.
Beim grünen Twitter-Account ist es noch nicht so weit, derzeit wird er also von Reinhard Bütikofer aus Denver befüttert. Der hat insofern recht schnell gelernt, als jetzt nicht nur politische Kurzanalysen über den Ticker laufen, sondern auch mal ein Kommentar zur Sicherheitslage („Neue Sicherheitsmaßnahme: Alle Pins und Buttons abnehmen.“), oder auch die (so wie ich ihn kenne) bütikofer-typische Fußball-Wahrnehmung des Politischen („Clinton sehr gut im Angriff gg. McCain. Kerry noch besser: Setzt den Senator McCain gegen den Kandidaten McCain. So funktioniert’s!“). Aber dazu wollte ich jetzt eigentlich nichts schreiben, sondern auf folgenden Eintrag hinweisen:
Demokraten steigern sich jdn. Tag in Message, Inszenierung u. Stimmung. Wird mobilisieren u. die Gegner beeindrucken. Morgen mehr #Bütikofer
Nun werden die Grünen häufiger mal als die Partei bezeichnet, die im politischen Stil den amerikanischen Mobilisierungsparteien am nächsten kommt. Auch heute schon gibt es – und da ist wiederum Bütikofer nicht ganz unschuldig daran – gerne mal stark durchinszenierte Parteitage (siehe Abb.).
BDK 2005 als Beispiel für Parteitagsinszenierungen
Das geht nicht ganz soweit, dass Zwischenrufe zum Abstimmungsverfahren vorher abgesprochen werden; aber einen genauen Zeitplan im Hintergrund, eine öffentliche Botschaft, eine strategische Platzierung von Debatten und Kulisse – all das gibt es auch auf deutschen Parteitagen, und eben auch bei den Grünen. Der Preis dafür, sich als professionelle Medienpartei präsentieren zu können.
Sehr zum Ärger des Noch-Parteichefs geht das nicht immer glatt; auch das macht den Reiz der Grünen aus. (Wobei es, egal wie der Parteitag läuft, immer falsch ist: entweder gibt es eine glatte Inszenierung, und die Medien finden es langweilig, oder es gibt basisdemokratischen Ärger, und die Medien sehen nur Streit).
Ich bin jetzt gespannt, ob Reinhard Bütikofer mal wieder von den USA lernen will, und die nächste BDK – seine letzte als Parteichef – zur großen Spitzenteamkrönungsmesse wird. Seine getwitterte Begeisterung über den US-Parteitag (dessen demokratisches Gewicht eher in den Vorwahlen als in der tatsächlichen Zusammenkunft liegt) legt das irgendwie nahe.
Warum blogge ich das? Weil mich das Zusammenspiel bzw. der Widerspruch zwischen öffentlicher Inszenierung und demokratischer Partizipation spätestens sein meiner Magisterarbeit interessiert.
Mal was anderes als immer nur Pressemitteilungsfloskeln (Update 3: Dialog)
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil (35) nutzt Twitter, um seine Eindrücke von der Obama-Nominierung loszuwerden. Das macht er seit ein paar Tagen. Ich habe ein paar Mal reingeschaut (zum „followen“ konnte ich mich allerdings nicht durchringen) und mich drüber gefreut, dass das sehr unverkrampft passiert. In der deutschen Politik eine Seltenheit.
Spiegel Online (Carsten Volkery) verwechselt den Twitter-Feed dagegen mit einer Pressemitteilung oder einem Interview und mokiert sich über Lockerheiten. Der Artikel besteht selbst allerdings zu ungefähr 60 % aus Zitaten aus dem Twitter-Feed. Im Teaser zum Artikel heißt es „Manche reifere Genossen sind peinlich berührt.“ – ich sehe die peinliche Berührtheit eigentlich eher bei manchen Journalisten. Und schließe mich Wolfgang Lünenbürger an, der das ganze als positiven Schritt in Richtung „PR 2.0« bewertet.
So kann Politik im Netz auch aussehen – wichtig ist es dann allerdings, diese Ansprüche auch über den Tag hinaus aufrecht zu erhalten. Bleibt also die Frage, was mit dem Twitter-Account hubertus_heil passiert, wenn der Parteitag der US-Demokraten vorbei ist – und ob der lockere, interaktive Stil auch beibehalten wird, wenn es ans Eingemachte geht (also z.B. beim Twittern von einem SPD-Parteitag nach einer verlorenen Landtagswahl). Ich bin gespannt.
Warum blogge ich das? Weil ich es interessant finde, wie andere Parteien mit der netzbasierten Direktkommunikation umgehen. Daniel Mouratidis (Landesvorsitzender der baden-württembergischen) Grünen twittert z.B. neuerdings auch, ebenso die Partei selbst. Und weil ich denke, dass diese ersten Versuche mit dazu beitragen, den „Stil“ politischer Kommunikation im Web 2.0 zu definieren und deswegen umso wichtiger sind.
Update: Das Thema scheint die Blog-Welt in Aufruhr zu versetzen. Zurecht vermutlich. Eine sehr knappe Zusammenfassung von allem, was dazu gesagt werden muss, findet sich bei Henning (ungefähr fünf kurze Sätze), einige sehr hilfreiche Überlegungen bei Christoph Bieber, dem politikwissenschaftlichen Internet-und-Politik-Experten: „Ja, liebe Journalisten, was denn nun? Seriös, informativ und langweilig oder schnell, unfertig und experimentell?“
Update 2: Kurzer Hinweis auf die Berichterstattung in der taz, deutlich netzaffiner und ausgewogener als SpOn.
Update 3: (29.8.2008) Heute morgen dann richtig überrascht: Hubertus Heil (SPD) und Reinhard Bütikofer (Grüne) twittern nicht nur parallel aus Denver, sondern reagieren aufeinander – Ad-Hoc-Elefantenrunde oder so (von unten her zu lesen)…
Hubertus Heil: @Die_Gruenen .… Es lohnt sich auch fuer uns in deutschland dafuer zu kaempfen. ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Hubertus Heil: @Die_Gruenen Richtig! in zehn jahren unabhaengiger (!) vom oel zu werden ist ein man-to-the-moon-projekt.… ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Bündnis90/Die Grünen: @hubertus_heil Wer das Ziel anzweifelt, wird sich wundern! Das wird wie bei Kennedy und dem Flug zum Mond # Bütikofer ungefähr 4 Stunden ago from web in reply to hubertus_heil
Hubertus Heil: Er will die usa wirklich innerhalb von 10 jahren unabhaenig vom oel aus dem mittleren osten machen. Good. And good luck. Ist das moeglich? ungefähr 5 Stunden ago from TwitterBerry
Windkraft und tote Fledermäuse (Update: BZ)
Baden-Württemberg ist in Bezug auf Windenergie sehr weit hintendran. So wurden rund um Freiburg gerade einmal zwei Standorte für Windkraftanlagen genehmigt – drei Räder am Schauinsland und vier auf dem Roßkopf. Letztere gerieten vor einigen Jahren heftig in die Debatte, weil dort relativ viele tote Fledermäuse gefunden wurden – die dann von WindkraftgegnerInnen schnell als Motiv für einen Generalverdacht verwendet wurden (weitere: „Lärm“, „Landschaftsverschandelung“ und „Vogeltod“). Entsprechend genervt klingt die damalige Pressemitteilung des BUND; in der Presse ging es bis hin zum Verdacht, dass da jemand absichtlich tote Fledermäuse unter die Roßkopf-Rotoren legt, um der Windkraft zu schaden.
Die vier Windräder auf dem Roßkopf
Jetzt gibt es eine Studie in einem biologischen Fachmagazin (SpOn berichtet), der zufolge es weniger Zusammenstöße zwischen Rotor und Fledermaus sind, die diese umbringen, sondern vielmehr innere Verletzungen aufgrund des sich am drehenden Windrad schnell verändernden Luftdrucks. Das klingt ziemlich plausibel – und ist insofern auch eine gute Nachricht für Freunde regenerativer Energien, als damit eine Ursachenbekämpfung möglich ist.
Statt also Windräder pauschal zu verurteilen, lassen sich mit Untersuchungen wie dieser sachgerechte Kriterien für Standorte und Einsatzfaktoren entwickeln. Dazu muss dann allerdings auch die – in Baden-Württemberg leider bisher nicht gegebene – prinzipielle Bereitschaft da sein, Windenergie auch tatsächlich einzusetzen und zu fördern.
Warum blogge ich das? Weil ich es schade finde, dass rationale Argumente schnell missbraucht werden. Der oben verlinkte Spiegel-Artikel, in dem aus der Ursachenerklärung, warum Windkraftanlagen für Fledermäuse gefährlich sein können, gleich globale Ökosystem-Bedrohungen herbeizitiert werden, ist dafür ebenso ein Beispiel wie das Auftreten mancher LobbyistInnen für erneuerbare Energien, die hinter jedem Gegenargument gleich eine Industrieverschwörung sehen. Nachhaltig und konstruktiv ist beides nicht.
Update: (27.8.2008) Der Vollständigkeit hier noch der Link auf den gestrigen BZ-Artikel, netterweise im Volltext auch für Nicht-AbonnentInnen abrufbar.
Von Luxusgrün zu Notwendigkeitsgrün?
Die taz berichtet heute über den schrumpfenden Umsatz der Bioläden; dabei geht es vor allem um die schon etwas ältere Konventionalisierungsdebatte, also Bioprodukte im Supermarkt. Interessanter finde ich einen zweiten Aspekten: nämlich den Zusammenhang der letzten „Öko-Wellen“ mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Ich habe das ja die letzten Jahre etwas genauer verfolgt, und „cool green“ ebenso wie Dinge wie das plötzliche Interesse Prominenter für den „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS) koinzidieren durchaus mit „keine andere Sorgen“. Umgekehrt wurde das Umweltthema Anfang der 1990er Jahre von Platz 1 der bundesdeutschen Sorgenhitliste verdrängt. Plötzlich ging es um soziale Sicherheit, Arbeitslosigkeit und dergleichen mehr.
Mit dem von einigen jetzt wahrgenommenen Rüberschwappen der Rezession von den USA hierher scheint es eine ähnliche Entwicklung zu geben. Jedenfalls kommentiert die Times „Suddenly being green is not cool anymore“. Kurz gesagt: das nötige Geld, um sich einen grünen Lebensstil leisten zu können und diesen als hip zu propagieren, ist (in Großbritannien) nicht mehr da, die Hypewelle um Luxusgrün scheint sich dem Ende zuzuneigen. Die Times-Kommentatorin Alice Thomson sieht darin aber auch etwas gutes:
But paradoxically, just as Britain is turning its back on the environment, the country is finally becoming greener. Fewer people are moving house so they are buying fewer new white goods such as washing machines and fridges. They may not be queueing up for £9 organic Poilâne bread, but for the first time in a decade they are discarding less food. They buy less impulsively and think more carefully before their weekly shop. Children are wearing hand-me-down uniforms rather than new ones made in sweatshops.
Mich erinnert das an die Beobachtung u.a. von Silke Kleinhückelkotten (wenn ich mich jetzt an den richtigen Text erinnere), dass die in der tatsächlichen Wirkung „grünsten“ Milieus nicht die Postmaterialisten sind, sondern eher relativ arme, mit Sparsamkeitswerten aufgewachsene traditionelle Milieus. Das könnte als Gegenpol zum Luxusgrün auch als „Notwendigkeitsgrün“ bezeichnet werden (oder auch als „unfreiwillige Umweltschützer“).
Allerdings hat Armut (über deren Unerwünschtheit geht es hier gar nicht) nicht nur ökologisch positive Effekte. Neben den von Thomson beschriebenen stehen die fehlenden Möglichkeiten, mittelfristig in öko-sparsame Produkte zu investieren. Thomson spricht von weitergenutzten Waschmaschinen und Kühlschränken – genau die sind aber ebenso wie schlechtgedämmte Wohnungen möglicherweise ein großes ökologisches Problem. Und wer gezwungen ist, die billigsten Nahrungsmittel zu wählen, schmeißt diese zwar vielleicht nicht weg, trägt aber trotzdem ungewollt zur Verstärkung industrieller Agrarwirtschaften und zu langen Transportkreisläufen bei. Notwendigkeitsgrün muss also nicht unbedingt funktionieren. Das kann an fehlenden idellen Werten liegen (Sparsamkeit und auch das von Thomson ebenfalls angeführte Beispiel, selbst Gemüse anzubauen, funktionieren nur mit entsprechendem Wissen), die fehlenden materiellen Werte können zu ökologischen Fehlallokationen führen, und fehlende Rahmenbedingungen (Discounter nimmt Bio wieder aus dem Angebot, um nur ein Beispiel zu wählen) zeigen die Abhängigkeitsstrukturen deutlich auf, unter denen Notwendigkeitsgrün steht.
Damit wird auch politischer Handlungsbedarf in allen drei Bereichen sichtbar: in der Popularisierung der Wissens- und Wertgrundlagen eines tragfähigen „Suffizienzlebensstil“ (der ja – ebenso wie Subsistenz – durchaus mit Sparsamkeit und nicht Askese vermarktbar ist), in der Unterstützung ökologischer Investitonen bei fehlenden Einkommen (der Öko-Bonus geht in diese Richtung, aber auch mobile Energiespar-Beratungen sozialer Einrichtungen, die es neuerdings gibt), aber auch in der ordnungspolitischen Steuerung der Rahmenbedingungen (d.h. letztlich auch: Internalisierung externer Konsequenzen in Preisstrukturen, auch wenn das erst mal unsozial aussieht).
Soweit ein paar erste rohe Überlegungen zur Frage, ob das Ende der LOHAS-Welle erreicht ist, und was danach kommen könnte.
Warum blogge ich das? Mich interessiert der scheinbar konjunkturabhängige Zusammenhang von Umwelt und Milieu, aber auch die politische Frage, wie unter wirtschaftlich schwieriger werdenden Bedingungen Nachhaltigkeit gestaltet werden kann.