Kurz: Wer hat den Kleinsten?

Heu­te kam die jähr­li­che Strom­rech­nung. Ich habe mich einer­seits ein biß­chen dar­über geär­gert, weil unser Strom­ver­brauch deut­lich gestie­gen ist – von unge­fähr 1600 kWh im Jahr auf knapp 1900 kWh. Das muss nicht unbe­dingt sein, und wir rät­seln jetzt, was schuld dar­an ist: der Kühl­schrank? Die eine oder ande­re Stand-by-Schal­tung ohne Vor­schalt­steck­do­se? Der noch immer nicht sanier­te Herd? Oder eher lebens­stil­be­ding­te Ände­run­gen – häu­fi­ge­res Arbei­ten (Com­pu­ter!) und Essen­ko­chen zu Hau­se? Die zusätz­li­che Wäsche für grö­ßer wer­den­de Kind(er)?

Ande­rer­seits sagt die Wiki­pe­dia, dass das ers­tens gar nicht Strom­ver­brauch heißt (ich blei­be wei­ter bei dem Wort), und dass es zwei­tens für Zwei-Per­so­nen-Haus­hal­te im Durch­schnitt in Deutsch­land inzwi­schen 3400 kWh und für Drei-Per­so­nen-Haus­hal­te sogar 4400 kWh sind. Zwei Erwach­se­ne und zwei klei­ne Kin­der ste­hen ver­mut­lich irgend­wo dazwi­schen – also bei einem gut dop­pelt so hohen Strom­ver­brauch wie bei uns. 

Trotz­dem kann der noch sin­ken. Mal schau­en, wie das nächs­tes Jahr aus­sieht – grö­ße­re Ein­spar­po­ten­zia­le sind lei­der alle auch mit grö­ße­ren Inves­ti­tio­nen in Haus­halts­ge­rä­te ver­bun­den. Und an alle die Fra­ge: Wer hat den Kleinsten?

Tipp: Ausstellung zu studentischen Lebenswelten im KG II (Update: Fotos auch im Internet)

Für alle Frei­bur­ge­rIn­nen inter­es­sant ist die der­zeit – noch bis 13.11. – im KG II auf­ge­häng­te Foto­aus­stel­lung „Leben­Lie­ben­Ler­nen“. Der Foto­graf Man­fred Zahn hat in Bild und Text hier die Lern­wel­ten, Stu­di­en­mo­ti­va­tio­nen und Lebens­zie­le von 33 Frei­bur­ger Stu­die­ren­den aus ganz unter­schied­li­chen Fächern und sozia­len Kon­tex­ten fest­ge­hal­ten. Sehenswert!

P.S.: Nach Ablauf der Aus­stel­lungs­zeit im KG II wan­dert die Aus­stel­lung wei­ter in die Spar­kas­sen Emmen­din­gen, Ken­zin­gen und Waldkirch.

Update: (7.11.2008) Die Fotos und Tafeln sind jetzt auch online zu betrach­ten. Wobei so eine klas­si­sche Aus­stel­lung schon ihre Vor­zü­ge hat.

Zum Überlebensminimum-Unsinn (Update 2: Hartz-IV soziologisch betrachtet)

Zwei Chem­nit­zer Öko­no­men (Prof. Dr. Fried­rich Thie­ßen und ein Dipl.-Kfm. Chris­ti­an Fischer) haben eine Stu­die ver­öf­fent­licht (schein­bar tat­säch­lich in der Zeit­schrift für Wirt­schafts­po­li­tik erschie­nen, wenn dem Doku­ment zu trau­en ist), auf die u.a. taz und Spie­gel Online auf­ge­sprun­gen sind, und die als betriebs­wirt­schaft­li­che Legi­ti­ma­ti­on einer maxi­ma­len Redu­zie­rung der Hartz-IV-Sät­ze ver­stan­den wer­den kann. Zur Erin­ne­rung: der Regel­satz (ohne Wohn­geld) liegt (zum Zeit­punkt der Stu­di­en­ver­fas­sung) bei 345 Euro, der Mini­mal­fall der Stu­die kommt auf 132 Euro (ohne Hei­zung, Strom und Miete). 

Inzwi­schen füh­len die Autoren sich genö­tigt, die Stu­die mit einem recht­fer­ti­gen­den Vor­blatt zu ver­se­hen. Trotz­dem müss­te „Stu­die“ eigent­lich in Anfüh­rungs­zei­chen gesetzt werden. 

Umso inter­es­san­ter ist es, sich anzu­schau­en, wie die Vor­an­nah­men aus­se­hen, die zu solch unsin­ni­gen Ergeb­nis­sen führen.

1. Aus­gangs­punkt ist öko­no­men-typisch ein ratio­nal han­deln­der Mensch, dar­un­ter wird hier nicht nur ver­stan­den, dass in jedem Fall das bil­ligs­te Pro­dukt genom­men wird, son­dern auch, dass mit Geld ver­nünf­tig umge­gan­gen wird, kei­ne Lebens­mit­tel weg­ge­wor­fen wer­den usw. Dar­auf (und nicht auf dem tat­säch­li­chen Ver­hal­ten von Men­schen) zur Ver­fü­gung zu stel­len­de Geld­mit­tel auf­zu­bau­en, ist zynisch.

2. Aus­gangs­punkt ist zwei­tens die Preis­la­ge der bil­ligs­ten Anbie­ter (ger­ne auch kos­ten­lo­ser Second-Hand-Pro­duk­te) in Chem­nitz. Auch wenn in der Stu­die behaup­tet wird, dass das kei­ne Rol­le spielt, kann ich mir z.B. kaum vor­stel­len, dass das ÖPNV-Ticket (Jah­res­netz­kar­te) in Ham­burg, Ber­lin, Chem­nitz, Köln und Frei­burg preis­lich ähn­lich liegt.

3. Drit­tens – und hier geht es ans Ein­ge­mach­te – wird ver­sucht, von einem mehr oder weni­ger selbst defi­nier­ten Ziel­set (ver­wie­sen wird dazu auf ein unver­öf­fent­lich­tes Manu­skript des Ko-Autors Fischer) aus einen monat­li­chen Waren­korb zu defi­nie­ren. Dabei wird ziem­lich kom­plett igno­riert, dass Hartz IV mehr sein soll als eine Über­le­bens­si­che­rung, son­dern als Mini­mal­fall wird tat­säch­lich rein das phy­si­sche Über­le­ben her­an­ge­zo­gen. Selbst die rela­tiv schlich­te, von Öko­no­men ger­ne her­an­ge­zo­ge­ne Maslow­sche Bedürf­nis­py­ra­mi­de macht deut­lich, dass zwi­schen dem phy­si­schen Exis­tenz­mi­ni­mum und mensch­li­chem Über­le­ben Wel­ten liegen.

4. Das Fall­bei­spiel wird anhand eines gesun­den deut­schen Man­nes ohne Behin­de­rung und sons­ti­ge Ein­schrän­kung, aber dafür mit deut­schen Ver­brauchs­ge­wohn­hei­ten berech­net. Über jedes Ein­zel­ne die­ser Attri­bu­te lie­ße sich dis­ku­tie­ren. Kin­der samt deren Extra­kos­ten kom­men nicht vor, eben­so­we­nig dür­fen ratio­na­le Almo­sen­emp­fän­ger (m) irgend­wel­che Hob­bies, Inter­es­sen, sozia­len Kon­tak­te oder Ernäh­rungs­vor­lie­ben haben.

5. Exter­ne Kos­ten (z.B. die Gesund­heits­fol­gen einer auf den bil­ligs­ten Dis­coun­ter­pro­duk­ten basie­ren­den Ernäh­rung) kom­men abso­lut nicht vor. Gesund­heits­kos­ten kom­men über­haupt nicht vor, der deut­sche Mann ist ja auch gesund.

6. Der Fall­bei­spiel­mann ver­zich­tet auf Alko­hol und Tabak (ist irra­tio­nal), ist dafür jedoch rela­tiv viel Wurst und Fleisch (scheint ratio­nal zu sein). Gespart wird über­haupt ins­be­son­de­re am Essen – im Monat rei­chen 9 kg Brot, 9 kg Kar­tof­feln, 10 kg Obst, 10 kg Gemü­se, 7,5 l Milch, 1,8 kg Käse, 1,6 kg Fleisch, 1,8 kg Wurst, 1,3 kg Fisch und 1,2 kg Fett. Gewür­ze sind aller­dings eben­so­we­nig vor­ge­se­hen wie z.B. Süßig­kei­ten. Oder Kaf­fee. Kaf­fee! Genuß gibt’s nicht. Beim Dis­coun­ter kos­tet die­ser Waren­korb (der angeb­lich einem WHO-Stan­dard ent­spre­chen soll) laut Stu­die 68 Euro. Pi mal Dau­men kom­me ich mit den übli­chen Super­markt­prei­sen auf min­des­tens das Dop­pel­te (auch die rea­len Ernäh­rungs­aus­ga­ben im unte­ren Quin­til abzgl. Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger lie­gen die­ser Stu­die zu Fol­ge mit 138 Euro in die­ser Grö­ßen­ord­nung). Eine ratio­na­le – also ver­nünf­ti­ge, gesun­de, und öko­lo­gi­sche – Ernäh­rung wird ver­mut­lich noch­mal etwas teu­rer. Aber die scheint eben nicht vor­ge­se­hen zu sein.

7. Ähn­lich schräg ist es bei All­tags­ge­gen­stän­den und Klei­dung (sol­len gebraucht bzw. umsonst irgend­wo erwor­ben wer­den). Gebraucht wird auch gar nicht viel. Aha.

8. Für „Kom­mu­ni­ka­ti­on, Unter­hal­tung, Ver­kehr“ sind im Mini­mal­fall vor­ge­se­hen: ein bil­li­ger Fern­se­her, die Mit­glied­schaft in der Stadt­bi­blio­thek und 2,38 Euro für Brief­mar­ken (reicht das für die not­wen­di­gen Bewer­bun­gen?). Und ein ÖPNV-Ticket für 23 Euro pro Monat, auf der Sei­te der Chem­nit­zer Ver­kehrs-AG habe ich aller­dings nichts auch nur annä­hernd in die­ser Preis­klas­se gefun­den. Die Stadt­bi­blio­thek darf dann auch gleich das kos­ten­freie Inter­net mit­lie­fern, Tele­fon ist nicht not­wen­dig. Kos­ten ins­ge­samt: 26,78 Euro pro Monat. Über die Effek­te einer der­ar­ti­gen Frei­zeit­zu­wei­sung haben die Autoren aller­dings nicht nach­ge­dacht, jeden­falls machen sie kei­ne Aus­füh­run­gen dazu. Fahr­rad, Kino, Fuß­ball, Urlaub (noch nicht mal das Wochen­end­ti­cket der DB AG), Tele­fon, Knei­pen­kon­sum: sind alle nicht vor­ge­se­hen. Kurz: ein­ge­sperrt in den eige­nen vier Wän­den, in der Zeit, die zwi­schen Arbeits­amt, Dis­coun­ter-Preis­su­che und Stadt­bi­blio­thek mit ÖPNV noch bleibt. Pri­vat­sphä­re in der Kom­mu­ni­ka­ti­on gibt es hier auch nicht.

9. Abschlie­ßend wird dann noch argu­men­tiert, dass auch Men­schen, die mehr Geld haben, unzu­frie­den sind, und dass es des­we­gen nicht wei­ter schlimm wäre, wenn mini­mal­aus­ge­stat­te­te Per­so­nen glau­ben, Män­gel zu leiden.

Zusam­men­ge­fasst: rela­tiv aske­tisch leben­de gesun­de allein­ste­hen­de Män­ner mit deut­schen Ver­zehr­ge­wohn­hei­ten ohne sozia­le Kon­tak­te, ohne Kin­der und ohne Hob­bies kom­men mit 132 Euro im Monat aus. Nor­ma­le Men­schen mit nor­ma­len Prak­ti­ken nicht, Men­schen mit Pro­ble­men nicht, und Fami­li­en erst recht nicht. Es wun­dert mich nur, dass nicht als Berech­nungs­grund­la­ge auch das „Con­tai­nern“ und die Nut­zung öffent­li­cher Infra­struk­tur zur Befrie­di­gung von Wohn­be­dürf­nis­sen her­an­ge­zo­gen wurden.

Die Ergeb­nis­se bestä­ti­gen also letzt­lich vor allem eins – mei­ne Vor­ur­tei­le über ÖkonomInnen.

War­um blog­ge ich das? Im Rah­men der Grund­ein­kom­mens­de­bat­te ging es auch dar­um, wie viel Men­schen zum eini­ger­ma­ßen guten und ent­wick­lungs­för­der­li­chen („Hil­fe zur Selbst­hil­fe“, anyo­ne?) Leben brau­chen, und ob die rela­tiv nied­ri­gen, finan­zier­ba­ren Grund­ein­kom­mens­bei­trä­ge, die wir vor­ge­schla­gen haben, dazu aus­rei­chen wür­den. Wir reden hier über 420 Euro ohne Wohn­kos­ten. Dafür gab’s hef­tig Schel­te, dass die Hartz-IV-Sät­ze bei eini­ger­ma­ßen „nor­ma­len“ All­tags­prak­ti­ken kaum aus­rei­chen, ist all­ge­mein bekannt – und dann schein­bar öko­no­misch begrün­det mal den Ide­al­ty­pus des edlen und spar­sa­men Armen als Regel­fall zu set­zen, was die Stu­die impli­zit macht, kann ein­fach nicht gut gehen. Oder heißt: Wer arm ist, muss lei­den. Und ver­dient die media­le Pole­mik, der ich mich hier­mit anschließe.

Update: (5.9.2008) Soeben haben sich die Grü­nen im Bun­des­tag mit einer Pres­se­mit­tei­lung zu die­ser Stu­die zu Wort gemel­det. Und Mar­kus Kurth macht das rich­tig gut.

PRESSEMITTEILUNG der Bun­des­tags­frak­ti­on Bünd­nis 90/Die Grünen

NR. 0931 – Datum: 8. Sep­tem­ber 2008

Exis­tenz­mi­ni­mums-Stu­die: Wirt­schafts-Pro­fes­sor aus Chem­nitz sei Selbst­er­fah­rung auf Hartz IV-Niveau empfohlen

Anläss­lich der Stu­die der TU Chem­nitz zur Höhe der sozia­len Min­dest­si­che­rung erklärt Mar­kus Kurth, sozi­al­po­li­ti­scher Sprecher:

Die Stu­die zwei­er Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Chem­nitz, unter Lei­tung von Pro­fes­sor Fried­rich Thie­ßen, zur Höhe der sozia­len Min­dest­si­che­rung ist unse­ri­ös und rea­li­täts­fremd. Die erho­be­nen Anga­ben zu den Ver­brauchs­kos­ten, die angeb­lich den Lebens­un­ter­halt sichern sol­len, sind völ­lig frei erfun­den und ent­beh­ren jed­we­der wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­ge. Stich­pro­ben­ar­ti­ge, eher zufäl­lig auf­ge­spür­te Schnäpp­chen in Chem­nitz haben mit einer seriö­sen, für bun­des­wei­te Maß­stä­be taug­li­chen Bedarfs­er­he­bung nichts zu tun. Jeder über­prüf­ba­re Beleg fehlt. Die staat­lich besol­de­ten Wis­sen­ser­fin­der soll­ten ein­mal ver­su­chen, einen Monat von Hartz IV zu leben. Das wür­de rei­chen, um der­ar­ti­ge Behaup­tun­gen zum Lebens­not­wen­di­gen zu widerlegen.

Teil­ha­be am gesell­schaft­li­chen Leben und die Inte­gra­ti­on am Arbeits­markt haben für den pro­fes­so­ra­len Schnäpp­chen­jä­ger Thie­ßen offen­bar kei­ne Bedeu­tung. So ist es völ­lig welt­fremd, zu glau­ben, man kön­ne ohne Tele­fon am kom­mu­ni­ka­ti­ven Leben teil­neh­men und sich in einer 12-Euro-Hose auf ein Vor­stel­lungs­ge­spräch zu begeben. 

Update 2: Par­al­lel zur Debat­te um die Chem­nitz-Stu­die gibt es bei Tina Gün­ther eine aus­führ­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit Medi­en­het­ze und Hartz-IV-Wirk­lich­keit, wie immer im soz­log sozio­lo­gisch unter­füt­tert. Lesens­wer­te Ergänzung.

Wir Kinder der Rebellion: oder Verstetigung eines Lebensstils?

Nina Pau­er fragt in der taz nach den Kon­se­quen­zen der „unmög­li­chen Rebel­li­on“ von (Post-)68er-Kindern gegen die Eltern. Im Zen­trum steht fol­gen­de Frage:

So zumin­dest stel­len wir uns das vor. „Das Gute am Jung­sein ist, dass alle gegen dich sind“ könn­te das Mot­to unse­rer Eltern­ge­nera­ti­on sein, die sich trotz all dem für uns so spa­ßig und wild Erschei­nen­den der 68er ihren Weg in die Eigen­stän­dig­keit gegen den Wil­len ihrer spie­ßi­gen, Nazi-ver­strahl­ten oder lang­wei­li­gen Eltern hart erkämp­fen muss­ten. Was aber, wenn nie­mand je gegen einen war? Uns ver­folgt die Unfä­hig­keit der Ab- oder Auf­leh­nung unser gan­zes jun­ges Leben lang. Eine Rebel­li­on gegen unse­re Eltern war nicht nötig, aber eben auch nie mög­lich. Klar könn­ten wir uns in die so oft besun­ge­ne Spaß­ge­sell­schaft stür­zen. Doch allein aus ästhe­ti­schen Grün­den kennt auch unse­re Trash-Affi­ni­tät kla­re Gren­zen; mehr als ein paar Minu­ten bil­dungs­fer­ner Sen­de­for­ma­te kön­nen wir am Stück nicht ertra­gen. Klar könn­ten wir Stei­ne schmei­ßen und alle­samt „anti­deutsch“ wer­den. Aber dass die lin­ke Radi­ka­li­tät aus­pro­biert und geschei­tert ist, dass alter­na­tiv kei­ne Alter­na­ti­ve ist, konn­ten wir nie ernst­haft anzweifeln.

Pau­er kommt zum Fazit, dass weder Welt­re­li­gio­nen (dafür sind „wir“ zu ratio­nal) noch Kon­su­mis­mus noch Spie­ßer­tum als Rebel­li­ons­al­ter­na­ti­ven in Fra­gen kom­men, endet aber irgend­wie ratlos-harmonisch.

Für mich steckt hin­ter die­sem Arti­kel noch eine ande­res The­mas, das die von Pau­er ange­spro­che­nen Fra­gen erst ermög­licht. Die Fra­ge, woge­gen „wir“ den rebel­lie­ren soll­ten, wenn wir uns mit unse­ren Eltern eigent­lich ganz gut ver­ste­hen, und deren Lebens­stil auch eher vor­bild­haft als abzu­leh­nend anse­hen, stellt sich erst dann, wenn „Jugend­re­vol­te“ als Nor­ma­li­tät ange­nom­men wird. Oder zumin­dest als stil­ty­pi­sche Normalität. 

Wenn der „post­ma­te­ria­lis­ti­sche“ Lebens­stil der 68er- und 78er-Eltern dage­gen nicht auto­ma­tisch als an Jugend­pro­test gekop­pelt ver­stan­den wird, und als per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on, oder zumin­dest Rebel­li­on, gedacht wird, son­dern als umkämpf­te Neu­erfin­dung eines bis dato nicht wirk­lich exis­ten­ten Lebens­stil­fel­des, die Kon­sti­tu­ti­on eines Milieus? (Laut SINUS übri­gens das ein­zi­ge, das alle Alters­grup­pen umfasst). Dann gibt es auch nicht unbe­dingt die Not­wen­dig­keit zur Gene­ra­ti­ons­re­vol­te, zur Abar­bei­tung an der Eltern­ge­nera­ti­on, son­dern viel­mehr zur Ver­ste­ti­gung eines meh­re­re Gene­ra­tio­nen über­grei­fen­den Pro­jek­tes eines – letzt­lich – „rich­ti­gen Lebens“. Und dann erscheint es plötz­lich als ganz nor­mal, dass „Wir Kin­der der Rebel­li­on“, wie die taz den Arti­kel von Pau­er beti­telt hat, eigent­lich nur im Lang­frist­pro­jekt glück­lich wer­den kön­nen, den Wer­te­ho­ri­zont und die Lebens­ex­pe­ri­men­te unse­rer Eltern zum dau­er­haf­ten All­tag fortzuführen. 

War­um soll­te das auch nicht gelin­gen – auch die Söh­ne und Töch­ter des kon­ser­va­ti­ven Bür­ger­tums haben ja schein­bar kei­ner­lei Pro­ble­me damit, in der gro­ßen Mehr­zahl in die elter­li­chen Fuß­stap­fen zu treten.

War­um blog­ge ich das? Weil der taz-Arti­kel Fra­gen anspricht, denen näher nach­zu­ge­hen ich recht span­nend fin­de – und weil ich mich im „wir“ des Arti­kels wiederfinde.

Grundeinkommen und ökologische Lebensstile

In mei­nem Bei­trag Für ein exis­tenz­si­che­ren­des Grund­ein­kom­men habe ich es ja schon kurz erwähnt: ein Grund­ein­kom­men macht auch aus der Per­spek­ti­ve eines Zusam­men­den­kens von öko­lo­gi­scher und sozia­ler Fra­ge Sinn. Rein­hard Los­ke plä­diert seit eini­ger Zeit dafür. Heu­te hat er einen Kom­men­tar („Den Kon­su­mis­mus über­lis­ten“) in der taz, der sich haupt­säch­lich damit beschäf­tigt, dass es für eine radi­kal-rea­lis­ti­sche Kli­ma­po­li­tik nicht aus­reicht, Glüh­bir­nen zu ver­bie­ten und Hybrid­au­tos zu for­dern. So schreibt er:

Die Poli­tik muss höl­lisch auf­pas­sen, dass sie die Kli­ma­de­bat­te nicht zer­re­det und so klein hackt, dass die Bevöl­ke­rung letzt­lich den Ein­druck gewinnt, man kön­ne an der Mise­re sowie­so nichts mehr ändern und kon­zen­trie­re sich am bes­ten dar­auf, das eige­ne Scherf­lein ins Tro­cke­ne zu brin­gen oder die letz­te Par­ty zu fei­ern. Was jetzt gebraucht wird, sind gro­ße Wür­fe, die dann auch ver­bind­lich beschlos­sen und schritt­wei­se umge­setzt wer­den: die koh­len­stoff­freie Ener­gie­wirt­schaft, kli­ma­freund­li­che Ver­kehrs­mit­tel und Gebäu­de sowie Infra­struk­tu­ren, die für jeden ein rich­ti­ges Leben im rich­ti­gen ermöglichen.

Alle Wind­rä­der, Holz­pel­let­hei­zun­gen und Hybrid­au­tos wer­den uns aber nicht ret­ten, wenn wir uns län­ger um die Lebens­stil­fra­ge her­um­drü­cken. Da gibt es eine natür­li­che Scheu, die ver­ständ­lich ist, gera­de bei Poli­ti­kern, die den Vor­wurf der Ver­zichts­pre­digt scheu­en wie der Teu­fel das Weih­was­ser. Aber der Kon­su­mis­mus, also das Anhäu­fen von Gütern als Sub­sti­tut für Sinn, ist heu­te der größ­te Feind des Kli­ma­schut­zes. Des­halb ist es eine Kul­tur­auf­ga­be ers­ter Ord­nung, die Rück­kehr zum mensch­li­chen Maß zu befördern.

Das nur als Kon­text für die hier inter­es­san­te Fra­ge, wie Grund­ein­kom­men und Kli­ma­po­li­tik zusam­men­pas­sen. Als Zwi­schen­schritt dazu argu­men­tiert Los­ke dazu, nicht klas­sisch-kapi­ta­lis­mus­kri­tisch und ver­zichts­be­tont an die Fra­ge öko­lo­gi­scher Lebens­sti­le her­an­zu­ge­hen, son­dern „den Kon­su­mis­mus zu über­lis­ten“, d.h.:

[…] Maß­hal­ten mit Lebens­freu­de, Ver­zicht mit Genuss, weni­ger mit mehr, Aske­se mit Selbst­ent­de­ckung zu ver­bin­den, um Mut zu machen und zur Nach­ah­mung anzu­re­gen. Bei der Plu­ra­li­tät unse­rer Gesell­schaft wird das nicht zum Ein­heits­le­bens­stil füh­ren, son­dern zu einer Viel­falt von Lebens­sti­len, die aber alle­samt kli­ma­ver­träg­li­cher sein würden.

Hier kommt nun das Grund­ein­kom­men ins Spiel, das Los­ke als Chan­ce sieht, sozia­le und öko­lo­gi­sche Fra­ge zu ver­bin­den und denen, die es wol­len, die Mög­lich­keit zu geben, neue öko­lo­gi­sche Lebens­sti­le zu entdecken:

Frei­lich gilt es eine wich­ti­ge Ein­schrän­kung zu machen: Wenn Ver­zicht für die Rei­chen ledig­lich hie­ße, ihren Off-Roa­der in der Fas­ten­zeit am Sonn­tag ste­hen zu las­sen, wäh­rend er für die Armen die Kür­zung der Hartz-IV-Leis­tun­gen von 345 Euro pro Monat auf 300 Euro bedeu­te­te, wäre ein sol­cher Ansatz ohne Aus­sicht auf brei­te gesell­schaft­li­che Zustim­mung. Die Chan­ce, maß­vol­len Lebens­sti­len zum Durch­bruch zu ver­hel­fen, steigt mit der gesell­schaft­li­chen Gerech­tig­keit, natio­nal wie inter­na­tio­nal. Das Grund­ein­kom­men für jede und jeden könn­te die Brü­cke sein, um über­mä­ßi­gen Wachs­tums­druck von der Gesell­schaft zu neh­men. Es ist an der Zeit, die öko­lo­gi­sche und die sozia­le Fra­ge end­lich zusammenzudenken.

Ich fin­de das eine ziem­lich span­nen­de Per­spek­ti­ve, selbst wenn ich noch nicht davon über­zeugt bin, dass ein der­ar­ti­ger Lebens­stil­wan­del auf brei­ter Front pas­sie­ren wird. Aber selbst für die von Los­ke als unzu­rei­chend dar­ge­stell­ten Maß­nah­men sind Avant­gar­de-Haus­hal­te sinn­voll, die zei­gen, wie ein öko­lo­gisch nach­hal­ti­ger, emis­si­ons­re­du­zier­ter und trotz­dem genuß­vol­ler Lebens­stil aus­se­hen kann, und von denen der „raf­fi­nier­te Kapi­ta­lis­mus“ ler­nen kann. Um die­se mög­li­cher­wei­se anfangs recht klei­ne Grup­pe zu unter­stüt­zen, ist ein Grund­ein­kom­men eine gute Idee (jeden­falls bes­ser als die Idee eines Zuschus­ses für geprüf­tes öko­lo­gisch kor­rek­tes Verhalten …).

Anders gesagt: das Grund­ein­kom­men wür­de einen post­ma­te­ri­el­len Lebens­stil ermög­li­chen, und so zu einer ver­bes­ser­te gesell­schaft­li­chen Öko­bi­lanz bei­tra­gen. Der Schritt dazwi­schen ist der, dass jemand mit Grund­ein­kom­men weni­ger Zeit für Arbeit und mehr Zeit für „Sein“ haben kann, und die dann idea­ler­wei­se nicht dafür nutzt, Kon­sum­gü­ter zu kau­fen (und sich zu ver­schul­den), son­dern für Kon­tem­pla­ti­on, Eigen­ar­beit, ehren­amt­li­che Arbeit, Fami­lie, Kunst, … ande­re For­men der Selbst­fin­dung, also jeden­falls alles Din­ge, die deut­lich weni­ger mate­ri­al­in­ten­siv sind. Im Prin­zip fin­de ich das eine sehr gute Idee (und habe des­we­gen auch auf Los­kes Bei­trag hin­ge­wie­sen) – aller­dings neh­me ich an, dass es nur eine rela­tiv klei­ne Grup­pe von Men­schen gibt, die ein Grund­ein­kom­men so nut­zen wür­den. Dazu gehört ja bei­spiels­wei­se, sich nicht über die Erwerbs­ar­beit zu defi­nie­ren, etwas mit sich anfan­gen zu kön­nen, ohne exter­ne Unter­hal­tung gebo­ten zu bekom­men usw. 

Aller­dings bin ich da bei aller Sym­pa­thie ein biß­chen skep­tisch, weil es eine doch recht kla­re gesell­schaft­li­che Struk­tu­rie­rung in „Milieus“ gibt (z.B. SINUS-Milieus), die jeweils für bestimm­te Wert­hal­tun­gen, für einen bestimm­ten Lebens­stil ste­hen. Und posi­ti­ve Reso­nan­zen mit einem durch ein Grund­ein­kom­men ermög­lich­ten Lebens­stil des „posi­ti­ven Ver­zichts“ sehe ich nur bei den Milieus „B12 Post­ma­te­ria­lis­ten“ und „C2 Expe­ri­men­ta­lis­ten“, zusam­men sind das maxi­mal 20% der Gesell­schaft. Ande­rer­seits sind die tat­säch­li­chen Umwelt­fol­gen und die Lebens­sti­le ver­schie­de­ner Milieus auch noch ein­mal zwei von­ein­an­der getrennt zu betrach­ten­de Dinge.

((Z.T. kopiert aus der grü­nen Grund­ein­kom­mens­de­bat­te))

War­um blog­ge ich das? Ers­tens fin­de ich die Idee inter­es­sant, „öko­lo­gi­sche und sozia­le Fra­ge zusam­men­zu­den­ken“, was auch immer dabei letzt­lich genau raus­kom­men wird. Und zwei­tens beschäf­ti­ge ich mit in mei­ner Diss. mit nach­hal­ti­gen Lebens­sti­len und fin­de die­se Debat­te auch des­we­gen spannend.