Um die Zukunft und die Vergangenheit – so weit sie als Science Fiction bzw. als Fantasy imaginiert werden – findet derzeit, von der größeren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ein Kulturkampf statt. Unbemerkt, aber nicht unwichtig, denn wo anders als in diesem Genre entsteht das kollektive Imaginäre? Ein heiß diskutiertes Symptom für diesen Kulturkampf sind die vor wenigen Tagen bekanntgegebenen Hugo-Nominierungen. Um das zu verstehen, ist allerdings etwas Hintergrund notwendig.
Kurz: Schatten der Landtagswahl
Gewählt wird in Baden-Württemberg erst in einem Jahr, doch die Landtagswahl ist längst präsent. Das betrifft nicht nur Spitzenkandidaten, die Frage, welche Projekte letztlich in der Schlussbilanz der ersten grün-roten Legislatur landen werden, und den in den Parteien anlaufenden Programmprozess. Nein, was die Landtagswahl 2016 jetzt schon so sichtbar macht, ist insbesondere die Aufstellung der WahlkreiskandidatInnen.
Daran ist das baden-württembergische Wahlrecht schuld: Wer in den Landtag kommen will, braucht einen Wahlkreis, und gerade für mittelgroße und kleine Parteien heißt das: einen guten Wahlkreis. Kurz erläutert: Von den mindestens 120 Abgeordneten ziehen 70 direkt über die einfache Mehrheit im Wahlkreis ein. Die restlichen Mandate werden in einer Zweitauszählung auf die vier Regierungspräsidien Regierungsbezirke heruntergebrochen und dann nach prozentualer Stärke je Partei verteilt. Anders gesagt: Wer ein Direktmandat erhält, ist sicher drin – danach geht es darum, wie gut eine KandidatIn im Vergleich zu den anderen KandidatInnen ihrer Partei im Regierungspräsidium Regierungsbezirk abschneidet. Und: ohne zumindest eine Handvoll Direktmandate keine Mehrheit im Landtag!
Das Wahlrecht hat – neben dem ambivalenten Aspekt der starken lokalen Bindung – durchaus Tücken. Insbesondere ist keine (Geschlechter-)quotierung möglich, da lokal entschieden wird. Versuche, das Wahlrecht zu ändern (Richtung Liste(n) oder Richtung Mehrpersonenwahlkreise), scheiterten bisher insbesondere am Widerstand von CDU und SPD. Die Landesparteien bleiben hier also relativ bedeutungslos, die Wahlkreisversammlungen – in Wahlkreisen, die oft quer zu Landkreisen und damit Kreisverbänden liegen – haben ein umso größeres Gewicht. Und so wird seit einigen Wochen bis zum Herbst nach und nach in den 70 Wahlkreisen aufgestellt. Zum Teil entspannt, vielerorts aber auch als öffentlich gebannt verfolgtes Drama, bei dem Abgeordnete um ihre Wiederaufstellung bangen. Das fühlt sich anders an als die Aufstellung einer Landesliste an einem Parteitagswochenende – und sorgt für Präsenz der Landtagswahl schon jetzt, ein Jahr vor dem Wahltermin.
Politik im Netz – was geht?
Letzten Samstag fand die Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg statt, die diese freundlicherweise dem Thema „Politik im Netz – Wie das Internet politische Kommunikation und Kultur verändert“ gewidmet hatte. Im Folgenden also ein paar Streiflichter aus der Konferenz. Das Publikum wirkte übrigens sehr viel weniger nerdig, als das Thema es hätte vermuten lassen.
Aneignung, Macht und kultureller Wandel
Wintersonnenwende – ein Fest, das in ziemlich vielen Religionen/Kulturen gefeiert wird. Ausgangspunkt ist eine beobachtbare Tatsache: die Tage werden wieder länger, es wird heller; gleichzeitig setzt oft der „richtige“ Winter ein. Was daraus gemacht wird, wie gefeiert wird, all das ist Kultur. Und die ist bekanntlich extrem wandlungsfähig.
Ich mag das Konzept der kulturellen Aneignung. Menschen sind in der Lage dazu, sich Stücke aus unterschiedlichen Traditionen herauszubrechen und in ihre eigenen Traditionen zu übernehmen. Bei dieser Übernahme verändern sich Ideen und Rituale, es entsteht etwas Neues. Insofern ist kulturelle Aneignung ein Motor für kulturellen Wandel, für Innovation, ganz pathetisch gesagt auch für Fortschritt.
Was genau von wem wann erfunden wurde, interessiert vielleicht HistorikerInnen, spielt aber eigentlich keine Rolle. Finde ich jedenfalls. Oder ist das zu einfach? Wie weit müssen Traditionslinien und historische Assoziationen mitgedacht werden, wenn ein Ritual, ein Fest, eine kulturelle Angewohnheit, kurz, eine Praktik, angeeignet, verändert und übernommen wird?
Kurz: Splitting nein danke!
Kleiner Nachtrag zum vorherigen Blogpost, der sich ja auch auf KGEs Äußerung zum Ehegattensplitting bezog. Begründet wird die Existenz des Ehegattensplittings ja immer mit dem Schutz von Ehe und Familie. Faktisch ist es ein steuerlicher Anreiz zu nicht-egalitären Ehen (sprich, im empirischen Normalfall: nahezu alleine verdienender Mann / mitversorgte Frau); Kinder sind dem Splitting dagegen eher egal.
Das ist aus prinzipiellen Erwägungen falsch, etwa im Hinblick auf den Gleichstellungsauftrag. Es ist auch falsch, weil Familie zunehmend anders aussieht – unverheiratete Eltern, Alleinerziehende, Patchworks. Und ja, die steuerliche Bevorzugung der Ehe ärgert mich auch persönlich: Wir hatten uns damals den Luxus geleistet, nicht zu heiraten. Wir haben vereinbart, Familien- und Erwerbsarbeit gleichermaßen egalitär aufzuteilen. Inzwischen leben wir – ohne nervige Scheidung – getrennt; die Kindererziehung erfolgt immer noch ziemlich gleich verteilt, ebenso der Kindergeldanspruch. Ein an Kindern und nicht an nicht-egalitärer Ehe orientiertes Förderinstrument würde uns jetzt helfen, ebenso wie es früher eine willkommene Unterstützung gewesen wäre – die Kosten sind ja da, und sie sind durch das getrennt-gemeinsame Erziehen der Kinder nicht kleiner geworden. Auch das wäre „Wahlfreiheit“.
Auch deswegen ärgert es mich, wenn ein zentraler grüner Programmpunkt wie die Umwandlung des Ehegattensplittings in eine Kinderförderung mal eben zur Debatte gestellt wird. Dass darüber kurz vor den Landtagswahlen im Osten Streit ausbricht, ist nicht schön, aber notwendig. Meine Lebensrealität – und die vieler anderer Menschen heute – sieht anders aus als die implizite Gesellschaftsvorstellung im Steuerrecht.
P.S.: Auf dem Smartphone getippt, deswegen habe ich darauf verzichtet, Links zu den vielen guten Statements in dieser Debatte rauszusuchen. Weiterführende Links: