Kurz: Wenn schon Ehe, dann doch bitte für alle, die sie wollen

Chasing a rainbow IIIch bin ja nach wie vor skep­tisch, ob eine staat­lich gere­gel­te und mit Ver­güns­ti­gun­gen ver­se­he­ne Insti­tu­ti­on Ehe über­haupt not­wen­dig und sinn­voll ist. Zu groß ist der Bal­last, den das Kon­zept in gebün­del­ter Form mit sich führt – Lebens­ge­mein­schaft, Wirt­schafts­ge­mein­schaft, Orga­ni­sa­ti­ons­form sexu­el­ler Bezie­hun­gen mit Exklu­si­vi­täts­an­spruch, dif­fu­se Erwar­tun­gen an eine geschlech­ter­be­zo­ge­ne Arbeits­tei­lung, gemein­sa­me Sor­ge um Kin­der. Ach ja: und natür­lich, in Deutsch­land jeden­falls, die Erwar­tung, dass es sich um ein hete­ro­se­xu­el­les Paar han­delt, das hei­ra­tet. Eigent­lich wäre es rich­tig, die unter­schied­li­chen Aspek­te, die alle unter „Ehe“ geführt wer­den, aus­ein­an­der­zu­drös­seln. (Gemein­sa­me) Sor­ge für Kin­der hat nichts mit Ver­hei­ra­tet­sein zu tun. Lebens- und Wirt­schafts­ge­mein­schaf­ten meh­re­rer Per­so­nen las­sen sich anders orga­ni­sie­ren. Und sind wirk­lich staat­li­che Regis­ter dar­über not­wen­dig, wer mit wem zusam­men ist? Und ganz prak­tisch äußert sich der staat­lich Schutz der Ehe z.B. im Steu­er­recht fak­tisch als Dis­kri­mi­nie­rung unver­hei­ra­te­ter Eltern, nicht­ehe­li­cher Lebens­ge­mein­schaf­ten und Alleinerziehender.

All das sind, mal ganz kur­so­risch skiz­ziert, Punk­te, war­um ich der Insti­tu­ti­on Ehe skep­tisch gegen­über ste­he. Ver­mut­lich sieht die Mehr­heit der Men­schen hier im Land das – trotz der hohen Schei­dungs­ra­ten – anders und wird die Ehe nicht so schnell abschaf­fen und durch Fami­li­en­ver­trä­ge erset­zen wol­len, oder nach ande­ren, fle­xi­ble­ren Instru­men­te für ein­zel­ne Tei­le des Bün­dels suchen. 

Dann wäre es aller­dings nur ange­mes­sen, dem iri­schen Bei­spiel zu fol­gen und aus der Ehe eine #ehe­für­al­le zu machen, also die defi­ni­to­ri­sche Hete­ro­se­xua­li­tät zu strei­chen. Gesell­schaft­li­che und (theo­re­tisch auch) par­la­men­ta­ri­sche Mehr­hei­ten dafür sind längst da – nur die Kanz­le­rin­nen­par­tei­en CDU und CSU wei­gern sich lei­der, die­ses Update zum Sta­tus Quo west­li­cher Wer­te durch­zu­füh­ren. Statt des­sen hal­ten sie – typisch Ver­bots­par­tei, typisch Par­tei, die ande­ren vor­schrei­ben möch­te, wie sie zu leben haben – an der ein­schrän­ken­den Mann-Frau-Defi­ni­ti­on fest. Ich befürch­te: ohne eine ande­re Regie­rung wird sich da auch nicht so schnell etwas ändern.

Warum willst du nicht hier bleiben? – Darum!

Flight of the seagull II

Eigent­lich ist das mit den Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen hier in Deutsch­land doch schon ganz ordent­lich, oder? Also so im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern. Tja, denks­te – der Blick von außen ist dann doch erhel­lend. Des­we­gen folgt hier ein (anony­mi­sier­ter) Rant einer Bekann­ten von mir, die seit vie­len Jah­ren in den USA lebt, dort eine erfolg­rei­che Pro­fes­so­rin ist, und jetzt für ein Jahr wie­der nach Deutsch­land zurück­ge­kehrt ist. Ihre Erfah­run­gen damit, wie tief ein­ge­gra­ben über­kom­me­ne Geschlech­ter­rol­len hier­zu­lan­de sind – selbst oder gera­de in einem aka­de­mi­schen Kontext:

Befo­re I moved back to Ger­ma­ny I did not con­sider mys­elf a femi­nist, just a woman, who expects to be trea­ted equal­ly. That’s all. After a year back in Ger­ma­ny I feel like a radi­cal femi­nist activist. 

The main reason I could not see mys­elf living in Ger­ma­ny again per­ma­nent­ly is becau­se of gen­der roles. Over­all I see men here a lot more equal­ly invol­ved in house­hold cho­res, the care of the child­ren, it is not uncom­mon for men to take pater­ni­ty lea­ve; yet even many of tho­se men still boss their fema­le part­ners around tel­ling them how to do what when or orde­ring for them in the restau­rant. I con­duc­ted inter­views here with Ger­mans about their iden­ti­ty, in an attempt to under­stand, how peo­p­le in Ger­ma­ny defi­ne Ger­man­ness and them­sel­ves as Ger­mans. One man (mar­ried to an accom­plished fema­le doc­tor) respon­ded to the ques­ti­on “wer sind Sie und wie wür­den Sie sich beschrei­ben” with the fol­lo­wing “Ich bin Chef. Ich bin der Chef bei der Arbeit. Chef mei­nes Hau­ses und Chef mei­ner Fami­lie.” And that is the atti­tu­de I saw in many places. 

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Mein Unbehagen mit der Eindeutigkeit

Seit ein paar Tagen kur­siert der Kurz­film „Oppres­sed Majo­ri­ty“ (Elé­o­no­re Pour­ri­at, 2009) im Netz und wur­de inzwi­schen auch von diver­sen Online-Able­gern der Mas­sen­me­di­en auf­ge­grif­fen. Der Punkt des Fil­mes ist so ein­fach wie wir­kungs­voll – im Film haben Frau­en die Macht, Män­ner sind die Unter­drück­ten, ansons­ten bleibt alles so, wie es ist: Her­ab­wür­di­gun­gen, Anzüg­lich­kei­ten, reli­gi­ös begrün­de­te Unter­drü­ckung, sexua­li­sier­te Gewalt – und am Schluss kei­ner­lei Unterstützung.

Aber genau in die­ser Ein­deu­tig­keit der Unter­drü­ckungs­ver­hält­nis­se liegt mein Unbe­ha­gen mit dem Film. Ok – es ist ein Kurz­film, etwa zehn Minu­ten lang, da passt die Wider­sprüch­lich­keit der Welt nicht hin­ein. Aber ich fra­ge mich trotz­dem, was für Geschlech­ter­bil­der der Film ver­mit­telt, und ob er nicht gerade.in sei­ner Ein­deu­tig­keit Bio­lo­gis­men fort­schreibt und ver­stärkt. (Inter­es­san­ter­wei­se ist die­se Ein­deu­tig­keit eine bewuss­te Ent­schei­dung Pourriats).

Im Film tre­ten, wenn ich rich­tig mit­ge­zählt habe, drei Män­ner auf. Neben der Haupt­per­son Pierre sind das der Erzie­her, der es sich offen­sicht­lich in der Rol­le des vom Islam unter­drück­ten Man­nes ein­ge­rich­tet hat, sowie ein jun­ger Poli­zist oder Sekre­tär, der die Kom­men­ta­re sei­ner Vor­ge­setz­ten über sein Äuße­res kom­men­tar­los über sich erge­hen lässt. 

Die som­mer­lich geklei­de­te Haupt­per­son bringt das Kind in die Kita, zeigt sich anfangs halb­wegs selbst­be­wusst, fährt mit dem Rad zu einem Ter­min – ob beruf­lich oder pri­vat, wur­de mir nicht ganz klar – und begeg­net dann einer Grup­pe halb­star­ker Mäd­chen. Er gerät in einen Streit mit die­sen, wird von der Grup­pe in eine Sei­ten­gas­se gedrängt, geschla­gen und letzt­lich ver­ge­wal­tigt. Danach fol­gen noch zwei Sze­nen, in denen der von die­sem Ereig­nis sicht­lich trau­ma­ti­sier­te Mann auf in die­sem Fall weib­li­ches Unver­ständ­nis stößt – eine Poli­zei­be­am­tin nimmt sei­ne Anzei­ge gelang­weilt zu Pro­to­koll. Sie glaubt ihm nicht. Sei­ne Frau holt ihn spä­ter ab, es ist schon dun­kel, aber sie inter­es­siert sich doch nur für ihre eige­nen beruf­li­chen Sor­gen. Ver­letzt und allei­ne bleibt ihm eine lee­re, dunk­le Straße.

Soweit der Film. Män­ner sind im Film hilf­los und wer­den gede­mü­tigt. Frau­en neh­men Män­ner nicht für voll, unter­drü­cken die­se, redu­zie­ren sie auf den Kör­per – oder sind über­grif­fig und gewalttätig.

In umge­kehr­ten Geschlech­ter­rol­len ist das ein dunk­ler Teil der Wirk­lich­keit. Nicht zuletzt #auf­schrei hat das deut­lich gemacht. Inso­fern ist der Film wich­tig. Viel­leicht hilft er, in der Umkeh­rung der Ver­hält­nis­se deren trau­ri­ge All­täg­lich­keit sicht­bar zu machen.

Aber wie geht es wei­ter? Wie könn­te es anders sein? Hier bleibt der Film stumm. Es gibt dort kei­ne Men­schen, die ihrer (selbst­ver­ständ­lich hete­ro­nor­ma­tiv fest­ge­leg­ten) Geschlech­ter­rol­le nicht ent­spre­chen. Es gibt kein Auf­be­geh­ren, kei­ne drit­ten Räu­me, kei­ne Soli­da­ri­tät. Nie­mand löst sich von seiner/ihrer Bio­lo­gie, es gibt kei­ne Ambi­gui­tä­ten. Jede Form von Macht ist geschlecht­lich genau zuge­ord­net, und jedes Geschlecht hat genau eine Posi­ti­on. Ein Ent­kom­men aus die­ser Bina­ri­tät gibt es nicht.

Und genau damit, fürch­te ich, trägt der Film eher dazu bei Unter­drü­ckungs­ver­hält­nis fest­zu­schrei­ben als Augen zu öff­nen und Ver­än­de­run­gen zu ermög­li­chen: Die Welt ist schlecht, die Mäch­ti­gen sind sexis­tisch, aber – Ach­sel­zu­cken – so sind die Men­schen halt. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich glau­be, dass die Sache kom­pli­zier­ter sein müsste.

P.S.: Lesens­wert wie immer das Mis­sy Maga­zin dazu.

P.P.S.: Auch in der ZEIT gibt es einen inter­es­san­ten Kom­men­tar zu ras­sis­ti­schen Unter­tö­nen in dem Stück.

Kurz: M, F, X – Geschlechterscrabble

Vor ein paar Tagen schrieb Heri­bert Prantl in der Süd­deut­schen über ein Gesetz aus dem Mai 2013, das es bei inter­se­xu­ell gebo­re­nen Kin­dern erlaubt, auf eine Geschlechts­zu­wei­sung im Per­so­nal­aus­weis etc. zu ver­zich­ten. Mit Ver­weis auf die Zeit­schrift für das gesam­te Fami­li­en­recht deu­tet Prantl die­se Neu­re­ge­lung als ers­ten Schritt hin zu einer drit­ten, recht­lich aner­kann­ten Geschlechts­be­stim­mung: neben „männ­lich“ und „weib­lich“ eben auch „unbe­stimmt“ – und fragt sich, was für Aus­wir­kun­gen das dann auf vie­le exis­tie­ren­de, gezielt „Män­ner“ oder „Frau­en“ benen­nen­de gesetz­li­che Rege­lun­gen hat.

Ich fin­de das aus ver­schie­de­nen Grün­den span­nend. So zieht der Gesetz­ge­ber hier zunächst ein­mal den bio­so­zia­len Rea­li­tä­ten nach, wenn ich etwa an die sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Debat­te um ein Drit­tes Geschlecht den­ke, ange­legt etwa in der Kri­tik der Zwei­ge­schlecht­lich­keit. Da wird dann aller­dings eher der Ver­zicht auf fes­te Geschlechts­ka­te­go­rien gefor­dert als eine drit­tes Geschlech­ter­ka­te­go­rie. Aber auch anthro­po­lo­gi­sche Ver­wei­se auf Gesell­schaf­ten, die ein drit­tes Geschlecht ken­nen, sind häu­fig, bei­spiels­wei­se die Hijra Süd­asi­ens. Und natür­lich wird in der Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur wie­der­holt mit zukünf­ti­gen Gesell­schaf­ten expe­ri­men­tiert, in denen es drei oder mehr Geschlechts­iden­ti­tä­ten gibt (etwa in Greg Egans Roman Distress von 1995). 

Rich­tig inter­es­sant wür­de es aller­dings, wenn mit der Ein­füh­rung einer drit­ten, „unbe­stimm­ten“ Geschlechts­ka­te­go­rie im deut­schen Per­so­nen­stands­recht eine Ent­kopp­lung zwi­schen Bio­lo­gie und sozia­lem Geschlecht ver­bun­den wäre. Eine unbe­stimm­te Geschlechts­ka­te­go­rie für inter­se­xu­el­le Men­schen – also Men­schen mit unein­deu­ti­gen oder dop­pel­ten Geschlechts­merk­ma­len – ein­zu­füh­ren, ist sicher­lich ein sinn­vol­ler Schritt. Aber war­um nicht gleich noch einen Schritt wei­ter­ge­hen, und allen, die kei­ne Lust dazu haben, sich dem einen oder dem ande­ren bio­so­zia­len Geschlecht zuord­nen zu las­sen, die­se Wahl­mög­lich­keit que(e)r zur Zwei­ge­schlecht­lich­keit eben­falls eröffnen?

Elf Sätze zum Sorgerecht

Flight geometry

Bei Ant­je Schrupp und bei der Mäd­chen­mann­schaft wer­den die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen rund um das Sor­ge­recht ana­ly­siert und hef­tig dis­ku­tiert. Mein ers­ter Ein­druck: die Auf­he­bung des Veto­rechts für nicht-ehe­li­che Müt­ter beim Sor­ge­recht ist eben­so sinn­voll wie der Vor­schlag von Jus­tiz­mi­nis­te­rin Leu­theus­ser-Schnar­ren­berg, künf­tig das gemein­sa­me Sor­ge­recht auch bei nicht mit­ein­an­der ver­hei­ra­te­ten Eltern als Stan­dard ein­zu­füh­ren. Die­se Sicht der Din­ge mag auch mit mei­ner per­sön­li­chen Situa­ti­on zu tun haben. Ich bin froh, dass mei­ne Part­ne­rin und ich das gemein­sa­me Sor­ge­recht für unse­re bei­den Kin­der haben (die­se Mög­lich­keit gibt es erst seit 1998) – das passt zu unse­rer Vor­stel­lung ega­li­tä­rer Eltern­schaft. Und ich kann bestä­ti­gen, was wohl auch ande­re erfah­ren haben, dass es näm­lich als nicht ver­hei­ra­te­tes Paar ein ziem­li­cher Auf­wand ist, das gemein­sa­me Sor­ge­recht zu bean­tra­gen. Dazu müs­sen Vater und Mut­ter gemein­sam beim Jugend­amt erschei­nen – wir haben das aus prak­ti­schen Grün­den und nach Bera­tung durch unse­re Heb­am­me vor der Geburt gemacht -, sich einen Vor­trag dar­über anhö­ren, dass die Ent­schei­dung nur durch Gerichts­ur­teil wie­der auf­heb­bar ist, und die Part­ne­rin wird ganz unvoll­jäh­rig noch­mal ganz beson­ders auf die Trag­wei­te ihres Ent­schlus­ses hin­ge­wie­sen. Dass es unter die­sen Umstän­den häu­fig dazu kommt, dass unver­hei­ra­te­te Paa­re das gemein­sa­me Sor­ge­recht nicht bean­tra­gen, erscheint mir plau­si­bel – und die Karls­ru­her Ent­schei­dung ein Schritt hin zu einer Gleich­stel­lung von ver­hei­ra­te­ten und nicht ver­hei­ra­te­ten Paaren.

Aller­dings gibt es auch Argu­men­te, die gegen die Rege­lung einer gemein­sa­men Sor­ge als Stan­dard­fall spre­chen, und die mich jetzt auch ein biß­chen ins Grü­beln gebracht haben. Das eine ist der in die­sem taz-Kom­men­tar schön zum Aus­druck gebrach­te Punkt, dass „Vater­schaft“ ganz unter­schied­li­ches bedeu­ten kann, von der ega­li­tä­ren Fami­li­en­ar­beit oder der Allein­ver­ant­wor­tung bis hin zu einem „Will-damit-nichts-zu-tun-haben“: da stellt sich schon die Fra­ge, ob eine sol­che Fest­le­gung für alle Fäl­le passt, bzw. wie das gere­gelt wer­den kann. Noch schwer­wie­gen­der erscheint mir das von bei­den oben ver­link­ten Blogs ange­spro­che­ne Argu­ment, dass mit der gemein­sa­men Sor­ge von leib­li­cher Mut­ter und leib­li­chem Vater letzt­lich ein ganz bestimm­tes sozia­les – hete­ro­nor­ma­ti­ves – Modell von Fami­lie und Eltern­schaft gefea­tured wird, und dass hier die bio­lo­gi­sche Eltern­schaft gegen­über einer wie auch immer zustan­de gekom­me­nen sozia­len Eltern­schaft klar prä­fe­riert wird. Jedes Kind braucht Eltern – aber müs­sen das genau zwei sein, genau ein Mann und genau eine Frau (die zusam­men das Kind gezeugt haben)?

P.S.: Wahr­schein­lich ist das recht­lich-poli­ti­sche Kon­zept Fami­li­en­ver­trag hier der letzt­lich sinn­volls­te Weg.