Zwischen Tür und Angel: Verwunderung darüber, dass der mit deutlicher Mehrheit gefasste Beschluss des Freiburger Gemeinderats, in Grundschulen und Kitas ab dem nächsten Schuljahr nur noch ein Menü anzubieten – das dann sinnvollerweise vegetarisch ist – bundesweit hohe Wellen schlägt. Der Landeslandwirtschaftsminister (CDU) grummelt, dass Fleisch zu einer ausgewogenen Ernährung dazugehöre, die Blätter und Rundfunkanstalten Schlagzeilen etwas von „Fleischverbot“ – und letztlich geht’s in der Stadt doch vor allem um Effizienz und den Versuch, die steigenden Kosten fürs Schulessen nicht in vollem Umfang an Eltern weiterzugeben. Und nebenbei ein bisschen um den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit. Hier ist’s jedenfalls längst nicht das Aufregerthema, dass es außerhalb der Grenzen der Stadt zu sein scheint. Oder: Freiburg, grün-linke Oase.
Klimapolitiken
Trotz der Extremwetterereignisse der letzten Jahre, trotz Dürre und Hitzesommer – und trotz der täglich alarmierender werdenden Prognosen – war Klimapolitik bisher vor allem Kampf darum, Klimaschutz als politisches issue diskursiv zu verankern, entsprechende Treibhausgasziele zu vereinbaren und – follow the science - zumindest in der Rhetorik weitgehend konsensuale Maßnahmen aufzusetzen. Die politische Trennlinie mag als so etwas beschrieben werden wie „Brauchen wir Klimaschutz – ja oder nein?“
Inzwischen nehme ich Anzeichen dafür war, dass Klimapolitik sich pluralisiert. Dass die Klimakatastrophe kommt, ergibt sich schlicht durch ihre zunehmende materielle Faktizität – dass sich etwas ändert, ist nicht nur zu messen, sondern auch zu sehen, mit Händen zu greifen. Die Streitlinie verläuft damit zunehmend nicht mehr entlang des ob, sondern entlang unterschiedlicher Schuldzuweisungen und Lösungsansätze. Einige davon mögen vorgeschoben sein, um weiter Normalität zu simulieren und bloß nichts ändern zu müssen, wenn etwa die FDP allen Effizienzberechnungen zum Trotz e‑Fuel propagiert.
Trotzdem lässt sich heute schon eine Ausdifferenzierung der politischen Antworten auf den Klimawandel beobachten. Dabei spielen selbstverständlich tradierte Positionierungen eine große Rolle: Vertrauen in den Markt – oder der Ruf nach Systemwandel; ein größtmögliches Maß individueller Freiheit für die, die es sich leisten können – oder der Fokus auf Umverteilung und Klimagerechtigkeit; großtechnische Lösungen oder Dezentralität; und ja, auch strukturelle Regulierung oder, auf der anderen Seite, „Eigenverantwortung“ und Verhaltenstipps. All das zeichnet sich heute schon ab in den propagierten Antworten auf den bisher stetigen Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre.
(Aus grüner, parteipolitischer Sicht ist diese Ausdifferenzierung ein Problem: je stärker Klimaschutz und multiple Lösungen für die Klimakrise als Vorschläge unterschiedlicher Parteien diskutiert werden, desto stärker entgleitet das „Eigentum“ am Thema. Und desto begründenswerter wird es, welche Lösung gewählt wird – es gibt keine „naturgegebene“, einzig richtige Lösung, sondern diese findet sich erst im politischen Streit. Heute lässt sich das Ansatzweise schon bei den Fragen Atomkraft und Gentechnik zeigen. Und mit Blick auf die materielle Faktizität der Klimakrise ist diese Ausdifferenzierung ambivalent: es ist gut, wenn Einigkeit über das Problem besteht; wenn jedoch Lösungen politisch ausgehandelt werden müssen, kostet das Zeit und senkt die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeiner dieser Wege beschritten wird.)
In die Zukunft fortgeschrieben, halte ich es für plausibel, dass dieser Streit um richtige Antworten noch deutlich schärfer werden wird.
Bisher – und diese Ausdifferenzierung ist nicht neu, sondern reicht bis in die 1980er und 1990er zurück – handelt es sich abzüglich rein rhetorischer Zugeständnisse im Kern oft noch um einen Streit innerhalb einer vage zu umreißenden Klimabewegung, mit einer eher realpolitisch orientierten ökologischen Modernisierung auf der einen Seite und system change statt climate change, also der Nutzbarmachung des Klimathemas für größere gesellschaftliche Wandelutopien, auf der anderen Seite. Das ist wie gesagt nicht neu, sondern eine seit Jahrzehnten eingeübte, mit Fridays for Future noch einmal neu motivierte Arbeitsteilung bei relativer Einigkeit über den politischen Kern.
Die Debatten um Extinction Rebellion vor einigen Jahren oder jetzt um den Klebe-Aktivismus der Letzten Generation stehen damit in einer Traditionslinie der Auseinandersetzung um Realismus und Radikalität in der ökologischen Bewegung.
(Die, aber das wäre ein anderes Thema, erstens nie deckungsgleich, wohl aber überlappend mit parteigrünen Debatten war, und die zweitens möglicherweise gerade im Brennglas der Bewertung der Coronapolitik (und jetzt der friedensbewegten Ignoranz angesichts des russischen Angriffskriegs) auseinander läuft: ist das noch eine geteilte Lebenswelt, wenn Maskentragen und Impfen plötzlich heiß umstritten sind?)
Neu ist heute, dass der Streit um die klimapolitisch richtige Lösung zunehmend kein Streit innerhalb einer lose umrissenen Bewegung und kein Innerwissenschaftsdiskurs ist, sondern in gesellschaftlicher Breite geführt wird, katalysiert in Parteipositionen.
Aus einer Linie der Klimawandelleugnung und der Dieselpolitik könnte so bei der AfD (oder bei entsprechend rechts positionierten Teilen von CDU und FDP) eine hart klimanationalistische und klimarassistische Politik entstehen: wir zuerst, der globale Süden darf Kompensation liefern, vielleicht auch „sauberen“ Strom und grünen Wasserstoff, ansonsten vor allem: Grenzen dicht und wegsehen!
Großtechnische Lösungen – Atomkraft, Kernfusion, Geo-Engineering – passen, als „Innovation“ und „Technologieoffenheit“ gerahmt, gut ins Portfolio der FDP und marktliberaler Strömungen anderer Parteien. Während der Fokus derzeit noch auf Wassestoff und E‑Fuels liegt, gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass mit zunehmend dramatisch werdender Erderwärmung der Ruf nach großen technischen Lösungen wie Sonnensegeln im Weltraum zur Verschattung lauter werden wird. (Ideologisch passt dann so etwas wie Longtermism wunderbar dazu.)
Noch etwas weiter gedacht: mit etwas Fatalismus lässt sich beim Blick auf die Kurve der Treibhausgaskonzentration und der kaum dämpfenden Wirkung der bisher ergriffenen Maßnahmen darüber spekulieren, dass Klimawandelanpassung zum Kern eines politischen Programms werden könnte. Damit meine ich weder die Schwammstadt noch Rückhaltebecken, eher schon den Bau von Seewällen und Dämmen – und beim Blick auf 3 oder 4 Grad Erhitzung könnten daraus auch autarke, von der Umwelt abgeschlossene Arkologien oder unterirdische Städte werden. Das klingt noch sehr weit hergeholt – es dürfte dann plausibler werden, wenn erste Städte aufgegeben oder erste Gebiete als unbewohnbar erklärt werden.
Zusammengefasst: Klimapolitik rückt zunehmend und notwendigerweise ins Zentrum. Politische Lösungen gewinnen an Dringlichkeit. Gleichzeitig wird offener und stärker zum Gegenstand diskursiver und politischer Aushandlung, was richtige Lösungen sind. Zu Ende gedacht kann das zu einem Ausdifferenzierungsmoment des Parteienspektrums werden.
Eine kleine Bilanz zum Neun-Euro-Ticket
Übermorgen enden dann die drei Monate des Großversuchs Neun-Euro-Ticket. Leider wurde vorher nicht klar definiert, was den Erfolg dieses Versuchs ausmacht – insofern ist jetzt sehr interpretationsoffen, ob das Ticket die damit verbundenen Ziele erreicht hat oder nicht. Verkauft wurde es wohl mehr als 50 Millionen Mal. Klar ist: Es wurden Treibhausgase eingespart – es heißt, etwa so viel wie durch ein Tempolimit 130 im Jahr erreicht würde. Abonnent*innen von Monats- und Jahreskarten wurden sehr deutlich entlastet. Und Menschen, die auf jeden Euro gucken müssen, hatten die Möglichkeit, touristische und Freizeitfahrten zu unternehmen – also ein Beitrag zur Teilhabe.
Gleichzeitig dürfte das Neun-Euro-Ticket, da ja, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, eine bei Nacht und Nebel geborene Idee war, um dem FDP-Tankrabatt etwas entgegenzusetzen, so etwas wie ein Stresstest für den öffentlichen Nahverkehr dargestellt haben. Und ein Vorgriff auf die Utopie eines ticketlosen, per Umlage/Steuermittel finanzierten Verkehrs. Dabei zeigte sich dann, das Busse und Bahnen bisher nicht darauf eingestellt sind, dass deutlich mehr Menschen als heute sie nutzen. Und dass die Kombination aus coronabedingtem Fachkräftemangel und zusätzlichen Nutzer*innen nicht unbedingt ideal ist. Wer den ÖPNV attraktiver machen will, muss vermutlich an beiden Schrauben drehen: am Preis und am Angebot. Und das wird dann schnell richtig teuer.
Das Gefühl, einfach einsteigen zu können, egal wo – ohne sich mit komplizierten Wabenstrukturen, Kurzstreckentarifen und Tagesgruppenkarten herumschlagen zu müssen – ist ein gutes Gefühl. Mit der Bahncard 100, die ich mir leiste und leisten kann, habe ich dieses Gefühl auch jetzt schon; sie enthält quasi den City-Bereich, der auch bei anderen DB-Fahrkarten dabei ist. Das sind nicht alle Nahverkehrsverbindungen, was manchmal zu Rätselraten führt, aber meist lassen sich Busse und Bahnen damit nutzen. Trotz Bahncard 100 habe ich mir für zwei Monate noch ein Neun-Euro-Ticket gekauft – das eine, weil ich die Bahncard nicht dabei hatte, das andere, um die Lücke zwischen der vorherigen und der nächsten Bahncard zu füllen. Bei diesem Preis ist so etwas sehr unproblematisch und spontan möglich. Das sieht bei einem höheren (und finanzierungstechnisch vermutlich leider realistischeren) Preis wie 49 Euro anders aus.
Zudem habe ich mich gefreut, dass auch die Schülerabos der Kinder als Neun-Euro-Ticket deutschlandweit gegolten haben. Wir haben das zwar nicht intensiv genutzt, aber bei den Gelegenheiten, wo wir in anderen Städten waren, war das gut, einfach einsteigen zu können. Es geht auch ohne Tarifzonen und ohne kompliziertes Verbundsystem – und das fühlt sich nach einer deutlichen Erleichterung an.
Es gibt jetzt in der Ampel verschiedene Ideen, wie es mit dem Neun-Euro-Ticket weitergehen soll. Die SPD schlägt ein 49-Euro-Ticket vor, die Grünen haben mal ein gestaffeltes System ins Spiel gebracht, bei dem es günstige Bundeslandtickets/Regionaltickets und ein etwas teureres Deutschlandticket gibt. Es wäre jedenfalls gut, hier eine Lösung zu finden – und vorher zu überlegen, welches Problem gelöst werden soll: Soll der ÖPNV attraktiver und günstiger werden, geht es um Klimaschutz? Sollen mehr Menschen zum umsteigen motiviert werden? Oder steht die Entlastung von ÖPNV-Pendler*innen im Vordergrund? Oder geht es um soziale Teilhabe?
Das sind alles Fragen, deren Antworten zu unterschiedlichen Modellen führen. Alles gleichzeitig wird nicht funktionieren – erst recht nicht im komplizierten Geflecht aus Bund, Ländern, Verkehrsverbünden und Kommunen. Die sollten von vorneherein mit am Tisch sitzen, statt dass der Bund Ländern und Verbünden etwas überstülpt, aber dann Kofinanzierungen verlangt – gleichzeitig wäre es blöd, wenn das Zuständigkeitsgeflecht dazu führt, dass es keine Lösung gibt.
Alles nicht einfach. Die Ampel kann also zeigen, was sie kann – ich bin gespannt.
Interessant ist auch, was mit den bestehenden Vorhaben der Länder passieren wird. Beispielsweise ist in Baden-Württemberg als ein Leuchtturmprojekt der grün-schwarzen Koalition ein 365-Euro-Jugendticket (also 30 Euro pro Monat) geplant, das landesweit gilt und nach langwierigen Vorbereitungen und Verhandlungen zwischen Land und Verbünden für März 2023 in den Startlöchern steht. Oder, im kleineren Maßstab: an Unis wird häufig heftig über Semestertickets gestritten – auch derartige Modelle würden, genauso wie lokale Monatskarten wie die Regiokarte des RVF, übrigens historisch mit Einführung 1991 eine der ersten „Umweltkarten“, dann obsolet.
Klimaluxuslebensmittel
Heute geistert auf Twitter eine Grafik von ourworldindata.org herum, auf der die CO2-Äquivalente verschiedener Lebensmittel (je kg) dargestellt werden. So weit nichts großartig neues; OurWorldInData hat das gut aufbereitet und bietet auch verschiedene Optionen an, Lebensmittel in der Darstellung hinzuzufügen etc. Mal ungeachtet der Debatte um individuelle vs. politisch-strukturelle Entscheidungen gibt diese Darstellung einen Überblick darüber, wie treibhausrelevant verschiedene Lebensmittel sind – und bietet damit eine erste Orientierung.
Allerdings: die aufgeführten Lebensmittel werden in der Regel nicht in gleichen Mengen gegessen. Eigentlich müssten sie noch mit dem durchschnittlichen Jahresverbrauch (oder von mir aus Tagesverbrauch) normiert werden, um ein vollständiges Bild abzugeben. Ich mache das mal – mit dem Vorbehalt, das mir nicht ganz klar ist, ob sich die Angaben nach „commodities“ bei OurWorldInData einfach so in fertige Produkte umrechnen lassen – an einigen Beispielen deutlich:
Lebensmittel | kg CO2-Äquivalent pro kg | Jahresverbrauch Deutschland pro Kopf (kg) | CO2 pro Jahr |
Rindfleisch | 33,3 kg bis 99,5 kg, je nach Haltungsform | 9,4 kg (Statista) | 313,0 kg bis 945,3 kg |
Käse | 23,9 kg | 25 kg (Statista) | 597,5 kg |
Schweinefleisch | 12,3 kg | 31,0 kg (Statista) | 381,3 kg |
Kaffee | 28,5 kg | 5,4 kg (Statista) | 153,9 kg |
Weizen | 1,57 kg | 70 kg (Statista) | 109,9 kg |
Schokolade | 10,8 kg (Milchschokolade) bis 46,6 kg (dunkle Schokolade, Rohprodukt) | 9,1 kg (Statista) | 98,3 kg bis 424,1 kg |
Kartoffeln | 0,46 kg | 59,4 kg (BMEL) | 27,3 kg |
Oder nochmal anders: eine 100-g-Tafel Milchschokolade wäre demnach mit 1,1 kg CO2-Emissionen verknüpft, ein Schweinefleischprodukt mit 250 g mit etwa 3 kg CO2, ein Stück Käse mit 250 g mit 6 kg CO2 (pro Portion ab z.B. 30 g also 0,7 kg CO2) und eine 250-g-Packung Kaffee mit 7,1 kg (pro Tasse etwa 14 g Kaffeepulver, sagt das Netz, also 0,4 kg CO2). Eine Portion Tofu (z.B. eine Packung mit 200 g) verursacht demnach 0,6 kg CO2-Emissionen. Der CO2-Effekt einer Portion Kartoffeln (z.B. 200 g) ist dagegen mit 0,09 kg CO2 deutlich kleiner.
So werden die Zahlen für mich etwas besser vorstellbar. Ich will jetzt kein CO2-Budget pro Tag fürs Essen einführen, aber gerade mit Blick auf die derzeitigen durchschnittlichen Jahresverbräuche wird deutlich, wo größere und wo kleinere Baustellen liegen. Neben Fleisch – mir als Vegetarier individuell eher egal, strukturell ein Problem – entpuppen sich Käse, Kaffee und Schokolade als Klima-Luxusprodukte.
Leseempfehlung: Ruthanna Emrys – A Half-Built Garden
Grade erst habe ich meine SF-Sammelbesprechung gepostet, die nächste dauert noch ein bisschen – aber von diesem Buch war ich so begeistert, dass ich es außerhalb der Reihe unbedingt ans Herzen legen möchte.
Ruthanna Emrys sagte mir bisher nichts, ihre vorherigen Werke scheinen eher in Richtung Horror-Subversion zu gehen, nicht unbedingt mein Feld. Mit A Half-Built Garden (2022) ist jetzt bei Tor ein lupenreiner Science-Fiction-Roman von ihr erschienen, der nicht nur an Le Guin erinnert – worauf bereits der Klappentext aufmerksam macht – sondern für mich auch Anklänge an Marge Piercys He, She and It (1992) aufweist, etwa mit Blick auf die jüdischen Feiertage und Rituale, die im Buch eine Rolle spielen, mit Cory Doctorows Walkaway (2017) einen Raum für zeitgenössische Utopien eröffnet, Kim Stanley Robinsons tiefen Blick für ökologische Zusammenhänge aufnimmt und eine Idee aus Karl Schroeders Stealing Worlds (2019) zu Ende denkt: die enge Vernetzung von Menschen und Natur, die in technologischer Umsetzung von Bruno Latours Aktor-Network-Theory stattfindet.
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