Unsortiertes zu den Grenzen des (politisch) Gestaltbaren

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Es ist gera­de­zu das Wesen des Poli­ti­schen, dass poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen (for­mal: Beschlüs­se eines Par­la­ments) Kon­se­quen­zen für den All­tag von Men­schen haben. Oder, um es im wut­schnau­ben­den Ton­fall der FDP zu sagen: dass poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen die Frei­heit des Ein­zel­nen ein­schrän­ken. (Und damit mög­li­cher­wei­se die Frei­heit vie­ler erhö­hen, aber das wäre jetzt eine ande­re Debatte.)

Es mag Geset­ze geben, viel­leicht ist es sogar die Mehr­zahl aller Geset­ze, die für die Mehr­zahl der Men­schen kon­se­quenz­los blei­ben. Die viel­leicht nur den All­tag einer klei­nen Grup­pe betref­fen. Die Tages­ord­nun­gen des Bun­des­rats sind hier exem­pla­risch. Das „Gesetz zur För­de­rung der Sicher­stel­lung des Not­diens­tes von Apo­the­ken“, das „Gesetz zur För­de­rung des elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehrs mit den Gerich­ten“ oder das „Gesetz zur Ände­rung des Abkom­mens vom 20. März 1995 zwi­schen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der Repu­blik Polen über die Erhal­tung der Grenz­brü­cken im Zuge der deut­schen Bun­des­fern­stra­ßen und der pol­ni­schen Lan­des­stra­ßen an der deutsch-pol­ni­schen Gren­ze“ sind alles Geset­ze, die dich und mich erst ein­mal nicht betref­fen. Sofern wir nicht gera­de eine Apo­the­ke betrei­ben, auf den Not­dienst einer Apo­the­ke ange­wie­sen sind, zwi­schen Gerich­ten kom­mu­ni­zie­ren oder über Grenz­brü­cken zwi­schen Polen und Deutsch­land fah­ren. Oder Güter kon­su­mie­ren, die über Grenz­brü­cken zwi­schen Polen und Deutsch­land trans­por­tiert wurden.

Was ich sagen will: Das Wesen der Poli­tik besteht dar­in, mehr oder weni­ger direkt in den indi­vi­du­el­len All­tag ein­zu­grei­fen. Regeln für bestimm­te Hand­lun­gen auf­zu­stel­len. Hand­lun­gen zu ermög­li­chen. Sie zu för­dern. Sie zu erschwe­ren oder zu ver­bie­ten. Blu­mig gesagt: das Zusam­men­le­ben zu gestalten.

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Kontrollverlust paradox

Heu­te mor­gen oder so habe ich mich noch dar­über gewun­dert, war­um Micha­el See­mann aka mspro in sei­nem FAZ-Blog „Ctrl-Ver­lust“ jetzt anfängt, gegen all sei­nen Prin­zi­pi­en Fan­boy­hype um die neus­te Ver­si­on des Mobil­te­le­fons der Fa. Apple zu machen. 

Jetzt ist der Arti­kel weg – aber nicht nur das, auch das gan­ze Blog fehlt. Das ist 1. bedau­er­lich, lässt sich 2. in Rich­tung „FAZ und das Netz – wie es wirk­lich war“ dis­ku­tie­ren, und stellt 3. ein extrem lehr­rei­ches Bei­spiel über das Ver­hält­nis von Infra­struk­tur, kapi­ta­lis­ti­scher „Kon­troll­macht“ und digi­ta­ler Arbeit dar.

Um das genau­er aus­zu­füh­ren, wür­de ich jetzt ger­ne noch­mal See­manns Bei­trä­ge im Blog bei der FAZ durch­blät­tern, was aber ja lei­der gera­de nicht geht (s.o.). Des­we­gen nur so viel: Para­dox ist das gan­ze, weil die Netz­in­fra­struk­tur (und sei es der Ser­ver, auf dem die Inhal­te von faz.net lie­gen, und das dar­auf lau­fen­de CMS usw.) eben nicht unkon­trol­liert vor sich hin exis­tie­ren, son­dern in har­te Kon­troll­struk­tu­ren ein­ge­bun­den sind. In Redak­ti­ons­ab­läu­fe, Ver­trags­sys­te­me, Bezah­lun­gen, Anstel­lungs­ver­hält­nis­se, orga­ni­sa­to­ri­sche Hier­ar­chie, und was sich da noch alles fin­den lässt. Klar lässt sich der Inhalt des Blogs irgend­wie rekon­stru­ie­ren – aber, wie Micha­el See­mann selbst schreibt: er weiss nicht, ob er das darf. Er weiss auch nicht, ob die FAZ ihn wei­ter bezahlt, bzw. was die­se Sper­rung finan­zi­ell für ihn letzt­lich bedeu­ten wird. 

Fazit: Wer gegen Geld bloggt, gerät damit in ein Abhän­gig­keits­ver­hält­nis, das gar nicht neu ist, son­dern seit Jahr­zehn­ten recht­lich und sozi­al gere­gelt ist. Da geht’s ums Urhe­ber­recht, um Ver­lags­ver­trä­ge, um die Arbeits­be­din­gun­gen „fes­ter Frei­er“ im Jour­na­lis­mus. Das alles bleibt beim Zei­tungs­blog­gen unsicht­bar, solan­ge die schö­ne neue Medi­en­welt glatt zu funk­tio­nie­ren scheint. Sobald das Orga­ni­sa­ti­ons­ge­fü­ge dann aber doch auf­ge­ru­fen wird, taucht die­ses Abhän­gig­keits­ver­hält­nis auf, und es stellt sich her­aus, dass das alles dann doch noch­mal eine ganz ande­re Qua­li­tät hat als z.B. mein Ver­hält­nis zu mei­nem Hos­ter. Und dass da ein mas­si­ves Maß an Macht und Kon­trol­le drin steckt.

Das soll jetzt nicht hei­ßen, dass ich es furcht­bar fän­de, wenn sich jemand fürs Blog­gen bezah­len lässt. Ich glau­be nur nicht dar­an, dass sich auf die Dau­er eine Tren­nung zwi­schen „Jour­na­lis­tIn­nen“ und „Blog­ge­rIn­nen“ auf­recht erhal­ten lässt, wenn bei­de fak­tisch Ange­stell­te (bzw. abhän­gi­gen Selbst­stän­di­gen) im Ver­hält­nis zu einem Ver­lag sind. War­um dann für die einen bestimm­te Regeln gel­ten sol­len und für die ande­ren nicht, war­um die einen die­se Frei­hei­ten und die ande­ren ande­re bekom­men: all das lässt sich glau­be ich orga­ni­sa­ti­ons­in­tern nicht wirk­lich ver­mit­teln und ver­an­kern. Damit wären wir dann bei einer Kon­ver­genz­the­se: Online­jour­na­lis­tIn­nen (bzw. Men­schen, die im Medi­um Netz pro­fes­sio­nell publi­zie­ren) und bezahl­te Blog­ge­rIn­nen nähern sich zu einem neu­en Berufs­bild an. Und der Kon­flikt FAZ vs. Micha­el See­mann ist ein Schritt auf dem Weg dahin.

Und noch etwas abs­trak­ter: Eigent­lich geht es auch dar­um, wie Arbeits­kraft in einer Form, die weder ech­te Selbst­stän­dig­keit noch ech­te abhän­gi­ge Beschäf­ti­gung ist, und die neben ihrer dis­kur­si­ven Ver­an­ke­rung im neo­li­be­ra­len Main­stream und in der digi­ta­len Bohe­me eben auch eine tech­no­lo­gi­sche Basis hat, denn (poli­tisch und recht­lich) gestal­tet wer­den kann, um hier „gute Arbeit“ zu ermöglichen. 

Wie dem auch sei: dass „Ctrl-Ver­lust“ jetzt erst­mal weg ist, fin­de ich bedau­er­lich, weil ich die dort ver­öf­fent­lich­ten Tex­te über­wie­gend anre­gend fand. Ich drü­cke See­mann auf jeden Fall mal die Dau­men, dass er da irgend­wie sinn­voll raus­kommt. Und war­te dar­auf, dass die FAZ sich erklärt.

War­um blog­ge ich das? Teils aus Soli­da­ri­tät, teils aus abs­trak­ter Neugierde.