Bei aller tagespolitischer Aufregung füllt Landespolitik nicht jeden Tag aus. Insofern verwundert es nicht, dass im Umfeld des Landtags auch das eine oder andere Buch entsteht. Nicht jedes davon ist so gelungen und wirkmächtig wie Monrepos, muss es aber auch nicht, um doch den einen oder anderen Einblick zu geben. In dieser Woche, in der die Tagespolitik von grünen Rücktritten und Neuaufstellungen wimmelte, sind mir zwei solche Bücher begegnet. Ein drittes (der Enthüllungsroman Der Beamte Wieler der ehemaligen Landtagspressesprecherin Gabriele Renz) ist angekündigt.
Die beiden Bücher, die ich in in dieser turbulenten Woche gelesen habe, sind höchst unterschiedlich – ein Sachbuch, ein Roman, eines blickt auf die SPD, eines vor allem auf die FDP – aber sie eint die Perspektive ihrer Autoren, die jeweils aus einer gewisse Distanz auf ihre Fraktionen blicken. Martin Mendler war bis Oktober 2017 langjähriger Pressesprecher der SPD-Fraktion und wurde danach als von der SPD als Berater für Wissenschaft eingesetzt; Michael Haas schied fast gleichzeitig – allerdings schon nach nur einem Jahr – als Pressesprecher der FDP-Fraktion aus (vgl. Müller 2017; der dort erwähnte Pressesprecher der Grünen hatte sich als CDU-Parteigänger entpuppt).
Mendler hat ein umfangreiches, über 500 Seiten starkes Sachbuch zur Geschichte der baden-württembergischen SPD vorgelegt (mal ganz ehrlich. Geschichte und Politik von Landtagsfraktion und Landespartei der SPD Baden-Württemberg von 1952 bis 2022, Eigenverlag, Kirchheim/Teck 2024). Der materielle Schwerpunkt liegt dabei auf der grün-roten Regierungszeit – rund 175 Seiten – und den Jahren direkt davor; die Anfangszeit der SPD wird – wohl auch mangels Quellen – nur recht knapp dargestellt. Es geht dabei nicht nur um die SPD-Landespolitik, sondern ebenso um relevante baden-württembergische SPD-Akteur*innen im Bund und den Koalitionen mit SPD-Beteiligung. Die parlamentarische Arbeit insbesondere anhand der Zahl der Großen Anfragen, der eingebrachten Gesetzentwürfe (in Oppositionszeiten legitim, in Regierungszeiten ein fragwürdiger Indikator) und der vorgebrachten Rücktrittsforderungen zu messen, wäre mir jetzt nicht eingefallen.
Der Fokus des Buchs liegt allerdings eh auf den – in der Geschichte der SPD zahlreichen – persönlichen Feindschaften, Putschversuchen und Protegierungen. Das ist insofern ganz interessant, weil es doch deutlich macht, wie die SPD tickt, wie sich Eppler, Maurer, Spöri, Schmiedel, Vogt, Schmidt – kurzfristig Breymaier und schlicht Stoch jeweils durchgesetzt haben, und was dabei an Deals vereinbart und gebrochen wurde. Ebenso gibt das Buch einen Einschätzungen darüber ab, welche landespolitischen Themen ziehen (Bildung!), welche Kampagnen in den Sand gesetzt wurden (Kindergartengebühren) und wie die „Schmach“, kleinere Regierungspartei zu sein, das Selbstbild der SPD-Fraktion in der grün-roten Regierungszeit geprägt hat – bis hin zur „Arroganz“, die dem grünen Regierungspartner zugeschrieben wird. Das alles mag nur für eine kleine Schnittmenge an Menschen mit Gewinn zu lesen sein. Dennoch ist es verdienstvoll von Mendler, all das in dieser Detailtiefe aufgearbeitet zu haben. Das Buch ist kein Werk mit einem geschichts- oder politikwissenschaftlichen Anspruch im engeren Sinne, gibt aber, vielleicht auch seinem Samenkorn in einem Überblick für eine Jubiläumspräsentation, einen guten Abriss über 70 Jahre Sozialdemokratie in einem Land, dass die SPD nie besonders freundlich behandelt hat. Insofern bleibt es selbst eine überdauernde Quelle der Landesgeschichte, nicht nur zur SPD, sondern auch zum zeitgeschichtlichen Kontext insbesondere seit den 1980er Jahren.
Das zweite Buch, das ich diese Woche gelesen habe (und auf das ich nur gestoßen bin, weil Mendler es in einer Fußnote erwähnt), ist schon 2021 erschienen, hat aber trotz Schlüsselromananspruch keine größere Wellen geschlagen, mir wären sie jedenfalls nicht aufgefallen. Michael Haas hat mit Kritische Masse. Ein Parlamentsroman (Edition Outbird, Gera) seinen wohl ziemlich traumatisierenden Ausflug in die Landespolitik aufgearbeitet; er hat für wenige Jahre als Pressesprecher der baden-württembergischen FDP/DVP-Fraktion gearbeitet.
Sein Buch will ein Gesellschaftsbild zeichnen; eigentlich handelt es sich dabei eher um eine Aneinanderreihung von überbelichteten Vignetten als um einen Roman im engeren Sinne. Die Hauptperson, David (oder an einer Stelle Clemens?) Davidsohn wird Pressesprecher der VDP-Vorsitzenden Tamara Troll, die sich in der Rolle als lautstark polternde, narzisstische Oppositionskraft gegen die Regierung um den kauzigen – oder sich kauzig darstellenden Ministerpräsidenten Habedank von der Partei regenerativer Moral gefällt. Das ganz spielt in Sternheim, gekennzeichnet durch eine Bahnhofsbaustelle und einen Fetisch für den Autoverkehr und die Autoindustrie. Manche in der VDP sympathisieren mit der rechtsnationalen Volks-Reformierten Vaterlands-Partei. Und über allem thront die ikonische. leane und zu Produktivität und Effizienz antreibende Führerfigur Kiebich auf der Berliner Bühne.
Der Schwäbische Heimatbund sieht den Roman in einer Rezension „im Hass“ verfasst; jedenfalls werden Kränkungen und auch der Ekel, den der Autor aus dem Politikbetrieb mitgenommen hat, überdeutlich. Karikierend, zur Kenntlichkeit entstellen – das ist das eine, und mancher Einblick endet da an der Oberfläche. Wie es überhaupt das Äußere, und insbesondere das Körperliche, Haas angetan hat – wer auf der Seite des Bösen steht, hat schwitzige Hände, ist korpulent, trägt abgeschabte Schuhe und Anzüge von der Stange. (Nebenbei: moderne Architektur kommt ebenfalls nicht gut weg.) Neben den halbwegs kenntlichen Figuren stehen Archetypen provinzieller Politiker*innen – etwas langweilig dabei, dass alle die selbe Hintergrundgeschichte haben, nämlich sich längst mit ihren Ehefrauen auseinandergelebt haben, aus Gründen der Außenwirkung jedoch nicht geschieden sind. Das wahre Spektrum mag da vielfältiger sein, und vielleicht steckt dann doch zu viel Freud und Literaturwissenschaft in der betont feingeistigen Auseinandersetzung mit den Niederungen der Landtagspolitik.
Wenn das Buch nur das wäre, wäre es ignorierbar. Dort, wo beim Autor tatsächliche Insiderkenntnisse zu vermuten sind, nämlich bei der Innenansicht der „VDP“, wird es interessant. Selbst wenn er hier deutlich übertreibt, bleibt das Bild einer raffgierigen, für die Wirklichkeit blinden und in eigene Parolen verliebten Partei bzw. Fraktion, die sich organisatorisch an Hierarchie, an Leistung und an ein diktatorisches Verständnis von Führung klammert. Rund um den charismatischen Bundesvorsitzenden gibt es fast schon sektenartige Züge samt Indoktrination beim großen Zusammenkommen in der Hauptstadt. Wirtschaftsnähe ist bloß behauptet, die meisten Abgeordneten glänzen durch Inkompetenz. Und der Geist der unbedingten Leistungsorientierung zieht sich, was wäre auch anderes zu erwarten, durch: Mitarbeitende zeichnen sich durch Intrigen untereinander aus, die Jugendorganisation besteht aus teuren Abziehbildern des Vorsitzenden. Hinter der Fassade der „VDP“ lauert die große Leere. Zu all dem kommt die Nähe zu Rechtsaußen, das Einfordern sexueller Gefälligkeiten und der Antisemitismus, der der jüdischen Hauptfigur entgegenschlägt.
Dass das bei einer liberalen Partei, bei einer gerne auch einmal rechtsliberalen Fraktion so sein könnte, hat man sich schon gedacht. Aber das ist dann doch nochmal starker Tobak. Puh.
Politik agiert im Medium Macht. Auch eine werteorientierte Partei wie meine ist davon nicht ausgeschlossen. Trotzdem nehme ich nach fast dreißig Jahren Parteimitgliedschaft und im vierzehnten Jahren Arbeit in der Landtagsfraktion doch immer noch war, dass wir versuchen, den humanistischen Teil eines grünen Weltbilds in den eigenen Organisationen zu leben. Das schließt nicht aus, dass es Abgeordnete und andere politische Akteure gibt, die ähnlich agieren, wie sie Mendler in Sachlichkeit und Haas in satirischer Überzeichnung präsentieren. Und ja, ein Landtag ist ein Parlament, das nicht in jedem Politikfeld Zuständigkeiten hat. Ganz so übel, wie sie hier gezeichnet wird, ist Politik dann allerdings doch nicht.