Kurz: Wo sind Sie hin?

Klimastreik Freiburg September 2024

Ges­tern war mal wie­der ein glo­ba­ler Kli­ma­streik. In Frei­burg waren es so knapp 2000 Leu­te, deutsch­land­weit ins­ge­samt 75.000, sagt die Tages­schau, in Wien waren es zwi­schen Hoch­was­ser und Wahl wohl 13.000, und auch in New York, Rio und Delhi gab es den Medi­en­be­rich­ten zufol­ge Kli­ma­ak­tio­nen. Einer­seits cool, dass hier deut­li­che Zei­chen gesetzt wer­den – ande­rer­seits waren wir auch schon mal mehr. 

Ich war in Frei­burg beim Streik dabei, und fand es auf­fäl­lig, wie sich die Zusam­men­set­zung der Demons­trie­ren­den im Ver­gleich zu vor­he­ri­gen Streiks ver­än­dert hat: klar, wei­ter­hin vie­le Jugend­li­che (wobei die „ers­te“ FFF-Gene­ra­ti­on inzwi­schen mit­ten im Stu­di­um steckt), diver­se Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen (von BUND und NABU bis hin zu Extinc­tion Rebel­li­on) und auch Brot für die Welt waren mit Fah­nen ver­tre­ten, an Par­tei­en habe ich neben ein paar grü­nen Fah­nen (eine davon mei­ne) nur zwei Volt-Pla­ka­te wahr­ge­nom­men, die durch die Demo getra­gen wur­den. Alter: vie­le sehr jung, vie­le grau­haa­rig (ich ja inzwi­schen auch), dazwi­schen wenig? Einen Rede­bei­trag – von einem FFF-Akti­vis­ten – zu Frust und Moti­va­ti­on nach sechs Jah­ren Kli­ma­streik – fand ich sehr gut, dass die Initia­ti­ve „Die­ti bleibt“, die sich gegen die Abhol­zung eines Teils des Die­ten­bach­wal­des für den Stadt­teil­neu­bau im Frei­bur­ger Wes­tern ein­setzt, gro­ßen Raum bekom­men hat, fand ich nur bedingt nach­voll­zieh­bar. Und hey, „hoch die inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät“ und „Anti­ca­pi­ta­lis­ta“ sind mög­li­cher­wei­se dann doch eher all­ge­mein­taug­li­che Demo­sprü­che. Ins­ge­samt habe ich jeden­falls eine deut­li­che Ver­en­gung (und damit mög­li­cher­wei­se auch Radi­ka­li­sie­rung) der Pro­tes­tie­ren­den wahr­ge­nom­men. Und gleich­zei­tig weiß ich aus mei­nem Umfeld, dass viel arbei­ten muss­ten, im Urlaub waren oder aus ande­ren Grün­den kei­ne Zeit/keine Prio­ri­tät hat­ten, am Frei­tag­mit­tag zu Demo und Kund­ge­bung zu gehen.

Ich ver­ste­he, dass die Zei­ten nicht so sind. Ich habe ja auch über­legt, ob ich wirk­lich den Nach­mit­tag frei neh­men soll. Ein The­ma des Streiks war, dass die Regie­rung nicht genug tut. Kann ich nach­voll­zie­hen und befürch­te gleich­zei­tig, dass jede ande­re aktu­ell rech­ne­risch mög­li­che Regie­rung noch weni­ger für den Kli­ma­schutz tun wür­de. Damit ist aber sehr viel weni­ger klar als frü­her, gegen wen und für was demons­triert wird (sie­he auch die Frei­bur­ger Debat­te um Die­ten­bach). Und dass es frus­triert, dass selbst die ers­te Regie­rung mit grü­ner Regie­rungs­be­tei­li­gung im Bund seit Jah­ren nicht noch sicht­bar schnel­ler ist, kann ich auch ver­ste­hen – obwohl die Aus­bau­kur­ven für Wind und PV gut aus­se­hen und die För­der­pro­gram­me im Bau­be­reich umge­stellt wur­den. Das 1,5‑Ziel wur­de geris­sen, zwei Grad sind mach­bar, aber her­aus­for­dernd. Und dann kommt Lind­ner und die Schul­den­brem­se, und dann kommt Merz und der reak­tio­nä­re Rechts­ruck, und dann kommt die AfD und das fros­ti­ge Mei­nungs­kli­ma. Und zwi­schen­drin klebt die Letz­te Gene­ra­ti­on auf der Stra­ße und sorgt für Naserümpfen. 

Trotz­dem: da waren schon mal mehr Leu­te, und da waren schon mal Leu­te auch sicht­bar aus ande­ren Par­tei­en, aus ande­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen. Wo waren die gestern? 

Oder, direkt gefragt: Wo seid ihr ges­tern gewe­sen, wenn nicht beim Streik? 

Ich mei­ne damit die­je­ni­gen, denen Kli­ma­schutz wich­tig ist, ohne tief in irgend­wel­chen dies­be­züg­li­chen Grup­pen zu ste­cken. Die, die mit Kind und Kegel oder Arbeitskolleg:innen beim vor­letz­ten Kli­ma­streik die Stra­ße gefüllt haben. Oder auch die, die bei den Demos Anfang des Jah­res deut­lich gemacht haben, dass AfD-Plä­ne abso­lut nicht mehr­heits­fä­hig sind. 

Gera­de in der Situa­ti­on jetzt, in der die öffent­li­che Mei­nung von Rechts gemacht wird, in der der phy­si­ka­lisch unauf­halt­sa­me und mit Hoch­was­ser und Hit­ze spür­ba­re Kli­ma­wan­del eigent­lich Top-The­ma sein müss­te, bräuch­te es eine Mil­li­on Men­schen auf der Stra­ße. Wäre schön, wenn das jemand in die Hand neh­men wür­de. Auch wenn’s sich gera­de nicht nach Volks­fest anfühlt. 

Ereignis statt Struktur

Demo gegen rechts - 03.02.2024 - Freiburg

Schon wie­der ein Demo­tag, in Frei­burg bis zu 40.000 Men­schen auf der Stra­ße, ein Bünd­nis von 400 Orga­ni­sa­tio­nen. Und das ist nur Frei­burg. Großartig! 

Trotz­dem bei der Demo – die orga-mäßig, wenn ich das rich­tig sehe, mas­siv auf die Infra­struk­tur vor Fri­days for Future zurück­griff, in ande­ren Orten Par­tei­en oder Gewerk­schaf­ten – das Gefühl, dass es ein Risi­ko gibt, dass die­ses Bünd­nis, das jetzt ein Zei­chen gegen die AfD, gegen Ras­sis­mus, gegen Aus­gren­zung, für Viel­falt und Demo­kra­tie setzt, fra­gil ist. Und dass es kei­ne gute Idee wäre, jetzt mas­siv Ener­gie dafür ein­zu­set­zen, aus dem Ereig­nis der mög­li­cher­wei­sen größ­ten Demons­tra­tio­nen der deut­schen Geschich­te eine Struk­tur zu machen. 

Wir – die wache Zivil­ge­sell­schaft – haben gezeigt, dass wir im Zwei­fel da sind. Wir sind in der Lage, in kür­zes­ter Zeit mit vie­len, vie­len Men­schen auf die Stra­ße zu gehen und damit Poli­tik und öffent­li­che Mei­nung zu beein­flus­sen. Das ist extrem wich­tig – und das wird gese­hen, so jeden­falls mei­ne Innen­per­spek­ti­ve aus grü­ner Par­tei und Fraktion.

Wich­ti­ger als die nächs­te Demo, bei der dann sofort die Fra­ge gestellt wird, ob’s dies­mal noch mehr Men­schen waren, oder ob die „Bewe­gung“ schon wie­der ein­schläft, ist es, die­se Ener­gie jetzt in die exis­tie­ren­den Struk­tu­ren zu gießen.

Das sind Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten, Initia­ti­ven und Ver­bän­de. All die gibt es. All die ste­hen für Demo­kra­tie – in den müh­sa­men Ebe­nen des All­tags. Und all die­se Ein­rich­tun­gen brau­chen Men­schen, die mit­ma­chen, die sich ein­brin­gen, die dabei sind. Und die die­se Hal­tung auch in ihr per­sön­li­ches Umfeld tra­gen. Die wider­spre­chen und ihre Mei­nung sagen.

Ereig­nis und Struk­tur ist eine der Grund­un­ter­schei­dun­gen der Sozio­lo­gie. Etwas, das regel­mä­ßig pas­siert, das dann sei­ne eige­nen Regeln aus­bil­det, Erwar­tun­gen bün­delt und Prak­ti­ken begrün­det, das ist eine Struk­tur. Und ohne Struk­tu­ren wür­de nichts funk­tio­nie­ren. Aus einem Ereig­nis, einem ein­ma­li­gen und neu­en Ding, eine Struk­tur zu machen, kos­tet Kraft. Was als Bünd­nis für den Moment funk­tio­niert, zeigt bei jeder Struk­tur­bil­dung sofort Flieh­kräf­te, führt zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen über den rich­ti­gen Weg, über das „das machen wir so“. Und Auf­merk­sam­keit gibt es für das Ereig­nis, nicht für die dau­er­haf­te Anstrengung.

Das Signal ist da und so stark, wie es nur sein kann. Ich hof­fe, es ist ange­kom­men und hilft, die gesell­schaft­li­che Mit­te nach links zu ver­schie­ben. Im Wech­sel­spiel aus Ereig­nis und Struk­tur bewegt sich etwas. Das ein­ma­li­ge Ereig­nis mit den Groß­de­mos die­ser Tage – und die müh­sa­me All­tags­ar­beit in Par­tei­en, Initia­ti­ven, Ver­bän­den. Zusam­men bringt das was, zusam­men ver­än­dert das was. Des­we­gen: groß­ar­tig, dass es die­se Demos gab – aber lasst uns jetzt den Modus wechseln. 

Eine Million Menschen gegen Rechts – eine Million Menschen für Demokratie und Rechte

Es ist gar nicht so ein­fach, den Über­blick zu behal­ten bei den vie­len Demos an die­sem Wochen­en­de – mit Rekord­zah­len in Mün­chen, Ham­burg und Ber­lin, Aktio­nen in ganz vie­len Städ­ten und her­vor­ra­gen­der Betei­li­gung auch in Ost­deutsch­land. Heu­te in Frei­burg (bei der drit­ten Demo in Fol­ge) waren es wohl 25.000 bis 30.000 – aus der Men­ge her­aus ein­fach vie­le. Ein paar weni­ge Par­tei­fah­nen, vor allem aber eine Viel­zahl krea­ti­ver Plakate. 

Eine genaue Zahl ken­ne ich nicht, es ist aber nicht über­trie­ben, fest­zu­hal­ten, dass in die­sen Tagen deutsch­land­weit mehr als eine Mil­li­on Men­schen auf die Stra­ßen und Plät­ze gegan­gen sind. Und die Bot­schaft ist über­all die­sel­be: wir ver­tei­di­gen unse­re Demo­kra­tie. Die AfD spricht nicht für die Mehr­heit. Deutsch­land ist bunt, viel­fäl­tig und weltoffen.

Ich hof­fe, dass die­ses Signal ankommt. In der Bun­des­re­gie­rung, in den Län­dern, in den Medi­en. Der Pro­test gegen Rechts ist laut. Er wird von „ganz nor­ma­len Men­schen“ getra­gen. Und er rich­tet sich gegen die AfD – aber auch gegen die­je­ni­gen, die glau­ben, es wür­de gegen die Bedro­hung von rechts hel­fen, nach rechts zu rut­schen. Das ist das Signal die­ser Tage. Und es wird mit der Erwar­tung ver­bun­den, dass „die Poli­tik“ dar­auf reagiert.

Erz­kon­ser­va­ti­ve froh­lock­ten in den letz­ten Wochen und Mona­ten, dass die „kul­tu­rel­le Hege­mo­nie“ für grü­ne Ideen gebro­chen sei, dass es eine Chan­ce gibt, end­lich Kohls geis­tig-mora­li­sche Wen­de umzu­set­zen. Wenn in CDU-Pro­gram­men von Leit­kul­tur und einer Abschaf­fung des Asyl­rechts die Rede ist, dann setzt das in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam die­sen pro­pa­gier­ten Hege­mo­nie-Wech­sel um.

Mal abge­se­hen davon, dass ein pro­gres­si­ver, an Kli­ma­schutz, Respekt und Mensch­lich­keit ori­en­tier­ter Zeit­geist nie par­tei­po­li­tisch grün war, sind die­se Demos für mich auch ein Zei­chen dafür, dass sehr vie­le Men­schen mit einem Rechts­ruck nicht ein­ver­stan­den sind. Die rech­te Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums freut sich mög­li­cher­wei­se zu früh.

Zei­gen wer­den das letzt­end­lich erst die Wah­len im Juni und in der zwei­ten Hälf­te des Jah­res. Wenn wir Glück haben, erle­ben wir gera­de einen Kipp­punkt, ein deut­li­ches „bis hier­her und nicht weiter“.

Viel­leicht bin ich zu opti­mis­tisch. Doch mehr als eine Mil­li­on Men­schen auf der Stra­ße: das macht Mut und lässt sich nicht ein­fach ignorieren.

Klimaaktionstag. Ein Gespräch mit Z.

Der 20. Sep­tem­ber 2019 ist in posi­ti­ver wie nega­ti­ver Hin­sicht ein Tag, der als Kipp­punkt der Kli­ma­kri­se in Erin­ne­rung blei­ben wird. Groß­ar­tig sind die heu­te und in die­ser Woche welt­weit statt­fin­den­den Demons­tra­tio­nen – ein Tag, der mit 300.000 Demons­trie­ren­den in Aus­tra­li­en beginnt, allei­ne in Deutsch­land 1,4 Mio. Demons­trie­ren­de gese­hen hat und mit 250.000 in New York endet. Fri­days for Future hat hier glo­bal etwas in Bewe­gung gesetzt. Gleich­zei­tig ist der 20. Sep­tem­ber 2019 der Tag, an dem die Bun­des­re­gie­rung ihren wenig ambi­tio­nier­ten Kom­pro­miss vor­ge­stellt hat, bei dem heu­te schon klar ist, dass damit die Zie­le des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens nicht erreicht wer­den kön­nen. Die frei­täg­li­chen Demos und ähn­li­chen Aktio­nen wer­den also weitergehen.

In Frei­burg fand die größ­te Demons­tra­ti­on der Stadt­ge­schich­te statt, mit etwa 30.000 Teil­neh­men­den (bei 230.000 Einwohner*innen). Ich war mit mei­nem Zehn­jäh­ri­gen da – und als wir etwas zu spät anka­men, war nicht nur der Platz der Alten Syn­ago­ge voll, son­dern auch die Ter­ras­se des Thea­ter­ca­fes, die Ber­told­stra­ße und der Rott­eck­ring rund um den Platz. Extrem eindrucksvoll.

Auch mei­ne Toch­ter Z. (fast 14) hat wie an allen bis­he­ri­gen Demos in Frei­burg auch an die­ser teil­ge­nom­men; getrof­fen habe ich sie erst in der Stra­ßen­bahn zurück, so groß war die viel­fäl­ti­ge Men­schen­men­ge. Ich habe ihr ein paar Fra­gen zur Demo und zu den Frei­bur­ger Fri­days-For-Future-Akti­vi­tä­ten gestellt.
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