Geschichte wird gemacht

Der Web­auf­tritt des Mas­sen­blatts USA Today spricht davon, dass vie­le die heu­ti­ge Prä­si­dent­schafts­wahl in den USA als his­to­risch bezeich­nen wer­den, und auch der Live-Ticker der BBC ist mit „Ame­ri­ca votes in a his­to­ric elec­tion“ über­schrie­ben. Grün­de dafür gibt es genug. 

Viel­leicht gehört auch der allem Opti­mis­mus bei­gemisch­te Zwei­fel dazu. Fivethir­ty­eight berech­net die Chan­cen für einen McCain-Sieg mit 1,1 %. Eigent­lich hat Barack Oba­ma die Wahl also schon in der Tasche – trotz­dem traut nie­mand die­sem Gefühl. Red­dit ist von Wahl­auf­ru­fen über­flu­tet, die Wahl­be­tei­li­gung ist vie­ler­orts über­wäl­ti­gend hoch (wobei ange­sichts des selt­sa­men Wahl­sys­tems nicht so ganz klar ist, auf was für eine Grund­ge­samt­heit sie eigent­lich bezo­gen wird), aber dass Oba­ma tat­säch­lich gewon­nen hat, wird erst mor­gen mit­tag wirk­lich, wirk­lich sicher sein. (Und wenn nicht, dann gibt es Bür­ger­krieg?).

Familie Obama wartet auf das Wahlergebnis
Barack Oba­ma mit Fami­lie am Wahl­abend. Quel­le, Lizenz. Foto: Flickr-Account Barack Oba­ma.

Auch ich gehö­re zu denen, die bei die­ser Wahl mit­fie­bern (ob ich bis zu den ers­ten Wahl­er­geb­nis­sen wach blei­ben wer­de – mal sehen). Es sind vor allem zwei Punk­te, für die ich die Bezeich­nung his­to­risch gebrau­chen wür­de. Bei­de hän­gen mit­ein­an­der zusammen.

Zum einen ist Oba­ma objek­tiv gese­hen wohl die bes­se­re Wahl (selbst wenn er an euro­päi­schen Maß­stä­ben gemes­sen längst kei­ne Licht­ge­stalt ist). Und noch dazu eine, der vor eini­ger Zeit noch kaum jemand Chan­cen aus­ge­rech­net hät­te: die fal­sche Haut­far­be, zuviel Ernst und Intel­li­genz, teil­wei­se „libe­ra­le“ Ein­stel­lun­gen usw. Also jemand, dem ernst­haft abge­nom­men wer­den kann, sich zu über­le­gen, was für Posi­tio­nen er ver­tritt; jemand, der für Argu­men­te offen ist; jemand, der Prag­ma­tis­mus mit Über­zeu­gun­gen ver­bin­den. Soweit die Lobrede.

Zum ande­ren fin­de ich fas­zi­nie­rend, wie die Wahl­kam­pa­gne ver­lau­fen ist, und wie wohl bereits vor­han­de­ne Wech­sel­hoff­nun­gen, ein schlech­ter Gegen­kan­di­dat und der zen­tral gesteu­er­te Basis-Akti­vis­mus so zusam­men­ge­ar­bei­tet haben, das es heu­te selbst „Red­necks for Oba­ma“ und „Repu­bli­cans for Oba­ma“ gibt. Dazu gehört der geschick­te Gebrauch der klas­si­schen Mas­sen­me­di­en (das 30-Minu­ten-Info­mer­cial!) und die Fort­set­zung der Howard-Dean-Web2.0‑Grassroots-Kampagne mit dem Etat eines erfolg­rei­chen Kan­di­da­ten. In der bruch­lo­sen Ver­knüp­fung von user gene­ra­ted con­tent, mul­ti­pli­zie­ren­der Spen­den­ein­wer­bung, Frei­wil­li­gen, hun­der­ten von Medi­en­ka­nä­len und einem gran­dio­sen ground game in allen fünf­zig Staa­ten scheint nicht nur mir hier die his­to­ri­sche Beson­der­heit zu liegen. 

Da wer­den – Stich­wort „Poli­tik 2.0“ und Kam­pa­gnen­man­ge­ment in einer Balan­ce von Flex­bi­li­tät und Sta­bi­li­tät – dann auch die deut­schen Wahl­kämp­fe­rIn­nen ver­su­chen, sich eini­ges abzu­schau­en. Die Fra­ge, ob die Vor­be­din­gun­gen in Deutsch­land hier­für rich­tig sind, ist aller­dings einen eige­nen Blog-Ein­trag wert. Aber nicht jetzt.

Wenn nichts mehr schief geht, wird sich dann im Janu­ar zei­gen, wie gut das Gras­wur­zel­netz­werk von Oba­ma funk­tio­niert, wenn er Prä­si­dent gewor­den ist. Die Hoff­nun­gen sind hoch gelegt – nicht nur für den poli­ti­schen Wan­del, son­dern auch für die poli­ti­sche Ein­bin­dung der Bevöl­ke­rung, für einen ganz neu­en poli­ti­schen Stil. Auch hier­in könn­te ein lang­fris­tig wir­ken­des his­to­ri­sches Moment die­ser Wahl liegen.

War­um blog­ge ich das? Wohl vor allem aus Fas­zi­na­ti­on über die­se Kampagne.

P.S.: Mar­kus hat „Links zur US-Wahl­nacht“ gesammelt.

Update: (7.11.2008) Foto eingefügt.

Kurz: Grüne suchen ParteitagsbloggerInnen

Die Grü­nen suchen für die nächs­te Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (14.–16. Novem­ber in Erfurt) fünf Blog­ge­rIn­nen, die vom Par­tei­tag berich­ten wol­len. Gesucht sind Leu­te, die schon jetzt ein Blog betrei­ben. Grün müs­sen sie nicht sein, Viel­falt ist mög­lich. Gezahlt wird die Anrei­se und Unter­kunft, außer­dem wer­den Hin­ter­grund­ge­sprä­che orga­ni­siert. Bewer­bun­gen sind bis Ende Okto­ber möglich.

Wenn ich nicht a. schon lan­ge bei Grüns wäre und b. aus Zeit­grün­den nicht zur BDK fah­re, wür­de ich mich glatt bewerben.

Kurz: Naturrecht mal anders (Update)

Jede Men­ge Wah­len und Wahl­fol­gen – Ham­burg mit einem Koh­le­kraft­werk, Hes­sen mit dem Ver­such, das Unwahr­schein­li­che zu wagen, Bay­ern mit einer lei­der unwahr­schein­li­chen Vie­rer­ko­ali­ti­on, Öster­reich mit einem dra­ma­ti­schen Rechts­ruck, Bran­den­burg mit Sta­tis­tik­pro­ble­men, usw. 

Wären die Wah­len anders gelau­fen, wenn die Natur im Sin­ne einer Latou­ria­ni­schen poli­ti­schen Öko­lo­gie hät­te mit­stim­men dür­fen? Wer weiß. Ganz so weit geht Ecua­dor nicht, aber span­nend ist es trotz­dem, was dort gera­de geschieht. Das Natu­re-Blog „The Gre­at Bey­ond“ berich­tet, dass in einer Volks­ab­stim­mung Natur mit eige­nen Rech­ten in die Ver­fas­sung auf­ge­nom­men wurde:

Natu­re or Pacha­ma­ma [the Ande­an earth god­dess], whe­re life is repro­du­ced and exists, has the right to exist, per­sist, main­tain and rege­ne­ra­te its vital cycles, struc­tu­re, func­tions and its pro­ces­ses in evo­lu­ti­on. Every per­son, peo­p­le, com­mu­ni­ty or natio­na­li­ty, will be able to demand the reco­gni­ti­on of rights for natu­re befo­re the public bodies. 

Ich bin gespannt, wie und ob das durch­ge­setzt wird. Aber allein die Mög­lich­keit, stell­ver­tre­tend, jedoch nicht anthro­po­zen­trisch für die Natur Rech­te ein­zu­for­dern, die hier­mit ermög­licht wird, ist schon mal beach­tens­wert und öff­net Türen. Oder stellt pro­vi­so­ri­sche Sit­ze im „Par­la­ment der Din­ge“ bereit, um noch ein­mal Latour (der gera­de den Unseld-Preis bekom­men hat), heranzuziehen.

Update: (1.10.2008) Bei Tele­po­lis fin­det sich ein Über­blicks­ar­ti­kel, in dem die gesam­te neue Ver­fas­sung Ecua­dors vor­ge­stellt wird. Die oben beschrie­be­nen Rech­te wer­den aller­dings nicht erwähnt, dafür kommt „das indi­ge­ne Gesell­schafts­prin­zip auf ‚Sumak Kaw­say‘ “ vor, „was auf Quechua ‚gutes Leben‘ bedeutet“.

Kurz: Zeit wird’s

Mor­gen wird in Bay­ern gewählt. Die Tages­schau sagt: Es wird span­nend. Selbst wenn das nur heißt, dass die CSU nach eini­gen Deka­den die Allein­re­gie­rung ver­lie­ren könn­te. Jeden­falls Grund genug, kurz vor knapp noch auf Wahl­kampf­sei­te der bay­ri­schen Grü­nen hin­zu­wei­sen. Deren Wahl­kampf steht unter dem Mot­to „Zeit wird’s“ und schafft es (sehr viel bes­ser als mein eige­ner Lan­des­ver­band, muss ich lei­der sagen), Volks­tüm­lich­keit und Pro­gres­si­vi­tät zu ver­bin­den. Die Kam­pa­gne spielt auf die bay­risch-frän­ki­sche Eigen­stän­dig­keit an – und die Web­site ist „sta­te of the art“, was die Ein­bin­dung inter­ak­ti­ver Ele­men­te angeht. Das fängt beim Goog­le-Mas­hup für Kan­di­da­tIn­nen und Ter­mi­ne an, geht über die Chat­box für letz­te Fra­gen vor der Wahl bis hin zur Ein­bin­dung von Vide­os und ähn­li­chem. Netz­be­grü­nung hat da eini­ges an inter­es­san­ten Ideen realisiert.

Soll­te hier jemand aus Bay­ern mit­le­sen: heu­te noch auf gruene-bayern.de kli­cken – und am Sonn­tag zur Wahl gehen!

P.S.: Der Wahl­auf­ruf gilt natür­lich auch für Öster­reich, wo mor­genheu­te eben­falls gewählt wird.

Nachhaltiges Fliegen im administrativen Käfig

Clear cold sky I

Manch­mal gibt es selt­sa­me Zufäl­le. Ich wer­de nächs­te Woche an einem Pro­jekt­tref­fen in Schott­land teil­neh­men – „natür­lich“ ver­läuft die Rei­se dort­hin mit dem Flug­zeug (die Zug­ver­bin­dung hat a. ein Preis­pro­blem (Eurostar/Fähre), b. ein Zeit­pro­blem (Fak­tor 5 gegen­über dem Flie­gen) und c. ein Pro­blem mit dem pri­va­ti­sier­ten Eisen­bahn­netz in Großbritannien). 

Ges­tern habe ich dann über­legt, was eigent­lich die Rei­se­kos­ten­stel­le sagen wür­de, wenn ich eine Kli­ma-Ablass­zah­lung mit bei­le­gen wür­de. Mal abge­se­hen von der grund­sätz­li­chen Fra­ge, wie sinn­voll sol­che Zah­lun­gen sind. Jeden­falls wür­den für die Flug­stre­cke Frank­furt-Edin­burgh hin und zurück nach atmosfair.de etwa eine hal­be Ton­ne CO2 anfal­len, das ist etwa ein Vier­tel des „kli­ma­ve­träg­li­chen Jah­res­bud­gets eines Men­schen“. Um die­se aus­zu­glei­chen, müss­ten hier 14 Euro gezahlt wer­den, die dann von atmos­fair (oder ähn­lich bei ande­ren Ablas­s­an­bie­tern) in Kli­ma­schutz­pro­jek­te inves­tiert wür­den. Zum Ver­gleich: die Buchungs­ge­bühr des von der Uni in den offi­zi­el­len Dienst­richt­li­ni­en emp­foh­le­nen Rei­se­bü­ros beträgt 29,75 Euro.

Aller­dings bin ich dann ges­tern nicht dazu gekom­men, mal tat­säch­lich bei der Rei­se­kos­ten­stel­le nach­zu­fra­gen. Ist auch nicht not­wen­dig – den heu­te konn­te ich die Ant­wort in der Zei­tung (nur Abo) lesen. So etwas wür­de von der Uni (wie auch vom Fraun­ho­fer-Insti­tut für Sola­re Ener­gie­sys­te­me) bis­her grund­sätz­lich nicht gemacht. Die Pres­se­spre­che­rin der Uni ver­weist statt des­sen auf ande­re Nach­hal­tig­keits­pro­jek­te und die Mög­lich­keit zur Video­kon­fe­renz. Als Begrün­dung für den Ver­zicht auf Kli­ma­kom­pen­sa­tio­nen gibt sie an, dass bei Rei­se­kos­ten ganz prin­zi­pi­ell die Maxi­me gel­te, mög­lichst spar­sam und effi­zi­ent zu wirt­schaf­ten. (Anlass für den Arti­kel in der Badi­schen Zei­tung war wohl, dass die Stadt Frei­burg in Zukunft ent­spre­chen­de Ablass­zah­lun­gen vor­neh­men möch­te – und von den befrag­ten Öko-Fir­men nur das Öko-Insti­tut e.V. bis­her so handelt).

Dass das offi­zi­ell emp­foh­le­ne Rei­se­bü­ro bei wei­tem nicht der bil­ligs­te Anbie­ter für Flug­rei­sen ist, sei ein­mal dahin­ge­stellt. Wich­ti­ger an der Bemer­kung ist jedoch, dass hier die Gren­zen des Nach­hal­tig­keits­kon­zep­tes der Uni Frei­burg auf­schei­nen: solan­ge, wie etwa bei effi­zi­en­te­ren Raum­be­hei­zun­gen, Umwelt­schutz mit Ein­spa­run­gen ver­bun­den ist, wird Nach­hal­tig­keit und Umwelt­schutz groß geschrie­ben. Da, wo tat­säch­lich Inves­ti­ti­to­nen (in einem ver­gleichs­wei­se beschei­de­nen Rah­men) not­wen­dig wären, rückt dann die spar­sa­me Mit­tel­be­wirt­schaf­tung auf die ers­te Prio­ri­tät vor.

Nun könn­te der Uni zugu­te gehal­ten wer­den, dass sie natür­lich gar nicht selbst dar­über ent­schei­det, son­dern letzt­lich als öffent­li­che Ein­rich­tung an Kos­ten­er­stat­tungs­richt­li­ni­en des Lan­des und mög­li­cher­wei­se auch der Dritt­mit­tel­ge­ber gebun­den ist. Aber wo ein Wil­le ist, fin­det sich in einer Uni­ver­si­tät meist auch ein Weg.

Bleibt die Fra­ge, was ich jetzt mache? Selbst kom­pen­sie­ren? Mich drauf aus­ru­hen, dass die Uni das nicht macht (bzw. das mein nicht vor­han­de­nes Auto mit dem Flug gegen­ge­rech­net wer­den könn­te)? Vor­schlä­ge an Senat und AK Nach­hal­ti­ge Uni­ver­si­tät ein­rei­chen? Oder gar an Lan­des- und Bun­des­po­li­tik mit der Fra­ge her­an­tre­ten, ob Kli­ma­kom­pen­sa­tio­nen für Flü­ge öffent­li­cher Ein­rich­tun­gen nicht gesetzt­lich ver­pflich­tend zu machen wären?

War­um blog­ge ich das? Weil hier pri­va­te Hand­lungs­frei­heit und insti­tu­tio­nel­le Vor­ga­ben auf­ein­an­der­pral­len – und weil es mich inter­es­sie­ren wür­de, was ande­re zu den auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen mei­nen.