Die neuen Eurobasisdemokraten, oder: Zurück in die 1980er?

Moss macro

Eigent­lich gibt es zur Zeit wich­ti­ge­res als das Innen­le­ben der grü­nen Par­tei. Trotz­dem könn­te die 39. Ordent­li­che Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz, die Ende Novem­ber in Hal­le statt­fin­det, inter­es­sant wer­den, lie­gen doch inzwi­schen eini­ge Anträ­ge Unzu­frie­de­ner vor. Ich den­ke dabei ins­be­son­de­re an den Antrag „Die Par­tei stra­te­gisch neu auf­stel­len, Fens­ter und Türen öff­nen!“ von Robert Zion und an den Antrag „Für eine umfas­sen­de Rück­kehr zu basis­de­mo­kra­ti­schen Struk­tu­ren“ von Frank Bro­zow­ski und ande­ren. Ins­ge­samt ste­hen inzwi­schen 146 Per­so­nen unter den Anträ­gen. Wor­um geht es?

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Kulturkampf um das imaginäre Land

Adopt a pop culture I

Um die Zukunft und die Ver­gan­gen­heit – so weit sie als Sci­ence Fic­tion bzw. als Fan­ta­sy ima­gi­niert wer­den – fin­det der­zeit, von der grö­ße­ren Öffent­lich­keit weit­ge­hend unbe­merkt, ein Kul­tur­kampf statt. Unbe­merkt, aber nicht unwich­tig, denn wo anders als in die­sem Gen­re ent­steht das kol­lek­ti­ve Ima­gi­nä­re? Ein heiß dis­ku­tier­tes Sym­ptom für die­sen Kul­tur­kampf sind die vor weni­gen Tagen bekannt­ge­ge­be­nen Hugo-Nomi­nie­run­gen. Um das zu ver­ste­hen, ist aller­dings etwas Hin­ter­grund notwendig.

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Tonlagen

Brussel Art Project VII

Über Geschmack lässt sich bekannt­lich treff­lich strei­ten. Und weil hier gera­de Judith Holo­fer­nes „Ein leich­tes Schwert“ ein­ge­tru­delt ist, und weil mir neu­lich mal die Fra­ge gestellt wur­de, wel­che Musik ich denn eigent­lich höre, muss ich mei­nen doch etwas ekle­ti­zis­ti­schen Geschmack in die­ser Hin­sicht beich­ten. Viel­leicht will ja jemand was dazu sagen ;-) ?

Viel­leicht fängt das Pro­blem damit an, dass ich lan­ge Zeit halt ein­fach Radio gehört hab. SWF3, meis­tens. Und spä­ter dann SWR3, inzwi­schen auch ger­ne mal SWR1 (die Musik ist die glei­che geblie­ben, der Sen­der hat gewech­selt). Das ist so die all­ge­mei­ne Sozia­li­sa­ti­on. Über Musik defi­niert, wie das ja für vie­le Jugend­kul­tu­ren typisch ist, habe ich mich, so jeden­falls mei­ne Erin­ne­rung, nie.

Ent­spre­chend habe ich auch erst ziem­lich spät ange­fan­gen, mir selbst CDs zu kau­fen (die vie­len, vie­len Pri­vat­ko­pien auf den u‑as­ta-Rech­nern bei nächt­li­chen Lay­out­ses­si­ons haben da das ihre dazu bei­getra­gen). Wenn ich mir anschaue, was für CDs ich besit­ze, dann hat mein Musik­ge­schmack drei Schwer­punk­te, die ich jetzt ohne Rück­sicht auf Gen­re­gren­zen zusammenwerfe. 

Der ers­te Schwer­punk­te ist mehr oder weni­ger kri­ti­sche Musik mit deutsch­spra­chi­gen Tex­ten – das Spek­trum reicht da von Toco­tro­nic und den Ster­nen über Dota Kehr, Tele und die Hel­den bis hin zu 2Raumwohnung. Dis­kurs­pop trifft es nicht unbe­dingt, aber ein guter Begriff fällt mir auch nicht wirk­lich ein. Und wahr­schein­lich wird jeder wah­re Ken­ner mir jetzt erzäh­len, dass das x ver­schie­de­ne Stil­rich­tun­gen und Schu­len sind, die bit­te, bit­te ganz genau getrennt gehören.

Die müs­sen jetzt mal die Ohren zuhal­ten, weil es noch schlim­mer wird – der zwei­te Hau­fen liegt irgend­wo zwi­schen Drum’n’Bass, Dub­step und der­glei­chen auf der einen Sei­te, und faux cel­tique – Enya, Clan­nad, … – auf der ande­ren Sei­te. Und dazwi­schen ein biss­chen Goa und Bhan­gra. Bei soma FM ent­spricht der Kanal „Groo­ve Salad“ am bes­ten dem, was für mich die Gestalt die­ses Hau­fens ist. Musik, die eher beweg­ter Klang als Gesang ist. 

Und drit­tens lie­gen dann da die lecke­ren Pein­lich­kei­ten – mit Jahr­gang 1975 bin ich ein Kind der 1980er Jah­re, und ja, eine der ers­ten CDs, die ich mir gekauft habe, war eine 1980er-CD-Samm­lung. Syn­thipop und ähn­li­ches also. Visa­ge, Era­su­re und so wei­ter. Mit Aus­läu­fern bis hin zu Kraft­werk, The Clash und Anne Clark. (soma FM sagt dazu under­ground 80s).

Geschmack­los? Oder hoher Wie­der­erken­nungs­wert? Was meint ihr?

War­um blog­ge ich das? Weil ich Leu­te ken­ne, denen Musik sehr wich­tig ist – für mich ist das so ein biss­chen, als ob ich far­ben­blind wäre, und dann über Kunst spre­chen soll­te. Und jetzt höre ich mir an, was ‚Ein leich­tes Schwert‘ mir sagen will.

Das allmähliche Ende der alten Bundesrepublik: kein Nachruf

1970s blanket

Heu­te erreich­te uns die Nach­richt, dass der Kaba­ret­tist Die­ter Hil­de­brandt gestor­ben ist. Ich will mich an die­ser Stel­le nicht an einem Nach­ruf ver­su­chen, denn das kön­nen ande­re weit­aus bes­ser, son­dern die­ses trau­ri­ge Ereig­nis zum Anlass neh­men, ein paar Gedan­ken zum all­mäh­li­chen Ver­blei­chen der (links-alter­na­ti­ven) Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten der alten Bun­des­re­pu­blik – also der BRD, West Ger­ma­ny – nie­der­zu­schrei­ben. Als Kind der 1970er Jah­re gehö­re ich zu der Gene­ra­ti­on, für die poli­ti­sches Kaba­rett syn­onym mit der Mün­che­ner Lach- und Schieß­ge­sell­schaft, mit Hil­de­brandt und mit dem Schei­ben­wi­scher ist. Hil­de­brandts Tod ist das Ver­schwin­den einer wei­te­ren Insti­tu­ti­on der Bon­ner Republik.

Viel­leicht ist es die nost­al­gi­sche Ver­klä­rung, aber nicht nur das Kin­der­pro­gramm (ich sag nur Rap­pel­kis­te) und die Wis­sen­schafts­sen­dun­gen (egal, ob Hob­by­thek oder Knoff-hoff-Show) waren selbst­ver­ständ­lich unglaub­lich viel bes­ser als alles, was heu­te so läuft, son­dern selbst­ver­ständ­lich auch das Fern­seh­ka­ba­rett. Es war bei kla­ren Front­li­ni­en bis­sig, hat­te immer recht, traf den Punkt und schreck­te vor bil­li­gem Kla­mauk zurück. Statt des­sen gab’s auch mal fein zise­lier­te, nach­denk­li­che­re Töne. Die Pri­mär­so­zia­li­sa­ti­on zahlt sich aus: So, und nicht anders, muss poli­ti­sches Kaba­rett sein. 

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Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil I)

I. Anfänge

Das Schwä­bi­sche Tag­blatt nimmt die Wahl von Fritz Kuhn zum Ober­bür­ger­meis­ter von Stutt­gart zum Anlass für eine Archiv­re­cher­che über die grü­nen Anfän­ge in Tübin­gen in den frü­hen 1980er Jah­ren. Bünd­nis 90/Die Grü­nen heu­te sind nicht mehr DIE GRÜNEN von 1983. Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Par­tei­mit­glie­der ist viel spä­ter ein­ge­tre­ten und hat ihre eige­nen Ideen in die Par­tei hin­ein­ge­bracht. Aber vie­le der­je­ni­gen, die heu­te im Schein­wer­fer­licht ste­hen, haben sehr direkt mit die­sen Anfän­gen zu tun. Des­we­gen glau­be ich, dass es für eine Debat­te über das grü­ne Ver­hält­nis zum Bür­ger­tum sinn­voll ist, sich noch ein­mal vor Augen zu hal­ten, wie die­se Par­tei damals aussah.

Viel­leicht an die­ser Stel­le ein klei­ner auto­bio­gra­phi­scher Ein­schub. Ich bin 1975 in Tübin­gen gebo­ren. Mei­ne Eltern waren in der neu gegrün­de­ten Par­tei in die­ser Stadt aktiv, bis wir – da war ich etwa acht Jah­re alt – nach Abschluss der Pro­mo­ti­on mei­nes Vaters weg­zo­gen. Uni­stadt eben, aka­de­mi­sches Milieu. 

Auch wenn ich kei­ne direk­ten Erin­ne­run­gen an die ers­ten Jah­re der Grü­nen habe, gibt es allein schon daher bei mir ein Gefühl bio­gra­phi­scher Ver­bun­den­heit zu den grü­nen Anfängen. 

Wer waren die­se Leu­te, die damals die grü­ne Par­tei gegrün­det haben? Unzu­frie­de­ne mit einer SPD, die die in sie gesetz­ten Erwar­tun­gen in einen wirk­li­chen demo­kra­ti­schen, sozia­len und öko­lo­gi­schen Auf­bruch nicht erfüllt haben. Fritz Kuhn war mal Juso. Kon­ser­va­ti­ve, auch Rech­te, denen der Schutz des Lebens wich­tig war – und denen die neue Par­tei bald zu links war. Die Über­res­te von 1968 und Men­schen aus den Bewe­gun­gen, die sich in den 1970er Jah­ren gegrün­det haben. Frie­den, Frau­en, Umwelt­schutz. Pro­tes­tan­tIn­nen, die aus ihrem Glau­ben her­aus zur soli­da­ri­schen Ent­wick­lungs­po­li­tik und zur Eine-Welt-Bewe­gung gefun­den hat­ten. In den ASten und K‑Gruppen sozia­li­sier­te – Win­fried Kret­sch­mann und, eben­so, aber ganz anders, Rein­hard Büti­ko­fer. Natur­wis­sen­schaft­le­rIn­nen, die durch den blin­den Fort­schritts­glau­ben der herr­schen­den Leh­re an den Hoch­schu­len in die Poli­tik gespült wor­den waren. Eso­te­ri­ke­rIn­nen, für die Par­tei Selbst­er­fah­rung war – oder ein Weg, um end­lich ein­mal ver­schwö­re­risch Öffent­lich­keit zu finden.

Kurz: In den Anfangs­jah­ren war das wohl eine ziem­lich wil­de Mischung. Die sich in ihrer gan­zen Viel­falt zusam­men­ge­rauft hat, um den drän­gen­den, kon­kre­ten Pro­ble­men der Zeit eine poli­ti­sche Stim­me zu geben. Der Schutz der Lebens­grund­la­gen. Die ato­ma­re Bedro­hung. Der Staat, der sei­ne Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht ernst nahm. Die erstarr­te Gesell­schaft grau­haa­ri­ger Männer.

Was die­se ganz unter­schied­li­chen Men­schen zusam­men­ge­bracht hat, war – neben den ganz kon­kre­ten Fra­gen, den Stra­ßen­bau­ten und Bio­to­pen, den AKW-Stand­or­ten und Rake­ten­de­pots – wohl zunächst ein­mal ein Zeit­geist, der in sei­ner Mischung aus Zukunfts­angst und uto­pi­scher Hoff­nung auf das Mög­li­che dia­me­tral zur offi­zi­el­len Hal­tung stand. Viel­leicht ein Lebensgefühl. 

Waren das schon Wer­te? Oder fan­den die sich erst in der sich for­mie­ren­den Par­tei (die auch mal den Slo­gan „nicht links, nichts rechts, son­dern vorn“ gut fand)? Selbst „basis­de­mo­kra­tisch – öko­lo­gisch – sozi­al – gewalt­frei“ als Ban­ner der Grund­wer­te war ja eigent­lich nicht viel mehr als ein Kom­pro­miss, ein Ver­such mal auf­zu­schrei­ben, was alle so halb­wegs tei­len konn­ten, und was jede Ein­zel­ne dann doch anders betonte.

Aller­dings ist die­se Viel­falt zugleich eine grü­ne Stär­ke – noch heu­te. Im aktu­el­len gül­ti­gen Grund­satz­pro­gramm von 2002 (pdf) wer­den dem­entspre­chend die lin­ken und libe­ra­len, wert­kon­ser­va­ti­ven und soli­da­ri­schen Wur­zeln der öko­lo­gi­schen Par­tei beschwo­ren, wird aber auch dar­ge­stellt, wie sich aus die­ser Hete­ro­ge­ni­tät her­aus eine gemein­sa­me poli­ti­sche Iden­ti­tät „grün“ ent­wi­ckelt hat. Wer möch­te, kann die­se Iden­ti­tät unter Begrif­fe wie sozi­al-öko­lo­gisch, nach­hal­tig, gene­ra­tio­nen­ge­recht, zukunfts­ori­en­tiert stel­len. Gleich­zei­tig blei­ben die Wur­zeln in ihrer Brei­te, die trotz der zah­len­mä­ßig gerin­gen Grö­ße der Par­tei weit­ge­hen­de dis­kur­si­ve Anschluss­fä­hig­keit her­stel­len. Volks­par­tei en minia­tu­re, aber mit kla­ren Inhal­ten. Viel­falt, bei der es übri­gens, neben­bei gesagt, über­haupt nicht scha­det, die­se auch immer wie­der öffent­lich sicht­bar zu machen – nicht zuletzt personell.

Im Teil II. geht’s wei­ter mit Wer­ten, Lagern und Milieus.