Anlässlich des Todes von Hermann Schwengel

Das Insti­tut für Sozio­lo­gie der Uni­ver­si­tät Frei­burg woll­te die­sen Frei­tag sein fünf­zig­jäh­ri­ges Bestehen fei­ern. Ob es dazu kommt, steht in den Ster­nen.* Einen wer­de ich dort jeden­falls nicht tref­fen, und das macht mich sehr trau­rig. Heu­te Abend erreich­te mich die Nach­richt, dass Her­mann Schwen­gel kurz nach Ein­tritt in den Ruhe­stand, nach kur­zer, schwe­rer Krank­heit, gestor­ben ist.

Das Frei­bur­ger Insti­tut für Sozio­lo­gie ist ein sehr klei­nes Insti­tut. Als ich dort stu­diert habe, in der zwei­ten Hälf­te der 1990er Jah­re, gab es drei Pro­fes­su­ren, mit rotie­ren­der Insti­tuts­ge­schäfts­füh­rung. Ent­spre­chend ging es dort recht fami­li­är zu. (Und, wenn dem für Frei­tag ange­kün­dig­ten Fest­vor­trag zu glau­ben ist, auch pro­vin­zi­ell – gleich­zei­tig gab es immer eine Ach­se Ber­lin – Frei­burg. Aber das ist eine ande­re Geschichte.)

Zu der Zeit, als ich stu­diert habe, war das Stu­di­um so orga­ni­siert, dass die gro­ßen Ein­füh­rungs­vor­le­sun­gen von den Pro­fes­so­ren (anfangs waren es nur Män­ner) gehal­ten wur­den. Jede und jeder hat­te also min­des­tens ein­mal mit Her­mann Schwen­gel zu tun. Im zwei­ten Semes­ter, bei mir war es 1996, der Titel der Vor­le­sung war „Euro­päi­sche Sozi­al­struk­tur und glo­ba­ler Wan­del“. Aber eigent­lich ging es dar­um, dass Schwen­gel sei­ne Gegen­warts­dia­gno­se aus­brei­te­te. Das war ziem­lich kom­pli­ziert, und er nahm dabei wenig Rück­sicht auf didak­ti­sche Fines­sen. Inso­fern hat­te die Vor­le­sung einen gewis­sen Ruf unter uns Studierenden. 

Gelernt habe ich trotz­dem eini­ges über die lan­gen Wel­len der Glo­ba­li­sie­rung, über Ungleich­zei­tig­kei­ten von lang­sa­mer und schnel­ler Glo­ba­li­sie­rung in unter­schied­li­chen Hand­lungs­fel­dern (Ratio­na­li­sie­rung und Indi­vi­dua­li­sie­rung, bei­spiels­wei­se), und auch über die nicht ganz ein­fa­che Kunst der sozio­lo­gi­schen Zeit­dia­gno­se. Spä­ter habe ich dann auch noch ein ver­tie­fen­des Semi­nar bei Schwen­gel besucht, auch da ging es um Glo­ba­li­sie­rungs­phä­no­me­ne; ich ver­bin­de damit auch die Erin­ne­rung an eine gro­ße Neu­gier­de dar­über, was in der Welt alles geschieht. 

Ich habe viel von Schwen­gel gelernt. Das betrifft nicht nur die Inhal­te der Sozio­lo­gie, son­dern auch die „Hin­ter­büh­ne“ des aka­de­mi­schen Betriebs. Ich war eine Zeit lang Hiwi und Tutor bei ihm, nach dem gro­ßen Drei­län­der-Sozio­lo­gie-Kon­gress, den er nach Frei­burg hol­te. Auf die­ser Hin­ter­büh­ne, im Büro mit dem gro­ßen Sofa, auf dem sich meist Papie­re sta­pel­ten (eine Ord­nung, die kein Hiwi bezwin­gen konn­te), habe ich ihn als groß­her­zi­gen und umtrie­bi­gen Sozi­al­de­mo­kra­ten ken­nen­ge­lernt. (Auch das im übri­gen an einer im Kern immer noch tief kon­ser­va­ti­ven Uni­ver­si­tät fast schon eine Pro­vo­ka­ti­on). Wie Sozio­lo­gie gemacht wird, aber eben­so, wie die ver­schie­de­nen Ehren­äm­ter (etwa die Grund­wer­te­kom­mis­si­on der SPD), Netz­wer­ke und das Hoch­schul­funk­tio­nen kaum Zeit und Raum dafür las­sen, ordent­lich zu for­schen. Und wie trotz­dem Neu­es gedacht und zu Papier gebracht wird. 

Was ich ganz beson­ders an Schwen­gel geschätzt habe, war sein Anspruch, sei­ne Sozio­lo­gie auch in die Tat umzu­set­zen. Poli­tisch betrifft das die Unter­schei­dung zwi­schen euro­päi­schen und ame­ri­ka­ni­schen Ent­wick­lungs­pfa­den, die nicht nur Dia­gno­se­tool war, son­dern etwas, aus dem er Kon­se­quen­zen gezo­gen hat. Im „Klei­nen“ vor Ort war es lokal­po­li­ti­sche Ein­mi­schung, die Ein­rich­tung der Glo­bal Stu­dies, aber auch sein Aus­spruch „Wenn wir das nicht kön­nen, wer soll es dann machen“, als es etwa um Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men am Insti­tut ging, der mir in Erin­ne­rung geblie­ben ist. 

Auch wenn ich in den letz­ten Jah­ren kei­nen Kon­takt mehr zu ihm hat­te, kann ich nicht anders, als mir Her­mann Schwen­gel als einen Men­schen vor­zu­stel­len, der für den Ruhe­stand noch vol­ler Plä­ne war. Die­se wird er jetzt nicht mehr ver­wirk­li­chen kön­nen. Und auch das macht mich traurig.

* Die Fei­er zum 50-jäh­ri­gen Bestehen fand ges­tern statt; Prof. Ulrich Bröck­ling und das Insti­tut haben – mei­ne ich – damit die rich­ti­ge Ent­schei­dung getrof­fen und in der Gestal­tung des Fest­akts eine respekt­vol­le Mischung aus Geden­ken und Fei­er gefun­den. (13.12.2014)

Weltentraum

Zur Zeit sto­ße ich stän­dig auf den wun­der­schö­nen klei­nen Film von Erik Wern­quist, Wan­de­rers.

Wan­de­rers – a short film by Erik Wern­quist from Erik Wern­quist on Vimeo.

Die Pla­ne­ten sind wort­wört­lich die Wan­de­rer, aber in die­sem Film sind es auch wir Men­schen, die zwer­gen­klein vor den sie­ben Wun­dern des Son­nen­sys­tems ste­hen, die hier com­pu­ter­tech­nisch und den­noch ori­gi­nal­ge­treu nach­ge­bil­det wurden.

„Welt­en­traum“ weiterlesen

Kurz: Degrowth-Erwartungen

20 Minu­ten vor Leip­zig ist die Degrowth-Kon­fe­renz fast erreicht. Was ich da will? Neben All­ge­mein­plät­zen wie „span­nen­des The­ma“ und „Net­wor­king“ fah­re ich hin, um …

… zusam­men mit Jen­ny Lay einen Vor­trag zu „Swap, share, expe­ri­ence“ zu hal­ten, bei dem wir Pra­xis­theo­rie nut­zen, um das trans­for­ma­ti­ve Poten­ti­al von urba­nen Gär­ten und Umsonst­lä­den zu unter­su­chen (Don­ners­tag nachmittag);

… über die Fra­ge zu dis­ku­tie­ren, wie IT und die Ent­kopp­lung von Wachs­tum und Res­sour­cen­ver­brauch zusam­men­hän­gen, und wel­che Rol­le dabei Com­mo­ning spie­len kann (Don­ners­tag vormittag);

… mehr dar­über zu ler­nen, wie Tech­nik und Degrowth zusammenpassen;

… und mir eine Mei­nung dar­über zu bil­den, ob Post­wachs­tum über­haupt eine sinn­vol­le Stra­te­gie ist, bzw. wie Trans­for­ma­ti­ons­sze­na­ri­en und Über­gän­ge aus­se­hen können.

Und ihr so?

In eigener Sache: Medienwandel kompakt

Medienwandel kompaktPrint lebt! Die­se Woche habe ich mein Beleg­ex­em­plar von Medi­en­wan­del kom­pakt 2011 – 2013 bekom­men, einem von Chris­toph Kap­pes, Jan Kro­ne und Leo­nard Novy her­aus­ge­ge­be­nen Sam­mel­band, in dem ein paar Dut­zend Online­tex­te, vor­nehm­lich Blog­tex­te, zu Medi­en­po­li­tik, Jour­na­lis­mus und ähn­li­chen The­men ver­sam­melt sind. Eini­ge davon lie­fen auch schon bei Car­ta. Erschie­nen ist das gan­ze bei Sprin­ger VS, Kos­ten­punkt rund 40 Euro. 

Wenn’s dazu bei­trägt, dass wich­ti­ge Netz­tex­te auch off­line und län­ger­fris­tig im Wis­sen­schafts­be­trieb zugäng­lich sind, dürf­te so ein Sam­mel­band eine gute Sache sein. Aktu­ell sehe ich einen Bedarf, aber mit der zuneh­men­den Online-Affi­ni­tät von Wis­sen­schaft­le­rIn­nen auch in den Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten dürf­ten Aggre­ga­to­ren wie Car­ta in Zukunft doch eine wich­ti­ge­re Rol­le spie­len. Vgl. auch die Debat­te zu den Zitier­häu­fig­kei­ten von Open-Access-Publikationen.

Von mir ist ein Text zu para­so­zia­len Inter­ak­tio­nen und Twitter/Facebook ent­hal­ten, der auch in die­sem Blog bzw. bei Car­ta zu fin­den ist. Was mir am Buch­kon­zept nicht so gut gefällt, ist die Idee, die Links im Text zwar optisch sicht­bar zu machen, aber nicht in Form von Lite­ra­tur­an­ga­ben oder Fuß­no­ten hin­zu­zu­fü­gen, son­dern statt­des­sen einen gro­ßen QR-Code am Tex­ten­de hin­zu­bal­lern (der bei mei­nem Text nicht funk­tio­niert?!). Aber gut, ich füh­le mich geehrt, in der Samm­lung ver­tre­ten zu sein.

Wie weit die Her­aus­ge­ber es geschafft haben, die wich­tigs­ten medi­en­po­li­ti­schen Debat­ten der letz­ten drei Jah­re abzu­bil­den, kann ich (noch) nicht beur­tei­len, da ich erst ein biss­chen im Buch rum­ge­blät­tert habe. Die meis­ten Autoren­na­men – ja, fast nur Män­ner – sind einem in die­sem oder jenen netz- oder medi­en­po­li­ti­schen Kon­text schon mal begeg­net. The­men wie Poli­tik 2.0, Post-Pri­va­cy, „Recht auf Ver­ges­sen­wer­den“, Big Data und Daten­jour­na­lis­mus, Leis­tungs­schutz­recht, „Netz­ge­mein­de“, Jugend­me­di­en­schutz oder auch das Ver­hält­nis von Jour­na­lis­mus zu Ver­la­gen bzw. Inter­net­platt­for­men tau­chen beim Durch­blät­tern des Inhalts­ver­zeich­nis­ses auf – inso­fern passt das, was hier auf über 400 Sei­ten ste­hen, ganz gut zu den Debat­ten, die mensch so in Erin­ne­rung hat. 

P.S.: Chris­toph Kap­pes erläu­tert hier, wie der Preis zustan­de kommt, war­um Papier im Wis­sen­schafts­dis­kurs wei­ter­hin rele­vant ist und spricht auch an, dass in der Spie­ge­lung des Netz­dis­kur­ses die selbst gesetz­te Frau­en­quo­te von 30 Pro­zent deut­lich ver­fehlt wurde.

Kap­pes, Chris­toph / Kro­ne, Jan / Novy, Leo­nard (Hrsg.) (2014): Medi­en­wan­del kom­pakt 2011 – 2013. Netz­ver­öf­fent­li­chun­gen zu Medi­en­öko­no­mie, Medi­en­po­li­tik & Jour­na­lis­mus. Wies­ba­den: Sprin­ger VS. Ver­lags­sei­te.

Zivilgesellschaft, transformative Wissenschaft, und was die Netzgemeinde damit zu tun hat

WrasenbildungDas Bild, dass ich von der re:publica 14 habe, ist sicher­lich ver­zerrt, neh­me ich sie doch nur durch den Fil­ter der sozia­len Medi­en wahr, in denen Men­schen aus mei­nem wei­te­ren Umfeld das eine oder ande­re dar­über schrei­ben. Aus die­ser ver­zerr­ten, ver­mit­tel­ten Wahr­neh­mung her­aus gewin­ne ich den Ein­druck, dass doch vie­les ähn­lich ist wie 2013, und dass mei­ne Ent­schei­dung, die­ses Jahr nicht zum „Klas­sen­tref­fen des Inter­nets“ – zum Tref­fen der digi­ta­len Klas­se? – zu fah­ren, daher so falsch nicht war.

Ich war den­noch heu­te in Ber­lin, aller­dings ganz woan­ders, näm­lich bei einer Tagung der For­schungs­Wen­de, bei der es um mög­li­che neue Alli­an­zen zwi­schen Wis­sen­schaft, Poli­tik und Zivil­ge­sell­schaft ging. Ich will jetzt gar kei­nen Tagungs­be­richt ablie­fern, aber viel­leicht sind ein paar Wor­te zum Kon­text notwendig: 

„Zivil­ge­sell­schaft, trans­for­ma­ti­ve Wis­sen­schaft, und was die Netz­ge­mein­de damit zu tun hat“ weiterlesen