The good kind of weird – Teil II

Offi­zi­ell soll­te die Bekannt­ga­be der Hugo-Awards – Herz der World­con – um 20 Uhr star­ten. Schon vor 19 Uhr bil­de­te sich eine beträcht­li­che Schlan­ge vor dem Ein­gang des „Arma­dil­lo“, wie über­haupt das Anste­hen in Schlan­gen einen erheb­li­chen Teil der World­con-Expe­ri­ence aus­mach­te. Jeden­falls dau­er­te es dann bis 20.30 Uhr, bis das Cly­de-Audi­torum dann tat­säch­lich gefüllt war: im vor­de­ren Drit­tel die Nomi­nier­ten und Gäs­te, hin­ten wir „ein­fa­che“ Fans, die aber immer­hin auch die­je­ni­gen sind, die über die Ver­ga­be der Hugos bestim­men. Dazu gleich mehr. 

Eine gedul­di­ge war­ten­de bun­te Men­ge, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be, teil­wei­se in Ver­klei­dung, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be ver­klei­det. Rund um mich her­um min­des­ten vier oder fünf Spra­chen, nicht nur das all­ge­gen­wär­ti­ge Eng­lisch – mit oder ohne schot­ti­scher Ein­fär­bung – son­dern auch Schweit­zer­deutsch, Fin­nisch und Chi­ne­sisch. Blau-lila Farb­spie­le an den Wän­den; vio­lett ist die Signa­tur­far­be die­ser Glasgow-Worldcon. 

Es wer­den letz­te Sel­fies gemacht. Im vor­de­ren Bereich neh­men Grup­pen aus Chi­na teil, die wohl extra für die­se Preis­ver­lei­hung ange­reist sind; unter den Nomi­nier­ten sind auch chi­ne­si­sche Publi­ka­tio­nen. Auch das hat etwas mit dem Ver­fah­ren zu tun, wie die Hugos ver­ge­ben wer­den. Spoi­ler: Prei­se gab es keine. 

Dass die Hugos, die es seit den 1950ern gibt, immer noch vor allem ein Fan-Award sind, zeigt sich nicht nur im Ver­ga­be­ver­fah­ren, son­dern auch an der Viel­zahl von Kate­go­rien, in denen Prei­se ver­ge­ben wer­den. Dazu gehö­ren Fan Art und Fan­zines, Pod­casts und „best rela­ted work“ – aber auch die gro­ßen, renom­mier­ten Prei­se, die ganz am Ende der Zere­mo­nie ver­ge­ben wer­den, für die bes­te Kurz­ge­schich­te, die bes­te Novel­le und den bes­ten Roman aus dem ver­gan­ge­nen Jahr. 

Vor­schlä­ge für all die­se Kate­go­rien kön­nen von den Mit­glie­dern der WSFA ein­ge­reicht wer­den – das sind alle Teil­neh­men­den der ver­gan­ge­nen und aktu­el­len World­con. Die World­con 2023 fand zum ers­ten Mal – durch­aus kon­tro­vers bewer­tet – in Chi­na statt. Inso­fern nicht ver­wun­der­lich, dass in vie­len Kate­go­rien auch chi­ne­si­sche Wer­ke nomi­niert wur­den, die mir – und ver­mut­lich vie­len ande­ren – aller­dings wenig sagten.

„I‘m a Hugo voter“ – die eigent­li­che Wahl unter den fünf oder sechs Nomi­nier­ten fin­det vor der World­con statt, die digi­ta­len Wahl­ur­nen schlie­ßen eini­ge Tage vor Beginn. Aus­ge­zählt wird nach einem – wir sind unter Nerds – Prä­fe­renz­wahl­ver­fah­ren. Als Wähler*in gebe ich eine Rei­hung je Kate­go­rie, aus denen dann in einem mehr­stu­fi­gen Ver­fah­ren mit Über­tra­gung der übri­gen Stim­men der aus­schei­den­den Nomi­nie­run­gen auf die übri­gen Plät­ze ermit­telt wird, wer die Hugo-Awards erhält.

Mehr dazu (und zu allen Ergeb­nis­sen in allen Kate­go­rien) ist auf der Web­site theHugoAwards.org zu fin­den. Im Saal wur­de eine stark gekürz­te Geschich­te der Awards und des Ver­fah­rens prä­sen­tiert, dann begann – mit eini­gen Hol­pern und tech­ni­schen Pro­ble­men, wir sind, wie gesagt, wei­ter im Bereich der Fan-Orga­ni­sa­ti­on – die eigent­li­che Nen­nung der Gewinner*innen, und so sie anwe­send waren, deren mehr oder weni­ger trä­nen­rei­che und vor­be­rei­te­te („I just wro­te this on my pho­ne …“) Accep­tance-Spee­ches, mal zur Sache, und ab und an zur Welt­po­li­tik. Nicht ganz Oskar-Niveau, aber doch sehr spannungsreich. 

Ich will jetzt nicht auf alle 18 oder so Prei­se ein­ge­hen, son­dern nur sechs hervorheben:

Der Hugo für das bes­te „rela­ted work“ ging – zu deren Erstau­nen (aber völ­lig zu Recht) – an Zach und Kel­ly Wei­ners­mith für A City on Mars, deren lus­tig geschrie­be­ne, sehr ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Unmög­lich­keit, Mond und Mars zu besie­deln. Uner­war­tet, weil das völ­lig an der Final-Fron­tier-Tra­di­ti­ons­li­nie vor­bei­geht, die die Sci­ence Fic­tion lan­ge Zeit geprägt hat. Wenn ich mir anschaue, wie vie­le Panels auf der World­con sich mit Solar­punk und der erneu­ten Hin­wen­dung zu unse­rem Hei­mat­pla­net befass­ten, war die­ser Erfolg viel­leicht gar nicht so uner­war­tet – und passt in gewis­ser Wei­se zu den wei­te­ren Preisträgerinnen.

Der Hugo für die bes­te Serie ging an Ann Leckie für deren Impe­ri­al Rad­ch-Serie. Die ist jetzt einer­seits doch tra­di­tio­nel­le Sci­ence Fiction/Space Ope­ra, inso­fern sie in irgend­wel­chen fer­nen Wel­ten spielt. Ande­rer­seits ist Leckies Serie eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit künst­li­chen Intel­li­gen­zen (in ver­teil­ten Kör­pern), spielt mit einer Kul­tur, die kon­se­quent nur ein Geschlechts­pro­no­men ver­wen­det („she“) und hat viel mit Fremd- und Anders­ar­tig­keit zu tun. Moti­ve, die sich alle­samt in vie­len erfolg­rei­chen Wer­ken der letz­ten Jah­re finden.

Nao­mi Krit­zer hat (eben­falls sehr ver­dient) gleich zwei Hugos gewon­nen, und zwar für die bei­den Geschich­ten „Bet­ter living through algo­rith­ms“ (Best short sto­ry) und „The year wit­hout suns­hi­ne“ (Best novel­let­te). Bei­de sind m.W.n. online zu fin­den, und lesens­wert. Ich wür­de bei­de irgend­wo in dem Feld aus Cozy SF – Hope­punk – Solar­punk ein­sor­tie­ren. „Bet­ter living …“ setzt sich damit aus­ein­an­der, was pas­siert, wenn Men­schen die „Erlaub­nis“ bekom­men – hier durch den titel­ge­ben­den Algo­rith­mus – sich Zeit für die Din­ge zu neh­men, die ihnen wich­tig sind. „The year wit­hout suns­hi­ne“ han­delt von ganz nor­ma­len Men­schen in einer Nach­bar­schaft, mit und ohne Behin­de­run­gen, die in einer Kri­se auf sich selbst gestellt sind. Statt zum Krieg aller gegen alle kommt es zu gegen­sei­ti­ger Unter­stüt­zung, eine Gemein­schaft bil­det sich. Bei­des defi­ni­tiv emp­feh­lens­wer­te Geschich­ten, die auch mei­ne Stim­men bekom­men haben, und die sich auch als Hand­lungs­an­lei­tung eig­nen. Und die mit der Hin­wen­dung zu unse­rer Rea­li­tät, zu nahen Kri­sen und weg von tech­ni­schen Lösun­gen für einen Trend der gegen­wär­ti­gen SF stehen.

Über T. King­fi­shers Hugo für die Novel­le Thorn­hedg kann ich dage­gen wenig sagen. Ich habe die­se Novel­le, eine his­to­risch akku­ra­te Neu­er­zäh­lung von Dorn­rös­chen mit Fokus auf die schein­bar so unwich­ti­gen Details, bis­her nicht gele­sen, fand die Kate­go­rie auch ins­ge­samt eher schwie­rig in der Bewer­tung (ein­zig Mal­ka Olders „Mimi­cking of Known Suc­ces­ses“ sag­te mir etwas). In ihrer sehr ein­präg­sa­men Rede sprach King­fi­sher jeden­falls über die diver­sen mee­res­öko­lo­gi­schen und evo­lu­tio­nä­ren Beson­der­hei­ten der Seegurke.

Bleibt noch die Köni­gin­nen­ka­te­go­rie der Hugos, bes­ter Roman. Hier waren alle nomi­nier­ten Wer­ke her­aus­ra­gend; ich habe mich auch bei mei­ner Abstim­mung schwer getan, was ich nach vor­ne set­ze. Gewet­tet hät­te ich, dass mei­ne Nr. 2, The Saint of Bright Doors von Vajra Chandra­se­kera die Abstim­mung gewinnt. Tat­säch­lich gewor­den ist es dann – auf mei­nem Stimm­zet­tel eben­so wie im Gesamt­vo­ting – jedoch Emi­ly Tesh‘ Roman Some Despe­ra­te Glo­ry. Auf den ers­ten Blick wider­spricht die­ses Buch mei­ner Aus­sa­ge, dass der Trend der Stun­de Hope­punk und die Rück­be­sin­nung auf den Hei­mat­pla­ne­ten ist. Hier geht es um inter­stel­la­re Krie­ge und die letz­ten Res­te der Mensch­heit, die sich irgend­wo ver­schanzt haben. Das sieht erst­mal wie MilSF aus, ist ziem­lich düs­ter – und ent­puppt sich dann nach meh­re­ren Per­spek­tiv­wech­seln als etwas ganz ande­res. In ihrer beein­dru­cken­den Rede beton­te Tesh, dass es ihr in ihrem Roman dar­um gegan­gen sei, das schlech­tes­te, was die Mensch­heit aus­macht, in kon­zen­trier­ter Form dar­zu­stel­len: ein faschis­ti­sches Regime, das auf Mili­ta­ri­sie­rung, Pro­pa­gan­da und Indok­tri­na­ti­on setzt – und zu zei­gen, wie schwer – und trotz­dem mög­lich – es ist, sich dar­aus zu befrei­en. Ein klei­ner Fun­ke Hoff­nung in der Dunkelheit!

Ich habe für „mei­ne“ Favorit*innen mit­ge­fie­bert, als die Prei­se bekannt­ge­ge­ben wur­den, und bin ins­ge­samt (mal von Rand­ka­te­go­rien wie der bes­ten Bewegt­bild­se­ri­en­epi­so­de abge­se­hen) sehr zufrie­den mit den Ergeb­nis­sen. Herz­li­chen Glück­wunsch allen Nomi­nier­ten und Preisträger*innen – und wer nach lesens­wer­ter Lek­tü­re sucht, ist mit dem die­ses Jahr prä­sen­tier­ten Spek­trum sehr gut bedient.

Lesetagebuch – Science Fiction und Fantasy im Dezember 2023

Sky on fire, Gundelfingen

Der aktu­el­le Dis­ney-Weih­nachts­film Wish fällt sicher­lich in die Kate­go­rie Fan­ta­sy. Die Sto­ry ist aller­dings trotz inter­es­san­ter Cha­rak­te­re weni­ger beein­dru­ckend, und die Anspie­lun­gen auf „100 Jah­re Dis­ney“ waren an der einen oder ande­ren Stel­le (Peter Pan!) eher ner­vig. Im Kino trotz­dem ein­drucks­voll. Bemer­kens­wer­ter als den Inhalt fand ich den Stil - ver­mut­lich zum größ­ten Teil ger­en­dert, aber in der Dar­stel­lung eher an klas­si­sche Kin­der­buch­il­lus­tra­tio­nen („water­co­lor“) erin­nernd. Trotz­dem ins­ge­samt nichts, was in Erin­ne­rung bleibt. 

Ansons­ten habe ich eini­ge Seri­en begonnen/weitergeschaut – die ers­ten bei­den neu­en Doc­tor-Who-Epi­so­den waren, wie ich beim gemein­sa­men Gucken mit mei­nen Kin­dern gemerkt habe, ohne Kennt­nis der Hin­ter­grund­ge­schich­te eher selt­sam und unver­ständ­lich. Die zwei­te Staf­fel von The Wheel of Time ist gut pro­du­zier­te Fan­ta­sy – aus­nahms­wei­se etwas, wo ich die Buch­vor­la­ge nicht gele­sen habe, zur Genau­ig­keit der Über­tra­gung kann ich also nichts sagen. 

Was sich gut zum gemein­sa­men Schau­en mit Teen­agern eig­ne­te, war dann Net­flix One Pie­ce (na gut, auch da ken­ne ich das zugrun­de­lie­gen­de Ani­me nicht): Eine völ­li­ge über­dreh­te Pira­ten­ge­schich­te mit einer inter­es­sant ana­chro­nis­ti­schen Welt im Hin­ter­grund. Und wie schon bei Cow­boy Bebop ist das zwar Real­ver­fil­mung, der Comic- bzw. hier Ani­me-Hin­ter­grund färbt aber deut­lich durch und sorgt dafür, dass alles bun­ter, lau­ter, knal­li­ger ist. Nicht unbe­dingt logisch, aber unterhaltsam.

Auch krank­heits­be­dingt habe ich neben Roma­nen gehör­ten im Dezem­ber auch zwei Comics zu mei­nem Lese­buf­fet. Das eine war Soon (2020) von Ben­ja­min Adam und Cadè­ne Tho­mas. Das ist eine Coming-of-Age-Geschich­te, in der zugleich der Hin­ter­grund einer post­apo­ka­lyp­ti­schen Zukunft erläu­tert wird. Was hat eine Welt­raum­mis­si­on mit einer Welt zu tun, die sich nach Kata­stro­phen und Seu­chen in sie­ben sehr unter­schied­li­che urba­ne Zonen zurück­ge­zo­gen hat? Das gan­ze gra­fisch span­nend umge­setzt und inso­fern durch­aus eine Empfehlung.

Eben­falls angeschaut/gelesen habe ich end­lich mal die ers­ten neun (bzw. beim Blick in die Wiki­pe­dia: eigent­lich die ers­ten 54) Bän­de von Saga (seit 2012). Die­ser inzwi­schen schon klas­si­sche Comic von Bri­an K. Vaug­han und Fio­na Stap­les mischt eine Romeo-und-Julia-Geschich­te (ein Lie­bes­paar aus zwei seit ewi­gen Zei­ten im Krieg lie­gen­de Spe­zi­es – die einen mit Flü­geln und an Tech­nik inter­es­siert, die ande­ren mit Hör­nern und zau­ber­kräf­tig) mit star-wars-arti­gem World­buil­ding. Wir fol­gen Ala­na, Mar­ko und deren hybri­der Toch­ter Hazel durch Flucht, poli­ti­sche Intri­gen bei­der Sei­ten genau­so wie dem Klein-Klein des Auf­wach­sens und der kom­pli­zier­ten Dyna­mik die­ser Fami­lie. Mir an der einen oder ande­ren Stel­le fast ein biss­chen zu blu­tig, ins­ge­samt aber gut gemacht. Und die nächs­ten 54 Kapi­tel sol­len schon in der Ent­ste­hung sein.

Ganz ohne Bil­der kommt dage­gen der SF-Roman Neon­grau (2022) von Aiki Mira aus, ist aber trotz­dem bild­ge­wal­tig. Ich lese ja sel­ten deutsch­spra­chi­ge SF. Die­ser Roman zeigt, dass ich damit auch das eine oder ande­re ver­pas­se. Aiki Mira zeich­net hier ein cyber­pun­ki­ges Bild eines etwa 100 Jah­re in der Zukunft lie­gen­den Ham­burgs, mit allem, was dazu­ge­hört: die all­ge­gen­wär­ti­ge Flut­ge­fahr und der nach dem Kampf um den Kli­ma­wan­del ver­düs­ter­te Him­mel; neue Dro­gen und neu­ro­na­le Implan­ta­te; einen White-Trash-Unter­grund in den Con­tai­ner­sied­lun­gen von „Blank“ jen­seits der Als­ter; gro­ße Kon­zer­ne, die alles bestim­men; eine Gamer-Sze­ne mit eige­nem Slang – und nicht zuletzt inter­es­san­te Figu­ren wie ELLL und die geschlech­te­flui­de Haupt­per­son Go [Stunt­boi] Kazu­mi. Gut gemacht, und neben dem einen oder ande­ren Echo aus Rich­tung der 1980er-Cyber­punk-Lite­ra­tur lässt sich Neon­grau auch als Gegen­warts­kom­men­tar lesen. 

Nicht so rich­tig warm gewor­den bin ich mit Nophex Gloss (2020) von Essa Han­sen, und habe die Fol­ge­bän­de erst­mal bei Sei­te gelegt. Auch hier „Coming of Age“, aber tech­no­lo­gisch super-beschleu­nigt. Der jun­ge Cai­den ent­kommt der Skla­ve­rei (und erfährt dabei erst, unter wel­chen Umstän­den er bis­her exis­tiert hat), tritt eine wil­de Rei­se durch das instru­men­tell gezähm­te Mul­ti­ver­sum – beschrie­ben als eine Art rie­si­ge Sei­fen­bla­sen – an, trifft auf eine Fire­fly-arti­ge Crew bunt gemisch­ter Exis­ten­zen, ver­irrt sich in außer­ir­di­schen Mega­struk­tu­ren und muss am Schluss gegen eine geheim­nis­vol­le Herr­sche­rin (samt deren tele­pa­ti­scher Fähig­kei­ten) kämp­fen. Und natür­lich lernt er dabei eini­ges über sich selbst, dar­über, dass sei­ne Som­mer­spros­sen auf ein ris­kan­tes Gen­ex­pe­ri­ment hin­deu­ten usw. Das titel­ge­ben­de Nophex Gloss ist das Mate­ri­al, das alles antreibt, und das aus Quan­ten­kris­tal­len gewon­nen wird, die im Kopf von ein biss­chen ver­klei­de­ten Tyran­no­sau­rus Rex gefun­den wer­den, sobald die­se alt genug sind. Alles sehr wild, und durch­aus span­nend. Aber über­zeugt hat es mich nicht – viel­leicht liegt’s auch dar­an, dass die beson­de­re Fähig­keit der ande­ren geheim­nis­vol­len Herr­sche­rin als „Astro­lo­gie“ bezeich­net wird. 

Gele­sen habe ich auch die von Ama­zon als „The Far Rea­ches“ (2023) gebün­del­ten Geschichten/Novellen („How it unfolds“, James S.A. Corey, „Void“ von Vero­ni­ca Roth, „Fal­ling Bodies“ von Rebec­ca Roan­horse, „The Long Game“ von Ann Leckie, „Just out of Jupiter’s Reach“ von Nne­di Oko­ra­for und „Slow Time Bet­ween the Stars“ von John Scal­zi). Gro­ße Namen also. Die Geschich­ten haben alle das The­ma „Rei­sen über gro­ße kos­mi­sche Ent­fer­nun­gen“ und sind eher Hard-SF. Beson­ders inter­es­sant fand ich „How it unfolds“ über eine kos­mi­sche Mensch­heits­ge­schich­te im Modus der Kopie. Aber auch die ande­ren Geschich­ten spie­len mir inter­es­san­ten Ideen – in „Void“ geht es um Zeit­un­ter­schie­de für die Besat­zung einer zwi­schen der Erde und Pro­xi­ma Cen­tau­ri pen­deln­den Luxus­raum­fäh­re, in „Fal­ling Bodies“ um die ver­lo­re­ne Hei­mat nach einer Adap­ti­on durch eine außer­ir­di­sche Kolo­ni­sa­to­ren-Spe­zi­es, „The Long Game“ ist aus der Per­spek­ti­ve einer von Men­schen ent­deck­ten tin­ten­fisch­ar­ti­gen Zivil­sa­ti­on geschrie­ben, „Just out of Jupiter’s Reach“ bringt leben­de Raum­schif­fe und dar­auf genau ange­pass­te Astronaut*innen aus der Peri­phe­rie als Lang­zeit­mis­si­on ins Spiel, und „Slow Time“ nimmt die Per­spek­ti­ve einer intel­li­gen­ten Raum­son­de ein, die nach und nach ihre eige­ne Mis­si­on findet.

Dann habe ich noch zwei „leich­te­re“ Tri­lo­gien durch­pflügt. Das eine ist die „Edin­burgh Night“-Reihe von T.L. (Ten­dai) Huchu mit The Libra­ry of the Dead (2021), Our Lady of Mys­te­rious Ailm­ents (2022) und The Mys­tery at Dun­ve­gan Cast­le (2023). Ropa lebt mit ihrer Schwes­ter und ihrer Groß­mutter aus Sim­bab­we in einem Trai­ler am Rand eines post­apo­ka­lyp­ti­schen Edin­burghs. Sie hat die Schu­le geschmis­sen, um jetzt als „Ghost­tal­ker“ Bot­schaf­ten zwi­schen den Toten und den Leben­den zu ver­mit­teln, und so zum Lebens­un­ter­halt bei­zu­tra­gen. In den drei Bän­den gerät sie immer tie­fer in die Machen­schaf­ten einer Zau­be­rei-Geheim­ge­sell­schaft. Unter der Ober­flä­che geht es um schot­ti­sche Unab­hän­gig­keit und eng­li­sche Herr­schaft und um Exklu­si­on, Armut und Reich­tum. Das ver­webt Huchu durch­aus ein­drucks­voll zu einem auf den ers­ten Blick schnell les­ba­ren Buch, das sich mög­li­cher­wei­se pri­mär an Jugend­li­che wen­det. Wenn es so etwas wie das Gen­re der Zau­be­rei-Schul-Bücher gibt, dann ist das hier eines mit viel Rea­li­täts­sinn. Ein vier­ter Band ist angekündigt. 

Die zwei­te „leich­te­re“ Tri­lo­gie han­delt von Zoey Ashe – auch sie lebt in einem Trai­ler­park (hier in Colo­ra­do) – und sie erbt das kri­mi­nel­le Impe­ri­um ihres Vaters, den sie vor­her nur zwei­mal gese­hen hat. Zu die­sem gehö­ren grö­ße­re Tei­le der neu errich­te­ten regel­lo­sen Stadt „Tabu­la Ra$a“ in der Wüs­te Utahs, ein hoch­po­ten­zier­tes Las Vegas. In der nahen Zukunft, in der die­se Tri­lo­gie spielt, ist „Blink“ ein all­ge­gen­wär­ti­ges sozia­les Medi­um, es gibt so gut wie kei­ne Pri­vat­sphä­re, und alles, was Auf­merk­sam­keit erweckt, wird von „Blink“ zum Medi­en­er­eig­nis gemacht. Big-Crime-High-Tech-Unter­welt und eine dar­ein gewor­fe­ne Haupt­fi­gur gibt es als Text­sor­te auch immer mal wie­der (sei es Scal­zis Star­ter Vil­lain, sei es der Film Glass Oni­on). Jason Par­gin (teil­wei­se unter dem Pseud­onym David Wong) nimmt die­ses Sze­na­rio in den Zoey-Ashe-Roma­nen, um die Gegen­wart sati­risch aufs Korn zu neh­men. An der einen oder ande­ren Stel­le erin­nert das an Dou­glas Adams, an ande­ren Stel­len ist der Humor eher juve­nil (und sehr male gaze für eine weib­li­che Haupt­fi­gur, ins­be­son­de­re im ers­ten der drei Roma­ne – eini­ge Reviewe­rin­nen spre­chen von einer miso­gy­nem Cha­rak­te­ri­sie­rung). Futu­ristic Vio­lence and Fan­cy Suits (2015), Zoey Pun­ches the Future in the Dick (2020) und Zoey Is Too Drunk for This Dys­to­pia (2023) – ja, der Autor hat eine Vor­lie­be für sehr wort­wört­li­che Roman­ti­tel – bil­den mit den genann­ten Vor­be­hal­ten eine durch­aus unter­halt­sa­me Tri­lo­gie. Kat­zen kom­men auch vor.

Science Fiction und Fantasy im August und September 2023

Book The tough guide to FantasylandDen August habe ich weit­ge­hend damit zuge­bracht, die Temer­ai­re-Serie von Nao­mi Novik wei­ter­zu­le­sen – Band neun bil­det dann auch einen guten Schluss­punkt, bis dahin war’s manch­mal etwas zäh. Trotz­dem: sehr intel­li­gen­te Fan­ta­sy! Wie im Juli mit Blick auf die ers­ten vier Bän­de bereits beschrie­ben, geht es hier um eine im Duk­tus und Set­ting zeit­ge­nös­si­schen Tex­ten nach­emp­fun­de­ne Alter­na­tiv­ge­schich­te der ers­ten Hälf­te des 19. Jahrhunderts. 

Prä­mis­se in Noviks Temer­ai­re ist die Exis­tenz von Dra­chen – abge­se­hen davon ist vie­les erst ein­mal ähn­lich. Napo­le­on erobert nach und nach den Kon­ti­nent, Groß­bri­tan­ni­en ist auf sei­ne Navy und sei­ne Kolo­nien stolz, Chi­na und Japan sind weit­ge­hend abge­schot­tet usw. Im Lauf des Erzäh­lung tau­chen dann aber auch mehr und mehr Unter­schie­de auf. Zuerst nur sol­che, die sich „mili­tär­tech­nisch“ durch Dra­chen als eine Art Pro­to-Luft­waf­fe erklä­ren las­sen – spä­ter zeigt sich nach und nach immer deut­li­cher, dass Dra­chen intel­li­gen­te Lebe­we­sen sind, die kei­nes­wegs nur als Reit­tie­re behan­delt wer­den wol­len. In Chi­na erschei­nen sie als eben­bür­ti­ge Mitbürger*innen, und in Afri­ka und Süd­ame­ri­ka – auch dahin ver­schlägt es unse­re Held*innen – sind es eher die Dra­chen, die sich Men­schen hal­ten und eifer­süch­tig bewa­chen. Ent­spre­chend weicht der Erzähl­ver­lauf mehr und mehr von unse­rer rea­len Geschich­te ab. Am Schluss geht es um die Fra­ge, wer die Dra­chen aller Län­der auf sei­ne Sei­te zie­hen kann – und wie ernst gemeint die Ver­spre­chen von Bür­ger­rech­ten und Frei­heit sind. Defi­ni­tiv ein inter­es­san­tes Gedankenspiel.

Nor­ma­ler­wei­se schrei­be ich eher nichts zu Kurz­ge­schich­ten, wie sie inzwi­schen oft kos­ten­frei im Netz ver­öf­fent­licht wer­den, aber „Bet­ter Living Through Algo­rith­ms“ (Nao­mi Krit­zer, Clar­kes­world 200, May 2023) muss ich dann doch emp­feh­len. Viel ver­ra­ten kann ich aber trotz­dem nicht dazu – es geht um eine App mit Lebens­hil­fe­tipps, die Men­schen glück­lich macht – bis zu einer tat­säch­lich über­ra­schen­den Wendung. 

The Tough Gui­de to Fan­tasy­land von Dia­na Wyn­ne Jones ist alles ande­re als neu, die Aus­ga­be, die ich nach einem Hin­weis im Netz kur­zer­hand anti­qua­risch gekauft habe, ist von 2006, das Buch gab es aber auch zehn Jah­re davor schon. Bei die­sem „Tough Gui­de“ han­delt es sich um ein ziem­lich lus­ti­ges Aus­ein­an­der­neh­men all der Kli­schees und Tro­pes, die in Fan­ta­sy-Roma­nen immer und immer wie­der ver­wen­det wer­den, hier in Form eines alpha­be­tisch sor­tier­ten Rei­se­füh­rers. Neben­wir­kung dürf­te sein, dass einem danach ein Groß­teil der Sword-and-irgend­was-Fan­ta­sy belang­los und for­mel­haft vor­kom­men dürf­te. Hel­den­rei­se, auf­ein­an­der auf­bau­en­de und immer schlim­mer wer­den­de Vor­fäl­le, die bunt­ge­scheck­te Trup­pe rund um die Haupt­per­son, der Boss­kampf am Ende des Buchs, und in Band zwei die Wie­der­ho­lung, bei der es dann dar­um geht, den dunk­len Fürs­ten oder die dunk­le Fürs­tin zu besie­gen – das fin­det sich tat­säch­lich immer noch sehr oft. Inso­fern: mit Vor­sicht zu genießen ;)

Dann habe ich noch drei kürz­lich erschie­ne­ne Bücher gele­sen. Star­ter Vil­lain von John Scal­zi (2023) ist schnell run­ter­ge­le­sen, humor­voll und ok, aber nichts beson­de­res. Leit­mo­tiv ist der fern­seh­be­kann­te Bond-Böse­wicht mit Kat­ze auf dem Arm. Die Haupt­per­son sieht sich nach dem Tod eines ent­frem­de­ten Onkels mir­nichts dir­nichts in die­se Rol­le rein­ver­setzt. Ein Glück, dass unser Held vor­her mal Wirt­schafts­re­por­ter war und Scams erken­nen kann. Intel­li­gen­te Kat­zen und flu­chen­de Del­fi­ne kom­men neben all den Böse­wich­tern auch vor.

Mit Span­nung erwar­tet habe ich Ann Leckies Trans­la­ti­on Sta­te (2023) – und das Buch ent­täuscht nicht. Es ist im sel­ben Uni­ver­sum wie ihre Ancil­la­ry-Jus­ti­ce-Rei­he ange­sie­delt, aber kei­ne direk­te Fort­set­zung. Auch hier gerät die Haupt­per­son unge­wollt und von heu­te auf mor­gen in eine neue Rol­le und wird von der Pfle­ge­rin ihres Haus-Ober­haupts zu einer Detek­tiv im Dienst des diplo­ma­ti­schen Ser­vices. In die­ser Funk­ti­on soll sie den Fall eines vor vie­len Jahr­zehn­ten ver­schwun­de­nen Pres­ger Trans­la­tors – einer spe­zi­ell zur Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Men­schen geschaf­fe­nen Unter­art der sagen­um­wo­be­nen kan­ni­ba­li­schen Pres­ger – fin­den, und stürzt mit­ten hin­ein in Bür­ger­krie­ge und deren Fol­gen, die lang­rei­chen­den poli­ti­schen Über­le­gun­gen der Rad­ch und die gro­ße Fra­ge, was Mensch­sein aus­macht. Gut gemacht und mit Ali­ens (und AIs), die defi­ni­tiv kei­ne Men­schen mit Latex-Mas­ken sind.

Schließ­lich Exa­de­lic von Jon Evans (2023). Mir war da ein biss­chen zu viel rein­ge­stopft – Zeit­rei­sen, Eso­te­rik, Start-ups und welt­be­herr­schen­de Tech-Kon­zer­ne, noch mehr Zeit­rei­sen, sich aus Tech-Kon­zer­nen her­aus ent­wi­ckeln­de Super­in­tel­li­gen­zen, und der gro­ße Fil­ter, der genau das ver­hin­dern möch­te. Block­chains tau­chen auch irgend­wo auf. Und eine ratio­na­lis­ti­sche Erklä­rung für Magie. Es pas­siert viel, das gan­ze Buch ist rasant und span­nend, und die etwas nai­ve Haupt­per­son Adri­an Ross kommt bei allen Zeit­sprün­gen sym­pa­thisch rüber. Dass am Schluss dann aber eine ganz klas­si­sche Lie­bes­ge­schich­te steht, bei aller Beschwö­rung des­sen, dass wir doch so viel wei­ter sind, was Bezie­hun­gen und Sexua­li­tät angeht, passt dann nur so halb dazu. Und über­haupt: die semi­trans­hu­ma­nis­ti­sche Auf­lö­sung im letz­ten Vier­tel des Buchs war auch nicht meins. Inso­fern: nur so eine hal­be Emp­feh­lung, mag ande­ren damit anders ergehen.

Und sonst? Ich habe (in Unkennt­nis des Com­pu­ter­spiels) die ers­te Staf­fel der Halo-Ver­fil­mung (2022) ange­schaut und fand das etwas gewalttätig/blutrünstig, aber ganz gut gemacht. Wenn ich Micro­soft wäre, hät­te ich mei­ne „KI“ aller­dings nicht nach Cort­a­na benannt. 

Die letz­ten Fol­gen der aktu­el­len Staf­fel von Star Trek: Stran­ge New Worlds waren teil­wei­se eben­falls hart, aber gut gemacht. Und Star Trek: Lower Decks ent­deckt die Ernst­haf­tig­keit – was der Serie gut tut.

Mit der zwei­ten Staf­fel von Good Omens konn­te ich mich nach und nach anfreun­den; die ers­ten bei­den Epi­so­den fand ich eher schwie­rig, und an die ers­te Staf­fel kommt die zwei­te nicht heran. 

Nicht anfreun­den konn­te ich mich dage­gen mit Mul­ligan, zu viel Kla­mauk macht das eigent­lich inter­es­san­te Set­ting kaputt. Sehr viel bes­ser gefal­len hat mir die letz­te Staf­fel Disen­chant­ment – mit einem rüh­ren­den und befrie­di­gen­den Schluss, der alle losen Fäden zusammenknotet.

Und auch wenn’s eher 1950er-Jah­re-Kam­mer­schau­spiel als Sci­ence Fic­tion ist – Aste­ro­id City von Wes Ander­son, ange­schaut im Frei­bur­ger Som­mer­nachts­ki­no, blieb zwar rät­sel­haft, hat­te aber doch sei­nen ganz eige­nen Reiz. 

Leseprotokoll September – Oktober 2017

Neben Mal­te Spitzs Sach­buch Daten – das Öl des 21. Jahr­hun­derts? Nach­hal­tig­keit im digi­ta­len Zeit­al­ter habe ich auch im Herbst 2017 in Buch­form vor allem Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy gele­sen (und begon­nen, The Expan­se und Star Trek: Dis­co­very anzuschauen).

Das mit dem „gele­sen“ trifft nicht ganz zu auf Simon Sta­len­hågs Buch Tales from the Loop, das ich trotz­dem heiß emp­feh­len kann: Sta­len­håg malt Bil­der, in denen v.a. skan­di­na­vi­sche Land­schaft sich mit tris­ten Robo­tern, den neu­es­ten Tech­no­lo­gien der 1980er Jah­re einer Alter­na­tiv­welt und nicht ganz ech­ten schwe­di­schen Staats­kon­zer­nen mischen. Mit den Tales from the Loop ist eine wun­der­ba­re Geschich­ten­samm­lung zu die­sen Bil­dern her­aus­ge­kom­men, die so etwas wie eine Retro­cy­ber­punk­kind­heit aus der skan­di­na­vi­schen Pro­vinz zusam­men­bin­det. Wer mag, kann auch an Bla­derun­ner [2049] nahe am Polar­kreis den­ken. Kos­ten­pro­ben von Sta­len­hågs Stil gibt es auf sei­ner Web­site.

Auch Syl­vain Neu­vels Buch Waking Gods – die Fort­set­zung von Slee­ping Giants hat etwas mit über­gro­ßen Robo­tern zu tun. In die­sem Fall: außer­ir­di­schen Ursprungs und auf der Erde gefun­den. Die Macht­spie­le aus dem ers­ten Band haben ein vor­läu­fi­ges Ende gefun­den, doch plötz­lich tau­chen wei­te­re Robo­ter auf, und erwei­sen sich als unfreund­lich. Wie reagieren?

Gele­sen habe ich N.K. Jemi­sins The Stone Sky, eben­falls eine Fort­set­zung und nach The Fifth Sea­son und The Obe­lisk Gate der drit­te (und fina­le?) Teil von Jemi­sins Bro­ken-Earth-Serie. Wei­ter­hin sind die Oro­ge­ne Essun und ihre eben­falls oro­ge­nisch begab­te Toch­ter Nas­sun der Fokus­punkt der Geschich­te. Im drit­ten Band wird nach und nach deut­lich, wie es zu der ers­ten glo­ba­len Kata­stro­phe („fifth sea­son“) kam, und wie die magisch erschei­nen­den Fähig­kei­ten der Oro­ge­nen und der Stein­es­ser eigent­lich funk­tio­nie­ren. Auch hier gilt, dass hoch genug ent­wi­ckel­te Tech­no­lo­gie wie Zau­be­rei erschei­nen kann. Essun und Nas­sun ent­wi­ckeln (auf ihren unab­hän­gig von­ein­an­der statt­fin­den­den Ques­ten) unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen davon, was die rich­ti­ge Ant­wort auf die Kon­flik­te zwi­schen „Nor­ma­len“, Oro­ge­nen und Stein­es­sern sein könn­te, und wie mit dem aus der Bahn gera­te­nen Mond der Erde umzu­ge­hen ist. Erst im Fina­le begeg­nen sie sich – und zer­ren in unter­schied­li­che Rich­tun­gen. Mehr sei hier nicht ver­ra­ten, The Stone Sky ist jeden­falls ein ful­mi­nan­ter Abschluss einer ganz ande­ren Art von Sci­ence Fiction/Fantasy.

Kei­ne Fort­set­zung, auch wenn der Roman im sel­ben Uni­ver­sum wie ihre vor­he­ri­gen Bücher spielt, ist Ann Leckies Pro­ven­an­ce. Dadurch, dass dies­mal nicht die sehr anders wir­ken­den Rad­ch und deren AI im Mit­tel­punkt ste­hen (auch wenn die­se eben­so wie die kom­plett außer­ir­di­schen Geck am Ran­de auf­tau­chen), son­dern die für uns nähe­ren Bewohner*innen von Hwae, fand ich es ein­fa­cher, eine Bezie­hung zu den Haupt­per­so­nen auf­zu­bau­en. Es geht in Pro­ven­an­ce vor­der­grün­dig um Aben­teu­er mit Raum­schif­fen und auf unter­schied­li­chen Pla­ne­ten, mit­tel­grün­dig um poli­ti­sche Ver­wick­lun­gen und Macht­spie­le, und letzt­lich dar­um, wie Ingray Aughskold trotz des Drucks ihrer berühm­ten Adop­tiv­mut­ter Net­a­no Aughskold einen eige­nen Weg fin­det, sowas wie late coming of age also. In der Mischung sehr lesenswert.

Ganz anders Nico­la Grif­fiths Hild: ein his­to­ri­scher, sehr umfang­rei­cher Roman, der zur Zeit der Chris­tia­ni­sie­rung des angel­säch­si­schen Eng­lands spielt. Die Haupt­per­son Hild leb­te – so Grif­fith – tat­säch­lich, und wur­de ca. 614 als Toch­ter des Königs Here­ric von Dei­ra gebo­ren. Aus ihrem ech­ten Leben ken­nen wir nur Bruch­stü­cke – 627 wur­de sie getauft, 647 tritt sie in East Anglia eine Schiffs­rei­se nach Gal­li­en an. Grif­fiths Roman ist eine fik­ti­ve Bio­gra­phie von Hild, die der Fra­ge nach geht, wie aus den klei­nen, zer­strit­te­nen angel­säch­si­schen König­rei­chen tat­säch­li­che Staa­ten wur­den. Sie zeich­net Hilds Weg von ihrer Kind­heit über ihre „Ent­de­ckung“ als heid­ni­sche Sehe­rin und enge Bera­te­rin des Königs an einem der klei­nen Königs­hö­fe bis zum Auf­bau eines eige­nen Haus­halts am Ende vie­ler Schlach­ten (und nicht, wie in der Rea­li­tät, als Äbtis­sin eines Klos­ters). Das alles wohl rela­tiv nah an dem, was über das Leben im 7. Jahr­hun­dert bekannt war – und mit einem, wie mir scheint, dezi­diert femi­nis­ti­schen Blick auf die dama­li­gen Geschlech­ter­rol­len. Ich habe jeden­falls eini­ge gelernt – nicht nur über das begin­nen­de Mit­tel­al­ter, son­dern auch über die Geschich­te der eng­li­schen Spra­che, denn nor­man­ni­sche Lehn­wör­ter gibt es in die­sem Buch noch nicht. 

Eben­falls um klei­ne König­rei­che und eine Reichs­grün­dung geht es in Ken Lius The Grace of Kings – dies­mal aller­dings in einem fik­ti­ven süd­ost­asia­ti­schen Set­ting, dem Insel­reich Dara. Den Auf­stieg des trick­rei­chen Kuni Garus vom rebel­li­schen Tau­ge­nichts zum Kai­ser zu ver­fol­gen, ist durch­aus amü­sant; nicht zuletzt durch die immer wie­der dazwi­schen geschal­te­ten Inter­ven­tio­nen der Göt­ter und Göt­tin­nen Dar­as. Nicht die Chry­san­the­me, son­dern der zähe und viel­fach nütz­li­che Löwen­zahn ist das Leit­mo­tiv von Kuni Garu, und sei­ne Phi­lo­so­phie und sein Han­deln – mit allen Rück­schlä­gen und Erfol­gen – haben etwas von Till Eulen­spie­gel. Am Ende, nach vie­len Intri­gen und Ver­wick­lun­gen, ist Kuni Garu zwar Kai­ser – aber er steht auch vor gro­ßen Zwei­feln und einem Scher­ben­hau­fen sei­ner Inte­gri­tät. Lius Buch ist der ers­te Band einer Tri­lo­gie, aber eigent­lich kann sich im zwei­ten (der bereits erschie­nen ist), nur als Tra­gö­die wie­der­ho­len, was hier mehr oder weni­ger Far­ce war. Inso­fern weiß ich noch nicht, ob ich ihn lesen will.

Intri­gen­rei­che Poli­tik mit Thril­ler­ele­men­ten geht auch ohne König­rei­che, ja sogar ohne Natio­nal­staa­ten. Wenn es das Gen­re des „poli­ti­cal sci­ence fic­tion“ gäbe, wäre Mal­ka Older des­sen Haupt­ver­tre­te­rin. Sie hat jetzt mit Null Sta­tes die Fort­set­zung von Info­mo­cra­cy vor­ge­legt. Wäh­rend Info­mo­cra­cy sich auf das Innen­le­ben der Mikro­de­mo­kra­tie – eine in „Cen­tenals“, also jeweils 100.000 Wahl­be­rech­tig­te in einem geo­gra­fi­schen Bezirk, orga­ni­sier­te Welt – kon­zen­trier­te, wei­tet sich in Null Sta­tes der Blick – auf die Tran­si­ti­on von einer Super­mehr­heit zur ande­ren, die ganz und gar nicht rei­bungs­los ver­läuft, auf den Über­gang von Staa­ten und Frei­heits­be­we­gun­gen zu Cen­tenals – hier: im Sudan, im Kau­ka­sus – und vor allem auf die wei­ter bestehen­den, in ihrem Ein­fluss geschrumpf­ten Natio­nal­staa­ten, den weit­ge­hend ohne die all­ge­gen­wär­ti­ge Trans­pa­renz (und Über­wa­chung) durch die trans­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on „Infor­ma­ti­on“ aus­kom­men, „null sta­tes“ also. Ein Krieg zwi­schen Kir­gi­si­stan und Kasach­stan droht auf die angren­zen­den Cen­tenals über­zu­grei­fen, aber auch die Res­te Chi­nas und der Schweiz wer­den zum Teil des Plots. Glo­ba­li­sier­te poli­ti­sche Sci­ence Fic­tion mit viel Hin­ter­grund­wis­sen über das Innen­le­ben inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen – auf jeden Fall empfehlenswert!

Last but not least habe ich zur Abwechs­lung mal ein Buch auf deutsch gele­sen – Marc-Uwe Kling hat mit Qua­li­ty­Land eine bei­ßen­de Sati­re über unse­re zuneh­mend ver­netzt-kom­mer­zia­li­sier­te Gegen­wart geschrie­ben. In der nahen Zukunft ori­en­tiert sich Poli­tik an PR, und das Leben wird durch Likes und Matches bestimmt. Ich habe die „dunk­le Edi­ti­on“ gele­sen, aber auch die „hel­le“ soll emp­feh­lens­wert sein. Ich wür­de fünf von fünf Ster­nen dafür geben, und hof­fe, dass ich damit mein Ran­king erhal­ten kann, und nicht gesell­schaft­lich absinke. 

Im Herbst 2015 gelesen – Teil I

Ich sehe gera­de, dass das letz­te Mal, dass ich inten­si­ver über mei­nen Lite­ra­tur­kon­sum berich­tet habe, auch schon wie­der ein hal­bes Jahr her ist. Die Zeit ver­ging rasant, so kam es mir jeden­falls vor. 

Jetzt voll­stän­dig zu rekon­stru­ie­ren, was ich seit­dem alles ger­ne gele­sen habe, wäre dann doch etwas auf­wän­dig. Ich möch­te aber auf eini­ge lesens­wer­te Bücher hin­wei­sen, ohne all­zu­viel zu ver­ra­ten. Und weil es dich ein paar mehr gewor­den sind, hier erst ein­mal Teil I. „Im Herbst 2015 gele­sen – Teil I“ weiterlesen