… gibt das schon, dass es in vielen Städten spontan Seebrücke-Kundgebungen und Demos gab. Dass drei Viertel der Deutschen die Seenotrettung unterstützen. Oder dass heute über 20.000 Menschen in München gegen die Politik der CSU auf die Straße gegangen sind. Mehr davon, bitte!
Historische Tage? Doch nur groß inszeniertes bayerisches Singspiel
Vor ein paar Tagen bloggte ich kurz etwas, dass das derzeit vielleicht historische Tage sein könnten. Heute kommt der Schwank dann zu seiner vorläufigen Auflösung: nach Ultimaten, Drohungen, Verhandlungen, Erpressungen, Finten, einem angedrohten Rücktritt, Gütegesprächen, dem Rücktritt vom Rücktritt und einem geheimen Masterplan, der zugleich von der CSU und von Bundesinnenministerium stammt – also nach all den Elementen, die eher auf eine Bühne als in die Politik passen sollten – bleibt alles beim alten. Jedenfalls dann, wenn die SPD mitmacht. Gegenstimmen dazu habe ich noch keine gehört.
Im Endeffekt, materiell, geht es in dem jetzt vorliegenden „Kompromiss“ – über den zwei der drei Regierungsparteien verhandelt haben – darum, dass Seehofer an der Grenze zwischen Bayern und Österreich, Asylbewerber*innen zurückweisen kann, die aus Drittstaaten wie Österreich einreisen. Dazu sollen „Transitzentren“ an der österreichischen Grenze errichtet werden, das ist etwa das, was die USA an der Grenze zu Mexiko hat. Die SPD lehnte das bisher ab. Das ganze soll auf der Grundlage von Abkommen mit den Ersteinreiseländern der Asylsuchenden geschehen, wenn diese Abkommen – das wäre Merkels europäische Komponente – nicht zustande kommen, werden die Asylbewerber*innen eben nach Österreich geschickt, auf der Grundlage einer noch zu verhandelnden Vereinbarung mit der schwarz-blauen Regierung dort. (Anders gesagt: Seehofer geht und ging es wohl immer darum, in Bayern den starken Mann markieren zu können.)
Damit ist es der Union gelungen, die theatralische Spaltung zu verhindern und die heiße Kartoffel bei der SPD abzuladen. Entweder verweigert sie sich mit Verweis auf den Koalitionsvertrag dem „Kompromiss“ – dann ist es nicht mehr die CSU, sondern plötzlich die SPD, die schuld daran ist, wenn die Regierung Merkel scheitert, oder wenn es wochenlange Auseinandersetzungen gibt. Oder sie stimmt zu, dann rutscht das Glaubwürdigkeitskonto der SPD weiter ins Negative. Beides eher unschön, und auch insgesamt macht das ganze Hin und Her eher wütend. Mit einer humanen Flüchtlingspolitik hat es jedenfalls nichts mehr zu tun.
Für die Zukunft der großen Koalition stimmt mich das auch nicht gerade positiv. Verkürzt gesagt, hat Seehofer sich gerade damit durchgesetzt, „irgendwas für Bayern“ zu fordern, ohne Rücksicht auf den Koalitionsvertrag und die Koalitionspartner. Das wirkte lange so, als würde es mit ihm heimgehen – im Endeffekt hat er sich aber hinsichtlich seines Kernanliegens durchgesetzt. Und das zählt am Schluss. Nebenbei ist er damit durchgekommen, Merkel bloß zu stellen (mit dieser Frau könne er nicht zusammenarbeiten) und ihre Richtlinienkompetenz in Frage zu stellen („Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“). Merkel wiederum bleibt Kanzlerin. Sollte das ganze ein versuchter Putsch gewesen sein, ist dieser gescheitert.
Allerdings ist jetzt auch klar: wer Maximalkrawall macht, theatralisch damit droht, zu gehen, ja, wirklich, zu gehen, bittschön!, der kann in dieser Regierung im Endeffekt durchsetzen, was er will. Jedenfalls, wenn er zugleich Minister und Parteichef einer der Koalitionsparteien ist. Die SPD wird versuchen, das auch hinzukriegen, und damit auf die Nase fallen. Die CSU, und insbesondere Seehofer, wird nachlegen – anscheinend hat er auch als Gesundheitsminister in der Regierung Kohl schon ähnlich „verhandelt“.
Ich hatte ja von Anfang an den Verdacht, dass es hier eigentlich um die bayerischen Landtagwahlen im Oktober ging. Ob sich das Singspiel da auszahlt, bleibt abzuwarten. Bisher sind die Werte für die CSU hinunter gegangen. Aber der bayerische Wähler und die bayerische Wählerin goutiert vielleicht keinen Streit; wenn sich einer, mit welchen bauernschlauen Tricks und Dickköpfigkeiten auch immer, durchsetzt, dann sieht’s („A Hund!) schon wieder anders aus.
Ein an der Sache orientierter, rationaler Politikstil sieht anders aus. Und dieses Theater trägt definitiv nicht dazu bei, dass das Vertrauen in die Politik steigt.
Zehn Regeln für Demokratie-Retter
Nur etwas mehr als hundert Seiten umfasst das Büchlein Zehn Regeln für Demokratie-Retter des Kölner Journalisten Jürgen Wiebicke, das als Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung für 1,50 € erhältlich ist. Und eigentlich ist alles, was Wiebicke dort locker erzählend aufschreibt, selbstverständlich. Oder sollte selbstverständlich sein. Vielleicht braucht eine im Angesicht eines auflodernden Rechtspopulismus verunsicherte Gesellschaft genau diese Bestätigung des Selbstverständlichen, und vielleicht ist Wiebickes Buch gerade deswegen ein wichtiges Vademecum für Bürgerinnen und Bürger.
Oder vielleicht ist das Büchlein auch deswegen wichtig, weil sich hinter den Regeln, hinter dem Aufruf zu Gelassenheit und lokalem Engagement auch einige Sätze verbergen, die möglicherweise nicht auf Zustimmung stoßen oder nicht sofort geteilt werden.
Photo of the week: Mossy wall
Freiburg ist weder „Bullerbü“ (so unser OB, Dieter Salomon) noch ein Hobbitdorf – sondern eine kleinere Großstadt mit rund 230.000 Einwohner*innen. In den letzten Tagen gibt es sehr viele Menschen, die über Freiburg schreiben (bis hin zur New York Times) – weil der vermutliche Täter im Mordfall Maria L. ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan ist, und weil manche es nicht aushalten, dass Freiburg weiterhin liberal und weltoffen sein möchte. Das, was da zu lesen ist, hat oft nicht so viel damit zu tun, wie diese Stadt sich anfühlt. Ich verlinke dazu einfach mal auf Ellas Blog und auf den diesbezüglichen Artikel heute im Sonntag, unserer lokalen Wochenendzeitung.
Was im Kurzprogramm der AfD zur Landtagswahl in Baden-Württemberg steht
Es gibt selbst in grünen Kreisen den einen und die andere, die mehr oder weniger offen Sympathien zur AfD zeigen. Oft schwingt da Politikverdrossenheit und ein „es denen da oben mal zeigen“ mit. Und auch wenn die Hoffnung, dass Argumente hier helfen, begrenzt ist, erscheint es mir doch sinnvoll, vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg in einem Monat mal zu zeigen, was für einen Mist die AfD so behauptet. In eine ähnliche Richtung geht Kattaschas Lektüre des Langprogramms der AfD zur Landtagswahl in Baden-Württemberg.
Ich beschränke mich im Folgenden auf die auch in meinem Briefkasten gelandete „Kurzfassung des Wahlprogramms der AfD Baden-Württemberg zur Landtagswahl 2016«. Die übrigens gleich mit einer Lüge anfängt, insofern das auf der Titelseite abgebildete Neue Schloss zwar Sitz des Finanzministeriums ist, aber mit dem Landtag – um den es bei der Wahl am 13. März geht – nicht so richtig etwas zu tun hat. Über die einzelnen von der AfD zur Wahl gestellten Personen sage ich hier nichts, einiges dazu, welche Gestalten für die AfD antreten, findet sich hier.
Interessant finde ich, in was für einem Ausmaß die AfD in ihrem Kurzprogramm Verschwörungstheorien Raum gibt. Fakten spielen dabei keine große Rolle. Aber das ist ja ein bekanntes Schema: Es wird irgendeine Behauptung in die Welt geworfen, und wenn – z.B. in den Medien – eine sachliche Erwiderung dazu zu finden ist, dann ist das eben „Systempresse“ oder „Lügenpresse“, die versucht, die „Wahrheit“ zu verschleiern. Jede Widerlegung einer Behauptung wird so im richtigen Mindset nur zum Futter, um die Richtigkeit der Lüge zu bestätigen. Insofern wird auch der folgende Text bei Hardcore-Fans der AfD nicht zum Nachdenken führen – aber vielleicht bei einigen, die aktuell mit dem Gedanken spielen, bei der Wahl zu zündeln.
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