Der langsame Pendelschlag des Zeitgeists

Was haben digi­ta­le Demo­kra­tie, fahr­schein­lo­ser Nah­ver­kehr, das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men und Umsonst­lä­den gemein­sam? All das sind Ideen, die schon ein­mal popu­lär waren. Und die­se vier sozia­len Erfin­dun­gen, um einen Begriff von Robert Jungk zu gebrau­chen, sind sicher­lich nicht die ein­zi­gen radi­ka­len For­de­run­gen, die in den letz­ten Jah­ren wie­der­ent­deckt oder neu erfun­den wer­den. Und zwar nicht im Span­nungs­feld von Far­ce und Tragödie.

Vor eini­ger Zeit habe ich die Pira­ten­par­tei – als Bewe­gung ver­stan­den – mit den dama­li­gen neu­en sozia­len Bewe­gun­gen der 1970er Jah­re ver­gli­chen und eine gan­ze Rei­he – ober­fläch­li­cher? – Ähn­lich­kei­ten gefun­den. Die Wie­der­gän­ger der radi­ka­len Ideen, aber auch der Cha­rak­ter der Pira­ten als einer gesell­schaft­li­chen Par­ti­zi­pa­ti­ons­be­we­gung wirft für mich die Fra­ge auf, was hin­ter die­sem peri­odi­schen Wie­der­auf­le­ben steckt, für das sich ver­mut­lich noch vie­le wei­te­re Bei­spie­le fin­den las­sen wür­den. Sei es Occu­py und die sozia­le Revol­te der 1960er, viel­leicht auch der Natur­schutz- und Öko­ge­dan­ke, der eben­falls in Wel­len­be­we­gun­gen immer wie­der auftaucht. 

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Die drei Ebenen des Falls Johannes Ponader

Paint job II

Der FAZ-Her­aus­ge­ber Frank Schirr­ma­cher ist ja sowas wie ein Pira­ten­fan. Auch des­we­gen ist dem poli­ti­schen Geschäfts­füh­rer der Pira­ten, Johan­nes Pon­ader, ein klei­ner media­ler Coup gelun­gen: Er hat – um die Poin­te vor­weg­zu­neh­men – öffent­lich erklärt, auf sei­nen Arbeits­lo­sen­geld-II-Anspruch zu ver­zich­ten. Das hat eine gan­ze Men­ge unter­schied­li­cher Reak­tio­nen aus­ge­löst, vor allem von denen, die Ponaders Über­schrift „Abschied vom Amt“ falsch ver­stan­den haben. Par­tei­über­grei­fend, ver­steht sich (schön ana­ly­siert dies das Blog der digi­ta­len LINKEN). Und es war auch eine Reak­ti­on – dar­auf, dass ver­sucht wur­de, ihn öffent­lich in eine Rei­he mit Flo­ri­da-Rolf etc. zu stel­len, also als einen, der Sozi­al­leis­tun­gen missbraucht. 

Ich fin­de Ponaders Reak­ti­on nach wie vor respektabel. 

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Kurz: SPD will zurück in die fordistische Vergangenheit

Zu die­sem Bericht über den Auf­tritt von SPD-Chef Gabri­el bei einem Tref­fen von Betriebs­rä­ten in Bochum habe ich der taz einen Leser­brief geschickt. Mal schau­en, ob er abge­druckt wird.

SPD: zurück in die Vergangenheit?

Wenn es stimmt, dass Gabri­el die SPD dazu brin­gen will, jede Form der Nicht­nor­mal­ar­beit „zu bekämp­fen“ und den „unbe­fris­te­ten, sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Voll­zeit­job“ wie­der zur Regel zu machen, dann hat die SPD zwar aus der Hartz-Kri­se gelernt, sich aber nicht wei­ter­ent­wi­ckelt, son­dern ist sehn­suchts­voll wie­der in den schein­bar gol­de­nen 60er Jah­ren angekommen. 

Ist ja deren Sache – aber wäre es nicht an der Zeit, dass auch die SPD zur Kennt­nis nimmt, wie die (selbst­ver­ständ­lich männ­li­che) Voll­zeit­be­schäf­ti­gung zur Geschlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung bei­trägt? Dass es dar­um gin­ge, die in pre­kä­ren Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­sen Arbei­ten­den (eine Spann­wei­te vom Mini­job aus Not bis zur frei­wil­li­gen befris­te­ten und hoch­be­zahl­ten Pro­jekt­ar­beit) sozi­al abzu­si­chern, statt sie zu bekämp­fen? Oder, dass bei den rich­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen (ich den­ke da z.B. an ein Grund­ein­kom­men) Fle­xi­bi­li­sie­rung, Teil­zeit­ar­beit und der Wech­sel zwi­schen Pha­sen der Erwerbs­ar­beit und ande­ren Zei­ten zu einem erfüll­ten Leben bei­tra­gen kön­nen, das nicht nur in Erwerbs­ar­beit besteht? 

Ein Zurück in die for­dis­ti­sche Ver­gan­gen­heit, die sich Gabri­el wohl wünscht, taugt jeden­falls nicht als Land­kar­te für eine soli­da­ri­sche Moderne. 

Nach­trag: Wie ich gera­de beim Früh­stück gese­hen habe, wur­de der Leser­brief prompt abge­druckt (Aus­ga­be vom 24.03.2009).

Kurz: Sanktionsmoratorium – Hartz-IV-Schikanen abwählen heißt grün wählen

Die frag­wür­di­ge Sank­ti­ons­pra­xis gegen Erwerbs­lo­se muss sofort gestoppt werden!

Hartz-IV-Sank­tio­nen bedeu­ten die Kür­zung des Lebens­not­wen­di­gen. Sie sind unan­ge­mes­sen und ent­spre­chen nicht unse­rer demo­kra­ti­schen Gesellschaftsform.

Um fai­re Lösun­gen zu schaf­fen, ist die Anwen­dung des § 31 SGB II auszusetzen. 

Das ist die Kern­for­de­rung des Bünd­nis­ses für ein Sank­ti­ons­mo­ra­to­ri­um.

Inzwi­schen haben auch vie­le Grü­ne die­sen For­de­rung unter­schrie­ben – was nicht wei­ter ver­wun­der­lich ist, weil die Aus­sa­ge den For­de­run­gen des grü­nen Wahl­pro­gramms ent­spricht, das in Bezug auf Hartz IV eine bemer­kens­wert deut­li­che Spra­che findet. 

Auch wenn ich wie Jörg Rupp ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men und die Abschaf­fung – und nicht nur Aus­set­zung – von Sank­tio­nen bei Hartz IV hilf­reich fän­de, ist das Sank­ti­ons­mo­ra­to­ri­um ein rich­ti­ger ers­ter Schritt. Um Hartz-IV-Schi­ka­nen abzu­wäh­len, muss nie­mand das Kreuz bei „DIE LINKE“ machen – das geht auch mit grün. Gut so.

Skeptisches zur Grundeinkommenspetition

Über diver­se Kanä­le bin ich in den letz­ten Tagen auf die Grund­ein­kom­mens­pe­ti­ti­on auf­merk­sam gemacht wor­den. Bis­her gehö­re ich nicht zu den über 10.00020.000 Mit­zeich­ne­rIn­nen der Peti­ti­on (mit­zeich­nen noch bis 10.2.17.2. mög­lich), obwohl ich, wie lang­jäh­ri­ge Lese­rIn­nen die­ses Blogs wis­sen, der Idee eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens durch­aus posi­tiv gegen­über­ste­he. Neben­bei bemerkt: ich fin­de es klas­se, dass es – bei allen Män­geln – das ePe­ti­ti­ons-Sys­tem des Bun­des­tags gibt. Und die Grund­ein­kom­mens­pe­ti­ti­on zeigt, dass das gut mit vira­len Ver­brei­tungs­we­gen und sozia­len Net­zen (auch außer­halb der digi­ta­len Welt) zusammenpasst.

War­um ste­he ich trotz­dem bis­her nicht unter der Peti­ti­on? Dafür habe ich vor allem zwei Gründe.

1. Der voll­stän­di­ge Text der Peti­ti­on lautet 

„Der Deut­sche Bun­des­tag möge beschlie­ßen … das bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men einzuführen.“ 

Das ist für sich allei­ne genom­men auf jeden Fall knapp, aber auch ziem­lich schwam­mig. Jetzt lie­ße sich argu­men­tie­ren, dass es sinn­voll ist, dass das schwam­mig ist, weil sonst zu vie­le aus­ge­grenzt wer­den. Sehe ich anders – mir wäre eine Peti­ti­on, die einen real­po­li­tisch durch­dach­ten Vor­schlag macht, lie­ber. So lässt sich das trotz der vie­len, vie­len Mit­un­ter­zeich­ne­rIn­nen näm­lich viel zu schnell vom Tisch wischen. Auch die Mit­glie­der des Peti­ti­ons­aus­schus­ses des Deut­schen Bun­des­tags wer­den in ers­ter Linie das in die­se Peti­ti­on hin­ein­le­sen, was sie da ger­ne lesen wol­len. Mei­ner Erfah­rung ist, wenn die Grund­ein­kom­mens­idee nicht näher begrün­det und geer­det wird, das in die offen­mög­lichs­te For­mu­lie­rung hin­ein­ge­le­se dann schnell genau das Fal­sche. Und Ableh­nungs­grund im Bundestag. 

Noch schwie­ri­ger wird es, wenn der knap­pe Text mit der Begrün­dung zusam­men gele­sen wird. In die­ser wird näm­lich die – zuge­ge­be­ner­ma­ßen ziem­lich popu­lä­re – Götz-Wer­ner-Vari­an­te eines über die Mehr­wert­steu­er finan­zier­ten 1500-Euro-Grund­ein­kom­mens zur Grund­la­ge gemacht. Ich bin zwar für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men, glau­be aber, dass ein biß­chen mehr Kom­pro­miss­fä­hig­keit sein muss, um in einem real­po­li­tisch agie­ren­den Kon­text Reso­nanz und Anschluss­fä­hig­keit zu pro­du­zie­ren. Und der Bun­des­tag ist so unge­fähr das Maxi­mum an Tagespolitik.

2. Weil ich dem Peti­ti­ons­aus­schuss nicht zutraue, über den Tel­ler­rand fast aller dort ver­tre­ten Par­tei­en hin­weg­zu­schau­en, glau­be ich nicht, dass er – egal wie die Peti­ti­on genau for­mu­liert wäre – ein Grund­ein­kom­men irgend­wie posi­tiv in den im Bun­des­tag ablau­fen­den poli­ti­schen Pro­zess hin­ein­ge­ben wür­de. Inso­fern stellt sich mir die Fra­ge, ob eine Peti­ti­on das rich­ti­ge Instru­ment ist. Wenn es einen Volks­ent­scheid auf Bun­des­ebe­ne geben wür­de, wäre das alles noch ein­mal ein biß­chen anders. So kann das Ziel der Peti­ti­on eigent­lich nur sein, über den Umweg Bun­des­tag eine gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Debat­te in Gang zu brin­gen bzw. wie­der anzu­hei­zen. Ob das so klappt? Ich habe mei­ne Zwei­fel, und glau­be, dass ande­re Akti­ons­for­men effek­ti­ver wären – ent­we­der im Sin­ne von viel, viel Über­zeu­gungs­ar­beit in einer der grö­ße­ren Frak­tio­nen, also ganz real­po­li­tisch (das hat lei­der z.B. bei Grüns auf Bun­des­ebe­ne nur bedingt geklappt) oder eben anders­her­um im Sin­ne außer­par­la­men­ta­ri­scher Sym­bol- und Mei­nungs­bil­dungs­po­li­tik und eines poli­ti­schen Wech­sels von unten.

Zusam­men­ge­fasst: um so eine Sache wie das Grund­ein­kom­men wirk­lich vor­an­zu­brin­gen, braucht es auf allen Ebe­nen mehr poli­ti­sche Pro­fes­sio­na­li­tät. Damit mei­ne ich nicht PR und Mar­ke­ting (das klappt auch, wenn vor­ne ein Cha­ris­mat steht), son­dern die Mühen der poli­ti­schen Ebe­nen zu durch­wan­dern und die Müh­len von BIs und Ver­bän­den, Par­tei­en und Kam­pa­gnen zum Klap­pern zu brin­gen. Noch die bes­te Idee kann dar­an schei­tern, dass ihr allei­ne zuviel zuge­traut wird und dar­über ver­ges­sen wird, Netz­wer­ke und Bünd­nis­se zu schmie­den, die Öffent­lich­keit zu errei­chen und immer wie­der und wie­der Über­zeu­gungs­ar­beit zu leis­ten. Poli­ti­sche Erfol­ge ent­ste­hen nicht von allei­ne, son­dern brau­chen auch unter der Ober­flä­che der Anträ­ge und Par­tei­tags­re­den viel Vor­ar­beit. (Das sei im übri­gen auch den Grund­ein­kom­mens­ak­ti­vis­tIn­nen in der eige­nen Par­tei noch ein­mal gesagt!).

Viel­leicht ist die E‑Petition ein Fokus­punkt, um eine poli­ti­sche Pro­fes­sio­na­li­sie­rung zu errei­chen. Ich bin skep­tisch. Im Unter­grund sich allei­ne über­las­sen habe ich Angst, dass aus der viel­un­ter­zeich­ne­ten Peti­ti­on eher ein sehr kur­zes Feu­er­werk mit einer sehr lan­gen Lun­te wer­den wird. Und dar­auf habe ich kei­ne Lust. Aber viel­leicht über­zeugt mich ja in den nächs­ten fünf Tagen noch jemand vom Gegen­teil (oder davon, dass ich durch die ehren­amt­li­che Teil­nah­me am poli­ti­schen Betrieb schon so ver­dor­ben bin, dass ich die Kraft der Ideen nicht mehr wahrnehme).

War­um blog­ge ich das? Weil ich es begrün­dungs­be­dürf­tig fin­de, die Peti­ti­on nicht zu unter­zeich­nen. Und weil ich ger­ne auf allen Ebe­nen (Peti­ti­on als par­ti­zi­pa­ti­ves Instru­ment, Grund­ein­kom­men als Real­po­li­tik, pro­fes­sio­na­li­sier­te Kam­pa­gnen­ar­beit) Debat­ten anre­gen möchte.