Eine der großen Seltsamkeiten gesellschaftlicher Zeit ist die Tatsache, dass es jeder Generation so vorkommt, als sei alles schon immer so gewesen. Seit Kindestagen war Kohl Kanzler. Umso größer die Freude und die (dann leider oft enttäuschten) Erwartungen, als die Grünen 1998 mit einem zweitklassigen Sozialdemokraten die Regierung stellten.
Und ebenso war Amerika – genauer gesagt: war die USA – schon immer „Das Reich des Bösen“. Reagan, Bush, mit Clinton ein zweitklassiger Sozialdemokrat als enttäuschter Hoffnungsschimmer, wieder Bush, Bush – die USA als Land des „bible belt“, der Waffenverherrlichung, das Land mit dem höchsten CO2-Ausstoss pro Kopf. Es war die USA, die sich zum unilateralen Weltpolizisten aufschwang, Kriege vom Zaun brach und Kyoto ignorierte. Die zum „War on terrorism“ aufrief und dabei die ihr eigenen Freiheitsrechte beerdigte. Die multinationalen Konzerne – schon immer amerikanische. Zwischen Kulturimperalismus und rücksichtlosem Kapitalismus: alles USA. Das zur wahrgenommenen Wirklichkeit geronnene Klischee des linken Antiamerikanismus.
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Die Wahl und gestern die Inauguration Obamas lassen einen ein wenig begreifen, wie das vor 40 Jahren, also lange vor meiner selbst erinnerten Zeit, mit Kennedy war. Sie machten sichtbar, dass die USA eben auch – und da war Obamas pathetische „Hope-Rede“ richtig spannend – eine Geschichte der Selbstemanzipation des Menschen verkörpern. Ein Bund der Ausgestossenen, ein Experimentierfeld der Demokratie, ein Land der Ausweitung von Freiheitsrechten.
Keine Angst – auch ich habe die USA auch in den letzten acht Jahren nicht so schwarz-weiß wahrgenommen. Ich habe sie als Land wahrgenommen, das viel weltpolitischen und bedrohlichen Unsinn anstellt, und als einen martialischen Ort, den ich nur ungern bereisen würde. Ich habe aber auch wahrgenommen, dass es eine lange Tradition der Bürgerbewegung und des Aktivismus gibt. Dass auch die Hippies, der SDS, das Silicon Valley und das MIT zur USA gehören. Dass neben dem mittleren Westen und texanischen Farmen verheißungsvolle Orte wie Seattle, San Francisco, Boston und Davis ebenso wie viele gemeinschaftlichen Experimente Teile der USA sind. Ich erinnere mich noch gut an meine Verwunderung darüber, wie z.B. ökologischer grassroot-Aktivismus und grandioses professionelle Politikmanagement zusammenpassen können, als ich die ersten Broschüren und Flyer aus der amerikanischen Umweltbewegung in der Hand hielt.
Irgendwie verbindet sich mit der Wahl Obamas die Hoffnung, dass dieser Teil der Vereinigten Staaten jetzt, wenn schon nicht mehrheitsfähig und tonangebend, doch zumindest ein bißchen wichtiger geworden ist. Obama hat seine Inauguration unter das Motto Hoffnung statt Angst gestellt. Dass alleine finde ich schon beeindruckend.
Auch wenn ich weiterhin gerne auf einen Teil des karnevalesken Pomps und des Säbelraschelns verzichte, ist es der professionelle Aktivismus, von dem sich die deutsche Politik ein ganzes Stück abschneiden kann. Das betrifft nicht nur change.gov, sondern auch die Frage, wie eine charismatische Figur mit direkter Beteiligung und Involviertheit vieler zusammenpassen. Es gibt die Aussage, dass die Grünen die amerikanischste der deutschen Parteien sein (gleichzeitig wird die „obama machine“, die er im Wahlkampf aufgebaut hat, inzwischen mit der Ortsverbands-Struktur der deutschen Volksparteien verglichen). Ich kann mir gut vorstellen, dass eine Mischung aus einer Politik der Hoffnung, einer professionalisierten Bewegungsorganisation und einem Auf-die-Menschen-Zugehen, einem Die-Menschen-Mitnehmen auch in Deutschland Sinn machen würde. Jenseits des „Yes we can“ ist dies die Tiefenstruktur des Obama-Wahlkampfs, vielleicht auch der Obama-Regierungszeit. Die brauchen wir auch. Und die sehe ich (ganz im Gegensatz zu der in Robert A. Wilsons Romanen karrikierten ökologischen Politik einer „Revolution der gesenkten Erwartungen“) auch für grüne Politik als dringend notwendig an – eine progressive und manchmal auch populistische ökologische Politik der Hoffnung, nicht der Angst.
Große Hoffnungen können enttäuscht werden. Obama ist kein linker Demokrat, sondern Zentrist. Er hat die Republikaner in seine Regierung mit eingebunden und wird vieles, was jetzt auch von seinen AnhängerInnen gefordert wird, nicht umsetzen. Hier kommt das Beharrungsvermögen eines Systems mit hinein, die Meinung der Massen und die Schattenseite des charismatischen Populismus. Politik als schmutziges Geschäft. In einem Interview in der taz – ich meine, mit Ayers – wurde die Parole ausgegeben, jetzt nicht mit Kritteleien zu beginnen, sondern Obama erst einmal zu feiern – und sich bewusst zu sein, dass zu einer erfolgreichen progressiven Präsidentschaft auch eine erfolgreiche Bürgerbewegungslobby gehört, die ihn immer wieder in die richtige Richtung schubst. Ungefähr so stelle ich mir das Verhältnis zwischen Parlamentsparteien und Koalitionsregierungen einerseits und außerparlamentarischen Bewegungen andererseits vor, insofern passt dieses Bild gut.
Für heute also keine Angst vor enttäuschten Erwartungen, sondern die Hoffnung darauf, dass sich mit Obama – und für meine Kinder – eine Generationengeschichte eines vorbildhaften Amerikas entwickelt, das auch auf dieser Seite des Atlantiks gern gehabt wird, respektiert wird, bewundert wird. Dass einen sich selbst erhaltenden Kreislauf wachsender Hoffnung in Gang bringt, statt sich auf Angst und Furcht angewiesen zu fühlen.
Warum blogge ich das? Weil ich meine Gedanken angesichts der Inauguration loswerden wollte. Unbedingt.