Kurz: Wahlkampf 2.0 der Parteien

Wie der Wahl­kampf 2.0 der Par­tei­en wirk­lich aussieht:

CDU/CSU: Hmm, kei­ne Ahnung. Machen Wahl­kampf wie immer und wün­schen sich die „hei­le“ Welt mit der „hei­len“ Fami­lie zurück. Ist eh nicht die Ziel­grup­pe. Oder so. (Na gut: unbe­zahl­te Prak­ti­kan­tIn­nen pfle­gen die Pro­fi­le).

SPD: Fällt dadurch auf, dass die Behör­den­bü­ro­kra­tie im Wil­ly-Brandt-Haus mit allen inno­va­ti­ven Ansät­zen kol­li­diert.

FDP: Ver­steht dar­un­ter drei Mil­lio­nen SPAM-Emails (wirk­lich wahr!).

LINKE: Sie­he CDU/CSU.

PIRATEN: Spie­len Wahl­kampf als Aug­men­ted Rea­li­ty Game.

GRÜNE: Kom­mu­ni­zie­ren drei Tage lan­ge im Wahl­kampf­end­spurt, was das Zeug hält.

Wahlempfehlung

Die Finan­cial Times Deutsch­land hat die bri­ti­sche Tra­di­ti­on in Deutsch­land ein­ge­führt. Gro­ße Medi­en­häu­ser geben eine begrün­de­te Wahl­emp­feh­lung ab. Die der FTD fiel bei der Euro­pa­wahl – zum Erstau­nen eini­ger – grün aus. Für die Bun­des­tags­wahl hät­ten sie ger­ne „schwarz-grün“, emp­feh­len aber letzt­lich die CDU. Und begrün­den dies mir ihrer Angst vor „rot-rot-grün“. Die aktu­el­le Emp­feh­lung fin­de ich nicht so pri­ckelnd, wohl aber den Prozess:

Vor­an­ge­gan­gen ist die­ser Emp­feh­lung ein wochen­lan­ger Pro­zess mit zahl­rei­chen Dis­kus­si­ons­run­den zu den Par­tei­pro­gram­men und ein­zel­nen Poli­tik­fel­dern. Spit­zen­po­li­ti­ker der im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en stan­den der Redak­ti­on in aus­führ­li­chen Gesprächs­run­den Rede und Ant­wort. Einer ent­spre­chen­den Ein­la­dung folg­ten die Gene­ral­se­kre­tä­re der CDU, SPD und FDP, Ronald Pofalla, Huber­tus Heil und Dirk Nie­bel, Bun­des­ge­schäfts­füh­re­rin Stef­fi Lem­ke für die Grü­nen sowie Frak­ti­ons­chef Gre­gor Gysi für die Links­par­tei. Schließ­lich dis­ku­tier­te die Redak­ti­on in einer drei­stün­di­gen Schluss­run­de dar­über, wel­che Emp­feh­lung sie dies­mal abge­ben soll. 

Die WELT will auch eine Wahl­emp­feh­lung abge­ben. Dum­mer­wei­se ist ihr der Name der Wunsch­par­tei entfallen.

Die taz schreibt zwar flei­ßig pro „schwarz-grün“ und neue Bür­ger­lich­keit, allen vor­an der Redak­teur für beson­de­re Auf­ga­ben, Jan Fed­de­re­sen. Heu­te prä­sen­tie­ren sie­ben taz-Redak­teu­rIn­nen ihre Wahl­ent­schei­dung – und über­ra­schen: Grü­ne wer­den durch die Bank weg nicht gewählt (jeden­falls nicht mit der Zweit­stim­me, Strö­be­le schon), ziem­lich vie­le outen sich als Wäh­le­rIn­nen der LINKEN – und der besag­te Herr Fed­der­sen pro­ji­ziert sei­ne eige­ne Bes­ser­wis­se­rei auf uns Grü­ne – und will statt­des­sen SPD wäh­len – aus Mit­leid. Poli­ti­sche Kom­pe­tenz sieht anders aus. Span­nend hät­te ich es gefun­den, wenn die taz sich in einem ähn­li­chen Pro­zess wie die FTD zu einer ein­heit­li­chen Wahl­emp­feh­lung durch­rin­gen hät­te kön­nen. Selbst wenn dann der gro­ße Anzei­gen­jun­ge LINKE bei raus­ge­kom­men wäre.

Die jungle world dage­gen emp­fiehlt „Geht wäh­len“ und meint damit „lus­ti­ge Split­ter­par­tei­en“ von Vio­let­ten bis zur DKP (wenn ich’s rich­tig sehe, nicht online). Immer­hin grei­fen sie die Debat­te um die Wähl­bar­keit der Pira­ten über­aus ernst­haft auf (na gut, hier).

netzpolitik.org sagt – schon zur Euro­pa­wahl, aber wohl auch zur Bun­des­tags­wahl noch gül­tig – wählt nicht CDU/CSU. Und unter­füt­tert das auch noch ein­mal durch einen Ver­gleich der netz­po­li­ti­schen Posi­tio­nen der Par­tei­en.

Und dann gibt es noch Par­tei­mit­glie­der (und ande­re Men­schen), die aus ganz unter­schied­li­chen Grün­den für die Wahl ihrer Par­tei auf­ru­fen – oder auch nicht.

Damit kom­me ich zur Wahl­emp­feh­lung von till we *) – Blog seit 2002: Wir, also, ich, emp­feh­len natür­lich die Grü­nen. Logisch. Und im Detail ein biß­chen dif­fi­zi­ler. Zweit­stim­me grün ist in der gan­zen Repu­blik sinn­voll und wärms­tens zu emp­feh­len. Selbst wenn es nicht für eine wie auch immer gear­te­te Koali­ti­on unter grü­ner Betei­li­gung rei­chen soll­te: nur mit star­ken Grü­nen sitzt eine Kraft im Par­la­ment, die bei den mir wich­tigs­ten The­men authen­tisch prä­sent ist. Damit mei­ne ich nicht nur die Kli­ma- und Umwelt­po­li­tik, son­dern vor allem auch den Ein­satz für Bür­ger­rech­te – der, auch dank der Pira­ten, mehr denn je zum grü­nen The­ma gewor­den ist. Und zwar off­line und online. Damit mei­ne ich aber auch die Geschlech­ter­po­li­tik, die von Grü­nen gelebt wird. Und über­haupt: nur Bünd­nis 90/Die Grü­nen sind eine Par­tei, die – in Poli­tik und Lebens­ge­fühl – wirk­lich in der post­for­dis­ti­schen Moder­ne ange­kom­men ist. Für man­che (sie­he Fed­der­sen, oben) mag das wie Über­heb­lich­keit aus­se­hen. Ist es aber nicht – son­dern pure Not­wen­dig­keit, um die Gesell­schaft zu ver­än­dern. Soweit das in Par­la­men­ten mög­lich ist.

Dif­fi­zi­el­ler wird es in mei­ner Wahl­emp­feh­lung vor allem bei der Erst­stim­me. Und zwar auf­grund der Über­hang­man­dats­pro­ble­ma­tik (eine Par­tei, die in einem Bun­des­land mehr Direkt­man­da­te erhält, als ihr laut Zweit­stim­me pro­zen­tu­al zuste­hen, behält die­se; für ande­re Par­tei­en gibt es aber kei­nen Aus­gleich). Des­we­gen gibt es Wahl­krei­se, in denen es sinn­voll sein kann, in den bit­te­ren stra­te­gi­schen Apfel zu bei­ßen und der SPD die Erst­stim­me zu geben. Faust­re­gel: wenn Grü­ne kei­ne Cha­ne auf das Direkt­man­dat haben, und SPD und CDU nah bei­ein­an­der lie­gen, kann „rot-grü­nes“ Wäh­len sinn­voll sein, um Über­hang­man­da­te zu ver­hin­dern, die sonst „schwaz-gelb“ wahr­schein­li­cher machen. Bit­ter ist die­ser Apfel, weil damit fak­tisch für die gro­ße Koali­ti­on gestimmt wird. Wenn nicht doch alles ganz anders kommt.

Trotz­dem gibt es eine gan­ze Rei­he Wahl­krei­se, in denen es sinn­voll ist, auch mit der Erst­stim­me grün zu wäh­len. Das sind die, wo „eh“ klar ist, wer den Wahl­kreis gewinnt, und grü­ne Stim­men sym­bo­li­schen Wert haben. Und es sind die Wahl­krei­se, in denen Grü­ne eine reel­le Chan­ce haben: neben Fried­richs­hain-Kreuz­berg (Chris­ti­an Strö­be­le) sehe ich hier Frei­burg (Kers­tin And­reae), Stuttgart‑I (Cem Özd­emir) und Ham­burg-Eims­büt­tel (Kris­ta Sager vor dem Hin­ter­grund inter­ner SPD-Zer­würf­nis­se) als die Wahl­krei­se an, in denen eine grü­ne Erst­stim­me rich­tig was bewe­gen kann.

Am Sonn­tag also: Zweit­stim­me grün, Erst­stim­me viel­leicht auch. In Frei­burg sowie­so. Und wer bis dahin noch fra­gen hat, ist bei 3 Tage wach gut aufgehoben.

War­um blog­ge ich das? Wahl­emp­feh­lung muss sein, klar!

Wie war’s auf dem Länderrat?

Ges­tern war ich ja auf dem grü­nen Län­der­rat in Ber­lin. War sowohl bau­lich (Umwelt­fo­rum Auf­er­ste­hungs­kir­che in Ber­lin-Fried­rich­hain) wie atmo­sphä­risch eine sehr schö­ne Ver­an­stal­tung. Scha­de, dass die FDP uns mit ihrem Nibe­lun­gen­ge­löb­nis ein wenig die Show gestoh­len hat. Der Spie­gel hat die resul­tie­ren­de Stim­mung als „trot­zig“ beschrie­ben – fin­de ich nicht ganz pas­send: aus den Rede­bei­trä­gen wur­de jeden­falls klar, dass wir alle um jede grü­ne Stim­me kämp­fen, Koali­ti­ons­op­tio­nen hin oder her, und dass am 27.9. nicht nur die Bun­des­tags­wahl, son­dern auch die Land­tags­wah­len in Schles­wig-Hol­stein (schwarz-gelb rutscht in den Umfra­gen ab) und Bran­den­burg (wenn alles gut läuft, zie­hen Grü­ne in den Land­tag ein) Span­nung versprechen.

Einen Über­blick über den Ver­lauf des Län­der­rats geben Twit­ter­such­er­geb­nis­se nach dem Tag „#län­der­rat“ von mir und ande­ren. Die Höhe­punk­te der Reden des Spit­zen­teams und die Beschlüs­se sind inzwi­schen online.

Ich selbst habe eine klei­ne, mehr oder weni­ger impro­vi­sie­re Rede zu Hoch­schul- und Wis­sen­schafts­po­li­tik und zur netz­po­li­ti­schen Kon­kur­renz gehal­ten (ande­re sag­ten dazu spä­ter auch noch was). Kam glau­be ich ganz gut an.

Anek­do­te am Ran­de: die star­ke Ver­brei­tung von Face­book unter grü­nen Abge­ord­ne­ten und Spit­zen­leu­ten wur­de deut­lich, als Bär­bel Höhn MdB sich mit der neben mir sit­zen­den Bärbl Mie­lich MdL über Face­book unter­hielt. Vor ihr: Vol­ker Beck, bekann­ter­ma­ßen sehr aktiv in den neu­en Medi­en, neben ihr Syl­via Kot­ting-Uhl MdB, die stolz auf ihren Face­book-Account ver­wies, dane­ben Dani­el Mou­rat­i­dis (LaVo BaWü, eben­falls bei Twit­ter aktiv) und dann in der nächs­ten Rei­he Rhein­land-Pfalz mit Dani­el Köb­ler (LaVo RLP). Kurz gesagt: die Anzahl der akti­ven Web2.0‑NutzerInnen über­stieg auf die­sem Par­tei­tag die Nicht­nut­ze­rIn­nen deut­lich. Ein Glück, dass wir nicht Go gespielt haben.

Zurück zu den Inhal­ten: ich hat­te kurz­ent­schlos­sen dann doch noch ein paar Anträ­ge zum „Sofort­pro­gramm“ gestellt (es gab auch noch ein paar wei­te­re). Dabei ging es mir um zwei Punk­te: Hoch­schu­le und Wis­sen­schaft einer­seits und Afgha­ni­stan ande­rer­seits. Das Ergeb­nis war letzt­lich ein „Ver­hand­lungs­sieg“ – mei­enn Afgha­ni­stan-Antrag habe ich zurück­ge­zo­gen (u.a. weil es von Arvid Bell u.a. einen bes­se­ren gab), mein Ver­such, das Pro­gramm kom­plett umzu­struk­tu­rie­ren, um einen eigen­stän­di­gen Punkt „Bil­dung“ unter­zu­brin­gen, klapp­te nicht. Erfolg­reich war ich aber doch: jetzt steht in der Über­sicht über die grü­nen Zie­le (pdf, Zei­le 74) doch ein deut­li­cher Ver­weis auf Hoch­schu­le und Wis­sen­schaft als Beruf:

Wir bau­en sozia­le Hür­den in der Stu­di­en­fi­nan­zie­rung ab. Wir schaf­fen Arbeits­plät­ze in Bil­dung, Erzie­hung und Wis­sen­schaft. Mit uns wird der Beruf Wis­sen­schaft wie­der attrak­tiv – für Frau­en und Männer. 

Ich hät­te natür­lich ger­ne noch deut­lich mehr drin­ne gehabt – aber letzt­lich ist das bei so einem Pro­gramm immer ein Kampf um jeden ein­zel­nen Satz. Bin also im End­ef­fekt ganz zufrieden.

Ob das Sofort­pro­gramm im Wahl­kampf bzw. in unwahr­schein­li­chen, aber nicht unmög­li­chen Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen eine Rele­vanz hat – wer­den wir sehen. 

P.S.: Felix Neu­mann hat mich drauf auf­merk­sam gemacht, dass ich kurz in der Tages­schau zu sehen war. Hier das Beweisfoto:
Screenshot "Tagesschau"
Screen­shot aus der Tages­schau vom Sonn­tag, hin­ter Vol­ker Beck und Rebec­ca Harms bin ich zu sehen.

War­um blog­ge ich das? Als Ein­blick in das Innen­le­ben von Parteien.