Ich sagte ja schon, dass das nichts ist, was ich regelmäßig machen werde, aber heute gibt es mal wieder ein #12von12 von mir. „#12von12 – September 2015“ weiterlesen
Die neuen Eurobasisdemokraten, oder: Zurück in die 1980er?
Eigentlich gibt es zur Zeit wichtigeres als das Innenleben der grünen Partei. Trotzdem könnte die 39. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz, die Ende November in Halle stattfindet, interessant werden, liegen doch inzwischen einige Anträge Unzufriedener vor. Ich denke dabei insbesondere an den Antrag „Die Partei strategisch neu aufstellen, Fenster und Türen öffnen!“ von Robert Zion und an den Antrag „Für eine umfassende Rückkehr zu basisdemokratischen Strukturen“ von Frank Brozowski und anderen. Insgesamt stehen inzwischen 146 Personen unter den Anträgen. Worum geht es?
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Kurz: Kurs auf 2017
Derzeit macht eine Pressemitteilung des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Albig (SPD) die Runde, in der er in Frage stellt, ob die SPD angesichts der aktuellen Umfragewerte überhaupt 2017 einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen soll. Offensichtlich fühlt sich die SPD im Windschatten der ewigen Kanzlerin wohl. Und auch Gabriel hat ja schon anklingen lassen, dass die Wahl 2017 verloren gegeben werden könne.
Ich finde das voreilig. Aus grüner Perspektive flammt jetzt reflexhaft wieder eine Debatte über Rot-Grün-Rot vs. Schwarz-Grün auf. Ich will einen anderen Vorschlag machen, der angesichts von 10 Prozent in den Umfragen vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig sein mag, aber über den wir mal diskutieren sollten. Wir gehen nicht mit einem SpitzenkandidatInnen-Duo in die Wahl 2017, sondern mit einem Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin. Eine Person!
Dazu müsste früh klar sein, wer das ist – Urwahl, warum nicht – und dann stünden Bundestagsfraktion, Partei und diese Person vor der Herausforderung, in den dann noch folgenden eineinhalb Jahren von 10 Prozent auf 25 Prozent in den Bundesumfragen zu klettern. Mit einer nicht nur unsere eigene Mitgliederschaft überzeugenden Person, mit Geschlossenheit und mit einem klaren Gestaltungsanspruch wäre das zwar sicher immer noch nicht einfach, aber eben auch nicht unmöglich – und würde wie kein anderes Vorhaben den Anspruch grüner Eigenständigkeit unterstreichen. Die SPD will nicht Kanzler werden? Wir schon!
Unser Innenminister!
Vor ein paar Tagen erschien ein Artikel von Ulrich Schulte in der taz, in dem er sich unter der Überschrift „Ein Politikum auf 140 Zeichen“ damit auseinandersetzt, was passierte, nachdem Jörg Rupp einen inhaltlich und sprachlich daneben liegenden Kommentar zur Hamburg-Wahl getwittert hatte. Ich will hier keine Debatte über Mücken und Elefanten anfangen, sondern sage nur, dass die 15 Minuten des Ruhmes für Jörg inzwischen vorbei sind. Aber er ist ja nicht der einzige, der Twitter für politische Kommentare nutzt.
Auch SPD-Innenminister Reinhold Gall tut das manchmal:
Hier bin ich gespannt, was weiter passiert. Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach beispielsweise fordert Galls Rücktritt. Auch der SWR berichtet bereits über den Tweet. Neben vielen anderen nimmt auch Claus von Wagner („Die Anstalt“) den Tweet zum Anlass für bissige Kommentare.
Um auch dies festzuhalten: Dass Gall sich – wie die Mehrheit der Delegierten des SPD-Parteikonvents, möglicherweise anders als die Mehrheit der SPD-Mitglieder – für die Vorratsdatenspeicherung („VDS“) ausspricht, ist bekannt. Das auch öffentlich zu sagen, wäre kein Skandal. Dass der baden-württembergische Koalitionsvertrag in diesem Punkt sehr schwammig ist, ist ebenfalls bekannt. Der Innenminister hat hier eine andere Auffassung, wie der Vertrag auszulegen ist, als beispielsweise der grüne Koalitionspartner.
Was Gall gestern schrieb, geht aber weit darüber hinaus. Und das macht den Shitstormaspekt dieses Tweets aus. Zum einen legt er (im Kontext des gestrigen SPD-Parteitags) nahe, dass Vorratsdatenspeicherung dazu beitragen könnte, sexualisierte Gewalt gegen Kinder aufzuklären. Dass hier die VDS mehr Erfolg verspricht als herkömmliche polizeiliche Maßnahmen, ist mindestens umstritten.
Noch infamer ist allerdings das Wording „vermeintliche Freiheitsrechte“. Auch das wird z.B. von netzpolitik.org aufgegriffen. Denn Gall legt damit ja nahe, dass die informationelle Selbstbestimmung nur ein vermeintliches, aber kein echtes Freiheitsrecht ist. Zugespitzt stellt sich damit die Frage, welche Grundrechte Gall sonst noch so als „vermeintlich“ ansehen würde, und auf welche er – als Innenminister! – verzichten würde, um die Aufklärungsquote bei schweren Verbrechen zu verbessern.
Wenn die SPD meint, sich mehrheitlich für die Vorratsdatenspeicherung aussprechen zu müssen, und – warum auch immer – in ihrer innerparteilichen Meinungsbildung zu diesem Ergebnis kommt, dann ist das zwar bedauerlich und durchaus ein Grund für Empörung, letztlich aber erst einmal hinzunehmen. Es gibt am Wahltag eine ganze Reihe von Alternativen, die eine andere Position vertreten. Wenn ein Innenminister per Twitter einen Konnex zwischen dem Kampf für Freiheitsrechte und der Duldung von Kindesmissbrauch aufmacht, dann frage ich mich doch, was ihn dabei geritten hat. Bekanntermaßen gehören zu den Parteien, die in dieser Sache eine andere Position als die SPD vertreten, auch Bündnis 90/Die Grünen. Ich würde ja gerne wissen, was Innenminister Gall glaubt, was wir als Koalitionspartner der SPD in Baden-Württemberg tun, wenn wir für Bürgerrechte kämpfen.
Warum blogge ich das? Zum einen, weil ich mich inhaltlich der Empörung über diesen Tweet durchaus anschließen kann. Zum anderen aber auch, weil ich dokumentieren will, wie Twitter zunehmend als politisches Medium (und damit auch als direkter Kanal zwischen politischen AkteurInnen und den Medien) funktioniert.
P.S., 22.06.15: Die heutige Entschuldigung überzeugt nur bedingt:
Bei der Gelegenheit: duden.de definiert „vermeintlich“ als „(irrtümlich, fälschlich) vermutet, angenommen; scheinbar“.
P.P.S.: Und auf Sascha Lobos wortreiche Wort-für-Wort-Analyse des Gallschen Tweets muss ich nicht nur aus Vollständigkeitsgründen auch noch verlinken.
Die drei Funktionen eines Wahlprogramms
Aus Gründen mache ich mir gerade einige Gedanken um Wahlprogramme. Dabei ist mir aufgefallen, dass ein paar der Schwierigkeiten, die mit einem Wahl- oder Regierungsprogramm verbunden sind, schlicht damit zu tun hat, dass ein solches Programm mehrere, sich teilweise widersprechende Funktionen erfüllen soll. Es steht also immer in einem Spannungsverhältnis, das sich nie ganz auflösen lässt.
Mir sind drei solche Funktionen – also Antworten auf die Frage, wozu ein Wahlprogramm eigentlich gut ist – eingefallen. Vielleicht gibt es noch mehr:
1. Das Wahlprogramm ist eine Momentaufnahme des andauernden Meinungsbildungsprozesses innerhalb einer Partei. Es hält fest, was die Positionen und Haltungen, die Kompromisse und Beschlusslagen zum Zeitpunkt X sind. Es ist damit ein identitätsstiftendes Selbstverständnis in Langform (in Abgrenzung zu konkurrierenden Parteien) – und letztlich auch ein historisches Dokument, das im Vergleich zu älteren Wahlprogrammen Auskunft darüber geben kann, wie sich Positionen und Selbstverständlichkeiten entwickelt und verschoben haben.
2. Es wäre schön, wenn das mit der zuerst genannten Funktion in eins fallen würde, dem ist aber nicht so: Das Wahlprogramm ist ein Regierungsprogramm, eine Blaupause und Baustelle für mögliche Koalitionsverträge und das darauf aufbauende Regierungshandeln. Der Fokus liegt hier stärker als in der ersten Perspektive auf dem, was auch tatsächlich umsetzbar ist, auf dem innerhalb einer Legislaturperiode machbaren – und stärker auf konkreten Projekten als auf allgemeinen Positionen. (Und da, wo es konkret wird, wird’s dann gerne ganz konkret und schnell sehr, sehr fachlich …)
3. Und schließlich ist ein Wahlprogramm auch ein werblicher Text. Es soll von potenziellen Wählerinnen und Wählern nicht nur verstanden werden, sondern auch als attraktiv empfunden werden. Es muss zur Kampagne passen, etwa im Hinblick auf Schwerpunktsetzungen. Es dient als Grundlage für Wahlwerbematerial und die Beantwortung von Wahlprüfsteinen. Mit all dem ist die Verlockung verbunden, Großes zu versprechen – was nicht immer mit Machbarkeit koinzidiert – und über anderes eher den Mantel des Schweigens zu hüllen.
Im Spannungsfeld zwischen Identitätsstiftung, vorweg genommener Legitimation zukünftigen Regierungshandeln und Wählerorientierung ist ein Wahlprogramm notwendigerweise ein vielschichtiger und facettenreicher Text. Auch wenn manche meinen, dass Wahlprogramme überhaupt nicht notwendig wären, sind – zumindest in debattenfreudigen Parteien wie den GRÜNEN – Programmparteitage auch deswegen spannend, weil hier nicht nur unterschiedliche Interessen innerhalb der oben dargestellten Dimensionen aufeinanderprallen (etwa unterschiedliche Schwerpunktsetzungen unterschiedlicher Strömungen), sondern, verknüpft mit Rollen und Rollenerwartungen, auch unterschiedliche Interessen daran, welche Funktion das Programm vor allem erfüllen soll. Ein den Wahlkampf organisierender Vorstand verbindet mit dem Programm andere Ansprüche als eine fachlich orientierte Arbeitsgruppe oder ein Mitglied einer Regierungsfraktion.
Warum blogge ich das? Unter anderem mit Blick auf den laufenden Programmprozess innerhalb der baden-württembergischen Grünen im Vorfeld der Landtagswahl 2016.