Es wird noch munter ausgezählt, aber der eine oder andere Trend bei der Bundestagswahl 2017 zeichnet sich doch ab. Aktuell – 23:30 – ist noch nicht klar, ob LINKE oder GRÜNE zweitkleinste Fraktion vor der CSU werden, aber insgesamt scheint das Ergebnis doch halbwegs stabil: Massive Verluste für die Union, die nur noch bei rund 33 Prozent landet, eine SPD mit einem miserablen Ergebnis knapp über 20 Prozent, die AfD als drittstärkste Partei mit – deutlich besser als in den meisten Umfragen – rund 13 Prozent, stark durch die Verluste der Union gespeist, die FDP bei etwa 10,5 Prozent und GRÜNE und LINKE jeweils etwa bei 9 Prozent.
Einige Anmerkungen zum Andreae-Bauer-Papier
Die Freiburger Bundetagsabgeordnete Kerstin Andreae, die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, das Landesvorstandsmitglied Danyal Bayaz und einige weitere – zumeist in den Zentralstellen grüner Ministerien tätige – realpolitisch orientierte Menschen aus Baden-Württemberg haben in diesem Sommer die grüne Freiheitsdebatte um ein weiteres Thesenpapier ergänzt.
Vieles an dem Papier finde ich richtig. Und wer es als Erbschein für die FDP versteht, liegt falsch. Richtig finde ich insbesondere die These, dass eine bestimmte grüne Lesart einer auf Freiheit orientierten Politik gibt, die nicht nur aus den bürgerrechtlichen und emanzipatorischen Wurzeln der Partei hergeleitet wird, sondern auch aus der schlichten, aber nichtsdestotrotz wirkmächtigen Tatsache, dass individuelle Freiräume voraussetzungsreich sind.
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Aufwärmübung
Günther Grass und Willy Brandt, 1972 – CC‑0, Quelle
Es muss eine Zeit gegeben haben – vielleicht so zwischen 1960 und 1980, mit meinem Geburtsjahrgang 1975 bin ich ein klein wenig zu jung dafür, um das bewusst mitgekriegt zu haben – in der es total wichtig war, die führenden öffentlich-rechtlichen sozial-liberalen Großintellektuellen für SPD-Kampagnen zu gewinnen. Vielleicht ist es nur ein Gerücht, aber möglicherweise hat Willy Brandt damals so seine Wahl gewonnen, mit der breiten Unterstützung durch Vordenker und Leute wie z.B. Günther Grass. So die pfeifenrauchenden Weltdeuter (m.)., die erklärten, wie wichtig Willy wählen wäre.
Vielleicht ist das damals schon vor allem Inszenierung gewesen. Möglicherweise gab es auch einen echten Willen aus dem Wahlvolk heraus, einen Wechsel herbeizuführen. Der sich schon vor der Wahl darin gezeigt hat, den angedachten und gewollten Wechsel mit dem eigenen Namen zu unterstützen. Clicktivism, heißt das heute. Oder dafür sogar, und da kommen wir dem Bewegungsbegriff näher, auf die Straße zu gehen. Mit anderen darüber zu reden. „Überzeugungsarbeit zu leisten“.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten denken, so scheint es mir, gerne an diese Zeit zurück. Und was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum schwarz-weiße Fotografien wichtiger Vordenker (m.) auch heute noch gerne verwendet werden, um für den Wechsel zu werben.
Wahlempfehlung
Die Financial Times Deutschland hat die britische Tradition in Deutschland eingeführt. Große Medienhäuser geben eine begründete Wahlempfehlung ab. Die der FTD fiel bei der Europawahl – zum Erstaunen einiger – grün aus. Für die Bundestagswahl hätten sie gerne „schwarz-grün“, empfehlen aber letztlich die CDU. Und begründen dies mir ihrer Angst vor „rot-rot-grün“. Die aktuelle Empfehlung finde ich nicht so prickelnd, wohl aber den Prozess:
Vorangegangen ist dieser Empfehlung ein wochenlanger Prozess mit zahlreichen Diskussionsrunden zu den Parteiprogrammen und einzelnen Politikfeldern. Spitzenpolitiker der im Bundestag vertretenen Parteien standen der Redaktion in ausführlichen Gesprächsrunden Rede und Antwort. Einer entsprechenden Einladung folgten die Generalsekretäre der CDU, SPD und FDP, Ronald Pofalla, Hubertus Heil und Dirk Niebel, Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke für die Grünen sowie Fraktionschef Gregor Gysi für die Linkspartei. Schließlich diskutierte die Redaktion in einer dreistündigen Schlussrunde darüber, welche Empfehlung sie diesmal abgeben soll.
Die WELT will auch eine Wahlempfehlung abgeben. Dummerweise ist ihr der Name der Wunschpartei entfallen.
Die taz schreibt zwar fleißig pro „schwarz-grün“ und neue Bürgerlichkeit, allen voran der Redakteur für besondere Aufgaben, Jan Fedderesen. Heute präsentieren sieben taz-RedakteurInnen ihre Wahlentscheidung – und überraschen: Grüne werden durch die Bank weg nicht gewählt (jedenfalls nicht mit der Zweitstimme, Ströbele schon), ziemlich viele outen sich als WählerInnen der LINKEN – und der besagte Herr Feddersen projiziert seine eigene Besserwisserei auf uns Grüne – und will stattdessen SPD wählen – aus Mitleid. Politische Kompetenz sieht anders aus. Spannend hätte ich es gefunden, wenn die taz sich in einem ähnlichen Prozess wie die FTD zu einer einheitlichen Wahlempfehlung durchringen hätte können. Selbst wenn dann der große Anzeigenjunge LINKE bei rausgekommen wäre.
Die jungle world dagegen empfiehlt „Geht wählen“ und meint damit „lustige Splitterparteien“ von Violetten bis zur DKP (wenn ich’s richtig sehe, nicht online). Immerhin greifen sie die Debatte um die Wählbarkeit der Piraten überaus ernsthaft auf (na gut, hier).
netzpolitik.org sagt – schon zur Europawahl, aber wohl auch zur Bundestagswahl noch gültig – wählt nicht CDU/CSU. Und unterfüttert das auch noch einmal durch einen Vergleich der netzpolitischen Positionen der Parteien.
Und dann gibt es noch Parteimitglieder (und andere Menschen), die aus ganz unterschiedlichen Gründen für die Wahl ihrer Partei aufrufen – oder auch nicht.
Damit komme ich zur Wahlempfehlung von till we *) – Blog seit 2002: Wir, also, ich, empfehlen natürlich die Grünen. Logisch. Und im Detail ein bißchen diffiziler. Zweitstimme grün ist in der ganzen Republik sinnvoll und wärmstens zu empfehlen. Selbst wenn es nicht für eine wie auch immer geartete Koalition unter grüner Beteiligung reichen sollte: nur mit starken Grünen sitzt eine Kraft im Parlament, die bei den mir wichtigsten Themen authentisch präsent ist. Damit meine ich nicht nur die Klima- und Umweltpolitik, sondern vor allem auch den Einsatz für Bürgerrechte – der, auch dank der Piraten, mehr denn je zum grünen Thema geworden ist. Und zwar offline und online. Damit meine ich aber auch die Geschlechterpolitik, die von Grünen gelebt wird. Und überhaupt: nur Bündnis 90/Die Grünen sind eine Partei, die – in Politik und Lebensgefühl – wirklich in der postfordistischen Moderne angekommen ist. Für manche (siehe Feddersen, oben) mag das wie Überheblichkeit aussehen. Ist es aber nicht – sondern pure Notwendigkeit, um die Gesellschaft zu verändern. Soweit das in Parlamenten möglich ist.
Diffizieller wird es in meiner Wahlempfehlung vor allem bei der Erststimme. Und zwar aufgrund der Überhangmandatsproblematik (eine Partei, die in einem Bundesland mehr Direktmandate erhält, als ihr laut Zweitstimme prozentual zustehen, behält diese; für andere Parteien gibt es aber keinen Ausgleich). Deswegen gibt es Wahlkreise, in denen es sinnvoll sein kann, in den bitteren strategischen Apfel zu beißen und der SPD die Erststimme zu geben. Faustregel: wenn Grüne keine Chane auf das Direktmandat haben, und SPD und CDU nah beieinander liegen, kann „rot-grünes“ Wählen sinnvoll sein, um Überhangmandate zu verhindern, die sonst „schwaz-gelb“ wahrscheinlicher machen. Bitter ist dieser Apfel, weil damit faktisch für die große Koalition gestimmt wird. Wenn nicht doch alles ganz anders kommt.
Trotzdem gibt es eine ganze Reihe Wahlkreise, in denen es sinnvoll ist, auch mit der Erststimme grün zu wählen. Das sind die, wo „eh“ klar ist, wer den Wahlkreis gewinnt, und grüne Stimmen symbolischen Wert haben. Und es sind die Wahlkreise, in denen Grüne eine reelle Chance haben: neben Friedrichshain-Kreuzberg (Christian Ströbele) sehe ich hier Freiburg (Kerstin Andreae), Stuttgart‑I (Cem Özdemir) und Hamburg-Eimsbüttel (Krista Sager vor dem Hintergrund interner SPD-Zerwürfnisse) als die Wahlkreise an, in denen eine grüne Erststimme richtig was bewegen kann.
Am Sonntag also: Zweitstimme grün, Erststimme vielleicht auch. In Freiburg sowieso. Und wer bis dahin noch fragen hat, ist bei 3 Tage wach gut aufgehoben.
Warum blogge ich das? Wahlempfehlung muss sein, klar!
Wettbewerb: Die beste Erststimme für Kerstin
Wie bereits mitgeteilt, konkurriert unsere grüne Kandidatin Kerstin Andreae mit den Herren Erler (SPD) und Sander (CDU) um das Freiburger Direktmandat. Daniel Sander will es haben, weil damit drei Abgeordnete aus Freiburg kämen, Gernot Erler will es haben, weil er es bisher – dank schmählich vernachlässigter grüner Leihstimmen – schon hatte. Was fehlt, sind gute Gründe dafür, warum das Direktmandat wirklich unbedingt an Kerstin gehen muss. Da geht jedenfalls noch mehr.
Um den Wahlkampf ein bißchen anzustacheln, rufe ich deswegen hier uns an dieser Stelle dazu auf, den besten Grund dafür zu finden, warum das Mandat an Kerstin gehen muss. Es gibt auch was zu gewinnen: ein (1) original grünes Direktmandatsplakat – aus dem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg. Die Entscheidung, welcher Kommentar am besten ist, erfolgt Sonntag unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch eine Jury (na gut: ich nehme den Kommentar, den ich am besten finde).
Also – Manage frei für die beste Erststimme für Kerstin im Kommentarfeld. (Und falls jetzt jemand noch unsicher ist, lege ich schon mal vor: „Kerstin Andreae muss das Direktmandat bekommen, weil nur so Freiburg in der Wahlberichterstattung am Wahlabend gebührend gewürdigt wird.“)