Aufgrund der ganzen Italienfotos hinke ich etwas hinterher. Und bin erstaunt, wie grün – und zugleich wenig grün – die Landschaft Mitte April erst/schon aussah. Davon ist auf dieser bei einem Spaziergang durchs Wildtal entstandenen Aufnahme wenig zu sehen, dafür eine Ziege im Gegenlicht – auch schön. (Außerdem hatten wir Rotmilane, Pferde, Hühner, Hummeln und orangene Schmetterlinge gesehen).
Das neue Landtagswahlrecht materialisiert sich
Wer als Baden-Württemberger*in bundesweit parteipolitisch unterwegs ist, kennt diesen Moment, in dem irgendwer nach der Landesliste fragt, und dann erst einmal erklärt werden muss, dass Wahlen im Ländle anders funktionieren: nur Direktkandidat*innen in 70 Wahlkreisen, eine Zweitauszählung, um den Proporz herzustellen und die restlichen nominell 50 Plätze zu füllen, gewisse Verzerrungen durch Ausgleich im Regierungspräsidium. Dieses Wahlrecht hat einige Jahrzehnte lang gute Dienste geleistet. Es hatte Vorteile: die Abgeordneten hatten alle eine starke lokale Bindung. Das Wahlrecht hatte aber auch Nachteile: ohne Liste keine quotierte Liste, und keine Chance für z.B. grüne Kandidat*innen in „schwachen“ Wahlkreise, überhaupt jemals in den Landtag zu kommen.
Ob Freude über das Ende überwiegt oder dem Wahlrecht doch hinterhergeweint wird: es ist seit einiger Zeit, mit der Novelle der entsprechenden Gesetze, Geschichte. Jetzt hat Baden-Württemberg das für Deutschland typische Zweistimmenwahlrecht, mit einer Zweitstimme, die die Sitzverteilung bestimmt, und einer Erststimme, die über Direktmandate entscheidet. (Apropos: das eigentlich sehr gute wahlrecht.de hat noch das alte Wahlrecht und die Änderungen noch nicht nachvollzogen).
Die Kappungen auf Bundesebene wurden nicht mitgemacht, so dass manche jetzt über das Risiko eines Riesenlandtags unken (Modellrechnungen widerlegen das, nur dann, wenn Erst- und Zweitstimmenergebnisse massiv auseinander gehen würden, wäre ein sehr großer Landtag möglich). Dafür gibt es andere Besonderheiten: weiterhin Ersatzkandidat*innen in den Wahlkreisen, die zum Zug kommen, wenn eine direkt gewählte Person aus dem Landtag ausscheidet. Und theoretisch – mal schauen, ob eine Partei das praktisch umsetzt – auch die Möglichkeit, Ersatzkandidat*innen auf einer Reserveliste zu verankern.
Während die Novelle des Wahlgesetzes schon einige Zeit her ist, wird das Wahlrecht jetzt erst so richtig konkret: die Aufstellungen in den Wahlkreisen sind – hier mit grüner Brille – durchgeführt, und seit dem Wochenende steht auch die erste grüne Landesliste mit 70 Plätzen, gewählt auf der Landeswahlversammlung in Heidenheim. Nebenbei wurde dort auch Cem Özdemir ins Amt des Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gehoben; ich hoffe sehr, dass er an den Erfolg Winfried Kretschmanns anschließen kann. Seine Rede war überzeugend – und die fast einstimmige Unterstützung der Partei hat er auch. Auf der Landesliste ist Cem – Frauenstatut – „nur“ auf Platz 2. Auffällig ist zudem eine gewisse Ballung der Region Stuttgart bei den ersten Plätzen der Liste. Hier kommt die große Frage ins Spiel, die auf dem Parteitagwochenende viele gestellt haben, aber die naturgemäß niemand beantworten konnte: Wie weit wird die Liste ziehen?
Nach dem alten Wahlrecht wurden 58 grüne Abgeordnete gewählt, alle mit Direktmandat. Landesweit waren das 32,6 Prozent. Inzwischen sind es aufgrund eines Übertritts noch 57 Abgeordnete. In den Umfragen liegen wir Grüne aktuell allerdings mit nur 20 Prozent deutlich hinter der CDU. Gleichzeitig ist Cem Özdemir beliebt, ihm wird zugetraut, das Amt des Ministerpräsidenten auszufüllen. Und in den Monaten bis zur Wahl kann noch einiges passieren, auch weil die baden-württembergische CDU ganz nah an Merz und der Bundesregierung steht. Dann ist unklar, ob FDP und – was ein Novum für Baden-Württemberg wäre – LINKE es in den Landtag schaffen. Je nachdem, was hier angenommen wird, schwankt auch die Zahl der Sitze, die auf uns Grüne insgesamt entfallen, massiv.
Der zweite Faktor, den niemand wirklich gut einschätzen kann, ist die Frage der Direktmandate. Im alten Wahlrecht waren Direktmandate und Parteienstärke organisch aneinander gekoppelt. Wer Kretschmann wollte, musste grün wählen. Mit der Möglichkeit des Stimmensplittings könnte es auch ganz anders aussehen. In vielen Wahlkreisen treten grüne Direktmandatsinhaber*innen wieder an – holen diese, sofern die landesweiten Werte noch etwas besser werden, erneut das Direktmandat? Oder greift der von Bürgermeister, Kommunal- und Bundestagswahlen bekannte Reflex, direkt dann doch lieber den CDU-Mann oder die CDU-Frau zu wählen – und mit der Zweitstimme dann Grün? Oder andersherum? Alle Umfragen sind mit Unsicherheit behaftet, und die fehlende Erfahrung mit Splitting bei einer Landtagswahl multipliziert diese Unsicherheiten noch einmal. Das geht bis hin zu der Frage, ob ein „schlechter“ Listenplatz lokal vielleicht sogar ein Argument sein kann, diese Person direkt zu wählen, um so sicherzustellen, dass der Wahlkreis grün vertreten sein wird.
Am Schluss kann es also sein, dass die Liste überhaupt nicht zum Zuge kommt, etwas durcheinander gewürfelt wird (etwa dadurch, dass Florian Kollmann in Heidelberg und Nadyne Saint-Cast in Freiburg II nicht auf der Liste abgesichert sind, sondern alleine auf das Direktmandat setzen – ähnlich in Mannheim und Aalen) oder im Extremfall sogar nur einzieht, wer auf der Liste vorne steht.
In der Kombination aus Listenplatz und plausibeln Annahmen über grüne Wahlkreisergebnisse lässt sich so maximal eine erste Abschätzung treffen, welche Wahlkreise und Personen bei einem halbwegs guten Ergebnis im Landtag vertreten sein werden, wer so gut wie keine Chancen hat (hinterer Listenplatz und grüne Diaspora), und wo es auf den Wahlausgang im Detail ankommen wird. Es bleibt spannend.
Photo of the week: Livorno, port area – XI
Ein letztes Foto von der Florenz-Reise, aber eben nicht aus Florenz, sondern aus Livorno. Die Hafenstadt liegt etwas siebzig Kilometer westlich von Florenz. Nachdem ich auf einer Karte gesehen hatte, dass das Mittelmeer gar nicht so weit entfernt ist, habe ich kurzentschlossen einen nachmittäglichen Ausflug dahin gemacht – etwa eine Stunde Bahnfahrt mit dem Regionalzug. Der Bahnhof in Livorno liegt eher außerhalb, und während ich den Weg vom Meer zurück zum Bahnhof mit dem Bus zurückgelegt habe, bin ich in die andere Richtung zu Fuß gegangen. Die Stadt wirkte ziemlich zerfallen – nicht in Form antiker Ruinen, sondern voll mit Baustellen, abblätterndem Putz und wenig ansehlichen Vierteln. Dazwischen Denkmäler. Am Hafen gibt es die ehemalige Seefestung, die allerdings an diesem Tag nicht besucht werden konnte, ein hypermodernes Einkaufszentrum und dazwischen je nach Blickwinkel Müllberge oder pittoreske Fassaden. Am Schluss dann tatsächlich ein Blick auf das Mittelmeer, das silbrig grau in der tiefstehenden Sonne lag. Insgesamt musste ich an Dotas Containerhafen-Lied denken.
Photos of the week: Firenze, day 3
Nachdem ich mich nicht entscheiden konnte (und auch nicht den Rest des Jahres nur Florenz-Bilder posten will) gibt es vom dritten Tag in Florenz jetzt gleich vier Bilder. Vormittags war ich hier nochmals in den Uffizien, dann im Giardini di Boboli, einer riesigen Parkanlage – eigentlich wollte ich auch in den Palazzo Pitti, der war aber geschlossen – und auf dem mittelalterlichen Torre di Arnolfo mit großartigem Ausblick über die Stadt. Am Nachmittag bin ich kurzentschlossen nach Livorno gefahren, davon evtl. später mehr.
Vermutlich einer der meistfotografiertesten Anblicke Florenz‘: die alte Brücke Ponte Vecchio über den Arno, diesmal mit Blick auf die auskragenden Anbauten der Brückenbebauung.
Mein Highlight im Giardini di Bobili war die Orangerie. (Will auch!)
Sehr typische Dachgärten, verwinkelte Häuser, Anbauten, und noch ein Dachgarten. Auch das trägt zum Studio-Ghibli-Gefühl bei, das sich bei mir bei meinem Besuch breit machte.
Und ein Blick vom Torre di Arnolfo auf den Arno und die auf der anderen Seite des Flusses liegenden Hügel und Stadtteile (dort ist auch der Giardini zu finden). Weiter oben auf dem Turm dann noch weit bis an den Horizont reichende Ausblicke. Diese sind wie alle anderen (viel zu vielen) Fotos auf Flickr zu finden.
Science Fiction und Fantasy im April (und Mai) 2025
Nicht zuletzt aufgrund des Entschlusses, erst einmal keine weiteren E‑Books bei Amazon zu kaufen, habe ich im April insbesondere Bücher gelesen, die schon länger auf meinem Kindle herumlagen.
Bruce Sterling hat die 2014er-Ausgabe des MIT-Science-Fiction-Review unter dem Titel Twelve Tomorrows herausgegeben. Darin finden sich Kurzgeschichten von großen Namen aus dem Cyberpunk-Umfeld. William Gibson mit einer Studie zu seinen Peripheral-Romanen fand ich ohne deren Kontext nicht gut verständlich, Warren Ellis vage – umso interessanter die Zukunftsvisionen von Pat Cadigan, Lauren Beukes, Paul Graham Raven und Sterling himself. Allen gemeinsam: gut zehn Jahre alte Near-Future-SF, die – mehr oder weniger cyberpunkig – soziotechnische Implikationen erforscht, wirkt heute durchwachsen. Vieles ist recht präzise extrapoliert. An anderen Stellen hat die Wirklichkeit die SF überholt. Und die Hoffnung auf spontane, technologisch vermittelte Selbstorganisation in den Hinterlassenschaften der neoliberalen Katastrophe wirkt heute fast schon naiv. Statt arabischem Frühling gab’s Corona und Trump I und II, statt autonomen Netzwerken das Meta-Google-Apple-Amazon-Quartett. Aber gerade deswegen: durchaus interessant zu lesen.
In Notes from the Burning Age (2021) von Claire North – die mir bisher kein Begriff war, und wohl einige spannende Sachen geschrieben hat – geht es um eine etwas fernere Zukunft. Nach dem großen Crash wurde die Welt in einem bewussteren und ökologischeren Maßstab neu aufgebaut – auch aufgrund der Intervention der Kakuy, Wesen, die die Natur verkörpern, und um die herum sich die in der Gegenwart des Buches herrschende Religion entwickelt hat. Ven ist ein Kind seiner Zeit, war Mönch dieser Religion, und zieht jetzt mit einer Mission durch die Provinzen des ehemaligen Mitteleuropas. Was bis hierhin einen Solarpunk- oder Hopepunk-Roman beschreiben könnte, nimmt eine ganz andere Wendung, denn wir erleben durch Vens Augen den Aufstieg einer patriarchalen „Bruderschaft“, die zurück zur sagenumwobenen fossil-faschistischen Moderne will. North beschreibt die sich daraus ergebenden Auseinandersetzung mit viel Liebe zum alltäglichen Detail. Gleichzeitig erinnert mich (trotz ganz anderem Worldbuilding) Notes from the Burning Age ein wenig an Iain M. Banks „Special Circumstances“ in seiner utopischen Culture (oder an die „Section 31“ – aber mit Gewissensbissen – im utopischen Star-Trek-Mythos). Lesenswert!
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