Kurz: Umgangsformen

Am Wochen­en­de hat­ten wir Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Donau­eschin­gen. Unter ande­rem hielt dort unse­re Bun­des­vor­sit­zen­de Ricar­da Lang eine sehr star­ke Rede zu Putin und der Ukrai­ne, zu stei­gen­den Ener­gie­prei­sen und dem Anspruch, statt eines „Win­ters der Wut“ einen „Win­ter der Soli­da­ri­tät“ erle­ben zu wollen.

Ich habe ein biss­chen dazu get­wit­tert, Ricar­da hat einen der Tweets ret­weetet – und mir damit einen Ein­blick in das Schlamm­loch gege­ben, dass Twit­ter auch sein kann. Mei­ne Time­line zeigt das, was ich sehen will – die Tweets und Ret­weets der Leu­te, denen ich fol­ge, kei­ne Emp­feh­lun­gen, kei­ne algo­rith­misch rein­ge­schleu­der­ten Tweets. Das ist meist niveau­voll und bei allen Dif­fe­ren­zen durch einen freund­li­chen Umgang mit­ein­an­der gekenn­zeich­net. Und mei­ne eige­nen Tweets erlan­gen sel­ten eine Sicht­bar­keit, die Trol­le anlockt.

Hier war das nun anders – gegen Ricar­da gerich­te­te Belei­di­gun­gen im Dut­zend, und natür­lich Vor­wür­fe aller Art gegen grü­ne Poli­tik. Letz­te­res gehört dazu, ers­te­res fin­de ich uner­träg­lich. Und ich kann mir vor­stel­len, wie übel das bei Accounts wie dem von Ricar­da Tag für Tag aussieht. 

Twit­ter ermög­licht es inzwi­schen, ein­zu­schrän­ken, wer ant­wor­ten darf. Das habe ich dann auch gemacht – und groß­zü­gig alle geblockt, denen sicht­bar nicht an Debat­te, son­dern nur an Beschimp­fung und Hass gele­gen ist. Und das ist völ­lig legitim.

Kurz: dein Twitter, mein Twitter

… das sind doch bür­ger­li­che Kate­go­rien. Nein, woll­te nicht Marc-Uwe Kling zitie­ren, son­dern ange­sichts diver­ser Debat­ten in den ver­gan­ge­nen Tagen kurz was ande­res auf­schrei­ben. Twit­ter ist nicht gleich Twit­ter. Wes­we­gen ich mich manch­mal dar­über wun­de­re, wenn ande­re davon spre­chen, die Dis­kus­si­ons­kul­tur dort sei so furcht­bar. Oder davon, dass der Algo­rith­mus nervt, weil er nie ein­blen­det, was wirk­lich wich­tig ist. Und, und, und …

Es gibt ganz unter­schied­li­che Arten, Twit­ter zu nut­zen. Ich habe alle per­so­na­li­sier­ten und stand­ort­be­zo­ge­nen Ein­stel­lun­gen aus­ge­schal­tet (d.h., ich bekom­me weder per­so­na­li­sier­te Wer­bung noch „jetzt tren­det in Frei­burg gera­de …“), nut­ze die chro­no­lo­gi­sche Time­line („neus­te Nach­rich­ten“ statt „Start­sei­te“) und habe eine zwar gro­ße, aber doch gut sor­tier­te Time­line (d.h. ich ent­fol­ge Leu­te, deren Tweets ich unin­ter­es­sant fin­de, und blo­cke ziem­lich schnell Men­schen, die – ger­ne aus der rech­ten Ecke – jede Ant­wort sofort mit per­sön­li­chen Belei­dun­gen begin­nen und glau­ben, damit gewin­nen zu kön­nen). Zudem habe ich ange­fan­gen, Wer­be­trei­ben­de, die ner­ven, eben­falls zu blo­ckie­ren. Ich nut­ze die Twit­ter-Web­site und die her­kömm­li­chen Apps für Android bzw. das iPho­ne, kei­ne Spezialsoftware.

Das alles zusam­men gibt bei mir eine Time­line, in der immer wie­der inter­es­san­te Debat­ten begin­nen, in der es Ein­bli­cke in unter­schied­li­che Lebens­wel­ten gibt, wobei die Grund­hal­tung nicht so unter­schied­lich ist, dass es häss­lich wür­de. Nach­rich­ten aus aller Welt bran­den eben­so wie Hin­wei­se auf span­nen­de Bücher, Fil­me und Roma­ne häu­fig in mei­ner Time­line auf. Natür­lich viel (grü­ne) Poli­tik. Kaum dum­me Memes, kei­ne Ver­schwö­rungs­theo­rien oder Nach­bar­schafts­klein­an­zei­gen. So ist Twit­ter für mich nicht nur nütz­lich, son­dern auch ein ange­neh­mes Medi­um, das ich ger­ne nutze.

Aber: mein Twit­ter sieht eben mög­li­cher­wei­se ganz anders aus als dein Twit­ter. Viel­leicht habe ich bei eini­gen Punk­ten auch ein­fach Glück bzw. Pri­vi­le­gi­en (Haut­far­be, Geschlecht, … zwar ab und zu mal dum­me Bemer­kun­gen zu poli­ti­schen Aus­sa­gen, aber kei­ne Hass­mails, kei­ne sexua­li­sier­ten Belei­di­gun­gen). Ich fin­de es jeden­falls hilf­reich, sich das vor Augen zu hal­ten und weder davon aus­ge­hen, dass ja alle das glei­che sehen müss­ten noch in die Fal­le zu tap­pen, dass Twit­ter, weil es für mich ein net­ter Ort ist, für alle ein net­ter Ort sein muss. Ein biss­chen was lässt sich dar­an durch Ein­stel­lun­gen der App und das „Kura­tie­ren“ der Time­line beein­flus­sen – aber ande­res hängt an Fak­to­ren, die eben nicht beein­fluss­bar sind.