Gestern und vorgestern fand in Berlin der Grundsatzkonvent statt, auf dem der „Zwischenbericht“ für das neue grüne Grundsatzprogramm vorgestellt wurde, und zugleich ein bisschen gefeiert wurde – schließlich trat genau vor 40 Jahren die „Sonstige Politische Vereinigung DIE GRÜNEN“ zur Europawahl an, das war sozusagen die erste Gründung der Grünen als Partei, die zweite folgte dann ein Jahr später nach deutschem Recht in Karlsruhe (nähere Infos zum Konvent mit Link zum Zwischenbericht).
Kurz: Politische und andere Algorithmen
Ich habe mal ein bisschen Informatik studiert. Nebenfach. Eine Grundlage der Informatik ist das Konzept des Algorithmus: es gibt eine Eingabe, es gibt Regeln, nach denen diese Eingabe verarbeitet wird, und es gibt eine Ausgabe. So wie bei einem Kochrezept: Eier und Mehl, Zucker und Salz, … rein, Kuchen raus, und dazwischen Regeln und Verfahrensschritte, die in einer bestimmten Reihenfolge abgearbeitet werden. Wer jetzt mit der Maus auf den nächsten Tab im Browser klickt und eine URL eingibt, weil das langweilt – setzt Algorithmen in Gang.
Jetzt musste ich heute in einer Pressemitteilung einer mir gut bekannten Bundestagsfraktion lesen:
„In fast jeder Online-Anwendung kommen heute Algorithmen zum Einsatz. Fast die Hälfte der Befragten in der EU gibt allerdings an, keine Kenntnis über Algorithmen zu besitzen. Es müssen jetzt nicht alle Computerexpertinnen und ‑experten werden, aber jeder hat das Recht darauf, zu erfahren, ob in Programmen oder Prozessen Algorithmen im Spiel sind und Entscheidungen beeinflussen. Ein Transparenzkennzeichen für Künstliche Intelligenz und Algorithmen kann deswegen ein sinnvoller Ansatz sein.“
Das ist dann doch ein bisschen peinlich. Und ich verstehe, warum sich Biolog*innen über „genfrei“ aufregen. Mein Schluss: Es gibt so etwas wie einen technischen Algorithmus-Begriff (Eingabe – Rechenschritte – Ausgabe) und einen politischen Algorithmus-Begriff, der eigentlich „Einsatz von maschinellem Lernen auf großen Datenmengen zur Sortierung von Nutzer*innen“ oder sowas in der Art bedeutet. Das mit einem Kennzeichen zu versehen, kann ja sogar sinnvoll sein. „Achtung, Algorithmus!“ zeugt allerdings davon, dass hier jemand nur wenig Kenntnis besitzt. Schade.
Einer wagt es, uns im Netz zu verlassen
Paukenschlag: Robert Habeck verabschiedet sich von Facebook und Twitter. Als Grund dafür nennt er zwei Dinge – zum einen den massiven Datenklau samt Veröffentlichung privater Chatverläufe vor ein paar Tage, er war einer von rund 50 der etwa 1000 betroffenen Politiker*innen, bei denen nicht „nur“ eine private Mobilfunknummer veröffentlicht wurde, sondern auch weitere Daten. Zum anderen einen dummen Versprecher in einem Wahlvideo für Thüringen, der prompt heftigste böse Kommentare ausgelöst hat. Schuld daran sei auch der auf Twitter gepflegte Kommunikationsstil, der Drang zur Verkürzung, zur reduzierten Aufmerksamkeit.
Robert hat aus diesen beiden Ereignissen für sich den Schluss gezogen, Facebook, Twitter (und wohl auch Instagram) zu verlassen – zumindest im Format der direkten, persönlich-privaten Kommunikation. Ob es auch in Zukunft eine von der Partei gepflegte offizielle Seite geben wird, bleibt abzuwarten. Twitter- und Facebook-Account sind inzwischen gelöscht.
In eigener Sache: Wissenschaftspolitik im BasisPod
Jan und Paula fassen im BasisPod die wichtigsten grünen Themen als Podcast zusammen. In der aktuellen Ausgabe #13 bin ich (etwa ab Minuten 27) zugeschaltet, und beantworte ein paar Fragen zur Rolle der Wissenschaftspolitik im grünen Grundsatzprozess.
(Die Telefonschalte lief über ZenCastr, was mich erstmal vor einige technische Herausforderungen stellte – das Ergebnis klingt jetzt trotz Headset und Tontechnikkunst doch ziemlich nach gutem alten Analogtelefon … authentisch, würde ich sagen)
Grüner Parteitag in Leipzig: Europa – darum kämpfen wir
Es fühlt sich gerade ziemlich gut an, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen zu sein. Das hat was mit den 20 Prozent in den Umfragen zu tun, aber sehr viel mehr noch mit einer der Ursachen für diese 20 Prozent – aktuell sind wir nahe dran an der platonischen Form einer grünen Partei. So muss das sein!
Gibt es den Ausdruck eines heiteren Ernsts? Das ist in etwa die Haltung, mit der wir derzeit der Welt begegnen, und das ist die richtige Haltung.
Wir leben in Zeiten, in denen ziemlich viel schief läuft. Manches davon ist lebensbedrohend für die Zukunft der Menschheit. So kann es nicht weitergehen. Deswegen, und das ist glaube ich der Kern dessen, was Robert Habeck mit „radikal“ meint, braucht es Antworten, die dieser Situation angemessen sind. Aber nur weil die Dinge so sind, wie sie sind, werden wir nicht verbissen – ich schrieb irgendwann mal etwas über grumpy old men -, werden auch nicht moralistisch und moralinsauer, und erst recht verschließen wir nicht die Augen vor dem Zustand der Welt. Nein: wir schauen hin, wir entwickeln sehr konkrete Ideen, wie die Welt besser werden kann, und wir treten dafür ein. Überzeugt, aber nicht abgehoben, hart in der Sache, aber fair und verbindlich (oder, wie das Handesblatt schreibt, „moderat“) im Ton. Nach innen wie nach außen. (Und damit dann, um nochmal Robert aufzunehmen, auch bündnisfähig.)
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