Lesetagebuch SF und Fantasy – November 2023

Moon

Zuviel los, inso­fern bin ich im Novem­ber nur begrenzt dazu gekom­men, mich in Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy zu ver­sen­ken. Im Bewegt­bild habe ich zusam­men mit mei­nen Kin­dern die hübsch gestal­te­te, aber etwas rät­sel­haf­te zwei­te Staf­fel von Loki ange­schaut. Das Ende wirkt ziem­lich end­gül­tig – und bringt eine gan­ze Rei­he Hand­lungs­fä­den zusam­men in die Hän­de des Trickster-Gottes.

Gele­sen habe ich das Sach­buch A City on Mars (2023) von Kel­ly und Zach Wei­ners­mith. Unter­halt­sam und flap­sig geht es letzt­lich sehr über­zeu­gend dar­um, war­um es eine ziem­lich blö­de Idee ist, auf Mond oder Mars eine Stadt bau­en zu wol­len. Die Argu­men­te rei­chen von Phy­sik und Bio­lo­gie bis hin zu psy­cho­lo­gi­schen und sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Über­le­gun­gen. Das gan­ze wirkt gut und aus­führ­lich recher­chiert. Unterm Strich: die Erde als lebens­tra­gen­den Pla­ne­ten zu erhal­ten, ist um Grö­ßen­ord­nun­gen ein­fa­cher und rea­lis­ti­scher, als eine aut­ar­ke Mars-Sied­lung auf die Bei­ne zu stel­len. Soll­te Musk und ande­re Visionär*innen mal reinschauen …

Die feh­len­de Rea­li­sier­bar­keit der­ar­ti­ger Ideen soll­te aber nicht davon abhal­ten, sich davon gut unter­hal­ten zu las­sen. Das gelingt bei­spiels­wei­se mit Mur Laf­fer­tys Mid­so­lar-Mur­der-Serie, bestehend aus den bei­den Bän­den Sta­ti­on Eter­ni­ty (2022) und Cha­os Ter­mi­nal (2023). Laf­fer­tys Stil erin­nert – wenn auch etwas düs­te­rer – an Dou­glas Adams und Ter­ry Prat­chett. Mal­lo­ry Viri­di­an scheint Mor­de magisch anzu­zie­hen, und erkennt zugleich sehr schnell, wer es war und wie der Mord gesche­hen ist. Sie ver­sucht, die­ser Gabe/diesem Fluch mit allen trau­ma­ti­sie­ren­den Neben­wir­kun­gen zu ent­flie­hen und fin­det Zuflucht auf der leben­di­gen Raum­sta­ti­on Eter­ni­ty, als eine von drei Men­schen unter Außer­ir­di­schen – troll­ar­ti­gen Gneiss, Schwär­men intel­li­gen­ter Wes­pen, sym­bio­tisch leben­de Rep­ti­lo­ide usw. Doch Mal­lo­ry ent­kommt ihrem Schick­sal nicht (und im zwei­ten Band erfah­ren wir dann auch, wie­so). Hat mir gut gefal­len, auch des­we­gen, weil Laf­fer­ty sich dafür inter­es­siert, was in den Köp­fen ihrer Figu­ren vorgeht.

Außer­ir­di­sche spie­len auch eine Rol­le in Samit Basus The Jinn-Bot of Shan­ti­port (2023), aller­dings eher am Ran­de bzw. aus Frosch­per­spek­ti­ve. Das Buch hat wohl als Nach­er­zäh­lung von Alad­din und die Wun­der­lam­pe ange­fan­gen, sich davon aber weit weg bewegt. Das Set­ting Shan­ti­port, viel­leicht auf der Erde, viel­leicht auf einem ande­ren Pla­ne­ten, ruft das Gewim­mel süd­asia­ti­scher Metro­po­len – hier: Men­schen, Bots und Cyborgs – in Erin­ne­rung; gleich­zei­tig ist Shan­ti­port eine Stadt im Unter­gang. Die Geschich­te der Stadt ist mytho­lo­gi­siert und wird von den Sie­gern immer wie­der neu geschrie­ben. Quel­le der Macht der wech­seln­den Herr­schaf­ten ist der Zugriff auf weni­ge außer­ir­di­sche Techol­no­lo­gie-Ver­satz­stü­cke. In die­sem Set­ting fin­den die vage revo­lu­tio­när ein­ge­stell­ten Haupt­per­so­nen Lina und ihr Bru­der Bador, ein Kon­strukt, ein sol­ches tech­no­lo­gi­sches Frag­ment, einen Sto­ry-Bot. Was dann pas­siert, ist phan­ta­sie­voll und ent­puppt sich doch als gelun­ge­ne Aktua­li­sie­rung der Mär­chen aus 1001er Nacht.

In einer ganz ande­ren Ton­la­ge und einem ande­ren Set­ting geht es im sieb­ten Band der Mur­der­bot Dia­ries eben­falls um Bots und tech­no­lo­gi­sche Über­bleib­sel außer­ir­di­scher Kul­tu­ren. Sys­tem Col­lap­se (2023) von Mar­tha Wells folgt dem Mur­der­bot auf einen Pla­ne­ten mit einem geschei­ter­ten Kolo­ni­sie­rungs­pro­jekt – oder wur­de das bewusst in Kauf genom­men, um bil­li­ge Arbeits­kräf­te zu fin­den? Zwi­schen psy­cho­lo­gi­schen Pro­ble­men und wil­den Ver­fol­gungs­jag­den mit Hil­fe unent­schlos­se­ner KI-Sys­te­me ähnelt der Band dann doch den vor­her­ge­hen­den Fol­gen der Serie. Das ist zwar alles gut les­bar und durch die Cyborg-Per­spek­ti­ve inter­es­sant, aber trotz inter­stel­la­rer Ver­wick­lun­gen dann irgend­wie doch nicht weltbewegend.

Auch Book­shops & Bone­dust (2023), eine soeben erschie­ne­ne Pre­quel zu Tra­vis Bal­d­rees Legends & Lat­tes, ist letzt­lich sowas wie Solar­punk in einem Fan­ta­sy-Set­ting. Die Haupt­per­son Viv – eine Ork-Frau – hat gera­de als Söld­ne­rin ange­heu­ert, und fin­det sich kurz dar­auf mit einem schwer ver­letz­ten Bein in einem ver­schla­fe­nen Küs­ten­ort wie­der. In dem Buch geht’s zwar auch um bedroh­li­che Necro­man­cer, aber eigent­lich doch mehr um Zusam­men­ar­beit und das Fin­den und Wach­sen von Freund­schaf­ten. Bal­d­ree schreibt im Nach­wort, dass das sein drit­ter Ver­such war, eine Fort­set­zung zu Legends & Lat­tes zu schrei­ben (hier, sehr viel spä­ter im Leben von Viv, beglei­ten wir sie dabei, wie sie ein Cafe eröff­net) – und ja, dass es letzt­lich eine Pre­quel und kei­ne Fort­set­zung gewor­den ist, scheint mir eine gute Lösung zu sein. Auch so klingt das ers­te Drit­tel dann doch sehr nach Legends & Lat­tes und folgt ähn­li­chen Mus­tern. Nach und nach ändert sich das aber doch noch. Zusam­men mit der (anfäng­li­chen) Unzu­frie­den­heit Vivs über ihre Situa­ti­on bie­tet Book­shops & Bone­dust dann doch noch ein­mal neue Per­spek­ti­ven, die auch die fol­gen­de Geschich­te ein biss­chen in einem neu­en Licht erschei­nen lassen. 

Lesetagebuch Science Fiction und Fantasy – Mai 2023

Clouds, Freiburg-Rieselfeld

Ein schnel­ler Rück­blick auf mei­ne Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Lek­tü­re bzw. mei­nen dies­be­züg­li­chen Medi­en­kon­sum im Mai 2023. 

Auf dem Bild­schirm habe ich ein paar Seri­en ange­schaut – die drit­te Staf­fel von Picard (Prime) hat mir weit­ge­hend gut gefal­len, auch die Tat­sa­che, dass es einen umfas­sen­den Hand­lungs­bo­gen und trotz­dem in sich abge­schlos­se­ne Epi­so­den gab. Das eine oder ande­re war aller­dings ein biss­chen viel Fan­ser­vice. Mal schau­en, wie das am Schluss ange­teaser­te Spin-off des Spin-offs rund um Cap­tain Seven of Nine wer­den wird …

Die zwei­te Staf­fel von Car­ni­val Row (Prime) – die Serie spielt in einer zu Beginn der Indus­tria­li­sie­rung ste­hen­den Gesell­schaft, in der Men­schen und Fey zusam­men­le­ben – war bild­ge­wal­tig, mit der einer guten Mischung aus per­sön­li­chen Ent­wick­lungs­ge­schich­ten, poli­ti­schen Intri­gen und den gro­ßen The­men. Aller­dings war sie für mei­nen Geschmack etwas zu blu­tig und zu voll ent­täusch­ter Hoff­nun­gen; aber wie schon in der ers­ten Staf­fel: dafür mit einem durch­aus über­zeu­gen­den Ende. Eine Fort­set­zung soll es lei­der nicht geben, obwohl der Schluss dazu eigent­lich einlädt.

Unter­halt­sam, für eine mit Gothik und Außen­sei­ter­tum spie­len­de Serie teil­wei­se ein biss­chen zu über­zu­ckert emp­fand ich die Seri­en­ver­fil­mung Wed­nes­day (Net­flix), die ich mir jetzt auch mal ange­schaut habe. Und die durch­aus anschau­bar ist.

Nicht auf dem Bild­schirm, son­dern im Kino ange­guckt haben wir Guar­di­ans of the Gala­xy Vol. 3. Hübsch anzu­se­hen, mit einer ziem­lich herz­zer­rei­ßen­den Back­story für den Wasch­bä­ren Rocket, aber in der Sum­me nicht so ganz logisch. Naja, also: Unterhaltungskino.

Zu den Büchern: Ziem­lich viel Zeit ver­bracht habe ich mit At the Feet of the Sun (2022), dem zwei­ten Teil der Serie rund um Clio­pher Mdang und den Kai­ser­hof der Autorin Vic­to­ria God­dard (zum ers­ten Teil hat­te ich hier etwas geschrie­ben). Auch At the Feet of the Sun ist lang­sam erzählt und braucht sei­ne Zeit. Wäh­rend der ers­te Teil der Auf­stieg Clipher Mdangs am kai­ser­li­chen Hof als roten Faden hat­te, geht es hier um die – hm – platonische/asexuelle Lie­bes­be­zie­hung zwi­schen Mdang und dem Kai­ser, und um deren gemein­sa­me Rei­sen durch mehr oder weni­ger mythi­sche Wel­ten. Gleich­zei­tig erfah­ren wir eini­ges dar­über, wer der im ers­ten Band schein­bar unnah­ba­re Kai­ser tat­säch­lich ist, und wie Mdangs Kar­rie­re auch hät­te ver­lau­fen kön­nen. Ein gro­ßes Buch, um sich dar­in zu ver­lie­ren – geer­det durch all­täg­li­che Details und Ange­wohn­hei­ten, die zei­gen, dass auch die Held*innen gro­ßer Sagen letzt­lich nur Men­schen sind. 

Nicht zu Ende gele­sen habe ich dage­gen A Woman of the Sword (2023) von Anna Smith Spark. Nicht unbe­dingt, weil es ein schlech­tes Buch ist – die Prä­mis­se ist, dass hier epi­sche Fan­ta­sy durch die Augen ganz nor­ma­ler Men­schen dar­ge­stellt wird. Die Haupt­per­son war Sol­da­tin einer Armee, die im Auf­trag eines Herr­schers Län­der befreit und das Impe­ri­um wie­der her­ge­stellt hat. Danach hat sie sich auf einer Farm nie­der­ge­las­sen; die Bezie­hung zu ihren bei­den Kin­dern ist schwie­rig, sie fühlt sich über­for­dert von allem. Und dann kommt der Krieg zurück, mit Dra­chen und Magie. Brand­schat­zung und Flucht wer­den recht rea­lis­tisch geschil­dert – und das war dann der Punkt, wo ich das Buch zur Sei­te gelegt habe. Mir war es für die­se Zei­ten – ver­bun­den mit dem sehr nahen Blick auf den All­tag mit klei­nen Kin­dern – schlicht zu düster.

Meru (2023) von S.B. Divya spielt in einer Zukunft, in der im offe­nen Welt­all leben­de Cyborg-Kon­struk­te (Alloys) die Macht über­nom­men haben. Die Erde ist eine Art Reser­vat für nicht modi­fi­zier­te Men­schen. Ambi­tio­nen sind eine Krank­heit, die heil­bar ist. Die jun­ge Haupt­fi­gur will trotz­dem mit eini­gen Freund*innen Gro­ßes errei­chen. Die Chan­ce, das umzu­set­zen, ergibt sich, als der Pla­net Meru ent­deckt wird und sich her­aus­stellt, dass ihre Sichel­zel­len­an­ämie hier von Vor­teil sein könn­te. Zusam­men mit einer Kon­strukt-Raum­schiff-Per­son soll sie zei­gen, dass Men­schen auf einem Pla­ne­ten jen­seits der Erde über­le­ben kön­nen – ohne Ter­ra­forming, und ohne Ein­grif­fe in die Umwelt. Erst nach und nach stellt sich her­aus, dass sie nur als Spiel­ball in poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Cyborg-Kon­struk­te gese­hen wird. Aus die­sem Set­ting ent­wi­ckelt Divya eine span­nend zu lesen­de Geschich­te, die sich auch gro­ßen Fra­gen stellt. 

Blei­ben wir bei Kon­struk­ten: Mar­tha Wells Mur­der­bot Dia­ries (2017–2021) ist aus der Per­spek­ti­ve eines Kon­strukts erzählt. Ein als Waffe/Sicherheitssystem ein­ge­setz­ter Cyborg („SecU­nit“) hat das Kon­troll­mo­dul über­lis­tet und agiert jetzt frei, muss dies aller­dings geheim­hal­ten. Der „Mur­der­bot“ – so die Eigen­be­zeich­nung – ist men­schen­scheu, redet nicht ger­ne über Gefüh­le, will nicht berührt wer­den und schaut am liebs­ten, auch zur inne­ren Beru­hi­gung, his­to­ri­sche und SF-End­los­se­ri­en. Gleich­zei­tig nimmt die­se SecU­nit ihre Auf­ga­be ernst: ihre Klient*innen zu beschüt­zen. Das kann dann auch mal blu­tig wer­den. Die Klient*innen sind zu Beginn der Serie Wissenschaftler*innen, die einen Pla­ne­ten erkun­den; spä­ter wer­den sie Freund*innen des Cyborg. Die Serie beginnt im Cor­po­ra­te Rim – neo­li­be­ra­le, nur auf Pro­fit aus­ge­rich­te­te Pla­ne­ten und Raum­sta­tio­nen, die von unter­schied­li­chen Kon­zer­nen beherrscht wer­den. Men­schen und Bots sind hier Leib­ei­ge­ne. Nach und nach ler­nen wir, dass es außer­halb des Cor­po­ra­te Rim ande­re Gesell­schaf­ten gibt, die eben­falls detail­liert beschrie­ben wer­den – etwa die eher an Solar­punk erin­nern­de, uto­pisch dar­ge­stell­te Pre­ser­va­ti­on. Der sar­kas­ti­sche Ton­fall der erzäh­len­den SecU­nit (samt Neben­be­mer­kun­gen) trägt eben­so wie der schnel­le Plot dazu bei, dass es sich dann doch emp­fiehlt, gleich die gan­ze Serie zu kau­fen; lei­der ein recht teu­res Ver­gnü­gen. Ein wei­te­rer Band ist für Ende des Jah­res angekündigt.

Noch­mal Space Ope­ra, dies­mal als, hm, Komö­die: John Scal­zis The Android’s Dream (2006) hat wenig mit Phil­ip K. Dick zu tun, son­dern han­delt v.a. von unfä­hi­gen Diplomat*innen, den Com­pu­tern der Wet­ter­be­ob­ach­tung, Ali­ens, die unbe­dingt ein tief­blau­es Schaf haben wol­len, einer am unte­ren Ende der galak­ti­schen Hack­ord­nung ste­hen­den Erde und den Veteran*innen eines unnö­ti­gen Krie­ges. Schnell und teil­wei­se sehr lus­tig, teil­wei­se auch bit­ter, weil es da und dort eben nicht nur Slap­stick, son­dern gute Sati­re ist. Eher Red­shirts als Old Mans‘ War, und irgend­wie typisch Scalzi.

Charles Stross Sea­sons of Skulls (2023) ist typisch Laundry/New Manage­ment, lässt sich eben­so schlecht beschrei­ben und war mir ein biss­chen zu viel more of the same. Wer die Mischung aus Hor­ror, Pas­ti­ches zu Klas­si­kern der Welt­li­te­ra­tur (hier: Rich­tung Jane Aus­ten, wür­de ich sagen), genau­er Beob­ach­tung von Büro­kra­tie und Manage­ment und Groß­bri­tan­ni­en mag, wird hier fündig. 

Schließ­lich habe ich noch Cory Doc­to­rows Red Team Blues (2023) gele­sen, das eher ein Thriller/Krimi als Sci­ence Fic­tion ist, schnell und aktio­nen­reich, mit schar­fem Blick auf die IT-Kul­tur der ame­ri­ka­ni­schen West­küs­te, halb-lega­le Cryp­to-Geschäf­te und ähn­li­ches mehr, ver­bun­den mit einer durch­aus sym­pa­thi­schen Hauptperson.