Das baden-württembergische Staatsministerium kann auch „Tagung“. Gestern und heute findet in Mannheim die Konferenz „Gemeinsam Handeln – die Gesellschaft in der Transformation zusammenhalten“ statt. Gut besucht, neben den üblichen Verdächtigen auch viele Menschen, die nach Studierenden aussehen.
Tag 1 bestand – neben einem Empfang in der Alten Feuerwache mit (sozial- und geisteswissenschaftlichem, deswegen möglicherweise weniger zündendem) Science Slam – aus drei Keynotes und zwei Podien. Podium 1 zu Bürgerbeteiligung fand ich interessant und lehrreich, das Spektrum reichte hier von den eigenen Erfahrungen als Zufallsbürger bis hin zu polit-philosophischen Spekulationen über Demokratie, die ein Nicht-Teilnehmen ganz grundsätzlich ablehnen muss. Das zweite Podium zu Wirtschaft war hochkarätig besetzt, krankte aber m.E. daran, dass nicht so ganz klar war, was eigentlich mit „Transformation“ im Wirtschaftskontext gemeint ist – Klimaneutralität? Wissensarbeit (Wolf Lotter sehr in den 1990ern)? Digitalisierung?
Enttäuschend die Kirchentagskeynote von Altbundespräsident Gauck – viel angelesenes, Werbung für das eigene Buch, Opa-Ankedoten, Bundesland-Schmeichelei, die Redezeit massiv überzogen. Schön, dass auch der Altbundespräsident die Relevanz des Klimathema sieht. Als Fazit kam dann aber doch nur ein Lob der Mitte und der Kompromissfähigkeit. EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen war per Videobotschaft aus Washington zugeschaltet und wirkte science-fiction-artig, genauer gesagt: wie die Präsidentin eines großen Blocks aus einem SF-Film. Inhaltlich sind bei mir die Clean-Tech- und Green-Deal-Initiativen der EU hängen geblieben, und die Ankündigung einer Infrastrukturpartnerschaft mit Indien. Alles sehr groß und sehr clean bis steril.
Highlight war dagegen die Eröffnungsrede von Ministerpräsident Kretschmann. Ausgangspunkt war für ihn der Widerspruch zwischen der physikalisch begründeten Handlungsnotwendigkeit des Klimawandels – jetzt sofort schnell handeln! – und der politischen Wirklichkeit mit Polarisierungsrisiken, Spaltungstendenzen und der Frage, wie viel Veränderung Menschen zugemutet werden kann, bevor sie sich dagegen wenden. Zur Auflösung dieses Widerspruchs stellte er fünf – eigentlich sechs – Thesen in den Raum:
1. Schlüssel für alles weitere ist es, Sicherheit im Wandel zu vermitteln
2. Gute öffentliche Institutionen von der Kita bis zur Straßenbahn sichern das Vertrauen in den Staat (inkl. Auftrag zum Bürokratieabbau)
3. Sachfragen müssen als Sachfragen behandelt werden, nicht als – moralisch aufgeladener – Kulturkampf
4. Damit Demokratie funktioniert, müssen die Bürger*innen gehört werden, auch die Stillen (und die wichtigen engagierten Ehrenamtlichen natürlich ebenfalls)
4.a Ressourcen aller Art sind knapp (Geld, Personal, mentale Resilienz) – es geht also darum die richtigen Prioritäten zu setzen, sich auf wichtige Probleme zu konzentrieren und klug zu entscheiden
5. Es gibt begründete Quellen der Zuversicht – diese leitete Kretschmann zum einen anthropologisch her: Fähigkeit der Menschen zu unendlicher Kreativität, Koordinationsleistungen – zum anderen verwies er auf die Sonnenenergie, die pro Tag sowohl Energie auf die Erde einstrahlt, wie wir in einem Jahr verbrauchen
Daraus ließe sich ein politisches Handlungsprogramm basteln. Zum Teil arbeitet Baden-Württemberg heute schon entlang dieser Thesen – aber gerade bei den gut funktionierenden Institutionen sehe ich noch Luft nach oben.