Was ich so lese, oder: gesellschaftskritische Science Fiction

Pacified science fiction

Eigent­lich woll­te ich dazu nichts sagen, aber ich muss jetzt doch mal ein paar Wor­te über den Text „Magi­sche Klas­sen­kämp­fer“ von Flo­ri­an Schmidt (am 22.8. im Frei­tag erschie­nen) los­wer­den. Schmidt brei­tet dort die The­se aus, dass – platt gesagt – frü­her Sci­ence Fic­tion ein eman­zi­pa­to­ri­sches Gen­re war und heu­te im Dienst der Reak­ti­on steht. Das ist falsch.

Äpfel und Birnen, Bücher und Filme

Das ist zum einen falsch, weil er Äpfel mit Bir­nen ver­gleicht. „Frü­her“ sind für ihn die – in der Tat span­nen­den, lesens­wer­ten, hoch­gra­dig inter­es­san­ten – Bücher von Ursu­la K. Le Guin (The Dis­pos­s­es­sed), Joan­na Russ (z.B. The Fema­le Man) und Mar­ge Pier­cy (Woman at the edge of time und He, she, and it). Das sind drei libe­ral-femi­nis­ti­sche AutorIn­nen, die sich auf hohem lite­ra­ri­schen Niveau in den 1970er und 1980er Jah­ren mit den Mög­lich­kei­ten und Gren­zen einer bes­se­ren Gesell­schaft aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Ich habe sie sehr ger­ne gelesen. 

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Streifzüge durchs Netz

Dreisam bridge graffiti II

Wer mir z.B. auf Twit­ter folgt, wird sich nicht dar­über wun­dern, dass ich durch­aus eini­ge Zeit „im Inter­net“ (pdf) ver­brin­gen kann. Dass „das Inter­net“ dabei eher den Cha­rak­ter eines fort­lau­fen­den Stro­mes hat, ist eine der net­te­ren (und addik­ti­ve­ren) Eigen­schaf­ten spe­zi­ell die­ses Medi­en­bün­dels. Blogs, Twit­ter, Face­book – all das sind Medi­en, die alle paar Minu­ten wie­der etwas Neu­es bie­ten. Oder – und dann macht sich eine gewis­se Ver­zweif­lung breit – eben nicht. 

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Kurz: Politische Scheidelinien, 2042

Einer mei­ner SF-Lieb­lings­au­toren, Charles Stross, bloggt ger­ne und aus­führ­lich. Sein neus­ter Blog­bei­trag dient letzt­lich dazu, die Fra­ge zu stel­len, wie sich die poli­ti­schen Gewich­te und Ori­en­tie­run­gen in der nächs­ten Gene­ra­ti­on ver­scho­ben haben wer­den. Was vor hun­dert Jah­ren als rand­stän­di­ge, radi­ka­le Mei­nung galt (z.B. das Frau­en­wahl­recht) ist heu­te Main­stream – und umgekehrt. 

Ich fin­de das durch­aus span­nend, und grei­fe des­we­gen Charles Stross Fra­ge auf: Was wer­den in einer Gene­ra­ti­on, also z.B. im Jahr 2042, die gro­ßen Fra­gen sein, an denen sich die poli­ti­schen Lager schei­den? Das wür­de ich ger­ne mit euch diskutieren.

Um das noch mit ein paar Daten aus­zu­schmü­cken: Ange­la Mer­kel wäre dann 88 Jah­re alt, Josch­ka Fischer 94 und Sig­mar Gabri­el 83. Selbst Cem Özd­emir wäre bereits 77. Die deut­sche Ein­heit ist dann über ein hal­bes Jahr­hun­dert her, der Atom­aus­stieg seit mehr als einer Deka­de Rea­li­tät, und die Ter­ror­an­schlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2011 2001 lie­gen für vie­le der 2042 poli­ti­sche Akti­ven in einer Zeit vor ihrer Geburt. Die Pira­ten­par­tei – wenn es sie dann noch gibt – exis­tiert seit 36 Jahren. 

Wor­an und wor­in also unter­schei­den sich – wenn es die­se Ach­sen 2042 über­haupt noch gibt – dann rechts und links, libe­ral und kon­ser­va­tiv? Wel­che heu­te radi­ka­len Hal­tun­gen (spon­tan fällt mir das Grund­ein­kom­men ein) sind 2042 im Main­stream ange­langt, was von dem, was uns heu­te poli­tisch selbst­ver­ständ­lich erscheint, wird dem „gesun­den Men­schen­ver­stand“ in einer Gene­ra­ti­on ganz komisch erschei­nen? Büh­ne frei!

Datenschutz vs. Social Media im Clash der Generationen

Security

Das Unab­hän­gi­ge Lan­des­zen­trum für Daten­schutz Schles­wig-Hol­stein ist eine renom­mier­te Ein­rich­tung, die sich um den Daten­schutz in Deutsch­land ver­dient gemacht hat. Dar­an besteht gar kein Zweifel. 

Trotz­dem zweif­le ich dar­an, ob das mit dem Daten­schutz noch lan­ge gut gehen wird, um das mal so salopp zu sagen. Das jüngs­te Bei­spiel ist die Pres­se­mit­tei­lung des Daten­schutz­zen­trums zu Face­book. Dar­in wird u.a. gefor­dert, dass „Stel­len“ in Schles­wig-Hol­stein Face­book-Fan­pages (z.B. die­se hier) abzu­schal­ten haben und „Social-Plug­ins wie den ‚Gefällt mir‘-Button“ aus ihrer Web­site ent­fer­nen müs­sen. Soll­te dies nicht bis Ende Sep­tem­ber gese­hehn, droht das Daten­schutz­zen­trum mit erheb­li­chen Buß­gel­dern. Am liebs­ten wür­den sie Face­book ganz ver­bie­ten. So heißt es am Ende der Pressemitteilung: 

Nie­mand soll­te behaup­ten, es stün­den kei­ne Alter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung; es gibt euro­päi­sche und ande­re Social Media, die den Schutz der Per­sön­lich­keits­rech­te der Inter­net-Nut­zen­den erns­ter neh­men. Dass es auch dort pro­ble­ma­ti­sche Anwen­dun­gen gibt, darf kein Grund für Untä­tig­keit hin­sicht­lich Face­book sein, son­dern muss uns Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­den dazu ver­an­las­sen, auch die­sen Ver­stö­ßen nachzugehen. 

Äh, ja. Ich fin­de die­ses Vor­ge­hen aus zwei Grün­den falsch. Ers­tens gehe ich davon aus, dass es mög­lich ist, auch Face­book-Pro­fi­le daten­schutz­kon­form zu ver­lin­ken. Statt mit der Buß­geld­keu­le zu dro­hen, wäre eine „So geht’s richtig“-Anleitung hilf­reich. Zwei­tens über­sieht das Daten­schutz­zen­trum, gera­de auch in sei­ner Bewer­tung, den Cha­rak­ter von Face­book und ande­ren Ange­bo­ten als qua­si-öffent­li­chen sozia­len Orten. Ein Face­book-Pro­fil lässt sich nicht ein­fach zu einem angeb­lich bes­se­ren euro­päi­schen Social-media-Anbie­ter umzie­hen (weil der Mehr­wert einer ver­netz­ten Com­mu­ni­ty nicht ein­fach umzieh­bar ist), sowas wie „Platt­form­neu­tra­li­tät“ oder einen glo­ba­len Cross-Platt­form-Ver­net­zungs­stan­dard gibt es bis­her nicht. 

Damit aber bleibt die mehr oder weni­ger frei­wil­li­ge Ent­schei­dung vie­ler Men­schen für ein Pro­fil bei einer Daten­kra­ke der Sta­tus quo. Die Geschäfts­prak­ti­ken von Face­book ver­sto­ßen wohl teil­wei­se gegen das deut­sche Daten­schutz- und Tele­me­di­en­recht. Face­book selbst ist nicht angreif­bar, weil kein Sitz in Deutsch­land. Des­we­gen geht das Daten­schutz­zen­trum den Weg über den Rücken der Nut­ze­rIn­nen. Nur: War­um soll­te das Face­book in irgend­ei­ner Wei­se beeindrucken? 

Bes­ser wäre es doch in der Tat, dar­über auf­zu­klä­ren, in wel­cher Wei­se Face­book weit­ge­hend daten­schutz­kon­form genutzt wer­den kann, evtl. auch die Ent­wick­lung z.B. ent­spre­chen­der Brow­ser-Exten­si­ons zu unter­stüt­zen – und sich auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne dafür ein­zu­set­zen, eine Regu­lie­rung sozia­ler Netz­wer­ke auch im Sin­ne des Ver­brau­cher- und Daten­schut­zes hin­zu­krie­gen. Und letzt­lich muss es auch dar­über gehen, dar­über nach­zu­den­ken, was Daten­schutz in einer Gesell­schaft bedeu­tet, die einen Mehr­wert dar­aus zieht, sich mit qua­si-öffent­li­chen digi­ta­len Medi­en in pri­va­ter Hand sozi­al zu vernetzen.

Der Droh­keu­len­al­lein­gang scheint mir jeden­falls das fal­sche Mit­tel zu sein, und klingt, gera­de zwi­schen den Zei­len, nach etwas ganz ande­rem: Nach einem Clash zwi­schen dem klas­si­schen Gut-Böse-Sche­ma des Daten­schut­zes der 1980er Jah­re und einem selbst­ver­ständ­li­chen Umgang damit, die Kon­trol­le über die eige­nen Daten ein Stück weit preis zu geben.

War­um blog­ge ich das? Weil ich mich vom Daten­schutz­zen­trum nicht ver­tre­ten füh­le. Und wohl nicht der ein­zi­ge bin, dem das so geht.

P.S.: Der SF-Autor Charles Stross macht sich in einer Key­note bei der USE­NIX-Kon­fe­renz Gedan­ken dar­über, was für Impli­ka­tio­nen Tech­no­lo­gie wie „Lifel­og­ging“ auf Com­pu­ter­si­cher­heit haben.

Denial-of-Service-Attacke auf Twitter und Facebook (Update)

Circuit city III

Ges­tern nach­mit­tag war Twit­ter eini­ge Stun­den lang aus­ge­fal­len bzw. nur sehr schlecht zu errei­chen. Auch Face­book lahm­te merk­lich; immer wie­der funk­tio­nier­ten Aktua­li­sie­run­gen nicht und konn­ten Sei­ten nicht gela­den wer­den. Ges­tern abend schon wur­de dann klar, dass es sich nicht um einen tech­ni­schen Feh­ler han­del­te, son­dern um eine dis­tri­bu­ted Deni­al-of-Ser­vice-Atta­cke. Nur – wer steck­te dahinter?

Bei Clau­dia Som­mer konn­te die Spe­ku­la­ti­on gele­sen wer­den, dass das Motiv die Unter­drü­ckung von Gegen­öf­fent­lich­keit zum The­ma Iran sein könn­te. Inzwi­schen ist die über­ein­stim­men­de Deu­tung wohl die, dass die Angrif­fe auf Twit­ter, Face­book und Live­jour­nal einem ein­zi­gem Blog­ger gal­ten, dem Geor­gi­er „Cyxy­mu“ (d.h. „Suchumi“), der auf die­se Wei­se zum Schwei­gen gebracht wer­den sollte.

Unab­hän­gig davon, ob der Hin­ter­grund eher poli­tisch oder kri­mi­nell ist – oder ob sich bei­des gar nicht so ein­fach tren­nen lässt – zeigt die Atta­cke zwei­er­lei. Zum einen sind wir wie­der ein Stück wei­ter in der Zukunft ange­kom­men (wer Gib­son, Ster­ling, Stross – oder wie ich gera­de – Richard K. Mor­gans ‚Alte­red Car­bon‘ liest, wird eini­ges fin­den, was ihm oder ihr sehr bekannt vor­kommt). Zum ande­ren wird noch ein­mal deut­lich, wie anfäl­lig zen­tral orga­ni­sier­te Web‑2.0‑Dienste für der­ar­ti­ge Angrif­fe, aber auch für Zen­sur­maß­nah­men, Wech­sel in der Geschäfts­po­li­tik etc. sind – und wie abhän­gig moder­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on inzwi­schen vom Funk­tio­nie­ren die­ser Infra­struk­tur­net­ze ist.

Dem CNet-Arti­kel zufol­ge war Goog­le wohl nicht (oder weni­ger) betrof­fen – You­Tube hak­te bei mir auch – weil die dahin­ter­lie­gen­de Hard­ware und Netz­werk­ar­chi­tek­tur robus­ter war. Trotz­dem bleibt auch hier das Pro­blem letzt­lich pri­vat­wirt­schaft­li­cher Infra­struk­tur­oli­go­po­le. Dass es (theo­re­tisch) auch anders geht, zeigt Identi.ca – ein Mikro­blog­ging-Dienst, der auf ver­teil­te und offe­ne Struk­tu­ren aus­ge­legt ist. 

War­um blog­ge ich das? Nicht nur wegen der doch gru­se­li­gen Fest­stel­lung, dass man­che SF-Welt­ent­wür­fe näher sind, als das einem lieb ist (Charles Stross muss­te gera­de zum zwei­ten Mal den Plot eines sei­ner nächs­ten Roma­ne umstel­len, weil die Wirk­lich­keit ihn über­holt hat), son­dern auch, weil ich die Beob­ach­tung span­nend fin­de, wie kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­sche Pfa­de sich schlie­ßen bzw. öff­nen, und wie dies mit Ein­zel­er­eig­nis­sen und Kon­tin­gen­zen zusammenhängt.

Update: (8.8.2009) Tech­crunch weist dar­auf hin, dass die Atta­cken auf Twit­ter wei­ter­ge­hen und sich noch ver­stärkt haben.