Dass es die Science-Fiction-Serie „Babylon 5“ gibt, war mir bekannt. In dieser 1994 bis 1998 von J. Michael Straczynski produzierten Serie wird über fünf Staffeln hinweg die Geschichte der gleichnamigen Raumstation erzählt. Mitte der 1990er Jahre hatte ich anderes zu tun, oft keinen Fernseher – jedenfalls habe ich „Babylon 5“ erst jetzt für mich entdeckt. Nachdem ich etwa die Hälfte gesehen habe, kann ich sagen: ich bin durchaus angetan davon. Die OV-Staffeln kosten bei Amazon rund 8 €, insofern ist die Wiederentdeckung dieses SF-Klassikers auch kein Luxusprojekt.
Für die damalige Zeit neu und in gewisser Weise immer noch besonders ist die Tatsache, dass „Babylon 5“ einen Handlungsbogen hat, der alle 110 Folgen durchzieht. Was heute mit „The Expanse“ oder „Games of Thrones“ gang und gäbe ist, war für Fernsehserien der 1990er Jahre Neuland: eine kapitelweise Erzählung, in der die Figuren sich entwickeln, und in der nicht jeweils – wie bei den meisten alten Star-Trek-Folgen – am Ende der Handlung wieder alles auf Null zurück gesetzt ist. Insofern ist diese Serie sehr viel näher an einem Roman als an üblicher Fernsehunterhaltung.
Neu war Mitte der 1990er auch der massive Einsatz von Raytracing und computergenerierten Effekten. Wenn ich mich recht erinnere, wurde dafür aus Kostengründen der Amiga eingesetzt, jedenfalls waren einer der Kanäle, über die ich zur Entstehungszeit der Serie etwas davon mitgekriegt habe, entsprechende Berichte in Computerzeitschriften. Was 1994 Stand der Technik war, sieht heute allerdings bonbonbunt und primitiv aus. Im Lauf der Serie werden die Effekte besser und die Modelle etwas realistischer, wobei unklar ist, ob das an der HD-Digitalisierung für Prime oder an der technischen Entwicklung der 1990er Jahre liegt. So oder so ist das alles weit von dem entfernt, was Industrial Light & Magic, Pixar etc. heute produzieren.
Die Geschichte ist jedoch gut genug, und gut genug erzählt, um sich schnell an die Grafik zu gewöhnen – in den 2250er Jahren fand ein Krieg zwischen der (vereinigten) Menschheit und den Minbari statt. Die Menschen haben zu diesem Zeitpunkt erste andere Welten kolonisiert. Der Weltraum ist voller unterschiedlicher Völker. Die Minbari sind der Menschheit weit überlegen; kurz vor der Vernichtung endet der Krieg jedoch mit deren Rückzug. Wenige Jahre danach wird die große und recht realistisch gedachte Raumstation „Babylon 5“ eröffnet, in der rund 250.000 Menschen und Außerirdische leben. „Babylon 5“ wird von den Erdstreitkräften betrieben. Sie soll als neutraler Ort des Handels und des Austausches dienen, und bildet den Hintergrund für interstellare Politik und persönliche Entwicklungen der nächsten Jahre in der Serie. Neben Menschen und Minbari (irgendwo auf dem Spektrum zwischen Vulkanier*innen und Elfen) spielen insbesondere auch Centauri (das alte Rom in space), Narn (philosophisch veranlagte Echsenwesen), Vorlonen (geheimnisvoll) und Dutzende „minor races“ eine Rolle.
Anders als in „Star Trek“ ist die Zukunft bei „Babylon 5“ nicht utopisch und aufgeräumt, sondern ziemlich chaotisch. Auch das etwas, das „The Expanse“ wieder aufnimmt, und das sich zeitgenössisch in der kurz darauf entstehenden ST-Serie „Deep Space Nine“ ebenfalls wiederfindet. Chaotisch heißt hier: es steht Zeug im Weg, die Wohnbereiche sind nicht immer aufgeräumt, und insbesondere gibt es ein „Down bellow“ der Raumstation, in dem Obdachlose und Kleinkriminelle leben. Und die Politik der Erde und anderer Völker ist alles andere als utopisch – „Babylon 5“ hat nicht die höchste Priorität in den Haushaltsverhandlungen des Erd-Senats, und liegt für eine zunehmend außerirdischen-feindlich werdende Erdpolitik weit weg.
In den einzelnen Kapiteln der Serie geht es dementsprechend selten um technologische Wunder – obwohl auch das vorkommt – sondern ganz oft um Konflikte, politische Verwicklungen und im Lauf der Serie dann auch um Allianzen, Krieg und Flucht sowie um den Widerstand gegen eine neofaschistische Erdregierung. Und viele Charaktere haben eine gewisse Ambivalenz und Tragik.
Thematisch also ziemlich düster; gleichzeitig nimmt sich „Babylon 5“ nicht immer ganz ernst, wenn etwa eine Gerichtsverhandlung mit einem stereotypen UFO-Alien über die Taten seiner Urgroßeltern gezeigt wird, wenn der Stationsarzt Diäten verschreibt und sich dann doch zum fetten italienischen Mahl einladen lässt, oder wenn die Kommandantin mit trockenem Humor hart ihren Willen durchsetzt. Und neben Actionszenen erinnert manches fast an Slapstick.
Gut so – sonst wäre das mythisch getränkte Überthema des Kampfs von Licht und Schatten nicht zu ertragen. So aber bleiben genügend Grautöne, um diese Version des 23. Jahrhunderts zumindest für einen Augenblick realistisch zu halten und mit dem Personal von „Babylon 5“ mitzufiebern.
Wie gesagt: ich habe bisher etwa die Hälfte der Serie gesehen, und bisher kann ich dieses Fundstück aus den 1990ern nur zur Wiederentdeckung empfehlen. Wenn sich das in der zweiten Hälfte der Serie ändert, werde ich es hier entsprechend anmerken (keine Spoiler, bitte!).