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Some books

Mal sehen, was ich in den letz­ten Tagen so gele­sen habe – wenn ich’s rich­tig sehe, fast nur post-apo­ka­lyp­ti­sche Sci­ence Fic­tion. Ich fan­ge mal mit den Klas­si­kern an. 

Kurt Von­ne­guts The Sirens of Titan (1959) hat, ober­fläch­lich betrach­tet, eini­ges mit Dou­glas Adams’ Hitch­hi­kers Gui­de gemein­sam. Eine teil­wei­se zu sur­rea­lem Humor grei­fen­de Geschich­te, in unwahr­schein­li­che Ereig­nis­se auf drei Pla­ne­ten und einem Mond nur Teil eines grö­ße­ren Plans, ja, eines Plans von gigan­ti­schem Aus­mass zu sein schei­nen. Und auch bei nähe­rer Hin­sicht gibt es Gemein­sam­kei­ten: hin­ter der absur­den Fas­sa­de ste­cken Über­le­gun­gen zum Sinn des Lebens. Ab und zu ist dem Buch sein Alter anzu­mer­ken, aber dar­auf kommt es bei die­sem Klas­si­ker nicht an.

Gele­sen – auch wenn es stre­cken­wei­se müh­san war – habe ich auch Dhal­gren von Samu­el R. Delany (1974). Schwie­rig – die­sem Buch ist sein Alte­rungs­pro­zess doch deut­lich anzu­mer­ken. Und eini­ge Beson­der­hei­ten – etwa der zir­ku­lä­re Auf­bau – wer­den erst beim Blick in die Wiki­pe­dia deut­lich und ver­ständ­lich. Vor der Kulis­se einer von einer unna­tür­li­chen Kata­stro­phe befal­le­nen Stadt chan­giert Dhal­gren zwi­schen Psy­cho­trip und jugend­li­cher Gegen­kul­tur, Essay über das Schrei­ben und Gewalt­ver­herr­li­chung, frei­er, alle dama­li­gen Kon­ven­tio­nen miss­ach­ten­der Lie­be und sexu­el­lem Miss­brauch. Der Erzäh­ler hat Gedächt­nis­lü­cken, der Zeit­ver­lauf macht Sprün­ge (oder ist es nur das will­kür­lich gewähl­te Datum der Zei­tung, die im Buch eine Rol­le spielt). Inter­es­sant zu beob­ach­ten, aber manch­mal doch mehr Zeit­do­ku­ment als Roman.

Kom­men wir zu etwas ganz ande­rem – wobei auch hier die Kulis­se ein post­apo­ka­lyp­ti­sches Ame­ri­ka ist, genau­er gesagt eine nach der Kli­ma­ka­ta­stro­phe unse­res „Acce­le­ra­ted Ages“ auf den Sta­tus eines von War­lords zer­ris­se­nen Dritt­welt­lan­des gefal­le­ne USA. Pao­lo Baci­g­alu­pi hat mit Ship­b­rea­k­er (2010) und The Drow­ned Cities (2012) zwei lose zusam­men­hän­gen­de Young-Adult-Bücher geschrie­ben, in denen nach Peak Oil und Kli­ma­wan­del die heu­ti­gen glo­ba­len Ver­hält­nis­se auf den Kopf gestellt sind. Indi­ens Kon­zer­ne und Chi­nas Frie­dens­trup­pen sind mäch­tig, den Men­schen, die ver­su­chen, in den Slums und Urwäl­dern von Tag zu Tag ihr Aus­kom­men zu fin­den, bleibt nur die ohn­mäch­ti­ge Flucht in neue Reli­gio­nen und dre­cki­ge Tage­löh­ner­ar­beit. Anders gesagt: Im Zerr­spie­gel der Sci­ence Fic­tion packt Baci­g­alu­pi das glo­ba­le Elend der Gegen­wart in einen futu­ris­ti­schen Kon­text. Die bei­den Roma­ne blei­ben dabei span­nend genug, ihre jewei­li­gen Prot­ago­nis­tIn­nen lebens­nah genug, dass dabei gar kei­ne Zeit für Moral­pre­dig­ten bleibt.

Auch das letz­te Buch, Alas­ta­ir Rey­nolds On the Steel Bree­ze (2013) stellt die heu­ti­gen Ver­hält­nis­se auf den Kopf. Im 22. Jahr­hun­dert ist es die afri­ka­ni­sche Unter­neh­mer­fa­mi­lie Aki­nya, die den Antrieb erfin­det, der inter­pla­ne­ta­re Raum­fahrt mög­lich macht – zwi­schen Kunst und Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, AI, Ele­fan­ten, Ver­fol­gungs­jag­den und all­ge­gen­wär­ti­ger Über­wa­chung ist das die Geschich­te des Vor­gän­ger­ban­des Blue Remem­be­red Earth, der sehr zu emp­feh­len ist. Steel Bree­ze setzt die­se Geschich­te fort. Chi­ku Aki­nya ist eine Nach­kom­min der Unter­neh­mens­fa­mi­lie. Sie lässt sich zwei­mal Klo­nen; das Buch ver­folgt die nach und nach zusam­men­wach­sen­den Aben­teu­er die­ser drei Aki­n­yas, die sie in Mee­res­tie­fen und zu inter­stel­la­ren Gene­ra­tio­nen­raum­schif­fen brin­gen. Rey­nolds bleibt dabei rea­lis­tisch, was etwa das Raum­fahrt­de­sign angeht (der Phy­si­ker ist ihm hier anzu­mer­ken); aber auch der All­tag – sei es im Lis­sa­bon des 23. Jahr­hun­derts, sei es die sich aus­ein­an­der­ent­wi­ckeln­de Poli­tik der Raum­schiff­flot­te – bleibt glaub­haft und bunt. Wie schon in sei­nen in fer­ne­re Zukunft spie­len­den frü­he­ren Space Operas, die er hier gegen­warts­nä­her wer­den lässt, sind weib­li­che Haupt­fi­gu­ren, gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten und neue Geschlechts­iden­ti­tä­ten in Rey­nolds Büchern Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten. Aber nicht nur des­we­gen sind die­se bei­den Bän­de sehr empfehlenswert.

War­um blog­ge ich das? Weil gera­de die neue­ren Bücher viel­leicht auch ande­re inter­es­sie­ren könnten.

Digitalisierung als Baustein einer grünen Innovationspolitik

Stadtteilfest 2014 - 53

„Unterm Strich wür­de ich ger­ne in dem Baden-Würt­tem­berg leben, das Kret­sch­mann da gra­de ent­wirft.“, schrieb ich bei Twit­ter als Fazit zur „Hei­mat, High­tech, High­speed“-Regie­rungs­er­klä­rung, und das ist viel­leicht erklärungsbedürftig. 

Um ganz vor­ne anzu­fan­gen: eine Regie­rungs­er­klä­rung im baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tag funk­tio­niert so, dass der Minis­ter­prä­si­dent (oder eine ande­re Ver­tre­te­rIn der Lan­des­re­gie­rung) sich aus­führ­lich, grund­sätz­lich und über­grei­fend äußert, und – übli­cher­wei­se – die Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den dar­auf reagie­ren. Und zwar in „Debat­te mit frei­er Rede­zeit“, was ganz schön lang sein kann. In die­ser Regie­rungs­er­klä­rung ging es um „Digi­ta­li­sie­rung“, und um die (ins­be­son­de­re auch wirt­schaft­li­chen) Chan­cen von Din­gen, die mit so schö­nen Buz­zwords wie „Indusch­drie 4.0«, „digi­ta­ler Wan­del“, „Cloud“ oder „Cyber­se­cu­ri­ty“ umrei­ßen lassen. 

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Degrowth muss wachsen, oder: Selbstbegrenzung statt Verzicht?

Degrowth 2014, Leipzig

Heu­te ist in Leip­zig die Degrowth-Kon­fe­renz zu Ende gegan­gen. Da waren rich­tig vie­le Leu­te – so um die 3000. Was dann zu Beginn auch halb­wegs stolz ver­kün­det wur­de – in Bar­ce­lo­na 150 Leu­te, in Paris 450, jetzt noch­mal ein erheb­li­ches Wachs­tum. Super, wir sind vie­le! Degrowth wächst. Oder steckt da ein Wider­spruch drin?

Vier Tage lang ging es in Leip­zig vor allem um eines: um Wachs­tum. Dass Degrowth ein hip­pes The­ma ist, zeig­te sich nicht nur an der gro­ßen Teil­neh­men­den­zahl, son­dern auch an der Viel­falt. Die Kon­fe­renz war halb­wegs inter­na­tio­nal. Sie wur­de von den übli­chen Ver­bän­den aus der Umwelt- und der Eine-Welt-Bewe­gung eben­so unter­stützt wie von den Par­tei­stif­tun­gen der SPD, der Grü­nen und der LINKEN. Der Fokus schwank­te zwi­schen radi­ka­ler Kri­tik am Wachstum=Kapitalismus und Geschäfts­mo­del­len, zwi­schen Per­ma­kul­tur­bas­te­lei­en und sozi­al- und geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Theo­rie­schlach­ten. Es war genug für alle da. 

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Kurz: Teleobiologie

Vor eini­gen Tagen wur­de dar­über berich­tet, dass in unse­rer nächs­ten galak­ti­schen Nach­bar­schaft der Pla­net Glie­se 832c ent­deckt wor­den ist, der deut­lich grö­ßer als die Erde ist (fünf­fa­che Erd­mas­se), aber wohl so halb­wegs in einer bewohn­ba­ren Zone liegt, und eben auch ein Gesteins-(und-Wasser?)-Planet ist. Super-Erde, heißt das dann. 

Glie­se 832c liegt nur 16 Licht­jah­re von hier ent­fernt. Oder, anders gesagt, nur rund 150.000.000.000.000 km. Irgend­wo las ich, dass die der­zeit schnells­ten Raum­son­den für die­se 16 Licht­jah­re ein paar tau­send Jah­re brau­chen wür­den. Nähe ist also doch sehr rela­tiv – und selbst ein hypo­the­ti­sches Raum­fahr­zeug, das mit Licht­ge­schwin­dig­keit fliegt, wäre hin und zurück noch mehr als eine Gene­ra­ti­on unter­wegs (muss ja auch beschleu­nigt und abge­bremst werden). 

Inso­fern ist es extrem unwahr­schein­lich, dass ein Pla­net wie Glie­se 832c je von Men­schen betre­ten wer­den wird. Was eher im Raum des Wahr­schein­li­chen für die nächs­ten Jahr­zehn­te liegt, ist der Bau eines extrem hoch­auf­lö­sen­den Tele­skops, mit dem direk­te Auf­nah­men die­ses Pla­ne­ten gemacht wer­den könn­ten. Span­nend fin­de nun die Fra­ge, was pas­sie­ren wür­de, wenn über der­ar­ti­ge Auf­nah­men (oder ande­re Metho­den) ein ein­deu­ti­ger Nach­weis erbracht wür­de, dass es auf Glie­se 832c intel­li­gen­tes Leben gibt. Besu­che sind unmög­lich, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­gna­le brau­chen eben­falls 16 Jah­re pro Stre­cke, Unter­hal­tun­gen füh­ren geht also auch nicht so ein­fach. Was wären die kul­tu­rel­len Kon­se­quen­zen hier auf der Erde, wenn wir ziem­lich sicher nach­wei­sen könn­ten, dass es anders­wo im All intel­li­gen­tes Leben gibt?

Kurz: Zurück in die Zukunft?

Lost lettersAuf Tree­hug­ger lese ich, dass es einen gewis­sen Trend zurück zu „dum­men“ Mobil­te­le­fo­nen gibt, also den robus­ten Gerä­ten von z.B. Nokia, mit einer über meh­re­re Tage rei­chen­den Akku­lauf­zeit, ohne Spe­zi­al­funk­tio­nen, ohne Inter­net, aber eben mit Tele­fon und SMS. Und einem Wecker. Auch wenn ich eher mal bezwei­feln wür­de, ob das tat­säch­lich ein ver­läss­li­cher Trend ist, fin­de ich die­se Gegen­be­we­gung zur gesell­schaft­li­chen Durch­set­zung des Smart­phones durch­aus inter­es­sant und beobachtenswert.

Ein Grund dafür ist ein ganz per­sön­li­cher: Mein gutes altes Sam­sung mag nicht mehr so recht, d.h. zur Zeit bin ich selbst auf ein „Alt­ge­rät“ ange­wie­sen, um zumin­dest tele­fo­nisch und per SMS erreich­bar zu sein, wenn ich unter­wegs bin. Was beruf­lich unab­ding­bar ist. Das mit der ein­ge­schränk­ten Erreich­bar­keit wird sich dann ändern, wenn das Fair­pho­ne irgend­wann im Som­mer in sei­ner zwei­ten Inkar­na­ti­on auf den Markt kommt. Bis dahin fehlt mit das mobi­le Inter­net. Bzw. es fehlt mir nicht kom­plett, son­dern es fehlt mir dann, wenn ich nicht gera­de in einem ICE mit funk­tio­nie­ren­dem Tele­kom-Hot­spot sit­ze. Ent­spre­chend kann ich die Zug­fahrt­zeit nur noch sehr viel ein­ge­schränk­ter für alles nut­zen, was Netz vor­aus­setzt – den Abruf dienst­li­cher Mails eben­so wie der inten­si­ve Social-Media-Kon­sum (oder der Blick in mei­nen Online­ka­len­der). Nervt manch­mal, hat aber auch etwas entschleunigendes. 

Dar­an hängt dann die gro­ße Fra­ge, ob die Epo­che der all­ge­gen­wär­ti­gen Ver­netz­heit und der lücken­lo­sen Kom­mu­ni­ka­ti­on im Rück­blick in zwan­zig, fünf­zig oder hun­dert Jah­ren als Start­punkt einer neu­en Nor­ma­li­tät oder als eine für spä­te­re Gene­ra­tio­nen schwer ver­ständ­li­che Pha­se all­ge­mei­ner Auf­ge­regt­heit gedeu­tet wer­den wird. Geschich­te und tech­no­lo­gi­sche Moden fol­gen ja nicht unbe­dingt linea­ren Kur­ven, son­dern pen­deln, bewe­gen sich auf Spi­ra­len oder S‑Kurven. Inso­fern führt der oben ver­link­te Arti­kel zumin­dest vor Augen, dass es auch anders sein könn­te, dass der nächs­te Schritt nach dem Smart­phone eben nicht das in Klei­dung (Goog­le Glass z.B.) oder gar ins Gehirn inte­grier­te all­ge­gen­wär­ti­ge Inter­face zum glo­ba­len Netz­werk sein muss, son­dern dass auch ein Rück­schlag des Pen­dels eine Mög­lich­keit sein kann, hin zu einer Deu­tung von stän­di­ger kom­mu­ni­ka­ti­ver Nähe z.B. als ein Pri­vi­leg, das nur ganz weni­gen, aus­ge­wähl­ten Per­so­nen gewährt wird, statt das Ein­tau­chen in den andau­ern­den qua­si­öf­fent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strom als der­nier cri zu zelebrieren.