Die FR entdeckt nach dem „Wir sind Papst“-Hype der BILD-Zeitung die Linke neu: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=691271
Die fetten Jahre sind vorbei: Antiglobalistas vs. Alt-68er
Wie bei jedem gutem Film lässt sich der grundlegende Plot von Die fetten Jahre sind vorbei in wenigen Sätzen zusammenfassen. Jan und Peter sind Teil der Berliner Szene und seit langem gut befreundet. Nachts machen sie „ihr Ding“, brechen als die Erziehungsberechtigten in Grunewälder Villen ein, um dort deutliche Spuren zu hinterlassen, und die Aussage: Die fetten Jahre sind vorbei, du hast zuviel Geld – mach Dir mal Sorgen! Jule zieht für ein Tagen bei den beiden ein, weil sie aus ihrer Wohnung geworfen wird – Mietrückstände und ein großer Schuldenberg, der nur wütend machen kann. Bei einem Einbruch (soviel darf verraten werden), bleibt den dreien dann nichts anderes übrig, als den überraschend auftauchenden Besitzer der Villa, Justus Hardenberg, zu entführen. Wohin jetzt? Auf der Tiroler Berghütte lernen die vier sich näher kennen.
Hans Weingartners Film sind eigentlich zwei Filme, die sich deutlich in Stil und Atmosphäre unterscheiden. Der Wendepunkt ist die Fahrt nach Tirol. Vorher ist der Film ein Film über die aktuelle antikapitalistische Szene, und hat hier ziemlich genau hingeschaut, zumindest was das Styling angeht. Sozialberichterstattung. Die Fronten zwischen Gut und Böse sind klar verteilt, Möbelrücken als revolutionärer Akt liegt nahe. Bis zur Fahrt nach Tirol ist der Film spannungsgeladen – von anfänglichen Prügeleien bei einer Demo und kurzen Blicken ins Innere der ProtagonistInnen über hautnahe Ihr-da-oben-wir-da-unten-Wut bis zu den schon erwähnten Einbrüchen. Und dazwischen bahnt sich auch noch eine Dreiecksgeschichte an. Dieser erste Teil dreht sich vielleicht um die Frage: „Ich würde gerne an was glauben und revolutionär sein, aber es gibt ja keine Jugendbewegung mehr.“
Teil II des Filmes fängt mit der ungeplanten und hilflosen Entführung an. Danach „können wir nicht mehr zurück in unser altes Leben, soviel ist klar“. Aber was tun mit dem Entführungsopfer? Dieser Teil ist langsamer, theoriegeladen. Lange Gespräche am Küchentisch, und irgendwann erzählt Hardenberg von seiner revolutionären Jugend im SDS. So interessant der Austausch über die Generationen hinweg sein kann: etwas muss passieren. In der enge der Berghütte blüht die Dreiecksgeschichte auf, bis zum sinnlosen Ende. Bei genauerem Hinsehen nicht ganz unschuldig daran: Hardenberg, habituell zur K‑Gruppen-Intrige veranlagt. Der erste Schluss des Films ist erwartbar, jedenfalls scheint es so. Doch das System wird ausgetrickst, am Ende hängt ein Zettel da – manche Menschen ändern sich nie – und wer will, kann diesen zweiten Teil des Films zusammenfassen zu „Wie kann ein Menschen mit solchen Idealen heute so ein Leben führen?“ Es bleibt uns Zuschauenden überlassen, uns für „Familie, Kinder, Schulden, Sicherheit, Arbeit, Arbeit, Arbeit, CDU“ zu entscheiden, oder für den mächtigen Vorwurf gegen die Alt-68er von den Kindern der Revolution, der der Schlusspunkt des Filmes eben auch ist.
Bei aller Schwarz-Weiss-Malerei ist es dann auch diese Unentschlossenheit, die sich bei genauerem Hinsehen durch den Film durchzieht. Die klare, moralische Botschaft: „Revolte ist richtig, die guten Ideen überleben“ steht auf der einen Seite – und der Rückschlag in Form der Aufarbeitung der näheren Vergangenheit (wie ja auch schon in der Serie an RAF-Filmen der letzten Jahre geschehen) auf der anderen. Jan, Peter und Jule tricksen, wie gesagt, das System aus. Nach dem Schluss kommt noch ein Schluss, happy Kapitalismuskritik.
Was lässt sich über diesen streckenweise dann doch theorielangen (aber in der Theorie teilweise interessanteren), streckenweisen in einfachen Klischees gehaltenen Film noch sagen? Aufgefallen ist mir der Stil: vieles wirkt improvisiert und zugleich sehr echt – von Jules kicksendem Lachen über die Abgründe der alltäglichen Revolte bis zu den Türen der linken WG. Handkamerawackeln, Brüche zwischen Dunkelheit und Licht, ganz normale Leute: all das trägt sicherlich dazu bei. Ganz aufschlussreiche wäre es vielleicht, Die fetten Jahre sind vorbei mal mit Die Träumer, dem Film über das private Leben im revolutionären 1968er-Paris parallel zu setzen. Und sich Fragen darüber zu stellen, ob hinter den vordergründigen Ähnlichkeiten von Jugendbewegung, Revolte und privatem Dreieck nicht doch selbst in diesen beiden Kunstwelten gravierende Unterschiede zwischen der Chance zu naiver Kritik damals und der vielfachen Reflexions- und Brechungsnotwendigkeit des „Revolutionären“ heute sichtbar werden.
http://www.diefettenjahre.de/ (nur mit Flash)
Nachtrag: auch in u‑asta-info #727 vom 2.12.2004, S. 7.
Altes aus Xanga, Teil IX
Saturday, March 22, 2003
20032003: Demobilder und Deutschland
20.03.03 – Kundgebung vor dem Stadttheater Freiburg
20.03.03 – Transparente und Schilder des u‑asta
Am Tag X (20.03.2003) gab es in Freiburg eine große SchülerInnendemo mittags und eine Demo am nachmittag/abend, von der die Bilder hier sind. Fotos von beiden Demos gibt es unter indymedia germany | Tag X in Freiburg – Tausende auf der Straße [Bilder] | 20.03.2003 22:24 im Netz.
Auch am 22.03. fand wieder eine große Demonstration statt (ca. 5.000) Leute. Leider habe ich davon noch keine Bilder im Netz gesehen; wenn ich welche finde, linke ich hier vielleicht auch drauf.
Bemerkenswert bei der heutigen Demo: eine kurze Unterbrechung am Siegesdenkmal und eine – ich würde sagen – Kommunikationsguerilla-Aktion, die in der Forderung endete, das Denkmal (für den deutschen Sieg über Frankreich irgendwann) innerhalb der nächsten 48 Stunden abzureißen. Da und auch an vielen anderen Stellen der Demo war eine antikapitalistische, antistaatliche Stimmung deutlich spürbare. Und auch: Rot/grün wird nicht abgenommen, dass die Friedenspolitik der letzten Wochen ernst gemeint war. Es wird nicht genug getan, eigentlich müsste jetzt der NATO-Austritt folgen.
Insbesondere aus dem Umfeld von KTS und Attac Freiburg kommt immer wieder die Forderung, die Kritik am Irak-Krieg mit einer allgemeinen Kritik an kapitalistischen Demokratien zu verbinden – die würden eben immer Kriege führen, und das sei auch ganz klar, und gar nicht innerhalb des Systems zu verhindern.
Ich weiss noch nicht so genau, was ich davon halten soll – dass kapitalistische Demokratien jedweder Art mit einem riesigen Geflecht tatsächlicher oder eingebildeter Sachzwänge einhergehen, ist mir auch klar. Auf der anderen Seite glaube ich, dass eine kapitalistische Demokratie doch irgendwie einigermaßen global verträglich, sozial, ökologisch und dauerhaft friedlich sein können müsste. Reformistischer Irrglaube, Blindheit oder eine pragmatisch überformte Hoffnung?
Friday, March 21, 2003
Theater on the news
Meine Lieblingsnewsgruppe („newsfroup“) alt.fan.douglas-adams ist zur Zeit dabei, etwas ziemlich neuartiges zu tun: anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der ersten Ausstrahlung der Radiofassung des Hitchhiker guides to the galaxy wird das Radioscript aufgeführt – und zwar im Internet-Diskussionsforum. Der Link unten verweist auf den Beginn des Threads – afda proudly presents The Hitchhikers’s Guide to the Galaxy (the newsfroup)
P.S.: Ein gänzlich damit unzusammenhängendes Thema ist natürlich der inzwischen offen ausgebrochen dritte Golfkrieg – auf den Friedensdemos gestern in Freiburg waren unglaublich viele Leute (10.000 SchülerInnen blockierten mittags die Straße, ca. 6.000 bis 8.000 Leute standen gestern abend auf dem Rotteckring und hörten sich eine etwas langwierige Kundgebung an), und ich hoffe, die vielen Proteste weltweit und auch im Netz machen den Kriegsführenden zumindest deutlich, dass weder das Völkerrecht noch die Bevölkerung dieses Planeten auf ihrer Seite sind.
Friday, March 07, 2003
Der Staat, der nie war
Eigentliches ist es eine abgrundtief traurige Geschichte, die hinter Good Bye, Lenin! steckt. Alex‘ Mutter wacht nach einem Herzinfarkt und vier Monaten aus dem Koma auf, jede Aufregung soll vermieden werden, das könnte ihrer Gesundheit schaden. Dummerweise wacht sie in aufregende Zeiten hinein auf: die letzten Monate der DDR als eigenständigem Staat, kurz vor der Wiedervereinigung. Sohn Alex beschließt, alles zu tun, um jede Aufregung zu vermeiden und holt sie aus dem Krankenhaus in ihr Schlafzimmer in der Plattenbauwohnung. Dort ist noch alles so, wie es früher mal war. „Hier hat sich ja gar nichts verändert.“
Dass das auch so bleibt, ist eine immer umfangreicher werdende Aufgabe für Alex. Krach mit seiner Schwester (liiert mit einem Burger-King-Brater) und seiner Freundin, der Krankenschwester Lara, die er am Krankenbett seiner Mutter kennengelernt hat, ist vorprogrammiert. Alex jagt nach Gurkengläsern und inszeniert FDJ-Geburtstagsständchen und Besuche der Parteileitung mit Orignal-Präsentkorb. Als seiner Mutter langweilig wird, und sie fernsehen will (den aus ihr Zimmer zu verlassen, ist ihr streng verboten) greift er auf die Unterstützung seines neuen Kollegen Dennis zurück, der sich als Filmmacher profilieren möchte. Die Aktuelle Kamera erklärt, wieso ein Coca-Cola-Transparent am Hochhaus neben an zu sehen ist.
Aber es passiert in dieser freundlichen, niemals bösartigen Komödie noch mehr. Der Westen dringt unaufhaltsam in den Alltag ein. Immer abstruser werden die Erklärungen. Aber immer mehr wird damit das durch das Fernsehen und die von Alex erfundenen Kartenhäuser vermittelte Bild der DDR zu dem eines Staates, der nie existiert hat, den sich Alex‘ Mutter aber immer gewünscht hat. Eine DDR, die auf die Eingaben ihrer BürgerInnen reagiert. Die so attraktiv ist, dass sie die Grenzen für Westler öffnet. In der Leistungsdruck und Konkurrenz draußen bleiben.
Good Bye, Lenin! überzeugt auf beiden Ebenen. Als Komödie, die nie nur auf die Lacher aus ist, und die mit ihrem Personal mitfühlt, die auch Weinen zulässt. Aber auch als leise Utopie einer DDR, wie sie vielleicht 1989 hätte entstehen können: Sozialismus mit freundlichem Antlitz. Auch im Film kommt der 3. Oktober 1990 vor. Aber zumindest für Alex‘ Mutter hat das Feuerwerk eine ganz andere Bedeutung, ein wiedervereinigtes Deutschland jenseits der kapitalistischen Zwänge. Was wäre, wenn? Auch hier sind Tränen vielleicht angebracht, wer weiß.
Nicht zuletzt sollte vielleicht erwähnt werden, dass die Bilder teilweise ziemlich grandios sind und die Stimmung der Wendezeit gut einfangen. Fasziniert – das muss ich unbedingt noch sagen – hat mich auch der Vorspann, der die schönste Animation häßlicher realsozialistischer Postkarten enthält, die ich je gesehen habe.
> GOOD BYE, LENIN! – Ein Film von Wolfgang Becker (leider etwas überfrachtet!)
Sunday, March 02, 2003
NO WAR
Wer wissen will, was ich am Samstag gemacht habe: mit vier- bis fünftausend anderen auf er Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg rumgestanden, Luftballons mit Friedenstauben zum Horizont geschickt und Leuten wie Konstantin Wecker, Franz Alt, einem Sänger aus San Francisco und einer Sängerin aus Brasilien zugehört.
Was war nett an der Demo? Doch ziemlich viele Leute, ab und zu auch mal Sonnenschein, eine bunte Mischung. Interessant: Merchandising-Stände am Rand …
Was war nicht so toll? Die geringe Präsenz von Grünen (Les Verts waren gut sichtbar mit vielen Fähnchen, aus Baden-Württemberg waren zwar auch eine ganze Menge Grüne auf der Demo, aber wer die nicht kannte, wusste das nicht. Die Tatsache, dass sich das Programm doch ziemlich in die Länge zog (ungefähr vier Schlussworte hintereinander, danach dann noch Terminhinweise). Und vielleicht auch das Missverhältnis zwischen dem eher jungen bis mittleren Durchschnittsalter der Demonstrierenden und der Demofolklore des offiziellen Programms.
Wednesday, February 19, 2003
Wie realistisch sind Science-Fiction-Filme?
Dem neuen Z‑Punkt-Newsletter habe ich den Hinweis auf den untenstehenden Link zu Josh Calders Futurist Movies Website entnommen. Und die hat es in sich – ein eindrucksvolles, interaktives Essay, in dem sich Calder mehreren Dutzend neueren und älteren Science-Fiction-Filmen annimmt (u.a. Gattaca, Fifth Element, Star Trek und Star Wars, Minority Report, Independence Day, …) und diese aus Sicht eines Zukunftsforschers bewertet: Wie wahrscheinlich ist die dort dargestellte Zukunft, wann könnte sie erwartet werden, was lässt sich über einzelne Technologien sagen, wo macht der Film Kompromisse um der Story oder der Vermarktbarkeit Willen? Einige Themen (Außerirdische, künstliche Intelligenz, Klonen) werden darüber hinaus im Rahmen eigenständiger „Notes“ diskutiert.
Wenn eine meiner Lieblingsthesen stimmt, dass Science Fiction nämlich ein Genre ist, das quasi literarische Technikfolgenabschätzung betreibt und in einer engen Wechselwirkung damit steht, was WissenschaftlerInnen für machbar halten – Wechselwirkung meint dabei: beide Richtungen! –, dann ist Calders Website eine nicht zu unterschätzende Ressource für Menschen, die privat oder beruflich Technikdiskurse untersuchen. Denn mehr noch als Science-Fiction-Romane sind Science-Fiction-Filme – mit all den daraus resultierenden Konsequenzen – in den letzten 30 Jahren im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. FuturistMovies bietet eine mit scharfem Auge vorgenommene Analyse dieses gesellschaftlichen Diskurses.
Altes aus Xanga, Teil I
Monday, April 22, 2002
Wahltag …
Wahltag, und zwar ein ganz seltsamer. Die ersten Ergebnisse kriege ich in den Radionachrichten im Zug mit – und bin ziemlich entsetzt. Der Osten wird schwarz, jedenfalls deutet ein Ergebnis, bei dem FDP, SPD und PDS jeweils etwa gleichstark abschneiden und nur die CDU deutlich besser liegt, darauf hin. Schill kommt knapp nicht rein (na, glücklicherweise), und auch wenn ich’s nicht verstehe, wundert es mich nicht, dass Bündnis 90/Die Grünen deutlich unter 5% bleiben. Soweit meine Gedanken zu Radionachricht eins. Dann kommt Radionachricht zwei: In Frankreich landet Le Pen auf Platz zwei bei der Präsidentenwahl – und lässt den Franzosen und Französinnen damit die Wahl zwischen einem Rechtskonservativen und einem Rechtsradikalen. Na prima. Irgendwie scheint mir hier ein Problem des Zwei-Gang-Wahlsystems zu liegen, vielleicht sähe das Ergebnis ganz anders aus, wenn’s ein Präferenzwahlsystem gäbe …
Leider fand der hessische Rundfunk im ICE kurz nach Frankfurt es nicht für notwendig, über baden-württembergische Oberbürgermeisterwahlergebnisse zu berichten (und die erstmal schockende Nachricht „Neue Bürgermeisterin in …“ entpuppte sich dann doch als irgendwo auf dem hessischen Land und nicht als Freiburger CDU-Kandidatin). Insofern blieb mir hier erstmal nur die Ungeduld: schließlich hatte heute ja auch Freiburg gewählt.
Kurz nach 23 Uhr bin ich dann endlich in Freiburg – und muss weiter ungeduldig bleiben, denn weder bei der Badischen Zeitung noch am Rathaus hängen Ergebnisse aus. Zuhause dann der erste Hinweis auf meinem Anrufbeantworter: Ein sensationalles Ergebnis, meint meine Mutter. Näheres hat sie dem Anrufbeantworter nicht verraten. Also ins Internet – und weder www.freiburg.de noch www.badische-zeitung.de wollen sich laden lassen, über irgendwelche bundesweiten Nachrichtenticker finde ich erstmal auch nichts, und www.gruene-freiburg.de ist noch auf dem Stand vier Tage vor der Wahl. Die informierende Rettung naht in Form einer eMail auf einer der Mailinglisten der Grünen Jugend – Dieter Salomon von den Grünen hat es nicht nur unter die ersten zwei geschafft – ich hatte ja mit sowas wie 35% für die CDU-Frau und knapp 30% für ihn gerechnet – sondern belegt mit 36% den Spitzenplatz vor Heute-Bluhm von der CDU. Zepter (SPD) ist meiner Meinung nach zurecht auf Platz drei gelandet, mit nur wenigen Prozentpunkten Vorsprung von Michael Moos – eigentlich halte ich ja nichts von Vorurteilen über blasse Bürokraten, aber hier stimmt’s einfach, und insofern geschieht’s ihm recht. Dass Michael Moos von der Linken Liste deutlich über zehn Prozent landet (und Salomon trotzdem vorne liegt!) finde ich ebenfalls gut. Alles in allem in Freiburg also ein wirklich positives Ergebnis, das jetzt nur noch einen guten zweiten Wahlgang braucht …
Dafür sieht’s außerhalb der kleinen grünen Hochburg im Süden leider doch ganz anders aus. Schade.
Sunday, April 07, 2002
Kleinräumigkeit und glückliche Zufälle
Ein Vorteil davon, in einer Stadt wie Freiburg zu wohnen, deren 200.000 EinwohnerInnen – zumindest die studentischen oder sonstwie universitären – sich in einem relativ kleinen Teil der Innenstadt bewegen, besteht darin, dass sich glückliche Zufälle häufen.
Anderswo wären oft umständliche Telekommunikationsvorgänge notwendig, um zum Beispiel Termine abzustimmen, sich über etwas auf dem Laufenden zu halten, oder um einfach nur jemand zu treffen. Natürlich ist es auch in Freiburg nicht so, dass ständig jeder jeden trifft, oder jede. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür, bei einem Gang durch die Innenstadt, in der Mensa, vor der Universitätsbibliothek oder in den Kollegiengebäuden ganz zufällig und ungeplant auf eine Person zu stoßen, die einem etwas mitzuteilen hat, oder der etwas mitzuteilen ist, liegt wohl deutlich höher als in größeren räumlichen Gebieten. Allein in den letzten Tagen ist es mir ungefähr zweimal täglich passiert, dass ich jemand zufällig getroffen habe, und dass so andersweitige Kommunikationsvorgänge ersetzt wurden.
Allerdings fehlt mir die eigene Erfahrung, um beurteilen zu können, wie weit dies mit der spezifischen räumlichen Größe und Situation in Freiburg zu tun hat. Trifft mensch sich in Berlin zufällig? Und wie sieht’s beim anderen extrem aus, dem kleinräumigen Dorf, wo solche glücklichen Zufälle noch viel alltäglicher sein müssten – oder aber vielleicht seltener vorkommen, weil es weniger Anlässe gibt, sich quer durch den öffentlichen Raum zu bewegen? Vielleicht ist das ganze aber auch nur dadurch zu erklären, dass soziale Netzwerke und die räumliche Situation zusammenfallen, dass die selben Leute, mit denen Kommunikation notwendig ist, sich relativ oft an den selben Orten aufhalten. Dann könnte diese Art glücklicher Zufälle auch in Großstädten recht häufig sein, wenn nur die Orte stimmen. Dafür spricht, das bestimmte zufällige Begegnungen mit situativen Veränderungen wegfallen oder neu hinzukommen: Nicht mehr HiWi im Institut für Soziologie zu sein, heißt auch, nicht mehr in den dortigen Flurfunk eingebunden zu sein, Neuigkeiten, Entwicklungen und Ereignisse nur noch selten und ausgewählt zu Gesicht zu bekommen, jedenfalls seltener anwesend und damit potenziell ansprechbar zu sein.
Wo derartige Begegnungen mit Bekannten nicht vorkommen, dass ist der virtuelle Raum. Treffen sind hier viel häufiger absichtlich, oder machen allein von der Begrifflichkeit her keinen Sinn. In einem durch eMail-Kommunikation konstituierten virtuellem Raum beispielsweise scheint es mir kaum möglich zu sein, von einem Treffen zu sprechen – und erst recht nicht von einem zufälligen Treffen.
Eine letzte Beobachtung: Wer sich auf zufällige Begegnungen verlassen kann, wird laxer, wenn es darum geht, Termine abzusprechen. Den oder die andere wird man ja vermutlich doch in der nächsten Zeit treffen. Wenn zu dieser Form der Zeitorganisation jedoch die Notwendigkeit der Organisation eigener Zeiten in einem virtuellen sozialen Netzwerk ohne gemeinsame räumliche Basis hinzutritt, dann ergibt sich ein Problem: Hier sind zwei unterschiedliche und nicht immer kompatible Herangehensweisen an Zeitorganisation zusammenzubringen – ein Widerspruch, der sich vielleicht letzlich nur dadurch auflösen lässt, dass der virtuelle Raum in den realen Raum mit hinausgetragen wird, über Organizer, über in Funknetze eingebundene Laptops, über die Kopplung der Verbindlichkeit der wahrscheinlichen Anwesenheit im realen Raum des daran gebundenen sozialen Netzwerks mit der Verbindlichkeit der elektronischen Erreichbarkeit des an diese gebundenen sozialen Netzwerks. Insofern stellt sich weniger die Frage danach, ob eMail und Handy die Möglichkeit zufälliger Begegnugen gefährden, sondern die Frage danach, wie diese erhalten bleiben und mit nichtlokalen sozialen Räumen integriert werden können. Oder?
Friday, April 05, 2002
Und nun?
So, einen einigermaßen ordentlich aussehenden Anbieter von WeBLOGs habe ich gefunden, registriert bin ich dort inzwischen auch, d.h. ich kann jetzt auch tatsächlich anfangen, mal was zu schreiben. Und dabei im Kopf zu behalten, dass das hier kein Tagebuch ist, sondern eher eine Kolumne. Ich werde also jetzt nichts darüber schreiben, dass meine Schwester heute Geburtstag hatte, was ich ihr geschenkt habe und dass das Wetter hier sonnig ist. Ich werde auch nichts darüber schreiben, dass ich heute meinen Arbeitsvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt hier an der Uni Freiburg unterschrieben habe (und sehr gespannt bin, wie das Projekt laufen wird). Und ich werde erst recht nichts dazu schreiben, dass meine Freundin gerade an einer Hausarbeit sitzt, was extrem zeitaufwändig und nervaufreibend ist, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann (und was dazu führt, dass ich jetzt hier vor meinem Computer sitze und auf komische Ideen komme, wie die, mal auszuprobieren, ob ein WeBlog nicht was nettes wäre). Dazu wollte ich nichts schreiben, habe es jetzt aber doch getan. Egal.
Wo ich schon mal dabei bin, nichts zu schreiben, schreibe ich einfach auch nichts dazu, dass die Weltsituation noch immer ähnlich seltsam und gefährlich aussieht wie in den letzten Tagen. Während Deutschland sich Sorgen darüber macht, ob ein zusammenbrechendes Medienoligopol den Lieblingssport Fußball mit zum Einsturz bringt, als ob es nichts wichtigeres gäbe (und als ob es nicht wichtigere Gründe gäbe, warum Medienoligopole nicht so toll sind), klingen die Nachrichten aus Israel und Palästina von Tag zu Tag deprimierender. Krieg gegen Terror funktioniert auch hier nicht. Oder nur zu gut.
So, fast fertig mit meinem ersten öffentlichen Eintrag. Was habe ich dabei gelernt? Wenn es nicht nur ranting werden soll, macht es Sinn, sich ein Thema zu setzen, und auch tatsächlich was dazu zu schreiben. Und auch wenn es rhetorisch ein feiner Trick ist, etwas zu sagen, indem gesagt wird, dass es nicht gesagt wird, so wird damit trotzdem was gesagt – eine Gratwanderung zwischen öffentlich und privat … Ich bin gespannt, was und wann ich das nächste Mal was schreibe – dann vielleicht tatsächlich auf ein Thema bezogen, und nicht einfach mal so blau vom Himmel her geredet.