Nebensache?! Selektionseffekte des Wahlsystems

"Danger - Men at work"Das baden-würt­tem­ber­gi­sche Wahl­sys­tem macht nicht nur Wahl­aben­de span­nend, son­dern trägt, da es kei­ne Lis­ten gibt, auch dazu bei, dass übli­che (for­ma­le wie infor­mel­le) Quo­tie­rungs­in­stru­men­te nicht grei­fen. Das wirkt sich u.a. auch auf die Geschlech­ter­quo­te aus – und redu­ziert auch gene­rell die Chan­cen für alle, die nicht dem Typus des popu­lis­ti­schen Direkt­man­da­t­ärs ent­spre­chen, in den Land­tag einzuziehen.

Schau­en wir dazu mal die Abge­ord­ne­ten im neu­en Land­tag an, getrennt nach den vier Fraktionen. 

  • Die CDU ent­sen­det 60 Abge­ord­ne­te in den Land­tag. Dar­un­ter sind gera­de mal acht Frau­en (wenn ich mich jetzt nicht ver­zählt habe). Das sind 13% die­ser Fraktion.
  • Ein biss­chen bes­ser – aber auch nicht wirk­lich gut – sieht es bei uns Grü­nen aus. In der neu­en gro­ßen Frak­ti­on mit 36 Abge­ord­ne­ten beträgt der Frau­en­an­teil 31% (d.h. 11 Abgeordnete).
  • Bei der SPD sind es 6 weib­li­che Abge­ord­ne­te bei einer Frak­ti­ons­stär­ke von 35 Sit­zen, also 17%.
  • Und die FDP hat es tat­säch­lich geschafft, eine rein männ­li­che 7er-Frak­ti­on in den Land­tag zu bringen.

Im Land­tag ins­ge­samt kom­men wir damit auf einen – auch im Ver­gleich zu ande­ren Land­ta­gen in Deutsch­land – vor­sint­flut­li­chen Frau­en­an­teil von 18%. 

Ich gehe davon aus, dass das bei der Ver­tei­lung der Regie­rungs­pos­ten ein biss­chen anders aus­se­hen wird. Wenn mit Kret­sch­mann und Schmid schon ein Män­ner­duo an der Spit­ze steht, wird es in bei­den Par­tei­en mei­ner Mei­nung nach schwer durch­setz­bar sein, beim wei­te­ren Regie­rungs­per­so­nal weni­ger als eine Quo­tie­rung umzusetzen. 

Mir geht es in die­sem Arti­kel aller­dings gar nicht nur dar­um, Frau­en und Män­ner zu zäh­len und Quo­ten aus­zu­rech­nen. Ich sehe den gerin­gen Frau­en­an­teil – der ja selbst in der grü­nen Frak­ti­on deut­lich hin­ter den übli­cher­wei­se in grü­nen Gre­mi­en erwar­te­ten 50% liegt – im Land­tag als einen sehr deut­li­chen Hin­weis dar­auf, dass das baden-würt­tem­ber­gi­sche Wahl­recht, des­sen Grund­la­ge ja Wahl­kreis­kan­di­da­tu­ren sind, Struk­tur­ef­fek­te hat und dazu bei­trägt, einen bestimm­ten Per­so­nen­typ – der hono­ri­ge, ört­lich ver­an­ker­te Poli­ti­ker (m, d.) – zu bevor­zu­gen. Ich habe dazu jetzt kei­ne Daten, aber ich gehe davon aus, dass das auch bei der Alters­ver­tei­lung, bei Beru­fen und defi­ni­tiv beim Anteil von Abge­ord­ne­ten mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund eine Rol­le spielt.

Zum Ver­gleich viel­leicht noch – hier mal nur die Grü­nen – die Situa­ti­on bei der Kan­di­da­tur. In den lan­des­weit 70 Wahl­krei­sen sind bei uns 24 Frau­en ange­tre­ten (34%), also ein etwas höhe­rer Anteil als in der Frak­ti­on. Anders gesagt: die kri­ti­sche Schwel­le scheint gar nicht so sehr die Wahl zu sein, son­dern der Schritt davor – das Errin­gen eines (aus­sichts­rei­chen) Wahlkreises. 

Die drei Spit­zen­er­geb­nis­se (und Direkt­man­da­te) bei den Grü­nen haben übri­gens alle­samt Frau­en erzielt – Muthe­rem Aras mit 42,5% in Stutt­gart I, Edith Sitz­mann mit 39,9% in Frei­burg II und The­re­sia Bau­er mit 36,7% in Heidelberg.

Ob die Zusam­men­set­zung des Land­tags, die in den letz­ten Jah­ren ähn­lich war, Aus­wir­kun­gen auf die dort ent­ste­hen­de Poli­tik hat­te oder haben wird, dar­über lässt sich strei­ten. Ich bin nicht der Ansicht, dass Poli­tik sich auto­ma­tisch ändert, weil sie von Men­schen mit weib­li­chen Geschlechts­tei­len gemacht wird. Mir geht es eher dar­um, dass der Frau­en­an­teil ein Hin­weis dar­auf ist, wie wenig reprä­sen­ta­tiv der Land­tag für die ganz unter­schied­li­chen Lebens­ent­wür­fe und All­tags­si­tua­tio­nen der baden-würt­tem­ber­gi­schen Bevöl­ke­rung ist. Und in die­ser man­gel­haf­ten Abbil­dung der rea­len Viel­falt – dar­in sehe ich auch ein Pro­blem für die dort ent­ste­hen­de Politik. 

War­um blog­ge ich das? Als klei­nen Hin­weis dar­auf, dass das Wahl­recht in Baden-Würt­tem­berg auch in ande­rer Wei­se ver­zer­rend wirkt.

P.S.: Jan weist im Kom­men­tar auf eine Über­sicht des Sta­tis­ti­schen Lan­des­amts hin, in der für alle Par­tei­en auf­ge­führt ist, wie vie­le Bewer­be­rin­nen über­haupt ange­tre­ten sind (bei uns dem­nach 37% = 26 Frau­en statt der von mir oben genann­ten 34%/24 Frau­en; CDU: 15%, SPD: 20%, FDP: 25% unter den BewerberInnen).

Service: meine gesammelte Wahlartikel zur Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg

Wie wahr­schein­lich Aber­tau­sen­de ande­re bin ich extrem gespannt, ob die Wahl heu­te Geschich­te in Baden-Würt­tem­berg schrei­ben wird. Ich bin gra­de zur Wahl gegan­gen und habe natür­lich grün gewählt – und kann das auch nur allen ande­ren raten, die in Baden-Würt­tem­berg (oder Hes­sen oder RLP) wahl­be­rech­tigt sind. Jede Stim­me zählt – und dies­mal ist das mehr als ein blö­der Spruch. Letzt­lich kann’s an weni­gen Pro­zent­punk­ten hän­gen, ob Map­pus sei­nen auto­kra­ti­schen Kurs, der selbst in der Basis der CDU umstrit­ten ist, wei­ter­fah­ren kann, oder ob wir ihn abwählen.

In den letz­ten Tagen und Wochen habe ich dazu hier und im „Grün­zeug am Mitt­woch“ eini­ges gebloggt. Wer die­ses oder jenes noch­mal nach­le­sen will, fin­det hier die wich­tigs­ten Wahl­ar­ti­kel von mir gesammelt:
„Ser­vice: mei­ne gesam­mel­te Wahl­ar­ti­kel zur Land­tags­wahl 2011 in Baden-Würt­tem­berg“ weiterlesen

Wie die Wahl in Baden-Württemberg ausgehen kann

Tunnel of power II

Was der best case beim Wahl­aus­gang jetzt am Sonn­tag für Baden-Würt­tem­berg wäre, ist klar. Und dafür brau­chen wir Grü­ne jede Stim­me. Trotz­dem noch­mal kurz die Über­sicht, was am Sonn­tag pas­sie­ren kann.

(Dop­pel­ter Dis­clai­mer: Ich bin akti­ves Mit­glied der Grü­nen, das heißt, das fol­gen­de ist aus einer bestimm­ten poli­ti­schen Per­spek­ti­ve geschrie­ben (und trotz­dem mei­ne pri­va­te Mei­nungs­äu­ße­rung und kein State­ment mei­ner Par­tei) – und es ent­hält kei­ner­lei inhalt­li­che Argu­men­te für oder gegen eine bestimm­te Wahl (da habe ich mich an ande­ren Stel­len zu geäu­ßert, vor allem im Blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen). Man­che nen­nen das Nach­den­ken über die ganz kon­kre­ten Kon­se­quen­zen bestimm­ter Stimm­ab­ga­ben „tak­ti­sches Wäh­len“ und rümp­fen dar­über die Nase – ich fin­de es not­wen­dig, wenn es einem oder einer wich­tig ist, zu wis­sen, was die Fol­gen einer bestimm­ten Stimm­ab­ga­be sind.)
„Wie die Wahl in Baden-Würt­tem­berg aus­ge­hen kann“ weiterlesen

Über nervende Unstetigkeiten des Wahlsystems

bild-wahlomat-bw2Unge­fäh­re* Distanz der Posi­tio­nen ein­zel­ner Par­tei­en zuein­an­der (laut Aus­wer­tung der Wahl-o-Mat-Ant­wor­ten für die Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg 2011), Grö­ße der Krei­se gibt pro­gnos­ti­zier­te Wahl­er­geb­nis­se wie­der. Für mich eine schö­ne Illus­tra­ti­on der The­se, dass die Wahl von Kleinst­par­tei­en zu einem gewis­sen Grad durch die Wahl grö­ße­rer Par­tei­en sub­sti­tu­ier­bar ist. 

Quel­le der Abbil­dung: andena17 bei Libri Logi­corum, mit freund­li­cher Geneh­mi­gung [ein­ge­fügt um 16:02].

 

Auch wenn es jetzt sicher sofort wie­der heißt, dass es sich hier­bei um die Arro­ganz einer eta­blier­ten Par­tei han­deln wür­de, und dass ich als Grü­ner – also als Mit­glied einer Par­tei, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re eben trotz der Argu­men­te der SPD der Sprung von der außer­par­la­men­ta­ri­schen Bewe­gung in die Par­la­men­te gelun­gen ist – damit irgend­wie ganz beson­ders arro­gant argu­men­tie­ren wür­de, muss ich doch noch­mal die Fak­ten auf­zäh­len, die mich dazu brin­gen, von der Wahl von Par­tei­en abzu­ra­ten, die nicht annä­hernd auf 5% kom­men. Über die­se Fak­ten kön­nen wir ger­ne diskutieren.
„Über ner­ven­de Unste­tig­kei­ten des Wahl­sys­tems“ weiterlesen

Fernsehspots zur Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg im Überblick

Nach dem Klick die mir bis­her bekann­ten Fern­seh-Wahl­wer­be­spots rele­van­ter Par­tei­en für die Land­tags­wahl 2011. So rich­tig über­zeu­gend fin­de ich kei­nen davon – span­nend fin­de ich, wie unter­schied­lich der Ver­such, eine bestimm­te Bot­schaft rüber­zu­brin­gen, hier jeweils umge­setzt ist. Inter­es­sant natür­lich auch die Fra­ge – da es sich hier ja um Fern­seh­spots han­delt – wer die eigent­lich im Fern­se­hen zu Gesicht bekommt. Mir per­sön­lich gefällt ja z.B. der grü­ne Kino­spot mit sei­nen kna­cki­gen 20 Sekun­den sehr viel bes­ser als unser Spit­zen­kan­di­dat bei der Gar­ten­ar­beit. Aber ich schaue auch kein Fernsehen.

„Fern­seh­spots zur Land­tags­wahl 2011 in Baden-Würt­tem­berg im Über­blick“ weiterlesen