Kurz: M, F, X – Geschlechterscrabble

Vor ein paar Tagen schrieb Heri­bert Prantl in der Süd­deut­schen über ein Gesetz aus dem Mai 2013, das es bei inter­se­xu­ell gebo­re­nen Kin­dern erlaubt, auf eine Geschlechts­zu­wei­sung im Per­so­nal­aus­weis etc. zu ver­zich­ten. Mit Ver­weis auf die Zeit­schrift für das gesam­te Fami­li­en­recht deu­tet Prantl die­se Neu­re­ge­lung als ers­ten Schritt hin zu einer drit­ten, recht­lich aner­kann­ten Geschlechts­be­stim­mung: neben „männ­lich“ und „weib­lich“ eben auch „unbe­stimmt“ – und fragt sich, was für Aus­wir­kun­gen das dann auf vie­le exis­tie­ren­de, gezielt „Män­ner“ oder „Frau­en“ benen­nen­de gesetz­li­che Rege­lun­gen hat.

Ich fin­de das aus ver­schie­de­nen Grün­den span­nend. So zieht der Gesetz­ge­ber hier zunächst ein­mal den bio­so­zia­len Rea­li­tä­ten nach, wenn ich etwa an die sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Debat­te um ein Drit­tes Geschlecht den­ke, ange­legt etwa in der Kri­tik der Zwei­ge­schlecht­lich­keit. Da wird dann aller­dings eher der Ver­zicht auf fes­te Geschlechts­ka­te­go­rien gefor­dert als eine drit­tes Geschlech­ter­ka­te­go­rie. Aber auch anthro­po­lo­gi­sche Ver­wei­se auf Gesell­schaf­ten, die ein drit­tes Geschlecht ken­nen, sind häu­fig, bei­spiels­wei­se die Hijra Süd­asi­ens. Und natür­lich wird in der Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur wie­der­holt mit zukünf­ti­gen Gesell­schaf­ten expe­ri­men­tiert, in denen es drei oder mehr Geschlechts­iden­ti­tä­ten gibt (etwa in Greg Egans Roman Distress von 1995). 

Rich­tig inter­es­sant wür­de es aller­dings, wenn mit der Ein­füh­rung einer drit­ten, „unbe­stimm­ten“ Geschlechts­ka­te­go­rie im deut­schen Per­so­nen­stands­recht eine Ent­kopp­lung zwi­schen Bio­lo­gie und sozia­lem Geschlecht ver­bun­den wäre. Eine unbe­stimm­te Geschlechts­ka­te­go­rie für inter­se­xu­el­le Men­schen – also Men­schen mit unein­deu­ti­gen oder dop­pel­ten Geschlechts­merk­ma­len – ein­zu­füh­ren, ist sicher­lich ein sinn­vol­ler Schritt. Aber war­um nicht gleich noch einen Schritt wei­ter­ge­hen, und allen, die kei­ne Lust dazu haben, sich dem einen oder dem ande­ren bio­so­zia­len Geschlecht zuord­nen zu las­sen, die­se Wahl­mög­lich­keit que(e)r zur Zwei­ge­schlecht­lich­keit eben­falls eröffnen?

„Heute bringst du aber mal den Spam runter, Schatz!“

Happy Kreuzberg

Gro­ße Rät­sel kön­nen sich in all­täg­li­chen Klei­nig­kei­ten ver­ber­gen. Das ist einer der Grün­de, war­um mich Sozio­lo­gie und ver­wand­te Wis­sen­schaf­ten schon immer fas­zi­niert haben: War­um machen ande­re das anders? Das ist doch komisch!

Ein Bei­spiel einer sol­chen Pra­xis, die das eige­ne Ver­hal­ten in Fra­ge stellt, sind E‑Mail-Accounts. Für mich ist ein E‑Mail-Account etwas per­sön­li­ches – einer Per­son zuge­ord­net, mög­li­cher­wei­se auch nur einem bestimm­ten Rol­len­aspekt einer Per­son (beruf­lich, pri­vat, Ehren­amt …). Genau­so, wie das eben auch bei Smart­phones, Face­book- und Goog­le-Accounts ist. Die ein­zi­ge Aus­nah­me, die mir ad hoc ein­fällt, sind info@-Accounts von Orga­ni­sa­tio­nen; also Sam­mel­post­fä­cher für eine bestimm­te Art von Anfragen. 

Nun gibt es aber immer wie­der Men­schen, die das anders sehen. 

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Kurz: Was mündige BürgerInnen wissen – und was nicht

S21-Demo in Freiburg 29

Vor ein paar Tagen bin ich über einen Guar­di­an-Bericht zu einer Umfra­ge* dar­über gestol­pert, was die (in die­sem Fall bri­ti­sche) Öffent­lich­keit an sozia­len Pro­blem­la­gen gra­vie­rend falsch ein­schätzt. Bei­spiels­wei­se wird die Zahl der Teen­ager­schwan­ger­schaf­ten um den Fak­tor 25 über­schätzt, die sin­ken­de Kri­mi­na­li­täts­ra­te fälsch­lich als stei­gend bewer­tet und der miss­bräuch­li­che Bezug von Sozi­al­leis­tun­gen sogar um den Fak­tor 34 über­schätzt (Ergeb­nis der Umfra­ge ist die Annah­me, dass ein Vier­tel der Sozi­al­leis­tun­gen miss­bräuch­lich aus­ge­zahlt wird, tat­säch­lich sind es wohl 0,7 Pro­zent). Und so geht es mun­ter wei­ter – Details sind auf der Sei­te des Umfra­ge­insti­tuts nach­les­bar.

Ob das in Deutsch­land genau so aus­se­hen wür­de, weiß ich nicht – ver­mut­lich spie­len der Bil­dungs­grad der Bevöl­ke­rung eben­so wie die Rele­vanz des Bou­le­vard-Jour­na­lis­mus eine wich­ti­ge Rol­le dafür, wie ver­zerrt das öffent­li­che Bild der sozia­len Wirk­lich­keit ist. Ten­den­zi­ell ver­mu­te ich aber, dass hier­zu­lan­de ähn­li­che Fehl­ein­schät­zun­gen nach­zu­wei­sen wären – der berühm­te „Stamm­tisch“ exis­tiert. Aber es ist nicht nur der Stamm­tisch (zumin­dest fehlt auf der Umfra­ge­sei­te eine Auf­schlüse­lung der Abwei­chun­gen nach Klas­se, Bil­dungs­grad oder ähn­li­chen Varia­blen), son­dern eben doch die öffent­li­che Mei­nung, die dann jour­na­lis­tisch wie­der­ge­käut und wei­ter­ver­brei­tet wird. Res­sen­ti­ments und Vor­ur­tei­le fin­den sich eben auch in „bil­dungs­bür­ger­li­chen“ Talk­shows. Und das lässt mich eini­ger­ma­ßen rat­los zurück.**

Denn, wenn dem so ist, dass ein gro­ßer Teil der öffent­li­chen Rele­vanz­set­zung an den tat­säch­li­chen Fak­ten vor­bei­geht, was ist dann davon zu hal­ten? Wahl­recht hängt nicht am Infor­miert­sein, und das ist aus demo­kra­ti­scher Sicht zunächst ein­mal auch gut so. Aber sowohl Wahl­kampf­schwer­punk­te als auch Wahl­er­geb­nis­se bau­en natür­lich auf der­ar­ti­gen ver­fäl­schen Pro­blem­wahr­neh­mun­gen auf – absicht­lich mani­pu­la­tiv, oder des­we­gen, weil eben auch in Par­la­men­ten und Par­tei­en Fehl­ein­schät­zun­gen der rea­len sozia­len Pro­blem­la­gen exis­tie­ren. Poli­tisch gewich­tig ist, was wich­tig scheint. Abge­ord­ne­te, Medi­en und Bür­ge­rIn­nen tra­gen dann oft gemein­sam dazu bei, gefühl­te Pro­blem­la­gen so zu ver­fes­ti­gen, dass der öffent­li­che Dis­kurs plötz­lich das Han­deln in einem Feld als alter­na­tiv­los erschei­nen lässt. Und schon scheint das Boot voll zu sein. 

* Ipsos MORI hat 1015 Per­so­nen zwi­schen 16 und 75 Jah­ren online befragt und die Ergeb­nis­se so gewich­tet, dass sie zum sozio­de­mo­gra­phi­schen Pro­fil der Gesamt­be­völ­ke­rung pas­sen. Nicht wirk­lich eine Reprä­sen­ta­tiv­be­fra­gung, aber auch nicht ganz vom Tisch zu wischen …

** Eige­ne Fehl­wahr­neh­mun­gen natür­lich nicht aus­ge­schlos­sen – was die Sache nicht bes­ser macht

Die Reproduktion der Geschlechterdifferenz im Lego-Club

Mei­ne Toch­ter ist der­zeit sehr an Lego inter­es­siert. Des­we­gen ärgert es mich ziem­lich, dass Lego seit eini­ger Zeit ange­fan­gen hat, „Mäd­chen­rei­hen“ auf­zu­le­gen. Das Pro­blem sind nicht die Schlös­ser, Schön­heits­sa­lons oder rosa­far­be­ne Lego­stei­ne, son­dern die Tat­sa­che, dass ein weit­ge­hend geschlechts­neu­tra­les Spiel­zeug jetzt ent­lang des Rosa-Oliv­grün-Gra­bens ver­mar­ke­tet wird (und nach und nach immer stär­ker ent­spre­chend aus­ge­formt wird). 

Z. baut aus Lego-Stei­nen Häu­ser, Raum­schif­fe, Ali­ens, Schif­fe und Fahr­zeu­ge. Vor eini­gen Tagen haben wir ihren 7,5ten Geburts­tag gefei­ert (7,5, weil der eigent­li­che Geburts­tag zwi­schen Weih­nach­ten und Neu­jahr liegt, und es sich da so schlecht fei­ern lässt). Auf Z.s Wunsch­zet­tel stand auch Lego. Das habe ich diver­sen Eltern gesagt, ich habe auch gesagt, dass Z. an Pira­ten und Raum­schif­fen inter­es­siert sei. 

Bekom­men hat sie eine Kut­sche und ein rosa­far­be­nes Cabrio aus der Mäd­chen­se­rie (und ein klei­nes Raum­schiff von den Groß­el­tern). Mit allen drei Geschen­ken war sie durch­aus zufrie­den. Kut­sche und Cabrio wur­den bereit­wil­lig mit den vor­han­de­nen Bau­stei­nen (unter ande­rem ursprüng­lich mal mir gehört haben­den Raum­schiff­tei­len) kom­bi­niert, die Samm­lung der Lego­fi­gu­ren um Köni­gin (aus der Kut­sche) und Cabrio­fah­re­rin ergänzt. Lässt sich ja zum Glück wei­ter alles zusammenstecken.

Von einem ande­ren Hort­kind hat Z. davon gehört, dass es einen „Lego-Club“ gibt. Weil Lego für sie gera­de wich­tig ist, will Z. da unbe­dingt dabei sein. Letzt­lich ist das ein Kun­den­bin­dungs­sche­ma der Fir­ma Lego – Kin­der erhal­ten mehr­mals im Jahr kos­ten­los eine Zeit­schrift, in der für neue Lego-Model­le gewor­den wird und eige­ne Bau­ten von Kin­dern prä­sen­tiert werden. 

Heu­te haben wir – oben abge­bil­det – eine Anmel­de­kar­te dafür gefun­den. Die mich ein biss­chen rat­los macht, denn das Heft die­ses „Lego-Clubs“ erscheint in drei Fas­sung. „Juni­or“ für Kin­der bis sechs (ver­mut­lich geschlechts­neu­tral gedacht), „Maxi“ für Kin­der ab 7 Jah­ren – und „Mäd­chen“. Auf der Anmel­de­kar­te lässt sich nicht ankreu­zen, wel­ches Heft zuge­schickt wer­den soll, dafür gibt es aber das Feld „Jun­ge“ / „Mäd­chen“ und das Geburts­da­tum. Ich ver­mu­te, dass ab einem Alter von sie­ben Jah­ren dann von Lego fein säu­ber­lich dif­fe­ren­ziert wird – Jungs krie­gen das nicht als geschlechts­spe­zi­fisch aus­ge­wie­se­ne „Lego-Club Maxi-Heft“ (Män­ner haben ja bekannt­lich kein Geschlecht), Mäd­chen selbst­ver­ständ­lich das „Mädchen“-Heft.

Z. wür­de, nach­dem wir uns beim Abend­essen dar­über unter­hal­ten haben, letzt­lich ger­ne bei­de Hef­te haben. Mal schau­en, viel­leicht müs­sen wir ein biss­chen trick­sen – mit zwei Wohn­adres­sen und etwas Fle­xi­bi­li­tät beim Vor­na­men lässt sich das mög­li­cher­wei­se arran­gie­ren. Toll fin­de ich die Not­wen­dig­keit, eine männ­li­che Iden­ti­tät vor­zu­täu­schen, um den Nor­mal­ka­ta­log zu bekom­men, jedoch defi­ni­tiv nicht. 

War­um blog­ge ich das? Weil mich ärgert, wie aus Plas­tik­bau­stei­nen und Figu­ren heu­te schnell ein Antrieb für die Auf­recht­erhal­tung und Stär­kung von Geschlech­ter­dif­fe­renz wird. „Sie erhal­ten auto­ma­tisch die pas­sen­de Aus­ga­be.“ Nein, danke!

P.S.: Ste­phan Cle­mens hat mich noch auf die­ses Video hin­ge­wie­sen, in dem die Geschlechts­se­gre­ga­ti­on in der Lego-Welt in den letz­ten Jahr­zehn­ten sehr schön aus­ein­an­der­ge­nom­men wird (eng­lisch, dt. Unter­ti­tel einschaltbar).

Vertraute Technik und die Verschlüsselung

Black key

Ein Strang in der – durch die von Edward Snow­den auf­ge­deck­te per­ma­nen­te Über­wa­chung der Netz­kom­mu­ni­ka­ti­on durch die NSA und ande­re Geheim­diens­te aus­ge­lös­ten – Debat­te dreht sich dar­um, war­um ver­füg­ba­re Kryp­to­gra­phie-Tools nicht ein­ge­setzt werden. 

map hat dazu eini­ges erhel­len­des geschrie­ben, unter dem Titel „Wir haben ver­sagt“. Kern­the­se: Kryp­to­tech­no­lo­gie – also etwa das Ver­schlüs­seln von eMails – wird des­we­gen nicht ein­ge­setzt, weil es kei­ne ein­fa­chen Ober­flä­chen und Tools dafür gibt. Gepaart mit der Arro­ganz der tech­no­lo­gi­schen Eli­te. map ver­gleicht die­se – uns? – mit der „Outer Par­ty“ in Orwells 1984:

Wir machen doch immer so ger­ne Neun­zehn­vier­und­acht­zig­ver­glei­che: Wir sind die Outer Par­ty. Und die Pro­les gehen uns am Arsch vor­bei. Die­se DAUs, die iPho­nes und Face­book benut­zen. Die ihre Daten an US-ame­ri­ka­ni­sche Ser­ver schi­cken. Die Gmail oder GMX benut­zen, statt ihre Mail selbst zu hos­ten. Unse­ren Ekel ver­ber­gen wir hin­ter zyni­schen Rat­schlä­gen. Mit TOR zu sur­fen ist objek­tiv von eine „funk­tio­nal kaput­ten“ Dros­se­lung nicht zu unter­schei­den. Wir haben kein Gefühl mehr für Men­schen die mit die­sen grau­en Kis­ten nur ein biss­chen mit ihren Freun­den reden und rum­sur­fen wol­len, statt ihre kom­plet­te Frei­zeit dar­in zu ver­sen­ken. Nicht mit GNU/Linux hand­ver­schlüs­selt? Ätschbätschselberschuld. 

„Ver­trau­te Tech­nik und die Ver­schlüs­se­lung“ weiterlesen