Die Bundestagswahl 2009 steht kurz bevor. Jedenfalls ist es ein leichtes, diesen Eindruck zu gewinnen, auch wenn’s noch über ein Jahr hin ist bis zum Wahltag.
Was allerdings jetzt schon heftig geschieht, ist das Modifizieren des Optionsraums für die Zeit nach der Wahl. Und zwar sowohl personell (SPD) als auch rhetorisch. Ein besonders interessantes Beispiel für letzteres ist der Kommentar von Altstaatsmann Fischer in der ZEIT ONLINE. Er macht das zwar um einiges besser als Altstaatsmann Schmidt mit seinem Nazivergleich (oder Kretschmann, der unheimliche Konservative), aber trotzdem – das einzige, was an diesem Kommentar 100%-ig stimmt, ist die Überschrift. Die ich mir mal entliehen habe. Die heißt nämlich „Die Selbstblockade verhindern“.
Was versteht Joschka Fischer darunter?
Beide Parteien [SPD und CDU] werden 2009 ohne eine verbindliche Koalitionsaussage antreten und stattdessen nur noch Prioritäten beschließen: Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Diese Optionen werden zwar immer unwahrscheinlicher, ersparen den Parteiführungen jedoch gefährliche Richtungsdebatten zur Unzeit. Die Koalitionsoptionen Nr. 2 sind bisher auf Bundesebene unbekannte Dreierkonstellationen: Ampel, Jamaika oder Rot-Rot-Grün.
Diese drei Dreierkonstellationen reduziert Fischer dann Schritt für Schritt. Erst wird Rot-Rot-Grün eliminiert (dazu gleich noch mehr), dann entfällt mit Verweis auf die „Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat“ als Hauptargument die rot-grün-gelbe Ampel, und so bleibt schließlich nur noch „Jamaika“, als schwarz-gelb-grün. Aus Fischers Perspektive heißt „Die Selbstblockade verhindern“ also: sich auf eine Minderheitenrolle in einer konservativ-wirtschaftsliberalen Koalitionen vorbereiten. Oder zumindest, eine intensive Zusammenarbeit mit der FDP vorzubereiten, wie sie Guido Westerwelle gerade abgelehnt hat.
Die Idee, dass in einem Fünfparteiensystem die Alternative zur großen Koalition nicht einfach rot-grün heißen kann, und dass es möglich sein muss, bei Vorliegen einer genügend großen Schnittmenge auch über Koalitionen mit demokratischen Parteien des konservativ-wirtschaftsliberalen Spektrums nachzudenken, ist ja so blöd nicht. Insofern stimmt ich Fischer zu, dass es richtig ist, den Möglichkeitsraum nach der Wahl jetzt so zu gestalten, dass nicht durch selbstgesetzte Zwänge sinnvolle Politikoptionen verschwinden. Das beste Beispiel dafür ist allerdings nicht Hamburg (da wurde dann halt schlicht der im Wahlkampf vorgenommene Ausschluss schwarz-grüner Optionen nach der Wahl ignoriert), sondern Hessen und die seltsame Lage, in der sich die eventuelle Ministerpräsidentin Ypsilanti dort befindet.
Wenn ich jetzt nicht noch anderes zu tun hätte, würde ich an dieser Stelle ja noch etwas Böses zur SPD schreiben („Intrigenstadel auf dem Tanker“ oder so), das lasse ich aber. Aus Zeitgründen.
Was jedoch festzuhalten bleibt: das größte Hindernis für eine rot-rot-grüne Option nach der Bundestagswahl in einem Jahr ist derzeit die SPD. Was ja auch so seine Geschichte hat. Kommen wir also zurück zur Frage, wie Joschka Fischer diese Koalitionsoption ausschließt. Er macht das nämlich so:
Letzteres [Rot-Rot-Grün] wird man 2009 wohl ausschließen müssen, da die Linkspartei in entscheidenden inhaltlichen Fragen der Bundespolitik (noch?) nicht regierungsfähig ist.
Hinter diesem schlichten Satz steckt jetzt einiges. Erstens fällt das „man“ auf – nicht Joschka oder die Vorsitzenden der Parteien oder die WählerInnen. Der Ausschluss erfolgt im Stile des Sachzwangs: „man wird wohl ausschließen müssen“. Und warum? Die Linkspartei ist „in entscheidenden inhaltlichen Fragen“ „nicht regierungsfähig“. Wenn ich mir anschaue, wie die Linkspartei in den Ländern agiert, kann damit nicht der fehlende Populismus gemeint sein. Ich vermute, dass sich hinter den Inhalten, die Joschka zur Selbstblockade Richtung links zwingen, eher Themen verbergen wie der Wunsch nach einer sinnvollen sozialen Absicherung statt Hartz-IV, möglicherweise auch gewerkschaftlich favorisierte Beschäftigungsprogramme, die Rücknahme von Privatisierungen (wann folgt die Ex-Bundesbahn der Bundesdruckerei) und natürlich vor allem die Außenpolitik, die in der Linkspartei wohl noch mehrheitsfähig nicht militärisch stattfindet.
Wenn meine Vermutung stimmt, dass dies die Themen sind, mit denen Joschka eine Rot-Rot-Grüne Koalitionsoption inhaltlich ausschließt, dann steckt hinter diesem schlichten Satz noch etwas anderes: nämlich die Einschätzung, dass ein Drittel bis die Hälfte der Grünen-Mitglieder (und der WählerInnen von Bündnis 90/Die Grünen) ebenfalls nicht regierungsfähig sind: eine große Minderheit will ein Grundeinkommen, eine geschätzte Mehrheit hält nicht viel vom fortgesetzten Abbau des Sozialstaats, selbst offizielle Fraktionssprecher haben sich gegen Privatisierungen ausgesprochen, und Krieg und Frieden ist noch immer das heiße Thema jeder grünen Mitgliederversammlung und jeder zweiten BDK.
Das also sind die Punkte, die Fischer – und mit ihm wohl auch andere Realos und Realas – in den Raum stellen, wenn sie Rot-Rot-Grün unmöglich reden wollen. Die Atompolitik der CDU, die Wirtschaftsvergötterung der FDP, die Kohlepolitik der SPD – all das spielt dann keine Rolle. Ein derartiger Ansatz kann aber m.E. nur zur Selbstblockade führen, nämlich zum Ausschluss jeglicher Koalitionsoption. Besser finde ich es da schon, zu sagen, was wir inhaltlich wollen, wie es der letzte Länderrat getan hat, und dann abzuwarten, welches Bündnis sich als inhaltlich passend erweist.
Optimistisch bin ich allerdings dennoch nicht. Weniger wegen der fehlenden inhaltlichen Übereinstimmungen, sondern eher deswegen, weil, wie einleitend bemerkt, interessierte Kräfte jetzt schon alles tun, um den Möglichkeitsraum einzuschränken. Wenn es tatsächlich für Rot-Grün keine eigene Mehrheit gibt (was wahrscheinlich ist), dann wird es vermutlich keine Dreierkonstellation geben, die nicht schon vor der Wahl ausgeschlossen worden ist. Westerwelles FDP will keine Ampel, die SPD hat große Angst vor dem Scheinriesen Linkspartei, und weigert sich, dem ehemaligen SPD-Politiker Lafontaine auch nur den kleinen Finger zu reichen (ob er, wenn er mit den selben Positionen in der SPD geblieben wäre, ebenso schwarz gemalt würde?), die CDU kann nur Montags mit den Grünen, und wir selbst sind derzeit vor allem eins: in alle Richtungen wenig wagemutig.
Die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung der großen Koalition unter Kanzlerin Merkel (mit Vizekanzlerkandidat Steinmeier) ist damit, bei Lichte betrachtet, hoch. Es sei denn, es wird jetzt an sehr vielen Stellen damit angefangen, über Schatten zu springen – aber bitte nicht nur nach rechts!
Warum blogge ich das? Ab und zu muss ein Blick auf Koalitionsoptionen sein, um dem Anspruch gerecht zu werden, ein politisches Blog zu sein, oder?