Ein großer Nachteil an Wahlen ist der Informationsverlust, den die Stimmabgabe mit sich bringt. Der fällt mir z.B. dann ein, wenn der systemkritisch-aktivpolitikverdrossene Teil der NichtwählerInnen damit argumentiert, „der Politik“ (oder schlimmer noch: „den Politikern“) ein Signal senden zu wollen. Der Code, in dem diese Kommunikation stattfindet, ist extrem beschränkt: Wahl ja/nein, und falls ja, eben eine von fünf bis sechs realistischen und diversen unrealistischen Optionen. Ob ein „Nichtwahl“: „keine Lust, interessiert mich nicht“, „ist mir egal“, „keine der Parteien“ oder „wir brauchen dringend eine Revolution“ bedeutet, kann seriöserweise niemand wissen.
Und es sind ja nicht nur die NichtwählerInnen, die meinen, so mit „der Politik“ kommunizieren zu können. „Ich wähl euch nicht mehr“, heißt es dann am Infostand.
Ob eine Stimme ein „diesmal wähle ich doch noch einmal das kleinere Übel“ bedeutet oder „ich fiebere mit euch, damit es endlich klappt“ – das ist in der Sitzverteilung des Bundestags nicht mehr zu erkennen. Auch der Blick auf Wählerwanderungen und auf die soziodemographische Aufgliederung des Wahlergebnisses hilft hier nur begrenzt weiter. Im Erststimmenergebnis ist nicht zu erkennen, ob X viele Stimmen bekommen hat, weil sie so eine charmante Persönlichkeit hat, oder aus taktischen Erwägungen. Der „Wählerwille“ spiegelt sich selbstverständlich in den Zweitstimmergebnissen wieder – aber geht eben auch dort nicht über die Information „Partei A hat xyz Prozent der Stimmen erhalten“ hinaus.
Eine Stimme für Grün kann eine für die Energiewende sein oder für Bürgerrechte, kann eine aus der bürgerlichen Mitte sein, bei der wir trotz Angst vor dem Schattenwurf der Steuerpläne gewählt worden sind, oder eine, mit der sich die heimliche Hoffnung auf Rot-Grün-Rot und einen radikalen Wechsel verbindet. Eine Stimme, die im Vergleich zu Umfrageergebnissen oder vorherigen Wahlen fehlt, kann durch die Kampagne der letzten Tage abgeschreckt worden sein oder das Resultat konkreten politischen Handelns in den letzten Jahren.
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