Vor ziemlich genau 20 Jahren fand der „Virtuelle Parteitag“ der baden-württembergischen Grünen statt. Diese Pionierleistung habe ich damals in meiner Magisterarbeit (eine Zusammenfassung findet sich hier und – ganz knapp – hier) genauer angeschaut. Was macht einen Parteitag aus? Neben der parteiengesetzlich festgeschriebenen Aufgabe der innerparteilichen Meinungsbildung (und Wahlen und Abstimmungen) gehört dazu nach innen auch etwas, was ich als „innerparteiliche Sozialisation“ beschreiben würde: das „Familientreffen“, Kontakte knüpfen, Netzwerke bilden. Und nach außen ist ein Parteitag immer auch mediales Event, eine Möglichkeit, Themen zu setzen, in der öffentlichen Wahrnehmung vorzukommen. Beides verknüpft sich, wenn Journalist*innen, die eine Partei beobachten, auf dem Parteitag direkt mit Delegierten sprechen und ein Gefühl für die Stimmung in der Mitgliedschaft entwickeln. Für Redner*innen auf der Bühne ist die Parteitagshalle Echoraum – es wird schnell klar, wo der Beifall tost und was eher auf müde Gesichter stößt. Die Partei erfährt sich selbst.
Ein Parteitag ist also eine vielschichtige Angelegenheit. Einen solchen vor 20 Jahren ins Netz zu verlegen, hieß damals in Baden-Württemberg: über mehrere Tage lang in verschiedenen Diskussionsforen inhaltlich argumentieren, um dann zu festen Zeitpunkten mit einem gesicherten Verfahren Abstimmungen unter den Delegierten durchzuführen und so am Schluss zu einer Positionierung zu kommen, damals zu Ladenöffnungszeiten. Als einer der ersten Gehversuche der Parteien im Netz war der Virtuelle Parteitag ein überregionales Medienereignis. Die Meinungsbildung erfolgte schriftlich, kein Platz für große Reden. Damit zumindest ein bisschen vom Kennenlernen der anderen Delegierten und Mitglieder übrig blieb, gab es eine „Kaffeeecke“, ein nicht thematisch festgelegtes Diskussionsforum. Das alles, wie gesagt, über einen längeren Zeitraum gestreckt, also eher asynchron, und definitiv textbasiert.
Ein paar Jahre später landete der Virtuelle Parteitag zwar in der baden-württembergischen Satzung, ein paar andere Landesverbände machten ähnliches, aber insgesamt blieb es beim einmaligen Versuch. Die Differenz zu dem, wozu Parteitage in einer Partei dienen, war dann doch zu groß. Zudem gibt es rechtliche Hürden (Wahlen sind nur in Versammlungen möglich), geheime Abstimmungen sind kaum sicher umzusetzen, die Kosten waren ähnlich hoch wie für die Anmietung einer Halle, und die Idee, dass sich jetzt plötzlich große Teile der Mitgliederschaft beteiligen, erfüllte sich auch nicht – ein großer Anteil der Beiträge kam von wenigen „Powerusern“. Über das Geschlechterverhältnis will ich jetzt gar nicht reden.
Kurzum: bis vor kurzen hätte ich gesagt, dass es sich nicht lohnt, das Format Parteitag im Netz nachzubauen.