Manchmal kann Twitter noch überraschen – sogar positiv. Am späten Mittwochabend hatte ich spontan gefragt,
„Mal experimentell in die Runde gefragt: was wäre aus eurer Sicht das eine Ding, bei dem eine Landesregierung (!) in Bezug auf die Gestaltung des digitalen Wandels das meiste bewegen könnte?“ [_tillwe_],
und es hagelte Antworten – die allermeisten davon konstruktiv, nur ganze wenige bestanden daraus, dass mit Buzzwords um sich geworfen wurde. Erfreulich: niemand hat KI gesagt!
Und auch meine manchmal vielleicht etwas zu bohrenden Nachfragen und Bitten um Konkretisierung wurden ganz überwiegend konstruktiv aufgenommen und beantwortet. Schön auch, dass das allermeiste, was da kam, tatsächlich durch ein Land geregelt werden könnte.
Weil dabei doch eine ganze Menge guter Ideen aufgeschrieben wurden – und sich herausstellt, dass Twitter nicht wirklich ein gutes Medium ist, um den Überblick zu bewahren -, möchte ich das ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammenfassen, ordnen und damit dokumentieren. Wenn ich etwas übersehen habe, gerne in den Kommentaren ergänzen.
Am ganz großen Rad drehen
Einige wenige Antworten gingen in Richtung „Grundeinkommen“. Zum Beispiel wurde ein Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen vorgeschlagen, um „in Zeiten zunehmender Automatisierung & dauerhaft hohem Stress-Pegel“ die „Köpfe frei zu machen für gute Netzpolitik“ – und als Teil eines Ansatzes, bei jeder Technologie auch soziale Innovationen mit zu bedenken. [BGEweilAutomati, xoryps]
Eine Nummer kleiner: Kulturwandel, Mentalitätsfragen – „Der technologische Wandel kommt so oder so – doch die damit in Kontext stehende KULTURELLE Transformation ist eine ganz eigene Dimension, die gerne übersehen wird.“ [D_Herrmann]
„ich habe jetzt ne gute Stunde auf deinen Tweet geschaut.
Am Ende ist es keine Technik, keine Plattform, keine Gesetzesänderung.
Imho ist es prägen eines Mindsets in und außerhalb der Verwaltung durch Reichweite und eigenes Vorleben.“ [reg_nerd]
Und das ist natürlich auch eine Frage, wie Behörden bzw. deren Mitarbeiter*innen denken [hanno]. Die eigenen Mitarbeiter*innen „so zu begeistern und zu befähigen, dass sie das nach außen tragen können.“ [zynic1]
Infrastruktur als Grundlage
Eine Rahmenbedingung, die Länder (mehr oder weniger gut) beeinflussen können, ist die Infrastruktur. Dabei geht es vor allem um den Breitbandausbau. Beispielsweise könnte der zentral geplant werden [flueke]. Gefordert wurde „flächendeckend Glasfaser“ [ReskiLab], und zwar so, dass beispielsweise eine Straße nicht mehrfach aufgerissen werden muss, sondern bei (landesgeförderten) Straßenerneuerungen auch gleich (landesgefördertes) Breitband verlegt wird.
Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Kompetenz und Wissen beim Glasfaserausbau [patrickhanft]. Empfohlen wird die Gründung eigener Stadtwerke/kommunaler Unternehmen als Betreiber von Netzen. Vorbild ist hier gerne der Norden (Schleswig-Holstein, Niedersachsen). [patrickhanft]
Aber auch das Land selbst könnte (mal von Beihilfefragen etc. abgesehen …) eine „eigene, selbstverwaltete Infrastruktur (Hardware) aufbauen“ [levampyre], von der Glasfaser bis zur Antenne. Ein landeseigenes Backbone-Netz (mir fällt da Belwue ein) könnte mit Freifunk auf landeseigenen Dächern verbunden werden. [alios]
Open Source als Grundprinzip – Wirtschaftsförderung durch das Land
Ein großes Thema in den Antworten auf meine Frage war Open Source – oder genereller die Frage, wie ein Land Aufträge im Softwarebereich vergibt, und was es tut, um hier entweder innovative, kleine Firmen zu fördern oder gleich dafür zu sorgen, dass Programmcode mehrfach nutzbar ist:
„Offene Standards, Open Source und Open Data als Grundvoraussetzung bei jeder Ausschreibung und Förderung“ [the_infinity]
Das „klingt erstmal nerdig, ist aber v.a. ein Schritt zu mehr Qualitätskontrolle, weniger Problemen bei (Betriebssystem-)Updates und weniger Lock-In-Effekten, weil man man die Daten aus seinen eigenen Programmen nicht mehr herausbekommt.“ [the_infinity], insbesondere in Bezug auf Fachanwendungen. (Oder auch, um die Abhängigkeit von Microsoft zu reduzieren – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen [1_punch_mickey]).
Oder zugespitzt: Jeder aus öffentlichen Mitteln finanzierte Programmcode soll freie Software werden – auch an Universitäten. [markwege]. Oder andersherum: Lizenzgebühren einsparen und daraus die Entwicklung freie Software finanzieren. [BGEweilAutomati]
Konkreter wird vorgeschlagen, UX – also das Design der Benutzerschnittstelle – bei freier Software durch das Land zu fördern. [flueke] Oder einen Fokus auf Sicherheit bei eigenentwickelter „FOSS“ (freier und offener Software) zu setzen. [JoernPL]
Hilfreich könnte hierbei auch „eine Plattform“ für Landkreise und Kommunen sein, um Verwaltungsverfahren mit offenen Standards zu entwickeln. Bestehende kommunale IT-Dienstleister könnten dabei eine Rolle spielen. [patrickhanft]
Aber es geht im Bereich der Förderung nicht nur um Open Source als Fördermaßnahme für die lokale Wirtschaft [deb_vortex]. Vorgeschlagen wurde auch, IT-Unternehmen günstige Kredite zu geben (oder gar die Steuern zu senken), damit diese fachfremde Arbeitnehmer*innen einstellen und umschulen können [pattern4]. Oder ganz generell:
„wäre schön wenn ausschreibungen mal an junge innovative firmen vergeben würden und nicht an die, die schon schon immer die software für die verwaltung schreiben – big impact.“ [Neologist85]
Offene Daten, Transparenz – allgemein und fachspezifisch
Nicht nur der offene Quellcode wurde wiederholt eingefordert, in einer ganzen Reihe von Beiträgen ging es um offene Daten. Auch hier soll das Prinzip gelten, dass das, was das Land aus öffentlichen Mitteln finanziert hat, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird [JoernPL]).
Dabei wurde allerdings auch kontrovers diskutiert, ob wirklich proaktiv alle Daten, die ein Land so hat, maschinenlesbar zur Verfügung gestellt werden müssen [norberthense], etwa im Sinne eines Transparenzgesetzes – oder ob es ausreicht, ein gutes Informationsregister im Informationsfreiheitsgesetz einzubauen und dann nach Bedarf Daten zur Verfügung zu stellen [in diese Richtung: salomon_alex]. Ebenso kontrovers diskutiert – entstehen aus offenen Daten nachhaltige und langfristige Lösungen, die sich selbst tragen (Beispiel „Baumkataster für Allergiker*innen“) – oder gibt der Staat hier Aufgaben ab, die er eigentlich selbst übernehmen sollte.
„Ich bin kein Anhänger davon, dass man Informationen in die Hände von „Wissenden“ legt (und dann abhängig davon ist, ob diese ihre Erkenntnisse auch teilen). Es ist Aufgabe des Staates für alle Bürger*innen Informationen bereitzustellen, da man ansonsten uU. Macht konzentriert.“ [salomon_alex]
Gefordert wurde weiterhin ganz allgemein, dass behördliche Informationen langfristig verfügbar sein sollen, und Behördeninfos auf möglichst einheitlichen digitalen Wegen zur Verfügung gestellt werden sollen. [branleb]
Konkreter wurden diese Forderungen im Bereich Bildung (siehe dort) und mit Blick auf den öffentlichen Nahverkehr. Die Ideen reichen hier von „Open Live Data für den ÖPNV“ und einer „API-Pflicht für Mobilitätsanbieter“ [sbamueller] bis zu der Feststellung, dass die Länder „als Besteller des Nahverkehrs ein großer Player bei der Digitalisierung des Schienenverkehrs“ sind [patrickhanft]. Als positives Beispiel wurde hier der Prozess rund um @digitalmobilBW genannt [_stk], um die Zivilgesellschaft einzubinden und offene Daten/APIs vom „Nutzernutzen“ [sebaso] her zu denken. Nicht nur die Verkehrsverbünde könnte über eine gemeinsame Open-Source-App und einen gemeinsamen Datenpool Geld sparen, auch das integrierte, verbundübergreifende und intermodale Angebot für die Nutzer*innen wäre besser. Zudem könnten Dritte neue Angebote entwickeln, wie das andernorts – genannt wurde Helsinki – bereits der Fall ist. [sbamueller, lewoto, kaffebeimir]
Ein weiteres Anwendungsfeld für offene Daten bzw. für die Zurverfügungstellung von (großen) öffentlichen Datenmengen für gemeinnützige Zwecke wurde die Forschung genannt:
Als (health) data scientist haette ich den Wunsch, dass Daten jeder Art einfacher fuer gemeinnuetzige Zwecke zur Verfuegung gestellt werden. Finland hat grade Findata gegruendet, um die Nutzung von Gesundheitsdaten zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Das waer mein Wunsch! [TSmieszek]
Und auch, wenn es sich dabei um getrennte Fragen handelt, und Open Source nicht automatisch Open Data bedeutet, sind offene Schnittstellen und offene Daten für viele Teil einer gemeinsamen Kultur der Offenheit, die insbesondere von Verwaltungen vorgelebt und geprägt werden könnte.
Um die Organisation der Landesverwaltungen und um das Riesenthema Bildung geht es – ebenso wie um die Frage ökologischer Nachhaltigkeit – dann in Teil II.