Kurz: Partei der Vergangenheit

Ein The­ma der baden-würt­tem­ber­gi­schen Pres­se ist der Lan­des­par­tei­tag der AfD, der am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de statt­fand. Tenor der Bericht­erstat­tung: Die AfD freut sich schon jetzt dar­auf, durch ihren Land­tags­ein­zug Grün-Rot ein Ende zu berei­ten. Und wenn dafür ein paar Mona­te lang die par­tei­ei­ge­nen Rech­tes­ex­tre­men in Zaum gehal­ten wer­den müs­sen, will die baden-würt­tem­ber­gi­sche AfD das ger­ne tun.

In der Pres­se­be­richt­erstat­tung wur­den auch zen­tra­le Punk­te aus dem Wahl­pro­gramm der AfD dar­ge­stellt. Eigent­lich könn­te auch das Pro­gramm jeder halb­wegs moder­nen und pro­gres­si­ven Par­tei genom­men wer­den, und ein „nicht“ davor­ge­schrie­ben wer­den. Das Ergeb­nis heißt dann, zuge­spitzt: Gren­zen zu, Frem­den­feind­lich­keit und Angst um die Rein­heit der eige­nen Kul­tur, Gen­der­hass – also die Ableh­nung jeder Form von Tole­ranz für unter­schied­li­che sexu­el­le Ori­en­tie­run­gen und Lebens­for­men sowie die Ableh­nung aller Eman­zi­pa­ti­ons­be­stre­bun­gen sowie – als neu­er Akzent, der mit bis­her nicht so bewusst war, auch ein „Nein zur Ener­gie­wen­de“ bis hin zur Ver­län­ge­rung der Lauf­zeit von Atom­kraft­wer­ken. Und Euro­pa wird ja bekannt­lich auch nicht geliebt von der AfD.

Oder kür­zer: die­se Par­tei steht für das Zurück­dre­hen jeg­li­chen gesell­schaft­li­chen und öko­lo­gi­schen Fort­schritts der letz­ten 50 bis 100 Jah­re. Ihr Ange­bot heißt Back­lash und Reaktion.

Selbstbild als Merkel-Fangirl

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ralf Fücks
CC-BY-ND, Hein­rich-Böll-Stif­tung

Zu mei­nem gro­ßen Erstau­nen fand ich die Bun­des­kanz­le­rin heu­te gerad­li­nig, klug, sym­pa­thisch und prä­zi­se. Aber der Rei­he nach: nach eini­gen Schüs­sen aus der Regie­rungs­ko­ali­ti­on gegen die Flücht­lings­po­li­tik von Ange­la Mer­kel gab es heu­te die Gegen­of­fen­si­ve – eine Rede vor dem Euro­päi­schen Par­la­ment (habe ich nicht gese­hen) und ein gro­ßes Inter­view bei Anne Will, das Mer­kel nutz­te, um ihre Posi­ti­on dar­zu­le­gen und zu erläu­tern. (Ja, der Hash­tag „#mer­kel­will“ pass­te durchaus …)

Beein­druckt haben mich Sät­ze wie der, dass sie nicht bei einem Über­bie­tungs­wett­be­werb der Abschre­ckung mit­ma­chen möch­te, und wie sie die Idee, dass ein Sel­fie mit der Kanz­le­rin Fluch­t­an­reiz sein könn­te, als Popu­lis­mus ent­larv­te. Beein­druckt hat mich auch, wie offen Mer­kel dazu stand, dass die Situa­ti­on sich von Tag zur Tag ändern kann, dass auch sie nur opti­mis­tisch dar­auf set­zen kann, dass wir es schaf­fen. Und schließ­lich hat mich beein­druckt, dass sie klar fest­ge­stellt hat, dass eine Abschot­tung Deutsch­lands schlicht nicht funk­tio­nie­ren wür­de, selbst wenn sie denn gewollt wäre, und dass eine Dis­kus­si­on um Ober­gren­zen nicht sinn­voll ist. 

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Der Fünf-Prozent-Hebel

Mit der Fünf-Pro­zent-Hür­de ist das so eine Sache. Der­zeit gibt es eine gan­ze Rei­he von Land­tags­wahl­um­fra­gen in den ver­schie­de­nen Bun­des­län­dern, in denen zwei oder sogar drei Par­tei­en bei fünf Pro­zent lie­gen. Am Bei­spiel der jüngs­ten Baden-Würt­tem­berg-Umfra­ge lässt sich die Hebel­wir­kung der Fünf-Pro­zent-Hür­de gut darstellen. 

Vor­ne­weg: Ich bin auch nach den neus­ten Zah­len ziem­lich zuver­sicht­lich, dass wir im März 2016 eine Fort­set­zung von Grün-Rot hin­krie­gen. Lan­des­re­gie­rung und Minis­ter­prä­si­dent haben hohe Zustim­mungs­wer­te, der CDU-Kan­di­dat zieht nicht – und wenn wir es schaf­fen, bis zum Wahl­tag zu ver­mit­teln, dass es not­wen­dig ist, die loka­len Kan­di­da­tIn­nen von Grü­nen (oder zur Not der SPD) zu wäh­len, um Baden-Würt­tem­berg wei­ter zu moder­ni­sie­ren, dann klappt es auch.

Aber jetzt zu den aktu­el­len Zahlen:

CDU – 39 Prozent
GRÜNE – 26 Prozent
SPD – 17 Prozent
FDP – 5 Prozent
AFD – 5 Prozent
LINKE – 4 Prozent

CDU und FDP kämen dem­nach auf 44 Pro­zent, GRÜNE und SPD auf 43 Pro­zent. Koali­tio­nen mit der AFD sind hof­fent­lich aus­ge­schlos­sen. Rea­lis­tisch wäre also eine der bei­den lager­über­grei­fen­den Koalitionen.

Wenn die AFD nicht bei 5,0 Pro­zent, son­dern bei 4,95 Pro­zent liegt, sieht es ganz anders aus – dann hät­te Schwarz-Gelb ver­mut­lich eine knap­pe Mehr­heit (je nach­dem, wie sich Pro­zen­te in Sit­ze umrech­nen, aber das ist eine ande­re Frage).

Anders­her­um: AFD bei 5,0 Pro­zent, FDP bei 4,95 Pro­zent. Grün-Rot läge zwar vor der CDU, hät­te aber kei­ne Mehr­heit – sie­he oben.

AFD und FDP bei­de bei 4,95 Pro­zent – und eine Ver­än­de­rung von nur 0,1 Pro­zent­punk­ten führt plötz­lich zu einer kla­ren grün-roten Mehr­heit im Landtag.

Die­ses Rechen­spiel lie­ße sich unter Ein­be­zie­hung der LINKEN belie­big fortsetzen.

Was ich sagen will: solan­ge es eine Fünf-Pro­zent-Hür­de gibt, rei­chen ganz weni­ge Pro­zent­punk­te aus, um die Mehr­heits­bil­dung fun­da­men­tal zu ver­än­dern. Je nied­ri­ger die­se Hür­de wäre, des­to gerin­ger wür­de die­se Hebel­wir­kung ausfallen.

Mit Blick auf den wei­te­ren Moder­ni­sie­rungs­be­darf in Baden-Würt­tem­berg kann die Fünf-Pro­zent-Hür­de sich als hilf­rei­ches Instru­ment ent­pup­pen. Bes­ser und ehr­li­cher wäre eine grün-rote Mehr­heit, die nicht von der­ar­ti­gen Unwäg­bar­kei­ten abhängt. Und dafür müs­sen wir GRÜNE, aber auch die SPD, bis zum Wahl­tag noch ein biss­chen zule­gen. Ich bin zuver­sicht­lich, dass wir das hinkriegen.

War­um blog­ge ich das? Weil es am 13. März 2016 auf jede Stim­me ankom­men wird.

Kurz: Nomenklatur der Spaltungen

Das schöns­te an sich spal­ten­den Par­tei­en sind die phan­ta­sie­vol­len Namen der Abspal­tun­gen. Ein biss­chen erin­nert das an die fast ech­ten Par­tei­na­men bei dol2day – die Älte­ren wer­den sich erin­nern. In den letz­ten Jahr­zehn­ten also zum Beispiel:

SPD → WASG („Wahl­al­ter­na­ti­ve für Sozia­le Gerechtigkeit“)
Die Grü­nen → ÖDP („Öko­lo­gisch-Demo­kra­ti­sche Partei“)
Die Grü­nen → Ökolinx
FDP → Neue Liberale
AfD → ALFA („Alli­anz für Fort­schritt und Aufbruch“)

Was jetzt noch fehlt, ist DIE LINKE einer­seits (aber die zer­brö­ckelt eher intern in dut­zen­de Platt­for­men) und CDU/CSU ande­rer­seits. Kom­men bald die „Uni­on für Wirt­schaft und Euro­pa“ (UWE), die „Christ­lich-kon­ser­va­ti­ve Wer­te­ge­mein­schaft“ (ChkWg), die „Auto­kra­tisch-frei­heit­li­chen Demo­kra­ten“ oder die „Volks­par­tei Deutsch­lands“ (VPD) auf uns zu?

Kurz: Hamburg hat gewählt

Nach­dem ich schon 2008 und 2011 etwas zu den Ham­bur­ger Wahl­er­geb­nis­sen geschrie­ben habe, muss ich das die­ses Jahr ja eigent­lich auch machen. Wobei – so viel gibt’s da nicht zu sagen. Die wahl­rechts­be­ding­te Pau­se zwi­schen vor­läu­fi­ger Aus­zäh­lung am Wahl­abend und vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis am Mon­tag­abend führt dazu, dass die eine oder ande­re Ablen­kung von Jour­na­lis­tIn­nen ger­ne auf­ge­grif­fen wird – ande­res gibt es ja nicht zu berich­ten. Im Ergeb­nis sieht’s aber wei­ter­hin so aus, dass Olaf Scholz sei­ne abso­lu­te SPD-Mehr­heit nicht wie­der erlan­gen konn­te, son­dern mit 45,7 Pro­zent auf Koali­ti­ons­part­ner ange­wie­sen ist. Die CDU ist auf einem his­to­ri­schen Tief­stand (15,9 %) , wobei die Ole-von-Beust-Pha­se (2004, 2008) mit einer sehr star­ken CDU eher eine Anoma­lie war. Abge­se­hen davon ist die Ham­bur­ger Bür­ger­schaft bunt: Grü­ne (12,3 %), Lin­ke (8,5 %), FDP (7,4 %), AfD (6,1 %) – aber selbst das ist nicht ganz so unge­wöhn­lich, wie es viel­leicht schei­nen mag. REPs, Schill-Par­tei und Statt-Par­tei waren auch schon mal Teil der Ham­bur­ger Bür­ger­schaft. Pira­ten sind mit 1,5 Pro­zent end­gül­tig im Nie­mands­land ange­kom­men; auch die „Neu­en Libe­ra­len“ haben es nicht über die 0,5 Pro­zent hin­aus geschafft. 

Bei den „Alten Libe­ra­len“ von der FDP scheint sich dage­gen der knal­lig-bun­te Relaunch aus­ge­zeich­net zu haben – ich bezweif­le, dass deren Poli­tik ähn­lich jung und fröh­lich frei aus­fal­len wird. (Und stel­le mir den wahr­schein­li­chen Spit­zen­kan­di­da­ten der FDP für Baden-Würt­tem­berg 2016, Rül­ke, schon mal in zitro­nen­gelb, him­mel­blau und pink vor – dass das so rich­tig gut passt, sehe ich noch nicht. Anders als in Ham­burg, wo Kam­pa­gne und Spit­zen­kan­di­da­tin wer­be­tech­nisch gut zusammenspielten).

Inter­es­sant der Blick auf ein­zel­ne Stadt­be­zir­ke – bis hin zur sozia­lis­ti­schen Enkla­ve St. Pau­li. Grü­ne Ergeb­nis­se rei­chen auf die­ser Ebe­ne von 25 Pro­zent in Tei­len von Alto­na und 27 Pro­zent in der Stern­schan­ze bis zum deut­lich ein­stel­li­gen Bereich (z.B. 4,2 % in Neu­land). Auch Groß­städ­te haben ihre länd­li­chen Räu­me. Bei der Zusam­men­set­zung der Frak­ti­on hat das Wahl­recht eini­ges durch­ein­an­der­ge­wir­belt. Gespannt bin ich dar­auf, wie die grü­ne Frak­ti­on mit Neba­hat Güçlü umge­hen wird, die aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wer­den soll­te und dann über Per­so­nen­stim­men („the­re is no such thing as bad news“) den Ein­zug in die Bür­ger­schaft geschafft hat. Aber selbst, wenn es am Schluss nur einer 14-köp­fi­ge Frak­ti­on (statt der 15 Sit­ze, die der­zeit aus­ge­zählt sind) wird, und eine Ein­zel­kämp­fe­rin, wür­de das locker für Rot-Grün rei­chen. Bis­her sieht es so aus, als wäre das auch die Wunsch­ko­ali­ti­on der SPD – auch hier bin ich gespannt, wie die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen lau­fen wer­den. Ins­ge­samt ist’s für die grü­nen Kol­le­gIn­nen doch ganz gut gelau­fen – also herz­li­chen Glück­wunsch und ein gutes Händ­chen für die nächs­ten Tage!

P.S.: Umfang­rei­che Wahl­ana­ly­se des Sta­tis­ti­schen Amtes und der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung.