Ein Vorteil dieses seltsamen Klimawandel-Herbstes: selbst gegen Ende September lädt der Opfinger See noch zum Schwimmen ein. Und präsentiert sich ganz hervorragend im Sonnenuntergangslicht.
Zu den ‚Midterm’-Wahlen in Hessen und Bayern
Zweimal knapp 15 Prozent für Bündnis 90/Die Grünen – die Prognose und die ersten Hochrechnungen sahen noch etwas positiver aus -, herbe Verluste auch für SPD und FDP (in Bayern klar aus dem Landtag gefallen, in Hessen nach dem vorläufigen Endergebnis grade so über den fünf Prozent): möglicherweise typisch für ‚Midterm-Wahlen‘, falls eine Landtagswahl zur Hälfte der Wahlperiode des Bundestages so bezeichnet werden kann.
Auf der anderen Seite: eine CSU, die leicht verloren hat (und Stimmen an die noch rechteren Aiwanger-FW weitergegeben hat, die wiederum, wie alle (!) ehemalige Wähler*innen an die AfD abgegeben hat). In Hessen eine CDU, die deutlich zugelegt hat. Beide um die 35 Prozent; solide, aber nichts, was an konservative Glanzzeiten anknüpft. In Bayern wird Söders Rechtsregierung wohl weitermachen. In Hessen ist es aktuell offen, ob Schwarz-Grün fortgesetzt wird oder ob Boris Rhein sich für den Wechsel zu Schwarz-Rot entscheidet.
Aus Sicht der Union war dieser Wahlkampf ein Migrationswahlkampf. Am Wahlabend noch, weiter im Wahlkampfmodus, forderte der Generalsekretär ein faktisches Ende des Asylrechts, statt über die Wahlergebnisse zu sprechen. Hat dieser migrationspolitische Rechtsruck der Union geholfen? Fraglich – wohl eher der AfD, die in beiden Ländern auf Platz 2 landete, die in Hessen auf Platz 2 und in Bayern auf Platz 3 nahe an den FW auf Platz 2 landete. Die Wähler*innen der AfD mögen nicht alle rechtsextrem eingestellt sein, aber nach, allem, was die Zahlen so hergeben, sind sie es mehrheitlich eben doch. Und in einem Klima, in dem Grenzen-zu-Narrative etc. plötzlich salonfähig geworden sind (danke Merz!), in dem soziale Medien AfD-Kanäle in die Startseitenauswahl puschen und klassische Medien die AfD wie eine normale Partei behandeln – und nicht wie eine Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird – in diesem Klima erscheint es dann auf einmal legitim, als Bürger*in mit Zukunftssorgen, mit Hass auf Grüne etc. die AfD zu wählen.
Die Union wird ihren Merzrechtskurs wohl beibehalten. Sie glaubt, damit erfolgreich zu sein. Die Untoten, die sie damit aufweckt, sieht sie nicht, will sie nicht sehen.
Insofern: keine ganz normale Midterm-Wahlen. Und auf Seiten der Ampel sehe ich leider wenig Anlass dafür, zu glauben, dass diese sich jetzt auf ein gemeinsames Zukunftskonzept einigen wird. Da ist also keine Geschlossenheit zu erwarten, keine Orientierung und kein Zusammenhalt. Das allerdings wäre wichtig für alle drei Ampel-Parteien. So weiß niemand, wofür die SPD steht. Die FDP und die Grünen sind auf (da extrem knappe, dort halbwegs komfortable) Kernklientele zurückgeworfen. Ein Ausgreifen darüber hinaus, die Ansprache von Wähler*innen, die sich nicht einer Partei zurechnen, die gelingt nur, wenn glaubhaft und greifbar wird, dass diese Bundesregierung gemeinsam daran arbeitet, dass Deutschland gut durch die Krisen und notwendigen Veränderungen kommt.
Das sehe ich wie gesagt derzeit nicht. Vielmehr ist zu befürchten, dass SPD und FDP aus diesen Wahlen ein Mandat zum Rechtsruck ablesen. Und irgendwann stellt sich für Grüne (wie, aus anderen Gründen, auch für die FDP) dann tatsächlich die Frage, was in Kauf genommen wird, um an anderer Stelle mitgestalten zu können. Nach den Erfahrungen von 2005 – dazu hatte ich vor ein paar Tagen geblockt – als das vorgezogene Ende der Regierung Schröder II eine sehr lange Oppositionsphase einläutete, vermute ich allerdings, dass doch noch länger die Zähne zusammengebissen werden.
Die FDP hat bisher nach jeder verlorenen Wahl die gleiche Wahlanalyse verbreitet: noch mehr Opposition in der Koalition, noch mehr Abgrenzung von der eigenen Regierung, noch mehr FDP pur. Geholfen hat das bisher nicht. Wenn sie das weiter so sieht, müsste sie eigentlich die Koalition im Bund aufkündigen – und würde dann ziemlich sicher bei Neuwahlen aus dem Bundestag fliegen.
Aber vielleicht setzen sich Scholz, Habeck und Lindner – um das mal zu personalisieren, und um Führung seitens des Kanzlers einzufordern – auch zusammen und einigen sich auf ein paar Grundsätze, ein paar Projekte, um das in den Krisen unserer Zeit erschütterte Vertrauen in den Staat wieder herzustellen. Das würde allen Ampelparteien helfen. (Aber allein das scheint für Teile der FDP, insbesondere in der Fraktion, schon undenkbar zu sein – lieber loose-loose als Grünen oder der Kanzlerpartei auch nur ein Haar zu gönnen).
Und dann sind wir wieder bei Merz, dem Rechtsruck der Union und dem scheinbaren Erstarken der AfD. Keine schöne Aussichten – Zuversicht kann ich allerdings gerade nicht bieten.
Falls mich jemand auf Bluesky sucht …
… bin ich da weiterhin nicht zu finden.
Mit jeder weiteren Musk-Eskapade bin ich dann doch froh drum, Ex-Twitter zwangsweise verlassen zu haben.
Nach den Nerds, die schon vor ein paar Monaten von Twitter ins Fediverse gewechselt sind, wird es jetzt auch großen und bekannten Accounts zu heiß. Der place to be scheint – nachdem Post, News, Threads, etc. sich alle als nicht so dolle herausgestellt haben – der Twitter-Ableger Bluesky zu sein. Und weil alle dahingehen, gehen alle dahin. Sofern sie denn einen der noch knappen Invite-Codes bekommen.
Markus Beckedahl beschreibt diesen Exodus hier viel besser, als ich das könnte. Und er beschreibt – am Schluss der Kolumne – auch ganz gut, warum das nur bedingt eine gute Idee ist.
Letztlich ist Bluesky eine weitere kommerzielle Plattform mit dem Ziel, irgendwann Geld zu verdienen. Bisher lässt sich da angenehm die Zeit verbringen, nach allem, was ich dazu höre. Ob das auf Dauer so sein wird, und was passiert, wenn z.B. in größerem Ausmaß Trolle auftauchen, bleibt abzuwarten. Und auch wenn es aktuell nur eine Postillon-Satire ist – niemand kann ausschließen, dass eines Tages Musk oder ein*e andere*r durchgeknallte Superreiche*r Bluesky kauft und die eigenen Regeln etabliert.
Ich verstehe, dass das Fediverse/Mastodon auf einige abschreckend wirkt. Die technische Komplexität wird nicht so gut hinter einer schicken Oberfläche versteckt, wie das bei kommerziellen Plattformen der Fall ist. Die Mastodon-App für ios hat so ihre Macken. Und: einige Elemente der Kultur, die sich dort etabliert hat, nerven (siehe dazu auch hier). Alles verständlich. Trotzdem fühle ich mich bei Mastodon inzwischen gut eingerichtet wohl. Vielleicht ist eine langsamere und weniger zu viralen Ausbrüchen neigende Plattform in diesen Zeiten gar nicht so schlecht.
Wer mich bei Mastodon sucht, findet mich dort unter @_tillwe_@mastodon.social. Und wer selbst wechseln will, dem würde ich allerdings nicht diese Großinstanz empfehlen, sondern lieber etwas lokales, norden.social, sueden.social, oder hier in der Freiburger Region freiburg.social.
Technisch ist es nicht ausgeschlossen, dass jemand eines Tages eine Brücke baut zwischen dem W3C-standardisierten Protokoll des Fediverse und dem System, das unter der Haube von Bluesky steckt. Bisher gibt es diese Brücke nicht, und wenn die übliche kommerzielle Plattformlogik greift, dann wird es sie auch nicht lange geben. Wäre schön, wenn es anders läuft. (Zur Erinnerung: Twitter fing mal mit offener API und ganz vielen Zugriffsmöglichkeiten für Apps an – bis dieses ganze Ökosystem nach und nach zerstört wurde, um die Interaktionen samt Werbekunden-Views auf twitter.com zu holen).
Das mal als aktueller Stand – auch meine Haltung hier ist sicher nicht in Stein gemeiselt, ich habe, wie gesagt, durchaus Verständnis dafür, dass Bluesky zur Zeit attraktiv wirkt und viele anzieht. FOMO tut ein übriges – aber das halte ich aus. Insofern bin ich bis auf weiteres nicht auf Bluesky zu finden.
Photo of the week: Drop life
Nach der verlorenen Bundestagswahl 2005
Beim Entrümpeln und Wegwerfen alter BDK-Unterlagen sind mir auch die Delegiertenunterlagen von der grünen Bundesdelegiertenkonferenz 2005 in Oldenburg wieder in die Hände gefallen. Ich habe sie wie vieles andere endlich ins Altpapier geworfen, aber nicht, ohne vorher den Leitantrag einzuscannen.
Wir erinnern uns: 2005 – nach vorgezogenen Wahlen nach einem bewusst herbeigeführten Misstrauensvotum Gerhard Schröders kommt es zur Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel. Grüne stürzen von 8,7 auf 8,1 Prozent ab („sehr gutes Ergebnis erkämpft“), und werden – was 2005 noch nicht absehbar ist – lange in der Opposition bleiben.
Der Parteitag dient vor allem dem Wundenlecken nach der verlorenen Wahl. Entsprechend – fast trotzig – klingt dieser Leitantrag. „Wir GRÜNE haben uns schon seit der Entscheidung des Bundeskanzlers für Neuwahlen … auf Opposition als realistische Option eingestellt. Opposition ist kein ‚Mist‘ – sondern wir achten den Auftrag zur Opposition als unverzichtbare demokratische Aufgabe.“
Schuld waren die anderen: der Bundeskanzler mit seinen blöden vorgezogenen Neuwahlen, die Absage von SPD und PDS an ein Linksbündnis, die fehlenden inhaltlichen Schnittmengen mit der FDP, die „Jamaika“ oder eine „Ampel“ verhinderten (hört, hört), und nicht zuletzt die Tatsache, „dass die Union nicht bereit oder in der Lage war, aus dem Scheitern ihrer marktradikalen und anti-ökologischen Strategie grundlegende Konsequenzen zu ziehen.“
Der Rest des Papiers widmet sich der (differenzierten) Bewertung der grünen Erfolge in der Koalition 1998–2005 und der anstehenden „Aufgaben“. Die Arbeitsmarktpolitik (Hartz IV) wird noch nicht so kritisch betrachtet, wie das einige Jahre später der Fall sein wird.
Insgesamt ein interessantes Zeitdokument – auch mit Blick auf heute.