In vier Wochen ist grüner Bundesparteitag in Hamburg. Ich bin zwar Ersatzdelegierter meines Kreisverbandes und als BAG-Sprecher könnte ich auch einfach so hinfahren, werde es aber (mangels freier Novemberwochenenden) höchstwahrscheinlich nicht tun. Und bin gar nicht so traurig darüber. Einerseits schon, weil’s halt auch immer eine Möglichkeit ist, einen nicht unerheblichen Teil der grünen Familie zu sehen. Andererseits lassen mich die Schwerpunkte dieser BDK seltsam kalt. Dabei sind es eigentlich wichtige Themen – die Freiheitsdebatte, Ernährung als Teil guten Lebens, Flüchtlingspolitik, die „europäische Friedensordnung“ (was auch immer das sein mag). Aber ich habe zunehmend den Eindruck (und nicht erst seit Waziristan-Vergleichen), dass das, was der Bundesparteitag hier jeweils entscheidet, nicht wirklich eine Rolle spielen wird. Glühende Kontroversen sehen jedenfalls anders aus. Wirklich. Und Wahlen stehen auch keine an, obwohl diverse Presseorgane so klingen, als sei das anders. Und ob die vorliegende Tagesordnung dazu geeignet ist, Feuer zu entfachen und zumindest das grüne Herz zu wärmen und zu motivieren – ich weiß nicht. Insofern befürchte ich, dass ich „Hamburg“ gar nicht so sehr vermissen werde. Was schade ist.
Digitalisierung als Baustein einer grünen Innovationspolitik
„Unterm Strich würde ich gerne in dem Baden-Württemberg leben, das Kretschmann da grade entwirft.“, schrieb ich bei Twitter als Fazit zur „Heimat, Hightech, Highspeed“-Regierungserklärung, und das ist vielleicht erklärungsbedürftig.
Um ganz vorne anzufangen: eine Regierungserklärung im baden-württembergischen Landtag funktioniert so, dass der Ministerpräsident (oder eine andere VertreterIn der Landesregierung) sich ausführlich, grundsätzlich und übergreifend äußert, und – üblicherweise – die Fraktionsvorsitzenden darauf reagieren. Und zwar in „Debatte mit freier Redezeit“, was ganz schön lang sein kann. In dieser Regierungserklärung ging es um „Digitalisierung“, und um die (insbesondere auch wirtschaftlichen) Chancen von Dingen, die mit so schönen Buzzwords wie „Induschdrie 4.0«, „digitaler Wandel“, „Cloud“ oder „Cybersecurity“ umreißen lassen.
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Kurz: Moral sorgt für Ärger
Einen Gedanken, den Peter Unfried von der taz beim grünen Freiheitskongress aufgeworfen hat, möchte ich hier doch noch einmal aufgreifen: Die fehlende Überzeugungskraft des grünen Projekts sei auf einen Überschuss an Moral zurückzuführen, und zwar extern uns Grünen zugesprochener Moral. Statt auf Moral sei auf Kulturwandel zu setzen, wenn es drum gehe, ökologische Gedanken politisch anschlussfähig zu machen. Solange dagegen – so würde ich das ausdrücken – im Code von Moral/Unmoral kommuniziert werde, werden falsche Rahmungen aufgerufen und falsche Erwartungen geweckt. Solange wir den Eindruck erwecken, Menschen bekehren zu wollen, produzieren wir Widerstände. Gleichzeitig kann dann ganz einfach jedes „grüne Fehlverhalten“ zum Siehste-Beispiel umgewidmet werden. Da muss gar nicht auf das Beispiel Veggieday zurückgegriffen werden; auch das alltägliche Verkehrsverhalten ist für diesen bewussten moralischen Fehlschluss anfällig: Ha, der Minister ist gar nicht Rad gefahren? Oho, die grüne Abgeordnete ist geflogen – dabei wollt ihr doch …!
Jetzt ließe sich leicht argumentieren, dass das ja gar nicht so sei. Wir wollen ja niemand umerziehen. Jedenfalls beteuern wir das ständig. Das fiese hier ist aber gerade, dass es überhaupt nicht darum geht, was wir Grüne sagen (wollen), sondern darum, wie andere das, was wir sagen, deuten und wahrnehmen. Der Text von spektrallinie dazu, dass wir’s besser wissen, passt an dieser Stelle ganz gut … und vermutlich würde sich auch eine Re-Lektüre von Luhmanns Ökologischer Kommunikation aus den 1980er Jahren lohnen, auch da ging es, wenn ich mich richtig erinnere, schon um dieses Problem.
Tja, und was lernen wir jetzt daraus, was ist die Moral von der Geschichte? Können wir für ein gutes Leben streiten, ohne dass das moralisch gelesen wird? Ist grüne Politik, die auf „du sollst“-Aussagen verzichtet, überhaupt noch glaubwürdig? Oder werden wir gerade dann stark, wenn wir uns von den immer wieder angeführten persönlichen Konsummustern und Lebensstilen lösen, und statt dessen bewusst politisch argumentieren? Soll heißen: Wir haben das Ziel, die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Ob Menschen sich individuell dafür entscheiden, Fleisch zu essen oder nicht, ist uns egal – das ist keine politische Frage. Politisch wären dagegen die Fragen, ob Massentierhaltung unterstützt wird oder nicht (also im Sinne von Subventionen und auch von Ordnungspolitik), ob Radexpresswege gebaut werden oder nicht, und welche Grenzwerte für Automobile gelten sollen. Ob eine solche Herangehensweise gelingen kann (die ja durchaus auch den grünen „Markenkern“ berührt), erscheint mir derzeit noch offen zu sein. Böse ausgelegt werden kann alles. Aber zumindest da, wo wir selbst das Heft der Kommunikation in der Hand haben, scheint es mir sehr sinnvoll zu sein, immer wieder zu testen, ob wir – als Partei! – gerade über Politik oder über Moral sprechen.
Photo of the week: Sunflower spider II
Schottland bleibt abhängig, die Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Schweden sind ausgegangen, heute auch die aus grüner Sicht deutlich erfreulicheren in Vorarlberg, die Piratenpartei explodiert in einem furiosen Finale, und beim grünen Freiheitskongress (siehe auch hier) ritt ein Cowgirl über die karge Steppe. Und bei mir fast eine Woche Berlin, mit Fraktionsklausur und eben diesem Kongress.
Ach ja, und dann war da noch der „Asylkompromiss“. Über den ich eigentlich ausführlicher schreiben müsste. Dazu habe ich gerade keine Zeit, weswegen ich mein „Photo of the week“ nutze, um wenigstens ein paar Gedanken loszuwerden.
Das Habeck-Interview dazu fand ich gar nicht schlecht. Hinweisen möchte ich auch auf die Info des Landesverbands, inkl. Resolution und Brief des MP, auf die Positionierung der Landtagsfraktion sowie auf die persönliche Stellungnahme von Daniel Lede Abal MdL. Und was sage ich dazu?
Ich finde die Entscheidung sehr schwierig, in der Abwägung aber die Zustimmung Baden-Württembergs letztlich falsch. Die Weichen dafür wurden jedoch nicht vorgestern, sondern vor einigen Wochen mit der Aufnahme von Verhandlungen gestellt – wer Verhandlungen anfängt, muss diese auch bis zum möglichen Ende denken. (Und gegebenenfalls beizeiten über Krisenmanagement nachdenken – ja, liebe Bundestagsfraktion, liebe Bundespartei, damit seid durchaus ihr gemeint).
Jetzt ist die Entscheidung gefallen, damit hat sich die Situation verändert, aber nicht die grüne Grundhaltung. Damit muss die Partei umgehen. Wie, wird in den nächsten Wochen und auf den nächsten Parteitagen Thema sein. Ich sehe vor allem, dass mit dieser Entscheidung für uns Grüne die Pflicht einhergeht, sich intensiv auf allen Ebenen für eine Verbesserung des Asylrechts einzusetzen, und dass wir mit der Zustimmung, die Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer anzuerkennen, auch eine Verpflichtung eingehen, uns um die Lebenssituation der Roma und Sinti dort (und hier) zu kümmern. Und darauf zu pochen, dass die versprochenen Verbesserungen bei der Residenzpflicht und dem Zugang zum Arbeitsmarkt jetzt auch tatsächlich kommen.
Solidarität mit unterdrückten Konservativen
Interessant an dem, was seit gestern als „Dirndlgate“ verhandelt wird, finde ich gar nicht so sehr die Frage, ob im Bundestag eine mehr oder weniger künstliche* bayrische Volkstracht getragen werden darf oder nicht. Wenn die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär damit meint, ihr Punk-Image auffrischen zu können, soll sie das eben tun. Und wenn die Grüne Sylvia Kotting-Uhl daran rummosert – dann gehört das eben auch zur Meinungsfreiheit dazu. (Und weil ich Sylvia seit langem kenne, empfand ich ihren diesbezüglichen Tweet zunächst einmal vor allem als authentisch …).
So einfach könnte es sein. Statt dessen tobt jetzt eine Debatte darüber. Das hat – wie Anatol Stefanowitsch in einer lesenswerten Analyse schreibt – etwas damit zu tun, dass das Modische politisch ist. Was wer im Bundestag, in einem öffentlichen Amt trägt, ist eben nicht nur Privatsache. Und selbstverständlich ist die Frage, wie sich wer kleidet, immer auch ein Statement über Haltungen und Werte, was auch immer das sein mag.
Aber es gibt noch mehr. Der eigentliche Grund dafür, dass sich so schön eine öffentliche Empörung entfachen lässt, liegt wohl auch darin, dass seit der Bundestagswahl innergrün und öffentlichkeitswirksam über Freiheit diskutiert wird. Und natürlich muss alle Welt sich empören, wenn eine Grüne es wagt, die freie Kleidungswahl einer CSU-Frau zu kritisieren. Sowas geziemt sich nicht für eine Freiheitspartei, so der Tenor.
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