Dreimal Wahlkampfzeit im Osten

In drei ost­deut­schen Bun­des­län­dern ste­hen dem­nächst Land­tags­wah­len an. Am 31. August wird in Sach­sen gewählt, am 14. Sep­tem­ber in Thü­rin­gen und in Bran­den­burg. In allen drei Län­dern tobt also gera­de der Som­mer­wahl­kampf – außer über sozia­le Netz­wer­ke krie­ge ich das vor allem dadurch mit, dass eini­ge bun­des­wei­te Medi­en anfan­gen, über Koali­ti­ons­op­tio­nen zu spekulieren. 

Aus grü­ner Sicht ist die Aus­gangs­la­ge in den drei Län­dern nicht ein­fach. Im rot-rot regier­te Bran­den­burg gab es letz­tes Mal 5,7 Pro­zent. In Thü­rin­gen waren es bei der letz­ten Wahl 6,2 Pro­zent; wir erin­nern uns an eine hit­zi­ge Koali­ti­ons­de­bat­te, die letzt­lich in einer schwarz-roten, wohl ziem­lich zer­strit­te­nen Koali­ti­on mün­de­te. Und Sach­sen – das Bay­ern im Osten – wird schwarz-gelb regiert, hier kamen Grü­ne letz­tes Mal auf 6,4 Pro­zent. Es bleibt span­nend, ob es im Herbst in einem die­ser Län­der zu einer grü­nen Mit­re­gie­rung kommt. Dafür müs­sen natür­lich als alle­r­es­tes mal die 5 Pro­zent erreicht wer­den. In aktu­el­len Umfra­gen bewe­gen sich die grü­nen Pro­gno­sen im Bereich der bis­he­ri­gen Ergeb­nis­se. Ich drü­cke in allen drei Län­dern die Dau­men, dass es min­des­tens dabei bleibt. Und dann gibt es noch die NPD/AFD-Fra­ge, die Fra­ge, ob und wenn ja wo die FDP wie­der ein­zieht, und die Fra­ge, wie die SPD in Thü­rin­gen mit der Links­par­tei umge­hen wird. Span­nend allemal.

2014-wk-thueringenUnab­hän­gig davon fin­de ich die ganz unter­schied­li­chen grü­nen Wahl­kampf­auf­trit­te inter­es­sant. Thü­rin­gen wirbt mit sti­li­sier­ten Comic-Zeich­nun­gen auf grü­nem Hin­ter­grund, dem Cla­im „Mach es mög­lich – Zweit­stim­me grün!“ in Kon­trast­ma­gen­ta und mit vier The­men­schwer­punk­ten: Bil­dung, Ernäh­rung, Ener­gie und Umwelt – also sehr kla­ren grü­nen Kern­the­men. Optisch ist mir das gan­ze aller­dings ein biss­chen zu chao­tisch; die ver­wen­de­te (Bundes-)Schrift wirkt zusam­men mit dem schrei­en­den Magen­ta auf grün hek­tisch. Das Wahl­pro­gramm wird via issuu auf der Sei­te ein­ge­bun­den. Einen Wahl­wer­be­spot o.ä. konn­te ich dort nicht ent­de­cken, auch kei­ne offen­sicht­li­chen Social-Media-Kampagnen.

2014-wk-sachsenDie säch­si­schen Grü­nen tre­ten in einem etwas gedeck­te­ren Grün auf. Zen­tral wird (Feri­en­wahl­kampf) für Brief­wahl gewor­ben. Das Wahl­pro­gramm „Sach­sens Chan­cen nut­zen“ gibt es in ver­schie­de­nen Ver­sio­nen. Der Cla­im heißt hier (in grün, nicht in magen­ta): „Denn es ist mög­lich“. Auf der Web­site wer­den sechs Pla­kat­mo­ti­ve prä­sen­tiert, jeweils ein frei­ge­stell­tes, rea­lis­tisch-lus­tig­ver­frem­de­tes Bild­mo­tiv (die auch im Fern­seh­spot (ganz unten auf der Sei­te) vor­kom­men) wird auf grü­nem Hin­ter­grund mit einem in einer wei­ßen, futu­ris­tisch wir­ken­den Schrift gesetz­ten Spruch kom­bi­niert. „Wir för­dern lie­ber Ideen als Koh­le“ oder „Für eine Schu­le, die ohne Rot­stift aus­kommt“. Bil­dung, Mas­sen­tier­hal­tung, Energie/Kohle, Ver­kehr – das sind erwart­ba­re The­men. Dazu kommt der Kampf gegen Rechts (Stich­wort NPD, Stich­wort AFD) und ein Frei­heits­mo­tiv („Für einen Frei­staat, der die­sen Namen ver­dient“, mit einer zum Vogel­häus­chen umfunk­tio­nier­ten Über­wa­chungs­ka­me­ra). Die Sei­te wird abge­run­det durch ein Wahl­kampf­blog und Links auf die übli­chen Social-Media-Kanäle.

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In Bran­den­burg heißt es gleich beim Öff­nen der Sei­te Gutes Mor­gen, Bran­den­burg! – der über­grei­fen­de Cla­im in Weiß auf grün. Pla­ka­te und Web­auf­tritt sind in unter­schied­li­chen Grün‑, Gelb- und Ocker­tö­nen gehal­ten, in denen sti­li­sier­te Bild­mo­ti­ve gestal­tet sind. Mir gefällt das sehr gut, auch wenn’s optisch gewis­se Anlei­hen an die 60er Jah­re gibt – ob das als Pla­kat­mo­tiv so ankommt, weiß ich nicht. Ähn­lich der Cla­im, zu dem ich im Netz mehr­fach Beschwer­den gele­sen habe, dass es hier mit der Gram­ma­tik nicht stim­men kön­ne (falsch: das Mor­gen als Sub­stan­ti­vie­rung von „mor­gen“ im Sin­ne von „die Zukunft“, vgl. Duden). Ob der über­all ver­stan­den wird? Ein Hin­gu­cker ist das gan­ze jeden­falls, egal, ob im Netz oder auf Groß­flä­chen­pla­ka­ten. Fokus­sier­te The­men: „Zukunft statt Braun­koh­le“, „Lasst die Sau raus“ (Mas­sen­tier­hal­tung) sowie „Poli­tik für klei­ne Schrit­te“ (Bil­dung, Klein­kin­der). Die Kam­pa­gnen­sei­te ist mit allen sozia­len Netz­wer­ken ver­knüpft und kann dort direkt geteilt wer­den. Um mehr über das Pro­gramm (pdf) oder wei­te­re The­men und Kan­di­da­tIn­nen her­aus­zu­fin­den, muss aller­dings erst ein­mal der Schritt von der Kam­pa­gnen­sei­te zur Par­tei­sei­te gelingen. 

War­um blog­ge ich das? Aus inner­grü­ner Neu­gier­de. Und wenn ich schon nicht zum „Wahl­kampf­ur­laub“ in den Osten rei­se, will ich doch auf die Wah­len und die Spen­den­mög­lich­kei­ten hinweisen.

P.S. „Komm mit ins Mor­gen­land“ – TV-Spot Brandenburg.

Links, zwei, drei

2014 pol compass

Die Debat­te dar­um, ob Bünd­nis 90/Die Grü­nen eine lin­ke Par­tei sind – was für mich lan­ge eine Selbst­ver­ständ­lich­keit war – dreht mal wie­der auf. In die­sem Blog­bei­trag will ich zunächst ver­su­chen, die unter­schied­li­chen Ebe­nen zu sor­tie­ren, auf denen die­se Fra­ge dis­ku­tiert wird.

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Das grüne Distinktionsproblem

Green eggs I

Müs­lis und Ökos. Das gehör­te lan­ge zu den Kli­schees, wenn es um grü­ne Wäh­le­rIn­nen und Mit­glie­der ging. Oder, etwas arri­vier­ter, sozio­lo­gi­scher und mit einem Hauch Sozi­al­neid ver­se­hen: Ange­hö­ri­ge des post­ma­te­ria­lis­ti­schen Bür­ger­tums, die es sich leis­ten kön­nen, die Welt zu ret­ten. Poin­tiert: Anhän­ge­rIn­nen eines „Life­style of Health and Sus­taina­bi­li­ty“, kurz: Lohas, mit Glit­zer, Yoga-Flug­rei­sen und vega­ner Wellness. 

Ob Grü­ne „grau und bür­ger­lich“ gewor­den sind, dar­über lässt sich lan­ge strei­ten. Zumin­dest bis vor eini­gen Jah­ren – das ist mein Stand der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur – gab es durch­aus recht enge Über­schnei­dun­gen zwi­schen einer (wie auch immer gear­te­ten) Ori­en­tie­rung an im wei­tes­ten Sin­ne nach­hal­ti­gen Lebens­sti­len und Hal­tun­gen einer­seits und Sym­pa­thien für Bünd­nis 90/Die Grü­nen ande­rer­seits. Viel­leicht hat sich da was aus­ein­an­der­ge­lebt, in den letz­ten Jah­ren. Aber wenn wir nicht über tat­säch­li­che Prak­ti­ken spre­chen, son­dern über vor­herr­schen­de Bil­der – auch Selbst­bil­der? – dann ist das mit der dis­kur­si­ven Domi­nanz des „Ökos“ gar nicht so weit weg, wenn über Grü­ne gespro­chen wird. 

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Kreistagswahlergebnisse 2014 in Baden-Württemberg (korrigiert)

Ich habe die vor­lie­gen­den grü­nen Ergeb­nis­se zur Kreis­tags­wahl (z.T. sta­tis­ti­sches Lan­des­amt, z.T. Mel­dun­gen der ein­zel­nen Land­krei­se) und zur Kom­mu­nal­wahl in den Städ­ten mal gra­fisch auf­be­rei­tet – da nicht in allen der 1101 Gemein­den Grü­ne ange­tre­ten sind, und da zudem viel­fach grün-nahe Lis­ten auf­tre­ten, erscheint mir die­ses Bild auf­schluss­rei­cher als die lan­des­wei­te Gemein­de­sta­tis­tik. Nicht sicht­bar wird hier, dass Grü­ne im Ver­gleich zu 2009 fast über­all zuge­legt haben – das hat auch etwas damit zu tun, dass Ergeb­nis­se wie „16 Pro­zent“ inzwi­schen als „nor­mal“ erschei­nen. Sicht­bar wird in der Kar­te auch, wo bis zur Land­tags­wahl noch etwas gesche­hen muss …

Kreistagswahlen 2014: Grüne Ergebnisse in den Land- und Stadtkreisen
Zugrun­de­lie­gen­de Kar­te: Baden-Würt­tem­berg-Loca­ti­on-Map, CC-BY-SA von Ssch und Kju­nix

Neu: Die in der Kar­te dar­ge­stell­ten Zah­len für die Land­krei­se beru­hen auf Anga­ben des Sta­tis­ti­schen Lan­des­am­tes, für den Land­kreis Karls­ru­he und für den Boden­see­kreis lie­gen die­se noch nicht vor. Wäh­rend dort die Daten aus den Schnell­mel­dun­gen der Land­krei­se ange­ge­ben sind (Stim­men Grü­ne / gül­ti­ge Stim­men), ver­wen­det das Sta­tis­ti­sche Lan­des­amt „gleich­wer­ti­ge Stim­men“ und berech­net den Anteil dar­an. Das bedeu­tet, dass Ver­zer­run­gen durch unter­schied­lich gro­ße Wahl­kreis­zu­schnit­te in den ein­zel­nen Land­krei­sen her­aus­ge­rech­net wer­den. Dadurch erge­ben sich Dif­fe­ren­zen zu den Schnell­mel­dungs­er­geb­nis­sen. Bei­spiel Land­kreis Tübin­gen: Ohne die­se Kor­rek­tur liegt der Land­kreis bei 24,7 % „grün“, dies kommt u.a. dadurch zustan­de, dass die Stadt Tübin­gen als Land­kreis-Wahl­kreis über­re­prä­sen­tiert ist. Wer­den die­se unter­schied­li­chen Gewich­tun­gen her­aus­ge­rech­net, ergibt sich der hier dar­ge­stell­te Wert von 21,8 %.

Nur in den Land­krei­sen Freu­den­stadt (-0,9 Pro­zent­punk­te), Reut­lin­gen (-0,7 Pro­zent­punk­te) und Zol­lernalb (-0,2 Pro­zent­punk­te) ver­lie­ren die Grü­nen gegen­über 2009, bezo­gen auf die gleich­wer­ti­gen Stim­men, in allen ande­ren Land­krei­sen gibt es Zuge­win­ne zwi­schen 0,3 und 4,0 Pro­zent­punk­ten, letz­te­res in Sig­ma­rin­gen. In den Stadt­krei­sen Frei­burg (+0,4), Mann­heim (+0,4), Pforz­heim (+0,7), Ulm (+0,9), Baden-Baden (+2,1), Heil­bronn (+2,2) und Hei­del­berg (+4,7) gibt es Zuwäch­se, wäh­rend es in Karls­ru­he (-0,2) und Stutt­gart (-1,3) Ver­lus­te gegen­über 2009 gibt.

Kurz: Lokal schlägt bundesweit?

Die­ses Jahr fan­den die Euro­pa­wah­len ja in eini­gen Bun­des­län­dern gekop­pelt mit Kom­mu­nal­wah­len statt. Dabei ist eine deut­li­che Dis­kre­panz sicht­bar zwi­schen den grü­nen Ergeb­nis­sen, die für die Euro­pa­wahl erzielt wer­den konn­ten (ins­ge­samt sind es ja 10,7 % gewor­den) und den kom­mu­na­len Ergeb­nis­sen. Das ist jetzt inso­fern schwer zu ver­glei­chen, als Grü­ne nach wie vor nicht flä­chen­de­ckend kom­mu­nal antre­ten. Zudem ste­hen – zumin­dest in den Län­dern mit einem etwas kom­pli­zier­te­ren Aus­zähl­ver­fah­ren – die end­gül­ti­gen Kom­mu­nal­wahl­er­geb­nis­se noch nicht fest. 

Als Ein­druck setzt sich jedoch fest, dass wir da, wo wir antre­ten, kom­mu­nal teil­wei­se rich­tig stark sind, dass sich das – und das ist jetzt kein rei­nes Baden-Würt­tem­berg-Phä­no­men – nur bedingt in bun­des­wei­te Stim­men umsetzt. Bei­spiels­wei­se wur­den im Land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald bei der Euro­pa­wahl 16,3 Pro­zent erzielt. Die Ergeb­nis­se für die grü­nen Kom­mu­nal­wahl­lis­ten lie­gen fast über­all, wo wir für Gemein­de­rä­te ange­tre­ten sind, deut­lich dar­über (ich habe bis­her eine Spann­wei­te von 15,1 % bis – Son­der­fall Merz­hau­sen – fast 50 % gese­hen). Das ist nicht nur ein Effekt davon, dass nach wie vor in vie­len Gemein­den im Land­kreis kei­ne grü­nen Lis­ten antre­ten. Auch in den Orten mit grü­ner Lis­te lag das Euro­pa­wahl­er­geb­nis (ähn­li­ches gilt für die Bun­des­tags­wahl) deut­lich unter­halb des jewei­li­gen kom­mu­na­len Listenergebnisses.

Wenn sich die­se Beob­ach­tung ver­all­ge­mei­nern lässt, wäre zu fra­gen, was für ein Mecha­nis­mus dahin­ter steht. Klar: Es gibt in vie­len klei­ne­ren Gemein­den weni­ger Aus­wahl. Wer bei der Euro­pa­wahl Lin­ke, Tier­schutz­par­tei oder Pira­ten gewählt hat, wählt dann viel­leicht kom­mu­nal grün. Reicht das zur Erklä­rung die­ser Beob­ach­tung aus – oder gibt es tat­säch­lich so etwas wie eine uns zuge­schrie­be­ne Kom­mu­nal­kom­pe­tenz, ein Pro­blem­lö­sungs­ver­trau­en, dass sich auf kon­kre­te Poli­tik vor Ort bezieht, sich aber nicht in der bun­des­wei­ten, v.a. medi­al ver­mit­tel­ten Wahr­neh­mung spiegelt?

P.S.: The­se 2 – für die SPD gilt das Gegenteil.