Schulz’ Geschichte

Die Schulz-Sto­ry von Mar­kus Fel­den­kir­chen – ich habe den Feh­ler gemacht, sie als Hör­buch zu kau­fen und gemerkt, dass das ein­fach nicht mein prä­fe­rier­ter Wahr­neh­mungs­ka­nal ist, aber das ist eine ande­re Geschich­te – also: die Schulz-Sto­ry ist ein beein­dru­cken­des Stück Jour­na­lis­mus, bis hin zu den wie neben­bei in den Text ein­ge­streu­ten Erläu­te­run­gen zu Fach­be­grif­fen und poli­ti­schen Situa­tio­nen. Sie lässt sich auf drei Ebe­nen lesen: als Text über die Per­son Mar­tin Schulz, als Text über den Zustand der SPD, und als Text über eini­ge Dys­funk­tio­na­li­tä­ten unse­res poli­ti­schen Systems. 

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Nachruf: Ursula K. Le Guin


Ursu­la K. Le Guin (1929–2018), Gort­hi­an -
File:Ursula K Le Guin.JPG, CC BY-SA 3.0, Link

Heu­te habe ich erfah­ren, dass Ursu­la K. Le Guin vor­ges­tern im Alter von 88 Jah­ren gestor­ben ist. Ich habe, glau­be ich, fast alles gele­sen, was von ihr erschie­nen ist, teil­wei­se in der deut­schen Über­set­zung, teil­wei­se im Ori­gi­nal, und sie war eine der Autorin­nen, die mich stark beein­flusst hat. 

Le Guin hat eth­no­lo­gi­sche Sci­ence Fic­tion geschrie­ben, manch­mal auch anthro­po­lo­gi­sche Fan­ta­sy – die Gren­zen sind da flie­ßend. Jeden­falls: eine spe­ku­la­ti­ve Lite­ra­tur, in der genau beob­ach­tet wird, egal ob es um hell oder dun­kel geht. Eine Lite­ra­tur, in der Kul­tu­ren kon­sis­tent sind und eine Rol­le spie­len – sei­en es die Gesell­schaf­ten der Erd­see-Archi­pel, sei­en es die mehr oder weni­ger fort­ge­schrit­te­nen Außer­ir­di­schen im Hai­nish-Uni­ver­sum. Vie­le Bücher Le Guins sind sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Ver­suchs­an­ord­nung: über Geschlech­ter­ver­hält­nis­se, dar­über, ob eine bes­se­re Zukunft mög­lich ist, oder auch dazu, wie Unter­drü­ckung funk­tio­niert hat und wei­ter funktioniert.

Hier wird schon deut­lich: Le Guin ist und war immer eine poli­ti­sche Schrift­stel­le­rin. Noch vor weni­gen Mona­ten erschie­nen Inter­views mit ihr, in der sie sich nicht nur klar zu Trump posi­tio­niert hat, son­dern auch klar dazu, dass Kapi­ta­lis­mus etwas men­schen­ge­mach­tes ist und mög­li­cher­wei­se nicht die bes­te aller Wel­ten dar­stellt. Dass Sci­ence Fic­tion kein Män­ner­spiel­platz mit Welt­raum­aben­teu­ern aus Kar­ton mehr ist, son­dern femi­nis­tisch sein kann, mit tief gezeich­ne­ten, emp­find­sa­men Wesen: auch da war sie eine Weg­be­rei­te­rin. Und natür­lich han­deln ihre Bücher und Geschich­ten von der gan­zen Palet­te des lin­ken, pro­gres­si­ven Lebens. Vom Kampf gegen Umwelt­zer­stö­rung und Skla­ve­rei bis hin zu den genau aus­ge­dach­ten und auf­ge­schrie­be­nen Nie­de­run­gen einer real exis­tie­ren­den syn­di­ka­lisch-anar­chi­schen Uto­pie, aber auch die Ver­su­chun­gen von Macht und Zau­be­rei: all das fin­det sich bei Le Guin, dazu noch eine Spur Taoismus. 

Dabei war Le Guin immer Schrift­stel­le­rin mit lite­ra­ri­schem Anspruch. Ihre Tex­te sind nie­mals plump, son­dern höchst leben­dig, mit einem eige­nen Humor. Auch dazu, wie Spra­che ein­ge­setzt wer­den kann, dass Rhyth­men und Flüs­se etwas mit Text­ar­beit zu tun haben, konn­te von Le Guin gelernt werden.

Ursu­la K. Le Guin hat­te eine Wir­kung. Das ist viel­leicht das stärks­te, was über einen Schrift­stel­ler oder eine Schrift­stel­le­rin gesagt wer­den kann. Ich bin nicht der ein­zi­ge, den sie dazu ver­führt hat, ima­gi­nä­ren Wel­ten treu zu blei­ben und des­sen poli­ti­sche Hal­tung und Welt­sicht gleich­zei­tig von ihren Büchern deut­lich geprägt wur­de – obwohl ich sie nie per­sön­lich getrof­fen habe. Ich wün­sche uns, dass ihre Bücher und Geschich­ten – auch das, dem die 1970er Jah­re so deut­lich anzu­mer­ken sind – wei­ter gele­sen wer­den und auch über ihren Tod hin­aus die­sen Effekt haben werden.

Leseprotokoll September – Oktober 2017

Neben Mal­te Spitzs Sach­buch Daten – das Öl des 21. Jahr­hun­derts? Nach­hal­tig­keit im digi­ta­len Zeit­al­ter habe ich auch im Herbst 2017 in Buch­form vor allem Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy gele­sen (und begon­nen, The Expan­se und Star Trek: Dis­co­very anzuschauen).

Das mit dem „gele­sen“ trifft nicht ganz zu auf Simon Sta­len­hågs Buch Tales from the Loop, das ich trotz­dem heiß emp­feh­len kann: Sta­len­håg malt Bil­der, in denen v.a. skan­di­na­vi­sche Land­schaft sich mit tris­ten Robo­tern, den neu­es­ten Tech­no­lo­gien der 1980er Jah­re einer Alter­na­tiv­welt und nicht ganz ech­ten schwe­di­schen Staats­kon­zer­nen mischen. Mit den Tales from the Loop ist eine wun­der­ba­re Geschich­ten­samm­lung zu die­sen Bil­dern her­aus­ge­kom­men, die so etwas wie eine Retro­cy­ber­punk­kind­heit aus der skan­di­na­vi­schen Pro­vinz zusam­men­bin­det. Wer mag, kann auch an Bla­derun­ner [2049] nahe am Polar­kreis den­ken. Kos­ten­pro­ben von Sta­len­hågs Stil gibt es auf sei­ner Web­site.

Auch Syl­vain Neu­vels Buch Waking Gods – die Fort­set­zung von Slee­ping Giants hat etwas mit über­gro­ßen Robo­tern zu tun. In die­sem Fall: außer­ir­di­schen Ursprungs und auf der Erde gefun­den. Die Macht­spie­le aus dem ers­ten Band haben ein vor­läu­fi­ges Ende gefun­den, doch plötz­lich tau­chen wei­te­re Robo­ter auf, und erwei­sen sich als unfreund­lich. Wie reagieren?

Gele­sen habe ich N.K. Jemi­sins The Stone Sky, eben­falls eine Fort­set­zung und nach The Fifth Sea­son und The Obe­lisk Gate der drit­te (und fina­le?) Teil von Jemi­sins Bro­ken-Earth-Serie. Wei­ter­hin sind die Oro­ge­ne Essun und ihre eben­falls oro­ge­nisch begab­te Toch­ter Nas­sun der Fokus­punkt der Geschich­te. Im drit­ten Band wird nach und nach deut­lich, wie es zu der ers­ten glo­ba­len Kata­stro­phe („fifth sea­son“) kam, und wie die magisch erschei­nen­den Fähig­kei­ten der Oro­ge­nen und der Stein­es­ser eigent­lich funk­tio­nie­ren. Auch hier gilt, dass hoch genug ent­wi­ckel­te Tech­no­lo­gie wie Zau­be­rei erschei­nen kann. Essun und Nas­sun ent­wi­ckeln (auf ihren unab­hän­gig von­ein­an­der statt­fin­den­den Ques­ten) unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen davon, was die rich­ti­ge Ant­wort auf die Kon­flik­te zwi­schen „Nor­ma­len“, Oro­ge­nen und Stein­es­sern sein könn­te, und wie mit dem aus der Bahn gera­te­nen Mond der Erde umzu­ge­hen ist. Erst im Fina­le begeg­nen sie sich – und zer­ren in unter­schied­li­che Rich­tun­gen. Mehr sei hier nicht ver­ra­ten, The Stone Sky ist jeden­falls ein ful­mi­nan­ter Abschluss einer ganz ande­ren Art von Sci­ence Fiction/Fantasy.

Kei­ne Fort­set­zung, auch wenn der Roman im sel­ben Uni­ver­sum wie ihre vor­he­ri­gen Bücher spielt, ist Ann Leckies Pro­ven­an­ce. Dadurch, dass dies­mal nicht die sehr anders wir­ken­den Rad­ch und deren AI im Mit­tel­punkt ste­hen (auch wenn die­se eben­so wie die kom­plett außer­ir­di­schen Geck am Ran­de auf­tau­chen), son­dern die für uns nähe­ren Bewohner*innen von Hwae, fand ich es ein­fa­cher, eine Bezie­hung zu den Haupt­per­so­nen auf­zu­bau­en. Es geht in Pro­ven­an­ce vor­der­grün­dig um Aben­teu­er mit Raum­schif­fen und auf unter­schied­li­chen Pla­ne­ten, mit­tel­grün­dig um poli­ti­sche Ver­wick­lun­gen und Macht­spie­le, und letzt­lich dar­um, wie Ingray Aughskold trotz des Drucks ihrer berühm­ten Adop­tiv­mut­ter Net­a­no Aughskold einen eige­nen Weg fin­det, sowas wie late coming of age also. In der Mischung sehr lesenswert.

Ganz anders Nico­la Grif­fiths Hild: ein his­to­ri­scher, sehr umfang­rei­cher Roman, der zur Zeit der Chris­tia­ni­sie­rung des angel­säch­si­schen Eng­lands spielt. Die Haupt­per­son Hild leb­te – so Grif­fith – tat­säch­lich, und wur­de ca. 614 als Toch­ter des Königs Here­ric von Dei­ra gebo­ren. Aus ihrem ech­ten Leben ken­nen wir nur Bruch­stü­cke – 627 wur­de sie getauft, 647 tritt sie in East Anglia eine Schiffs­rei­se nach Gal­li­en an. Grif­fiths Roman ist eine fik­ti­ve Bio­gra­phie von Hild, die der Fra­ge nach geht, wie aus den klei­nen, zer­strit­te­nen angel­säch­si­schen König­rei­chen tat­säch­li­che Staa­ten wur­den. Sie zeich­net Hilds Weg von ihrer Kind­heit über ihre „Ent­de­ckung“ als heid­ni­sche Sehe­rin und enge Bera­te­rin des Königs an einem der klei­nen Königs­hö­fe bis zum Auf­bau eines eige­nen Haus­halts am Ende vie­ler Schlach­ten (und nicht, wie in der Rea­li­tät, als Äbtis­sin eines Klos­ters). Das alles wohl rela­tiv nah an dem, was über das Leben im 7. Jahr­hun­dert bekannt war – und mit einem, wie mir scheint, dezi­diert femi­nis­ti­schen Blick auf die dama­li­gen Geschlech­ter­rol­len. Ich habe jeden­falls eini­ge gelernt – nicht nur über das begin­nen­de Mit­tel­al­ter, son­dern auch über die Geschich­te der eng­li­schen Spra­che, denn nor­man­ni­sche Lehn­wör­ter gibt es in die­sem Buch noch nicht. 

Eben­falls um klei­ne König­rei­che und eine Reichs­grün­dung geht es in Ken Lius The Grace of Kings – dies­mal aller­dings in einem fik­ti­ven süd­ost­asia­ti­schen Set­ting, dem Insel­reich Dara. Den Auf­stieg des trick­rei­chen Kuni Garus vom rebel­li­schen Tau­ge­nichts zum Kai­ser zu ver­fol­gen, ist durch­aus amü­sant; nicht zuletzt durch die immer wie­der dazwi­schen geschal­te­ten Inter­ven­tio­nen der Göt­ter und Göt­tin­nen Dar­as. Nicht die Chry­san­the­me, son­dern der zähe und viel­fach nütz­li­che Löwen­zahn ist das Leit­mo­tiv von Kuni Garu, und sei­ne Phi­lo­so­phie und sein Han­deln – mit allen Rück­schlä­gen und Erfol­gen – haben etwas von Till Eulen­spie­gel. Am Ende, nach vie­len Intri­gen und Ver­wick­lun­gen, ist Kuni Garu zwar Kai­ser – aber er steht auch vor gro­ßen Zwei­feln und einem Scher­ben­hau­fen sei­ner Inte­gri­tät. Lius Buch ist der ers­te Band einer Tri­lo­gie, aber eigent­lich kann sich im zwei­ten (der bereits erschie­nen ist), nur als Tra­gö­die wie­der­ho­len, was hier mehr oder weni­ger Far­ce war. Inso­fern weiß ich noch nicht, ob ich ihn lesen will.

Intri­gen­rei­che Poli­tik mit Thril­ler­ele­men­ten geht auch ohne König­rei­che, ja sogar ohne Natio­nal­staa­ten. Wenn es das Gen­re des „poli­ti­cal sci­ence fic­tion“ gäbe, wäre Mal­ka Older des­sen Haupt­ver­tre­te­rin. Sie hat jetzt mit Null Sta­tes die Fort­set­zung von Info­mo­cra­cy vor­ge­legt. Wäh­rend Info­mo­cra­cy sich auf das Innen­le­ben der Mikro­de­mo­kra­tie – eine in „Cen­tenals“, also jeweils 100.000 Wahl­be­rech­tig­te in einem geo­gra­fi­schen Bezirk, orga­ni­sier­te Welt – kon­zen­trier­te, wei­tet sich in Null Sta­tes der Blick – auf die Tran­si­ti­on von einer Super­mehr­heit zur ande­ren, die ganz und gar nicht rei­bungs­los ver­läuft, auf den Über­gang von Staa­ten und Frei­heits­be­we­gun­gen zu Cen­tenals – hier: im Sudan, im Kau­ka­sus – und vor allem auf die wei­ter bestehen­den, in ihrem Ein­fluss geschrumpf­ten Natio­nal­staa­ten, den weit­ge­hend ohne die all­ge­gen­wär­ti­ge Trans­pa­renz (und Über­wa­chung) durch die trans­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on „Infor­ma­ti­on“ aus­kom­men, „null sta­tes“ also. Ein Krieg zwi­schen Kir­gi­si­stan und Kasach­stan droht auf die angren­zen­den Cen­tenals über­zu­grei­fen, aber auch die Res­te Chi­nas und der Schweiz wer­den zum Teil des Plots. Glo­ba­li­sier­te poli­ti­sche Sci­ence Fic­tion mit viel Hin­ter­grund­wis­sen über das Innen­le­ben inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen – auf jeden Fall empfehlenswert!

Last but not least habe ich zur Abwechs­lung mal ein Buch auf deutsch gele­sen – Marc-Uwe Kling hat mit Qua­li­ty­Land eine bei­ßen­de Sati­re über unse­re zuneh­mend ver­netzt-kom­mer­zia­li­sier­te Gegen­wart geschrie­ben. In der nahen Zukunft ori­en­tiert sich Poli­tik an PR, und das Leben wird durch Likes und Matches bestimmt. Ich habe die „dunk­le Edi­ti­on“ gele­sen, aber auch die „hel­le“ soll emp­feh­lens­wert sein. Ich wür­de fünf von fünf Ster­nen dafür geben, und hof­fe, dass ich damit mein Ran­king erhal­ten kann, und nicht gesell­schaft­lich absinke. 

Kurz: Nachhaltigkeit, ins Digitale übertragen

Der Zusam­men­hang von Digi­ta­li­sie­rung und Nach­hal­tig­keit beschäf­tigt mich immer mal wie­der. Inter­es­siert beob­ach­te ich bei­spiels­wei­se, was die For­schungs­grup­pe Digi­ta­li­sie­rung und sozi­al-öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on des IÖW treibt. 

Das The­ma lässt sich aber auch anders ange­hen. Mal­te Spitz, grü­ner Netz­po­li­ti­ker, hat nun ein Buch her­aus­ge­ge­ben, das den Titel Daten – das Öl des 21. Jahr­hun­derts? Nach­hal­tig­keit im digi­ta­len Zeit­al­ter trägt. Dabei geht es aller­dings nicht in ers­ter Linie um die Fra­ge, ob Digi­ta­li­sie­rung zu öko­lo­gi­scher und sozia­ler Nach­hal­tig­keit bei­tra­gen kann bzw. die­se gefähr­det. Viel­mehr nimmt Mal­te die belieb­te Meta­pher von den Daten als dem Öl des 21. Jahr­hun­derts als Aus­gangs­punkt, um der Fra­ge nach­zu­ge­hen, was sich struk­tu­rell von den Feh­lern und Erfol­gen der Poli­tik des 20. Jahr­hun­derts ler­nen lässt, um im 21. Jahr­hun­dert zu einem gene­ra­ti­ons­über­grei­fend sinn­vol­lem Umgang mit all­ge­gen­wär­ti­gen Daten und Digi­ta­li­sie­rung ins­ge­samt zu kommen.

Wer mehr dazu wis­sen will: Ich habe eine län­ge­re Rezen­si­on dazu geschrie­ben – die­se ist bei CARTA zu fin­den und kann dort gele­sen werden. 

Leseprotokoll August 2017

Neben zwei Sach­bü­chern (über die ich bereits etwas geschrie­ben habe: Wie­bicke: Zehn Regeln für Demo­kra­tie-Ret­ter und der von Kap­pes, Kro­ne und Novy her­aus­ge­ge­be­ne Medi­en­wan­del kom­pakt), eini­gen Hef­ten vom MERKUR-Sta­pel und audio­vi­su­el­lem Krams (bei Dr Who nähe­re ich mich inzwi­schen der Gegen­wart, fin­de trotz all­mäh­li­cher Gewöh­nung an Peter Capal­di Matt Smith immer noch den bes­se­ren Dok­tor – bemer­kens­wert an der BBC-Serie, neben­bei bemerkt, die Inklu­si­on: selbst­ver­ständ­lich gibt es im 23. Jahr­hun­dert eine gehör­lo­se Che­fin einer Unter­was­ser­mi­ne, und selbst­ver­ständ­lich haben nicht alle Men­schen im eng­li­schen Mit­tel­al­ter eine wei­ße Haut­far­be; dann habe ich mir end­lich mal den groß­ar­ti­gen Film Inter­stel­lar ange­schaut, der schon ewig in mei­nem Goog­le-Play-Account rum­lag, und bei der Gele­gen­heit kann ich auch Luc Bes­sons Comic­ver­fil­mung Vale­ri­an noch mal emp­feh­len) – also: neben all dem las ich vor allem drei Fan­ta­sy-Seri­en. Und zwar drei ganz unterschiedliche.

Ers­tens den drei­bän­di­gen Comic Angel Cat­bird. Was kommt her­aus, wenn Mar­ga­ret Atwood (ja, die Mar­ga­ret Atwood!) einen Comic schreibt? Eine nett-quirk­si­ge Geschich­te über einen For­scher, der mehr oder weni­ger zufäl­lig zum Kat­zen-Eulen-Mensch-Mutant wird und in die Unter­welt der Halb­kat­zen gerät. Einen Super­schur­ken gibt es auch, neben­bei wird auf die eine oder ande­re im Zusam­men­hang mit Kat­zen wich­ti­ge Tat­sa­che hin­ge­wie­sen (Kas­trie­ren! Im Haus hal­ten, wegen der Sing­vö­gel!), und vor und nach den eigent­li­chen Comics gibt es lesens­wer­te Vor­wor­te und Skizzensammlungen.

Zwei­tens habe ich den ers­ten und den gera­de neu erschie­ne­nen zwei­ten Band der Lica­ni­us-Tri­lo­gie von James Isling­ton gele­sen, das sind The Shadow of What Was Lost und An Echo of Things To Come. Ich kann die­ses umfang­rei­che Epos nicht unein­ge­schränkt emp­feh­len, auch wenn die Wel­ten­kon­struk­ti­on und deren Beschrei­bung gut gelun­gen ist, die – eine zen­tra­le Rol­le im Buch spie­len­de – Magie mit ihren Begren­zun­gen plau­si­bel wirkt, und Isling­ton auch eini­ges zu Gesell­schafts- und Macht­struk­tu­ren und Cha­rak­te­ren mit Grau­tö­nen zu sagen hat. Gleich­zei­tig sind bei­de Bücher aber auch sehr blu­tig, und in Cae­den – einer von vier oder fünf Haupt­fi­gu­ren – wird die Ambi­va­lenz auf eine Grat­wan­de­rung geschickt (mit einem bit­te­ren Ende ganz am Schluss des Epi­logs von An Echo of Things To Come).

Anfangs wirkt The Shadow of What Was Lost wie eine typi­sche Geschich­te über den aus­er­wähl­ten jugend­li­chen Hel­den (ja, eine Zau­ber­schu­le kommt auch vor, die erin­nert aber eher an Le Guin als an Har­ry Pot­ter); bald jedoch wird klar, das Isling­ton mit die­sem Kli­schee durch­aus spielt. Den­noch ist’s mir zu viel Epos, zu viel gut und böse, zu vie­le mora­li­sche Fra­gen und zu viel göt­ter­glei­che Unsterb­li­che. Ent­spre­chend bin ich noch unent­schlos­sen, ob ich den drit­ten Band lesen möch­te oder nicht.

Drit­tens habe ich, nach­dem ich den ers­ten Band bereits vor eini­ger Zeit gele­sen habe, die rest­li­chen Bücher von Marie Brenn­ans Serie der „Erin­ne­run­gen der Lady Trent“ gele­sen – The Tro­pic of Ser­pents, Voya­ge of the Basi­lisk, In the Laby­rinth of Dra­kes, Within the Sanc­tua­ry of Wings (sowie die Kurz­ge­schich­te „From the edi­to­ri­al page of the Fal­ches­ter Weekly Review“. Die erzäh­len­de Lady Trent blickt auf ein aben­teu­er­li­ches Leben als Natur­for­sche­rin zurück, in dem sie rund um die Welt gereist ist, um die unter­schied­li­chen Arten von Dra­chen kennenzulernen. 

Dabei wird der anthro­po­lo­gi­sche Hin­ter­grund Brenn­ans sehr schön deut­lich, denn – mal abge­se­hen von den Dra­chen – ist die Fan­ta­sy­welt, in der die­se Geschich­ten spie­len, gar nicht so anders als unse­re im 18. oder 19. Jahr­hun­dert. Spra­chen, Kul­tu­ren, Reli­gio­nen und Geo­gra­phie sind zur Kennt­lich­keit ent­stellt. Es gibt Ras­sis­mus und Kolo­nia­li­sie­rungs­be­mü­hun­gen, im Qua­si-Eng­land, das Lady Trents Hei­mat ist, spie­len sozia­le Klas­sen nach wie vor eine gro­ße Rol­le – und selbst­ver­ständ­lich ist es alles ande­re als eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass eine Frau sich als Wis­sen­schaft­le­rin behaup­ten will. Neben der plau­si­bel und unter­halt­sam beschrie­be­nen Natur­ge­schich­te der Dra­chen (und einer Über­ra­schung im letz­ten Band, die aller­dings schon etwas erahn­bar ist) ist Inter­sek­tio­na­li­tät, in Ver­frem­dung sicht­bar gemacht, das The­ma hin­ter der Geschich­te die­ser Bücher, ohne dass das zu dick auf­ge­tra­gen wird.